LATTERMAN

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A proper finish!

LATTERMAN wurden im Jahr 2000 in Huntington Station, New York von Matt Canino (Gesang, Bass), Phil Douglas (Gesang, Gitarre), Mike „MR“ Campbell (Gitarre) und Pat Schramm (Schlagzeug) gegründet. Auf den ersten Blick wirkten ihre Akkorde wie gewöhnlicher Pop-Punk amerikanischer Prägung, mit Hang zum überschwänglichen, mehrstimmigen Chorgesang. Doch für Menschen, denen Inhalte wichtig sind, waren ihre Texte von Anfang an eine Fundgrube politischer und sozialkritischer Themen, vorgetragen sowohl mit Humor wie auch mit Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Besonders Sänger Matt ist in den letzten Jahren mit seiner zweiten Band RVIVR in Szenekreisen für sein Eintreten gegen Sexismus und Homophobie bekannt geworden. Auf der anderen Seite wird immer wieder Kritik laut, was seine rigide Engstirnigkeit als „Szenepolizist“ oder seine „Rolle“ als Spaßbremse auf den Konzerten der Bands angeht. 2007 lösten sich LATTERMAN nach drei Alben – „Turn Up The Punk, We’ll Be Singing“ (2002), „No Matter Where We Go ...!“ (2005), „We Are Still Alive“ (2006) – auf, doch in den Jahren der Neuorientierung der Mitglieder, die Bands wie BRDIGE & TUNNEL, IRON CHIC oder eben RVIVR gründeten, entwickelte sich eine stetig wachsende Fanschar. Ende 2011 gaben LATTERMAN ihre Reunion bekannt, im September 2012 absolvierten sie eine Europatour und spielten schließlich auf dem Fest #11 in Gainesville, Florida. Ich sprach mit Matt und Mike.

Als LATTERMAN ihre Trennung bekannt gaben, gab es von euch dazu nur einen kurzen Kommentar, aber nie das letzte symbolische Konzert oder eine Abschlusstour. Wolltet ihr euch so alle Möglichkeiten offen halten?

Matt:
So was kümmert uns einfach nicht, und es schien uns einfach nicht richtig, zu diesem Zeitpunkt noch eine letzte Show zu spielen. Ende und gut. Ich hätte es einfach nicht ertragen, noch ein letztes Mal zu spielen, das wäre viel zu deprimierend gewesen, und die anderen waren alle einverstanden, einfach aufzuhören.

Wie hat es sich angefühlt, für die US-Konzerte Ende 2011 wieder zusammenzukommen?

Mike:
Wirklich gut. Als sich die Band aufgelöst hatte, war ich selbst ja gar nicht direkt dabei, ich bin Monate vorher ausgestiegen. Ich weiß nicht, wie es ganz am Ende in der Band war, aber jetzt, nach ein paar Jahren, haben sich bei uns allen die Lebensumstände verändert, so dass wir jetzt die schönen Seiten dabei einfach genießen können.

Matt: Ich habe mir zuerst echt Sorgen gemacht, dass es schief gehen könnte. Ich hatte Angst, dass das bloß etwas irgendwie Aufgewärmtes werden könnte, völlig vergangenheitsfixiert oder seltsam. Bis zu einem gewissen Grad ist es das natürlich, aber das Gefühl, die Sache angemessen zu Ende zu bringen, überwiegt, es ist nicht wie der zwanghafte Versuch, die alte Magie neu zu entfachen. Sie ist einfach da. Sogar als wir uns getrennt hatten, geschah das einvernehmlich. Es gab keinen Streit. Ich glaube, dass wir kurz danach noch zusammen Pizza essen waren, haha.

Wie du gerade gesagt hast, hat sich eurem Leben viel verändert. Was waren die Gründe, LATTERMAN doch noch einmal wiederzuvereinigen?

Mike:
Ich glaube, das Thema Reunion kam auf, weil wir gefragt wurden, ob wir auf einem Festival spielen wollten, und das gerade mit dem Rerelease unserer Alben zusammenfiel. Das war ein interessanter Gedanke. Ich denke nicht, dass irgendwer von uns von sich aus daran gedacht hätte.

Matt: Für mich stand an sich fest, dass es dazu niemals kommen würde! Ich habe meine neue Band und habe so was nicht nötig. Eigentlich hatte ich Schramm nur angerufen, um abzusagen, aber mitten in dem Gespräch sagte ich auf einmal: „Ich glaube, ich werde es tun.“ Haha. Immerhin sind wir sieben Jahre lang eine Band gewesen. Eine ziemlich prägende Erfahrung, besonders im Alter von 17 bis 24. Leider sehe ich die Jungs auch gar nicht mehr so oft, da ich die letzten sechs Jahre zu weit weg gewohnt habe, um gemeinsam abzuhängen und Musik zu machen. Ich war wirklich aufgeregt, und es fühlte sich an, als sei es ganz selbstverständlich.

Erwähnenswert ist, dass ihr 1.000 Dollar, die durch die Ostküstenkonzerte im letzten Winter zusammengekommen sind, an das „Queer Rock Camp“ bei den Olympischen Spielen in London gespendet habt, wo du, Matt, als freiwilliger Helfer mitgearbeitet hast. Kannst du ein wenig über deine Arbeit und die Organisation erzählen?

Matt:
Das „Queer Rock Camp“ ist ein Jugendcamp und läuft eine Woche in jedem Jahr, in diesem Sommer war es das zweite Mal. Es beruht auf der Idee des „Girls Rock Camp“. Hauptsächlich ist es ein einwöchiges Programm für Jugendliche zwischen 13 bis 21, von denen manche bereits ein Instrument spielen, andere es aber noch nicht richtig können. Es gibt Musikunterricht und dann werden von allen Anwesenden Bands gegründet. Am Ende der Woche, am Samstagabend, treten dann alle Bands auf einer großen Bühne auf. Das ist ziemlich cool. Es zielt besonders auf schwul-lesbische Jugendliche ab, generell ist aber jeder willkommen, der sich der Thematik verbunden fühlt. Wir hatten sogar einen Travestie-Workshop, was ich wirklich super fand. Im Grunde soll das Camp einen Raum schaffen für Leute, die sich in der Gesellschaft an den Rand gedrängt fühlen. Die Teilnehmer sollen sich bestärkt fühlen und ein Umfeld erfahren, das sie unterstützt, und lernen, das Thema offen in ihrer Musik zu kommunizieren und damit auch dem Rest der Welt. Dieses Jahr war es überwältigend, wir hatten elf Bands, es gab ungefähr 40 Teilnehmer und 50 freiwillige Helfer. Uns wurde eine Grundschule zur Verfügung gestellt und wir arbeiteten von neun bis fünf. Gerade weil es so etwas vorher noch nie gegeben hat, war es etwas Besonders. Ich bin wirklich dankbar, dass ich mit LATTERMAN so etwas unterstützen kann und wir ein wenig Geld spenden können. Ich will die Aufmerksamkeit der Leute auf dieses Thema lenken und hoffe, dass andere die Idee aufgreifen und selbst so was organisieren.

Matt, in deinem Statement zu Auflösung stand unter anderem: „Talking about sexism in punk rock every night and then some fucking bro-dudes coming up to me and saying some fucked up shit. [...]“ Laut eigener Aussage verfolgten RVIVR von Anfang an einen weitaus bewussteren Ansatz als LATTERMAN es taten, so dass die Leute weniger die Chance haben, eure Message misszuverstehen. Glaubst du, nachdem du das jetzt klargestellt hast, war es sinnvoll, auch noch mal mit LATTERMAN auf der Bildfläche zu erscheinen? Immerhin sieht man solche Machos nach wie vor auf fast jeder Show.

Matt:
Da stimme ich dir zu, und so war es auch auf dieser Tour.

Mike: Überraschenderweise aber weniger, als ich erwartet hatte.

Matt: Sicher, bei RVIVR verbinden wir mit unserem Auftreten auch immer bestimmte Intentionen – aber das Zitat ist nach wie vor relevant. Es gibt immer noch Leute, die zu Shows kommen, die sich nicht unbedingt mit unserer Message identifizieren. Genau das hat mich vor sechs Jahren bei LATTERMAN frustriert, und es frustriert mich bei RVIVR noch genauso, dasselbe gilt für die LATTERMAN-Shows heute. Das ist eben eine Tatsache. Vielleicht habe ich mittlerweile gelernt, etwas besser damit umzugehen. Du kannst eben so viel du willst bei einer Show in ein Mikrofon sagen, einige Leute verstehen es, andere wiederum nicht.

Mike: Jedes Mal, wenn Matt oder Phil auf etwas Bestimmtes hinweisen, das vielleicht sogar auf der Show in dem Moment passieren könnte, reagieren die Leute mit Applaus und Zustimmung: „Fuck sexism!“ Aber sie verhalten sich im nächsten Moment trotzdem wieder so. Manchmal kriegen die Leute gar nichts davon mit, was wiederum auch frustrierend ist.

Matt: Ich habe das Gefühl, dass sich niemand mit diesen negativen Dingen auseinandersetzen will und lieber mit dem Finger auf andere zeigt. Das war aber nicht die Hauptursache, warum LATTERMAN vor sechs Jahren aufgehört haben. Es gab auch logistische Gründe, etwa, dass ich nicht mehr in New York lebe.

Ohne Zweifel sind eure Reunion-Konzerte ein riesiger Erfolg. Glaubt ihr, der größte Teil des Publikums versteht euch? Befürchtet ihr nicht, dass es nur unreflektierte Begeisterung ist?

Matt:
Wie Mike bereits sagte, wir haben Schlimmeres erwartet.

Mike: Die Leute, die LATTERMAN erst nach der Trennung für sich entdeckt haben, und offensichtlich auch Bands wie RVIVR mögen, wissen, was wir denken. Jetzt wissen sie, wo die Message ihren Ursprung hat. Ich glaube, die Leute haben mehr verstanden oder sind sich zumindest ihres eigene Verhaltens bewusster. Obwohl durch die Tatsache, dass die Shows viel größer geworden sind, auch das Problempotential größer wird.

Matt: Es gilt das Gesetz des Durchschnitts: es kommen mehr Leute, also gibt es auch mehr Arschlöcher, haha. Aber meiner Meinung nach mache ich nichts grundlegend anders. Vielleicht hat sich musikalisch etwas verändert, aber die politischen Ansichten sind immer noch dieselben: Wie eine Show für mich auszusehen hat, einen sicheren Raum zu schaffen, der Gedanke, anderer Leute Grenzen zu respektieren, alle Leute willkommen zu heißen, so dass sich jeder wohlfühlen kann. Aber was immer außer Acht gelassen wird, ist, dass viele der LATTERMAN-Texte im politischen Sinne viel expliziter sind. Die RVIVR-Texte sind es überhaupt nicht. Aber manchmal sehen die Leute das nicht.

Ist es nicht verrückt festzustellen, dass eure Band heute weitaus bekannter ist als vor sechs Jahren? Was sind wohl die Gründe dafür?

Matt:
Das Internet heute unterscheidet sich so sehr zu dem vor sechs Jahren. Die Technologie entwickelt sich so schnell, das ist wirklich verrückt. Das könnte ein Faktor sein.

Stichwort: Copyright. Ist es für euch in Ordnung, wenn Leute eure Musik im Internet verbreiten?

Matt:
Ich denke schon, denn wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir nicht die Möglichkeit, hier in Europa zu touren. Vielleicht wären die Konzerte nicht so groß. Ich genieße unsere größeren Shows, auch wenn das nicht die Regel ist.

Mike: Eine der Brooklyn-Shows war ausverkauft, 700 Leute waren da. Da fragt man sich schon, wie das passieren konnte.

Wenn ihr auf die letzten zwölf Jahre zurückschaut, findet ihr, dass Themen wie Sexismus und Homophobie mehr Aufmerksamkeit bekommen, bemerkt ihr irgendwelche Verbesserungen?

Matt:
Ich würde schon sagen, dass die Themen zumindest mehr Aufmerksamkeit bekommen, sie sind sichtbarer als vor zwölf Jahren. Aber vor zwölf Jahren war ich 17, da war meine Sicht der Dinge noch begrenzter. Gleichzeitig widme ich in meinem persönlichen Leben diesen Themen aber auch mehr Aufmerksamkeit. Es gibt einige Orte, wie in Olympia, wo ich lebe, wo es nicht mehr so viele Männerdomänen gibt.

Mike: Dieser Blinkwinkel fußt ja auf unserem persönlichen Umfeld, und wir würden uns niemals ein Umfeld aussuchen, in das wir nicht reinpassen. Wir umgeben uns mit ähnlich denkenden Menschen, wo diese Themen diskutiert werden, aber wir alle das gleiche Verständnis haben.

Matt: Ja, ich lebe in einem Ort, wo ich versuche dabei zu helfen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Homosexuelle ihren festen Platz finden können und eben nicht dieses langweilige Machogehabe vorherrscht. Es gab einige Orte auf dieser Tour, wo ich ein wenig entmutigt wurde, weil sich die Dinge nicht geändert haben.

Bei der aktuellen Tour kann man aber auch von einer Männerdomäne reden, die meisten der Bands bestehen immerhin aus männlichen Mitgliedern. Meinst du nicht, dass in manchen Umgebungen entsprechende Bands schlichtweg nicht immer existent sind?

Matt:
Oder man bemerkt sie einfach nicht, weil es schwierig ist, herauszustechen, wenn die Leute es gewöhnt sind, nur männliche Bands vor sich zu haben. Wenn ich eine Show buche und frage, ob es irgendwelche Queer-Bands gibt, antworten die Leute: „Ich kenne keine.“ Aber hat der Booker wirklich nachgeschaut? Manchmal ist es einfach eine Frage der Aufmerksamkeit. Eine Sache, woran wir im Queer Rock Camp arbeiten, ist zu versuchen, diese Sichtbarkeit zu unterstützen.

In gewisser Weise kollidiert die hymnische Überschwänglichkeit eurer Musik mit den meist ernsten und ehrlichen, aber auch humorvollen Texten. Ist es manchmal schwierig, politische oder sozialkritische Themen mit eingängigen Melodien zu kombinieren?

Matt:
Manchmal kann sich das schon komisch anfühlen. Es gibt einen Song, an den ich mich besonders erinnere, „The biggest sausage party ever“. Er handelt davon, wie ein 17-jähriger Junge gegen Sexismus im Punkrock Stellung bezieht, und es gibt diese Stelle, wo wir singen: „We’re all guilty.“ Ein Freund und ich hatten genau darüber mal ein Gespräch, und er sagte: „Weißt du, ich mag den Song, aber beim letzten Konzert standen da diese aufgepumpten Kerle grinsend in der ersten Reihe und sangen: ,We’re all guilty‘.“ Das ist total verrückt. Gleichzeitig ist dies aber die Musik, die ganz natürlich bei uns entsteht, ebenso wie die Textideen. Mittlerweile bin ich ein wenig älter und erfahrener, und dann denke ich mir schon, dass ich den Inhalt an das Gefühl des Songs anpassen sollte. Als die ganzen LATTERMAN-Songs entstanden, gingen wir die Sache ein wenig willkürlicher an. Aber ich glaube, es ist von Vorteil, Spaß zu haben, haha. Wir können auf der Show Spaß haben und trotzdem über diese Dinge im Nachhinein nachdenken oder sie auf der Bühne ansprechen.