KASSIERER

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Arbeit ist immer noch Scheiße!

Ein Grippeschub hätte beinahe mein geplantes Interview mit DIE KASSIERER verhagelt und es nur noch telefonisch stattfinden lassen. Irgendwie war ich nah dran, den Termin vom Freitag bereits am Mittwoch zuvor zu schmeißen. Der hilfsbereite Gitarrist Nico verstand dies offenbar falsch und hatte einen Vorschlag: „Du, der Wolfgang ist schon jetzt in Berlin, trefft euch doch morgen.“ Gut, manchmal muss man auch zu seinem Glück gedrängt werden und so saß ich mit Sänger Wolfgang beim Kaffee in einer Pizzeria in Kreuzberg. Auf dem Diktiergerät hört es sich an, als würden die Kellner pausenlos mit Porzellan werfen, aber das war zu verkraften. Wenigstens hatten sie uns zuliebe vorher die romantische Dudelmusik abgestellt und Wölfi entpuppte sich bald als ein wirklich netter Plauderer, dem zuzuhören einfach Spaß macht.

Wolfgang, ich bin ja VfL Bochum-Fan und wollte dich mal fragen, ob das immer noch so happig ist mit der Geschichte „Freiheit für Wattenscheid“? Wattenscheid wurde 1975 von Bochum eingemeindet.


Der Oberbegriff „Freiheit für Wattenscheid“ wurde von einer eher rechtslastigen, frei verteilten Zeitung genutzt. Es gab also in Wattenscheid Rechtsradikale, die diese Frage nutzten, um damit rechtsradikale Propaganda zu machen ...

Das ist interessant, ich kenne das eher von den Wattenscheid 09-Fans, die das im Stadion riefen ...

Ja, daher kam das wohl. Die haben 10.000 Zeitungen gedruckt und haben die dann in die Hausflure geschmissen. Hinterher betrieben sie auch eine Website, und als ich dann erfolglos ein Kulturzentrum in Wattenscheid gefordert habe, um etwas für nachwachsende Generationen auch in Bezug auf Konzerte zu schaffen, wurde ich von denen immer beschimpft, ich wolle wohl Demonstrationen mit Asozialen machen.

Abgesehen von den Rechtsradikalen, warum war die Eingemeindung für die Wattenscheider Bürger so ein Problem?

Man muss sich vorstellen, dass Wattenscheid eine Stadt mit 70.000 Einwohnern war, die 1975 von Bochum eingemeindet wurde. Früher konnten sie eben selbst Entscheidungen treffen und das wurde dann nach Bochum verlagert. Und Wattenscheid wurde auch von der Bochumer Politik relativ stiefmütterlich behandelt. Aktuell muss man sich vorstellen, dass die Stadt Bochum einen Etat von 70.000 Euro einspart, die dann bei der Notschlafstelle für Obdachlose fehlen. Andererseits haben sie in Bochum aber genug Geld, um ein Konzerthaus zu bauen, wofür eine Million im Jahr an Zuschüssen drauf geht, abgesehen von den reinen Baukosten. Früher, bis 1991, gab es ein Jugendzentrum in Wattenscheid, das wurde dann auch im Zuge einer Sparwelle geschlossen.

Und inwieweit ist die Stadt Bochum noch Punkrock? Es gibt da immerhin bekannte Auftrittsmöglichkeiten.

Es ist so, dass es in Bochum einige größere Läden gibt, wo du Konzerte machen kannst, aber es gibt eigentlich nichts mit einer Raumgröße, wo maximal 250 Leute reinpassen, wo die Produktionskosten so niedrig sind, dass Anfänger mal irgendwo beginnen können. Es gab zwar noch eine ehemalige Bahnhofskneipe, wo wir Punk-Konzerte veranstaltet haben, aber auch die gibt es jetzt nicht mehr. Selbst Comedy-Größen wie Hennes Bender haben früher ihre Auftritte in kleinen Kneipen bei uns gemacht. Oder Karsten Riedel, der bei FRITZ spielte und bei ALPHA BOY SCHOOL, der hat auch im ehemaligen Jugendzentrum in Wattenscheid angefangen und das fehlt jetzt vollkommen. Ich bin ja einer von 19 Wattenscheidern, die acht bis zehn Mal im Jahr ins Bochumer Rathaus kommen, wo dann eigentlich über Belanglosigkeiten abgestimmt wird.

Über Fahrradständer?

Fahrradständer oder Verkehrsinseln, die „Querungshilfen“ heißen. Also ist es ein bisschen grotesk und das wirkt dann bisweilen wie ein gelebter Loriot-Film,wo man dann echt mit mehreren älteren Herren in einem Bus in Wattenscheid unterwegs ist, um zu gucken, an welchen Stellen man vielleicht jetzt noch Verkehrsinseln hinmachen könnte, das hat schon was ziemlich Absurdes und es ist auch teilweise frustrierend. Angefangen habe ich 2009, da wollten sie 10.000 Euro für die Notschlafstelle für Obdachlose streichen, das wurde dann so eher heimlich gemacht und dann habe ich da angerufen, ob die das überhaupt wissen, dass bei ihnen gekürzt wird, was sie natürlich gar nicht wussten.

Was war für dich die Hauptmotivation, politisch zu agieren?

Durch meine Forderung für ein Kulturzentrum begann ich mich für die Kommunalpolitik zu interessieren und ein Bekannter sagte mir dann, dass die Linke durchaus auch parteilose Kandidaten aufstellt, und so wurde ich zum Spitzenkandidaten für Wattenscheid.

Auf eurer zweiten LP hieß es ja noch: „Die Kassierer, was ist das eigentlich?“. Würdest du mit meinem Begriff „Musik-Kabarett im Punk-Gewand“ leben können?

Nein! Das klingt zu artifiziell. Eigentlich sind Punkbands so wie wir, es ist das, woran man Spaß hat.

Aber die anderen haben nicht Georg Kreisler dabei ...

Aber irgendwas anderes. Punk hat mit Harmonien und musikalischer Qualifikation nicht direkt etwas zu tun, sondern damit, dass man mit Musik etwas unmittelbar macht. Normale Rockmusik ist gefangen in Eitelkeiten. Das sieht man deutlich an diesen Gitarristen, die in jedem Lied ein Gitarrensolo unterbringen müssen und dabei charakteristisch ihr Gesicht verziehen, und genau das ist Punk nicht! Aber gut, man könnte sagen, wir machen Comedy-Oi!. Die absurdeste Vorstellung war zu Beginn von unserer Gruppe, dass einer wie ich in einer Band singen könnte. Und das ist auch immer noch das Selbstbild von mir.

Aber einen Begriff kann man bei euch doch gelten lassen, nämlich Treue. Ihr spielt immer mit denselben Leuten und seid immer beim selben Label geblieben. Zufall?

Anfangs hatten wir unsere Platten ja selbst gemacht und Teenage Rebel macht die seit 1992. Das Label macht aber keinen großen Unterschied aus. Es gibt ja Bands, die von sich überzeugt sind, dass sie super Musik machen, und am mäßigen Erfolg ist dann die Booking-Firma oder das Label schuld. Und ich finde, wenn die Zusammenarbeit funktioniert, macht es keinen großen Sinn, das Label zu wechseln. Wenn jetzt natürlich so ein Major wie Universal käme, wären wir von uns überzeugt, gefestigt genug zu sein, mit denen zu verhandeln. Aber ich glaube, die wollen uns nicht.

Gut, kommen wir auf religiöse Milieus. Ihr habt ja nun einige Körpersaft-Kompositionen in euren Songs, funktionieren die auch in Franken oder generell im katholischen Süden?

Nun ja, die Anträge auf Indizierung kamen aus Leipzig und Herne. Das sind ja nicht besonders katholische Gegenden.

Ihr habt auf eurer letzten LP „Physik“ auch ein Lied aus den 1920er Jahren aufgearbeitet, nämlich „Nieder mit die Arbeit“, nach einem Text von Paul Strich. Suhlt ihr euch in so was? Denn wenn man dem Deutschen wehtun will, dann nimmt man ihm einfach sein Fleißmärkchen ab ...

Das geht ja musikalisch auf ein russisches Volkslied zurück und der Text ging exakt in diese APPD-Richtung. Ich fand das klasse, dass es so was auch schon in den Zwanziger Jahren gab. Ich denke, wenn man das mit ein bisschen Humor nimmt – und dazu ist ja der eine oder andere Deutsche auch in der Lage –, dann wollen ja gerade die Leute, die arbeiten wollen, gar nicht arbeiten. Wir haben 1998 diese „Arbeit ist Scheiße!“-Plakate gemacht und als ich die damals aus der Druckerei abholte, hatten die Mitarbeiter die dort schon aufgehängt. Also, um wirklich zu wissen, wie scheiße Arbeit ist, muss man sie haben. Ich glaube, man findet Arbeit immer nur dann gut, wenn man sie sucht. Was aber meistens nicht an der Arbeit selbst liegt, sondern am Mangel an Geld.

Bildungstechnisch seid ihr ja sehr bewandert, du hast zum Beispiel in fünf Fächern studiert ...

... aber ohne Abschluss. Für das Arbeitsamt bin ich sozusagen Hilfsarbeiter.

Das ist ja bescheuert.

Haha, das ist schon in Ordnung. Ich hatte wegen der Inhalte studiert und nicht, um einen Abschluss zu machen. Nachdem ich dann 40 Semester studiert hatte, war mir auch klar, dass mich da auch mit Abschluss nach so vielen Semestern niemand mehr einstellt.

Aber ihr seid ja nicht unbedingt leicht angreifbar mit euren Texten, weil ihr nun mal gebildet seid und eben auch anders könnt. Pimmel- und Mösentexte hin oder her ...

Gut, man wird aber schnell darauf reduziert. Bei unseren Platten machen diese Ficklieder vielleicht 20% aus und trotzdem stehen die bei der Kritik immer im Vordergrund, die anderen wichtigen Themen wie das Absurde oder die Gewalt kommen ja meistens in den Plattenbesprechungen gar nicht vor, so was wie „Der Mann, der rückwärts spricht“.

Und das ärgert euch?

Nein, ich finde es eher unverständlich. Bei einem „James Bond“-Film wird ja auch nicht nur darauf hingewiesen, dass da einer reihenweise Frauen aufreißt, das gilt ja weitestgehend als Actionfilm. Und warum das bei unseren CDs immer so darauf reduziert wird, ist irritierend. Woran das liegt, da bin ich noch nicht ganz dahintergestiegen.

Wie bildet man nach 27 Jahren immer noch so eine Einheit, so ein Team, dass die Party rüberbringt, was ist das Erfolgsgeheimnis?

Wir gehen uns vor allem nicht auf die Nerven, weil wir uns abseits der Konzerte fast nie sehen. Wir freuen uns einfach, wenn etwas funktioniert. Der Streitfaktor ist in Bands, die mit großen Zielen ausgestattet gestartet sind sicher höher. Manchmal finde ich es eigentlich schade, dass die Konzerte so groß geworden sind, dass die Leute einfach zu Namenlosen werden. Ich habe vor zwei Tagen am Curry 36-Stand in Berlin einen Menschen getroffen, der mich fragte, ob ich ihn noch kenne, da er 1990 auf einem unserer Gigs war. Und ungefähr eine halbe Stunde später fiel mir dann doch ein, dass der Mensch Simon hieß. Bei den großen Konzerten finde ich es heute deshalb etwas traurig, dass es entpersonalisiert wird. Es ist nicht mehr die kleine Party und man säuft dann hinterher nicht mehr mit den Fans. Durch diese Gesamtsituation wird man quasi zum Star gemacht.