MESSER

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Hungrig wie eine Vogelspinne

MESSER, das sind Hendrik, Pogo, Pascal und Philipp aus Münster und zusammen haben sie mit ihrem Debütalbum die Punk-Scheibe produziert, die auf direktem Weg zum neuen Liebling des hiesigen Feuilletons aufgestiegen ist. This Charming Man Records, ebenfalls aus Münster und aufgefallen durch eine Reihe guter Releases, hat sowohl Vinyl als auch CDs in die Läden gebracht. Das scheint die Zusammenarbeit der Stunde zu sein und deshalb habe ich den vier eloquenten Jungs von MESSER ein paar Fragen gestellt. Dabei spielten auch die gerade erst aufgelösten RITUAL eine Rolle, denn immerhin haben mit Philipp und Pascal die Hälfte der Bandmitglieder bei MESSER ein neues musikalisches Zuhause gefunden. Mittlerweile wird auch schon am Nachfolgealbum gearbeitet.

Die Resonanz auf „Im Schwindel“ in den letzten Monaten war ja ziemlich überwältigend. Ist euch davon schwindelig geworden? Habt ihr das erwartet?

Philipp:
Natürlich nicht! Wir hatten ja keinen Erfahrungswert. Bei einem ersten Album ist es nun mal kaum möglich, irgendetwas zu erwarten. Und so sehr eine Platte, die man der Öffentlichkeit preisgibt, zwar ein prinzipielles Angebot für alle ist, so sehr wissen wir auch, dass das, was wir machen, nicht jedem gefallen kann. Aber gerade deswegen hat uns das Interesse, das „Im Schwindel“ entgegengebracht wurde, auch gefreut. Es ist schön, wenn Leute die Chance bekommen, sich mit unserer Musik auseinanderzusetzen.

Ihr habt ja sozusagen die „Grenzen der Szene“ verlassen oder zumindest ausgelotet, ob jetzt gewollt oder ungewollt. Dadurch gibt es ja ein wenig Kritik aus eben jener Szene. Wie geht ihr damit um?

Pogo:
Kritik nehme ich immer gerne an. Sofern sie denn konstruktiv ist. Offensichtlich lösen wir aber in bestimmten Punk-Kreisen eine Art Unbehagen aus. Sonst wäre das Review im Plastic Bomb sicher nicht mit solch einem persönlichen Unterton ausgefallen. Das war ja ein richtiger Appell an uns, mit dem Auftrag, uns wieder auf den richtigen „Punk-Weg“ zu führen. Wenn diesen Leuten Punk so heilig ist, dann habe ich dafür auch vollstes Verständnis.

Philipp: An Kritik wächst man und sei es nur, weil man sich bewusst wird, was es bedeutet, etwas der Öffentlichkeit preiszugeben. Wenn es manchen nicht gefällt, dass wir uns nicht allein in diesem selbstreferentiellen Rahmen von Punk bewegen wollen, ist ja dementsprechend auch okay. Wir wollen das ja schließlich so! Am meisten würde mich wahrscheinlich interessieren: Wovor habt ihr solche Angst?

Bei MESSER verschmelzen verschiedenste Kunstformen. Mit eurer Musik als Fundament gibt es Lyrik, Kurzprosa, Malerei, das Musikvideo von Olli Schwabe und Christian Becker und auch Performance Art auf gewisse Weise. Seht ihr MESSER als eine Art Kunstprojekt?

Pascal:
MESSER war eigentlich von Beginn an als kreative Spielwiese gedacht, auf der jeder seinen Schaffensdrang ausleben darf. Daher haben wir, schätze ich, auch Gefallen an der Bezeichnung „Gruppe“ gefunden, die im Gegensatz zur „Band“ nicht die direkte gedankliche Verbindung zur Musik herstellt. Nichtsdestotrotz ist Musik für uns nach wie vor die wichtigste Ausdrucksform, mit der wir insgesamt doch auch am besten vertraut sind. Es ist spannend auszuprobieren, wie man verschiedene Kunstformen verbinden kann und wie die Leute darauf reagieren. In vielen Rezensionen wurde zum Beispiel über den Zusammenhang des auf dem Cover abgebildeten Gemäldes von Hendrik und der allgemeinen, meist als düster empfundenen Stimmung der Musik sinniert. Darüber hinaus ist der Austausch und die Zusammenarbeit mit Leuten aus allen Bereichen der Kulturlandschaft, wie zum Beispiel die von dir genannten Oliver Schwabe und Christian Becker, einfach spannend und bringt uns weiter. Wir wollen gucken, was so geht, neue Wege gehen. Wir sind hungrig. Wie die Vogelspinne.

Hendrik: Ja, wir sind eine Rockband mit Lust auf mehr.

Ihr habt auf dem Incubate-Festival in Tilburg ein improvisiertes Set mit Damo Suzuki von CAN und mehreren Mitgliedern von MOGWAI gespielt. Was war das für eine Erfahrung und wie genau lief das ab?

Philipp:
Das war wirklich unglaublich! Seit Jahren sind wir Fans von CAN und MOGWAI. Dann plötzlich mit diesen Leuten zusammen auf einer Bühne zu spielen, das haut einen um. Und: Es gab überhaupt keinen Plan. Ich hatte gehofft, dass man zumindest beim Soundcheck schon einmal eine gemeinsame Ebene erkunden würde, aber selbst dafür fehlte die Zeit. Die Show ging also einfach los, ohne dass irgendwer auch nur eine Ahnung hatte, wohin das führen würde. Ich denke, dass es dafür gar nicht so schlecht geklungen hat: Eine Stunde lang Wall of Sound!

Auf der „Augen“-Single gibt es einen Remix des Songs „Fieberträume“ von Florian Pühs, dem Sänger von ECKE SCHÖNHAUSER. Wird es mehr aus der elektronischen Richtung von euch zu hören geben? Schreibt ihr schon Songs für den Nachfolger von „Im Schwindel“?

Philipp:
Wir haben tatsächlich gerade ein neues Stück aufgenommen mit elektronischem Instrumentarium, also Sampler und Synthesizer. Es heißt „Gegen Ende“ und ist auf einem This Charming Man-Vinylsampler erschienen. Wir haben also schon daran Gefallen gefunden. Und ein weiterer Remix ist auch schon da: Max Rieger von der Band DIE NERVEN hat eine tolle Reinterpretation von „Gassenhauer“ produziert. Wir wissen aber noch nicht, wie, wann und wo wir diese veröffentlichen. Auf dem nächsten Album könnte das auch durchaus eine Rolle spielen. Wir haben schon etwa die Hälfte der Songs der nächsten Platte geschrieben, die aber bisher noch ohne Synthie und Drum-Machine auskommt.

Daran anschließend eine Frage, die sich an Philipp und Pascal richtet: War euch das musikalische Korsett von RITUAL zu eng geworden?

Philipp:
Na ja, diese Frage könntest du wohl genauso an Pogo mit Blick auf PRESS GANG adressieren. Ich würde das nicht ganz so hart formulieren: Mit der letzten RITUAL-LP „Paper Skin“ haben wir ja auch versucht, das Ding ein Stück weiter zu spinnen, um uns aus dem recht engen Korsett zu befreien, in dem wir zuvor steckten. Die Frage war aber: Was dann? Es wurde schwierig, über diese Frage einen Konsens in der Band zu erreichen. Für Pascal und mich war es also reizvoller, an einem ganz neuen Punkt anzusetzen, von dem aus man so seine Sachen macht. Und da war dann auch wichtig, eine Form zu wählen, die prinzipiell geöffneter ist und mehr Möglichkeiten zulässt. So wie jetzt etwa das Experimentieren mit elektronischen Mitteln: Am Ende soll ja auch auf diesem Wege ein MESSER-Stück entstehen. Ein Experiment um des Experiments willen ist an sich nicht spannend.

RITUAL haben allerdings zuletzt wenig Songs von „Paper Skin“ live gespielt. War es einfach schwer, die Songs umzusetzen, oder was war der Grund?

Philipp:
Vielleicht auch das. Zuletzt kam natürlich noch hinzu, dass eine Abschiedstour immer schon viel mit Nostalgie zu tun hat. Da spielt man dann so alte Kamellen auch ganz gerne noch mal. Aber tatsächlich war das auch so ein Konflikt in der Band, wie mit Live-Situation und der aktuellen Platte umgegangen wird.

MESSER wird häufig im gleichen Atemzug mit deutschsprachigen Bands genannt, was von FEHLFARBEN über Rachut-Projekte bis zu BLUMFELD ja viel sein kann. Auf Spiegel-Online wurdet ihr sogar MADSEN gegenübergestellt. Seid ihr genervt von den bemühten Vergleichen?

Philipp:
Nein, das sollten wir auch nicht sein. Das ist nicht unser Zuständigkeitsbereich. Der Musikjournalismus braucht so etwas wahrscheinlich und aus gutem Grund. Zum Songschreiben brauchen wir es nicht. Obwohl wir keine Angst vor hörbaren Einflüssen haben, denken wir nicht in Referenzen.

Hendrik: Also ich bin nicht genervt davon, das interessiert mich einfach nicht. Aber ich kann es verstehen. Wenn man über Musik schreibt, braucht man Referenzen, weil der Leser die Musik ja nicht zwingend parallel hört. Die Rezension ist also eine merkwürdige Form von Kommunikation: es wird über etwas Abwesendes geschrieben. Daher braucht der Schreiber wie auch der Leser Orientierungshilfen. Es gibt aber auch Rezensionen ohne diese klassischen Hilfsmittel, die fallen dann positiv auf, die lese ich gerne. Aber auch wenn wir uns mit den Referenzen nicht identifizieren können: Wenn Leute das brauchen, um etwas zu erfassen, dann ist das halt so.

Pogo: Was aber auffällt: FEHLFARBEN, Rachut und so weiter, das ist alles auf die deutsche Sprache limitiert. Das sind ja alles tolle Bands. Bei MADSEN weiß ich es nicht. Habe ich nie gehört. Dennoch: MESSER ist doch viel mehr. Ich finde das immer so beschränkt. Wenn man nach diesen Referenzen sucht, dann muss die Sprache immer gleich sein. Das verstehe ich nicht.

[b]Welche Bands oder Künstler begleiten euch noch außerhalb des genannten Kreises besonders bei eurer eigenen Entwicklung als Gruppe?

Philipp:
Ich ziehe da nie so gerne allein vom Sound her einen direkten Vergleich zu bestimmten Songs oder Bands, sondern denke, dass für uns eher die Haltung bestimmter Bands oder auch so eine Grundidee beim Songwriting als Orientierung dient. Und da ist dann eine Band wie SONIC YOUTH wichtiger als FEHLFARBEN, mit denen wir nicht viel verbinden außer die ersten beiden tollen LPs. SONIC YOUTH hingegen haben mit ihrer Verbindung von direkten Rocksongs und ausufernden Momenten für uns schon etwas sehr Wichtiges vorformuliert.

[b]Die Hälfte der neuen Platte ist also schon fertig geschrieben. Habt ihr schon das Studio gebucht? Was habt ihr für konkrete Pläne?

Philipp:
Ja, haben wir. Mittlerweile ist es auch schon deutlich mehr als die Hälfte. Wir werden unser zweites Album im Februar im Electric Avenue Studio in Hamburg zusammen mit Tobias Levin aufnehmen. Danach werden wir noch mehr Konzerte spielen.