BRISTLES

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Das Punk-Kollektiv

Schweden war in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern eines der in Sachen Punk aktivsten europäischen Länder, die Bands orientierten sich stilistisch meist an England. So auch die BRISTLES aus Landskrona, die von 1982 bis 1985 aktiv waren (diese Bandphase ist auf der in Japan erschienenen Doppel-CD „No Future In The Past“ dokumentiert) und 2008 den Drang verspürten, wieder in Sachen Punkrock mitzumischen. Das tun die alten Herren sehr engangiert und wütend, was sie zuletzt mit dem Ende 2012 auf Heptown Records erschienenen Album „Bigger Than Punk“ dokumentierten. Sänger Puma beantwortete meine Fragen.

Trotz eurer langen Geschichte kennen euch wahrscheinlich nicht viele Leute in Deutschland. Kannst du uns einen Überblick über die Anfänge geben, die Phase von 1982 bis 1985?


Die BRISTLES wurden 1982 gegründet. Wir waren Punks der ersten Generation, die etwas die Orientierung verloren, als die erste Welle abebbte. Dann kamen EXPLOITEDs „Punks Not Dead“ und die Oi!-Bewegung und wir waren wieder mit dabei. Anfang 1983 wurde die erste EP namens „Don’t Give Up“ veröffentlicht, noch mit meinem Vorgänger Viking, der sich jedoch kurz darauf mit den falschen Leuten einließ und zum Nazi wurde. Die Oi!-Einflüsse, die wir bis dahin hatten, sind auch schnell wieder verschwunden und so klingt das im Herbst 1983 veröffentlichte Tape „Ban The Punk Shops“ mehr nach räudigem, rauhem Punk. 1984 haben wir uns erst aufgelöst, nur um bald mit unserem neuen Drummer Groll weiterzumachen. In dem Jahr haben wir auch die „Boys Will Be Boys“-EP rausgebracht. 1985 war aber endgültig Schluss, eher wegen musikalischer Differenzen, aber unsere Drogenprobleme taten ein Übriges. Rückblickend war unsere Auflösung typisch für die damalige Zeit – die zweite Punk-Welle lag im Sterben, manche von uns wollten härter werden, andere wollten ’77er-Punk machen. Die Bands, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht auflösten, wurden entweder zu Metal- oder Rock-Bands. Gegen Ende waren wir übrigens noch zu fünft, jetzt sind wir zu viert, drei von uns waren damals schon dabei: Svegis an der Gitarre, Ingemar am Bass, und ich. Ray, unser Drummer kam 2009 neu dazu.

Was habt ihr 1985 bis 2008, als die Band nicht existierte, so angestellt, auch musikalisch?

Svegis hat die BRISTLES DC gegründet und mit ihnen Punk im ’77er-Stil gespielt, sie haben auch eine EP gemacht, „Free The Prisoners“. Dann hat er aber angefangen, sich dem Garage-Rock zu widmen, genau wie ich. Von 1995 an hat Svegis in einer Ska-Band namens SKALATONES gespielt, die bis 2000 dann mehrere Alben aufnahm, und war auch mit ihnen auf Tour. Außerdem hat er 1999 noch die NEGATIVES gegründet, eine Punkband, die es heute auch noch gibt. Mit denen ist er ebenfalls ein bisschen getourt und hat verschiedene Platten aufgenommen. Ich hab in den Neunzigern dann auch in verschiedenen Punkbands gespielt. Ingemar war für eine kurze Zeit bei BRISTLES DC dabei und hat immer in verschiedenen Band gespielt, in einer sogar Schlagzeug. Er hat, kurz nachdem die BRISTLES sich auflösten, jedoch geheiratet und eine Familie gegründet. Zur gleichen Zeit bin ich aus Landskrona, unserer Heimatstadt, weggezogen. Generell kann man sagen, dass wir das gemacht haben, was auch viele andere nach dem Ende ihrer Bands gemacht haben – wir haben gearbeitet und waren arbeitslos, gleichzeitig spielte die Drogensucht für uns alle auch eine große Rolle. Jeder wird wissen, was das bedeutetet, ohne jetzt ins Detail zu gehen. Nichtsdestotrotz sind wir jetzt alle seit Jahren clean.

Warum das Comeback? Wer braucht alte Punks auf der Bühne?

Zu allererst muss ich sagen, dass Punk heute wirklich eine Bewegung geworden ist, was es früher nie war. Deshalb sind Punks jetzt in ganz verschiedenen Altersstufen, das ist eine natürliche Entwicklung, immerhin ist Punk jetzt auch schon über dreißig Jahre alt. Außerdem wurden die materiellen Unterschiede innerhalb der westlichen Gesellschaft seit den Achtzigern beständig größer, damit auch die soziale Ausgrenzung. Anders gesagt, heute hast du nach der Schule beispielsweise keinen sicheren Job mehr und so weiter und so fort. Also will ich deine Frage mal umformulieren: Wer braucht die BRISTLES? Das ist eine wichtige und berechtigte Frage, doch wir sind nicht diejenigen, die sie beantworten sollten. Wie bei jeder anderen Band auch ist die Grundlage der BRISTLES die Chemie zwischen uns. Und als wir das erste Mal über eine Reunion sprachen, haben wir zunächst etwas Zeit miteinander verbracht und ein bisschen gespielt. Die Hauptsache war, dass es sich gut anfühlt, dass es Spaß macht und wir dabei das Gefühl haben, dass die Chemie immer noch stimmt, und das war dann auch der Fall. Der nächste Schritt war, dass wir keine alten Songs spielen wollten und wir uns einigen mussten, wie das neue Zeug zu klingen hatte. Vor dem Hintergrund aktueller politischer Geschehnisse entschlossen wir uns dann dazu, diese aus unserer Perspektive mit Punk-Musik zu kommentieren. Das war, bevor wir irgendwelche Pläne, was Shows angeht, gemacht haben. Für uns war die Reunion nicht reine Nostalgie, das war eine Fortsetzung. Wir sind immer noch einfach irgendeine beschissene Punkband, nicht mehr, nicht weniger.

Die neue Platte hat Tommy Tift produziert, der auch mit SISTA SEKUNDEN und VÅNNA INGET, zwei weiteren großartigen Bands aus Schweden, zusammengearbeitet hat. Kannst du mir etwas über die Szene vor dreißig Jahren erzählen – mit welchen Bands habt ihr gespielt, wie war das? Wie ist der Unterschied zu heute, auch was die „Szeneinfrastruktur“ angeht?

Die schwedische Szene vor dreißig Jahren war klein und meist auf die jeweilige Stadt begrenzt. Heute ist sie größer und breiter gefächert, natürlich haben da auch die internationalen Plattenfirmen ihren Teil dazu beigetragen, aber es gibt beispielsweise auch einfach bessere Möglichkeiten zu kommunizieren, dank des Internets. Damals haben wir mit Bands aus unserem Umfeld gespielt, etwa ASTA KASK, MODERAT LIKVIDATION, EATER, SÖTLIMPA und vielen anderen großartige Bands. Die Locations waren klein, meist in Jugendzentren, aber nur wenige Konzerte wurden von Punks organisiert, noch seltener gab es irgendwo regelmäßige Punk-Gigs. Heutzutage ist das eine komplett andere Sache, es gibt mehr Auftrittsmöglichkeiten, oft in der Hand von Punks, die regelmäßig Konzerte veranstalten. Es ist auch viel internationaler geworden. Für uns ist das so, dass wir in der gleichen Position sind wie damals, wir spielen immer noch in kleinen Läden, während es heute aber viel mehr Bands gibt, was auch bedeutet, dass man mit kaum einer mehr als einmal zusammenspielt.

Eure Plattentitel sind sehr direkt und sehr aussagekräftig. Was genau bedeutet etwa „Union Bashing State“ von 2009?

Dabei geht es um Ereignisse in Malmö, das ist in der Nähe unserer Heimatstadt Landskrona, im Jahr 2009. Die syndikalistische Gewerkschaft in Malmö war in einen Arbeitskampf verwickelt, in dessen Folge es zu Zusammenstößen mit der Polizei und rechtlichen Schritten gegen Gewerkschaftsmitglieder kam. Die Gerichtsurteile wiederum kamen einem vor, als wolle der Staat gewerkschaftliche Aktivitäten insgesamt verbieten, deshalb „Union Bashing State“. Der Staat hatte gewonnen, denn die Aktionen haben aufgehört. Wir dachten, das sei ein guter Titel für die EP, denn die staatlichen Repressionen sind nichts anderes als eine Antwort auf die Aufmüpfigkeit der Arbeiter. Eine starke Gewerkschaft ist eine Bedrohung für den Staat, der Kern des revolutionären Kampfes.

„Reflections Of The Bourgeois Society“ von 2010 ...?

Das ist ein Zitat aus dem Song „Porn, drugs, arms“ und bezieht sich auf die Pornoindustrie. Die Zeile davor lautet: „Desperate, disturbed, tempted, pushed and tricked“. Das umschreibt ganz gut den Zustand der Individuen in der westlichen Gesellschaft, deren Handeln doch das Fundament der Gesellschaft bilden.

„We’re Only In It For The Drugs“, 2011 ...?

Den Titel haben wir von EBBA GRÖN, einer legendären schwedischen Band. Wir haben mal eine EBBA GRÖN-Tribute-Show gespielt und haben uns dann entschieden, eine Single mit zwei EBBA GRÖN-Songs aufzunehmen, eben „We’re only in it ...“ und „Beväpna er!“, also „Bewaffnet euch!“. EBBA GRÖN waren eine unserer Lieblingsbands, mit denen sind wir aufgewachsen. Damals war es so, dass EBBA GRÖN der politischen Bourgeoisie zu groß wurden, also wurde ihnen ein Teil des Preisgeldes verwehrt, das sie bei einem Musikwettbewerb gewonnen hatten. Die Begründung war, die Bandmitglieder seien alle drogenabhängig. Deshalb der Titel, vielleicht auch als Abwandlung von „We’re only in it for the money“, EBBA GRÖN wollten eben lieber die Drogen. Zusätzlich zu diesem BRISTLES-Release haben wir noch eine Abhandlung verfasst, in der wir die ersten vier Jahre unter der rechten Regierung 2006 bis 2010 beschreiben, die eigentlich nur Politik für Reiche gemacht hat, auf Kosten der weniger gut situierten. Wir fanden es ziemlich lustig, den Titel zu verwenden, schließlich verdienen wir weder Geld mit der Musik noch nehmen wir Drogen.

„Bigger Than Punk“, 2012 ...?

Das haben wir von der großartigen Band DEAD PREZ geklaut, die hatten einen Song namens „It’s bigger than Hip-Hop“, der hat das gleiche Thema. Die Musik ist nur der Soundtrack zu unserem Leben, unseren Vorlieben und unseren Konflikten; im weiteren Sinne: nur der Soundtrack zu unseren revolutionären Bestrebungen. Musik erzählt Geschichten, gibt dir ein gutes Gefühl und so weiter, aber das ist dann auch alles. „Bigger Than Punk“ heißt, dass Punk mehr ist als die Musik und die Szene. Punk ist eine Art zu leben, die dich zum Nachdenken bringt und dementsprechend zu handeln – revolutionär.

Eure Texte spiegeln ein politisches und soziales Bewusstsein wider. Warum? Viele Bands behandeln eher beliebige Themen oder schreiben „persönliche“ Texte. Warum ist das für dich keine Option, warum sollte Punk eine Aussage haben?

Die Texte von heute sind ja nicht mehr so wie die von früher. Wir schreiben keine offenen Briefe mehr an Leute, die sich diese sowieso nicht anhören wollen. Wir sagen aber auch nicht, dass wir nie wieder solche Texte schreiben werden. Selbiges gilt für persönliche Texte, oder Liebeslieder und solches Zeug. Aber bislang haben wir uns immer dafür entschieden, das nicht zu tun. Ja, wir sind politisch und sozial engagiert, aber im Endeffekt gibt das nur wieder, was in unseren Köpfen vorgeht, was von uns Besitz ergreift, wie es eben für jeden ist, der Texte schreibt. Wir sagen nicht, dass Punk eine Message haben muss. Punk an sich ist eine Message: Sei du selbst. Und das ist, was uns in der Punk-Community verbindet, ob man sich nun politisch äußert oder nicht.

[b]Welche Themen verbergen sich hinter „The great wall of Europe“, „Holidays in Thailand“ und „The American dream“?[b]

„The great wall of Europe“ ist eine Definition von Imperialismus. Es geht um die Mauern, die überall gebaut werden, um die Ausbeuter von den Ausgebeuteten abzuschotten. Es ist die Mauer um Europa herum, die die Nicht-Europäer draußen halten soll. Es meint aber auch die Mauern der „gated communities“ innerhalb Europas, die in dem Fall die ausgebeuteten Europäer aussperren. Der Wohlstand Europas kommt daher, dass wir die unterentwickelten Länder ausbeuten und somit unseren Wohlstand sichern. Aber das nützt nicht mal allen Europäern, es macht nur eine kleine Gruppe immer reicher, also brauchen sie „gated communities“, um sich zu schützen, denn sie haben Angst. Und sie haben Recht damit. Der Kapitalismus ist ein System, das auf Brutalität gründet. Die Musik zum Text ist ironischerweise eine Mischung aus CONFLICT und EXPLOITED. Der Text von „Holidays in Thailand“ beruht auf der gleichen Definition von Imperialismus wie bei „The great wall of Europe“. Das steht ja auch in Verbindung mit den Anfängen des westlichen Pauschaltourismus im faschistischen Spanien der Sechziger. Ironischerweise war das erste Tourismusziel ausgerechnet Mallorca, die Insel, auf der Franco stationiert war, als die Faschisten den Bürgerkrieg begannen. Es ist das Gleiche im heutigen Thailand, die Armee hat alle Fäden in der Hand. Dort kannst du dich dann als Otto Normalverbraucher wie ein König fühlen, weil unser westlicher Wohlstand eben auf der Armut dieser Leute basiert. Und selbst mit dem, was hier billig verkauft wird, machen die Firmen noch einen Riesenprofit. Die Idee war es, die SEX PISTOLS-Zeile „A cheap holiday in other people’s misery“ aus „Holidays in the sun“ weiter auszuführen. Das hat nicht ganz geklappt, am Ende war es ein Text über lüsterne weiße Männer. In „The American dream“ dreht es sich um die Lüge, die den Armen eingetrichtert wird, dass du das tust, was getan werden muss, um es zu etwas zu bringen: Nach oben buckeln, nach unten treten. Ein Kontrollmechanismus. Man kann natürlich vom Tellerwäscher zum Millionär werden, oder im Lotto gewinnen, aber die Chancen dass du Krebs bekommst, sind wesentlich höher. So wie es in den Linernotes heißt, mit Verweis auf entsprechende Untersuchungsergebnisse: Die Chancen, dass ein gewöhnlicher Mensch reich wird, standen zu allen Zeiten schlecht und sie stehen immer schlechter.