FRONT

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Was kommt nach der Generation Dosenbier?

Wäre das hier eine graue Blocksiedlung, das Fernsehprogramm beherrscht von Mike Krüger und Dieter Hallervorden, Birne noch Kanzler und der Atomkrieg vor der Tür, könnte man meinen, wir befänden uns in den düsteren Achtziger Jahren, der Ära von Casio-Uhren und Neonleuchten. Doch der vielbeschworene gläserne Bürger ist längst Realität, Privatsphäre eine Frage des Facebook-Profils, die RAF effektvoll verfilmt und deutscher Punk irgendwo zwischen Dosenstechen und Bachelor-Studium Philosophie, zwischen Übernachtung in Erbrochenem und weinerlicher Langeweile. Für etwa 99,2% der deutschsprachigen Punkbands sollte diese Analyse weitestgehend zutreffen, wobei besonders gewitzte Kapellen auch bemüht überzogenen Sarkasmus mit H&M-Einschlag für die Umkleidekabine verkaufen, solange dem Käufer das Oettinger-Feeling nicht verloren geht. Zu den restlichen 0,8% gehören FRONT aus Wiesbaden, einige der wenigen also, denen es gelingt, die düstere Atmosphäre besagter Achtziger in (bevorzugt) Düsseldorfer Punk-Manier aufzuzeigen und in das Hier und Jetzt zu übertragen. Politisch und doch nicht pathetisch, witzig und zynisch, dabei allerdings niemals albern, monoton und abgehackt wie ein Commodore 64, trotzdem jederzeit eingängig. MALE, FEHLFARBEN oder S.Y.P.H. kann man nennen, ABWÄRTS, KFC oder DER MODERNE MANN ebenso. Was sie mit diesen teilen, ist neben dem Geist vor allem die Relevanz, die Aktualität, da sie zeigen, dass sich die Themen eigentlich nie verändert haben, sondern nur die Sichtweise, über die ich mit Sänger Falk Sinß sprach.

„Am Anfang ein Bekenntnis, wir sind nicht authentisch“ – wodurch zeichnet sich Authentizität für euch aus und an welchem Punkt wird sie eurer Meinung nach zur Farce?


Wir verstehen Authentizität als Übereinstimmung von öffentlicher Darstellung und der Lebenswirklichkeit. Gerade bei Bands können Image und Realität auseinanderklaffen. Ist diese Kluft zu groß, wird die vermeintliche Authentizität zur Farce. Deshalb haben wir uns entschieden, nicht authentisch sein zu wollen. Wir sind FRONT und das reicht uns vollkommen.

Authentizität ist immer wieder ein Thema, das von Bands gerne als Motiv zur Selbstbeweihräucherung des eigenen Rebellendaseins in der gewählten Subkultur genutzt wird. Wie definiert ihr Subkultur für euch, wovon ist sie abhängig und was haltet ihr von Selbstbeschränkungen, die man sich auferlegt, weil man der Meinung ist, es gehöre halt dazu?

Was ist Subkultur? Schwierige Frage. Was ist Kultur und was ist Subkultur? So viele Menschen, die auf den ersten Blick zur Subkultur gehören, machen staatlich oder städtisch bezahlte Kultur, oft an Theatern. Sind die noch Subkultur oder sind die schon Kultur? Das beantwortet aber nicht die Frage. Subkultur? Eine große Gruppe von Menschen, die versucht, anders zu sein, Dinge anders zu machen als das so genannte Establishment. Auf Punk bezogen sind das die Menschen, die sich Woche um Woche den Arsch aufreißen, um geile – manchmal auch ungeile – Bands in ihren Läden für wenig Geld spielen zu lassen, die Platten herausbringen, obwohl sie wissen, dass es kein Platin bringen wird. Menschen, die geile Fanzines unters Volk bringen, um wenigstens ein bisschen Gegenöffentlichkeit zu erzeugen, Menschen, die in politischen Zusammenhängen aktiv sind und versuchen, der herrschenden Politik irgendetwas entgegenzusetzen. Diese unkommerziellen Freiräume, das ist für uns Subkultur, von diesen Menschen ist Subkultur abhängig. Bekommt niemand mehr seinen Arsch hoch, um etwas zu machen, stirbt sie. Tja, und wer denkt, weil er Punk ist, dürfte er keine andere Musik mehr hören, ist selbst dumm. Wir treiben uns alle seit vielen Jahren in der Punk-Szene herum, hören aber auch gerne andere Musik und trinken auch gerne Bier mit Menschen, die mit Punk nichts am Hut haben.

Ich bilde mir ein, richtig zu liegen, dass es für euch wohl eher eine Beleidigung wäre, als „Deutschpunk“ bezeichnet zu werden, obwohl eure Musik sich ja eindeutig auf frühe deutsche Punkbands, vor allem aus Düsseldorf bezieht. Was unterscheidet euch von der Generation „Dosenbier-Schlachtrufe“, ihr pflegt doch wohl nicht etwa ein ganz normales Leben mit Arbeit und ähnlichen Undingen?

Es ist unglaublich, was für eine Scheiße unter diesem Label firmiert. Für diese ganzen Onkelz-Coverbands sollte man eine große Grube ausheben und sie darin verscharren! Aber wenn ich dann lese, dass die KASTELRUTHER SPATZEN mit FREI.WILD und einem von den Onkelz zusammen eine Single machen, dann weiß ich wenigstens, dass zusammenwächst, was zusammengehört. Mit Deutschpunk haben wir aber an sich kein Problem. Wenn wir unter diesem Label laufen, kein Ding. Wir mögen Deutschpunk. Klar gibt es da schrottige Bands und das Publikum ist manchmal anstrengend, aber deshalb ist Deutschpunk kein Schimpfwort für uns. Ich denke, der größte Unterschied zur Generation Dosenbier ist der, dass wir uns Gedanken über unsere Umwelt machen und versuchen, die nicht in althergebrachten Phrasen rüberzubringen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Bands haben eine Liste mit Themen für Songs, die abgehakt werden muss. Song gegen Nazis? Haben wir, Häkchen. Einen Song gegen Deutschland? Haben wir auch, Häkchen. Ein Song gegen Tierversuche? Haben wir, Häkchen. Ein Lied über die Bullen. Haben wir, noch ein Häkchen. Das klingt alles so bemüht. Nicht dass wir diese Themen nicht auch für wichtig und richtig halten, aber muss man 2012 wirklich noch versuchen, einen neuen Song über die Polizei zu schreiben? Das haben SLIME vor dreißig Jahren schon mit Bravour gemacht, besser und prägnanter bekommen wir es auch nicht hin, also lassen wir das. Da schreibe und singe ich doch lieber Songs, die mehr zu unserer Gegenwart, zu unserem Leben passen.

Wo wir gerade bei SLIME sind, wie bewertet ihr deren Rückkehr? Unnötige Nostalgie oder nur Rentenaufbesserung?

Ich finde die Reunion überflüssig. Wenn sie damit ihre Rentenkasse aufbessern wollen, ist das ihr gutes Recht. Ich denke, mit den alten Alben haben hauptsächlich eher andere Kasse gemacht als die Band. Ich muss mir das aber nicht antun. Ich fand schon diese RUBBERSLIME-Geschichte vor ein paar Jahren grausam. Da gebe ich mein Geld lieber für andere Bands aus.

Rein hypothetisch brennt mir die Frage auf den Nägeln, ob ihr auf Anfrage eher als Vorband von SLIME, FEHLFARBEN oder TOXOPLASMA spielen würdet, die ja allesamt gerade neue Platten veröffentlicht haben.

Ich glaube, da hat jeder seine persönlichen Favoriten. Ich würde am liebsten einmal mit FEHLFARBEN zusammenspielen. Deren letzte zwei Platten finde ich super und über die „Monarchie und Alltag“ brauchen wir ja gar nicht zu reden. Das ist eh die beste deutschsprachige Platte, die jemals veröffentlicht worden ist. TOXOPLASMA fände ich auch nett, dann würde ich Hermann wieder mal sehen. Am liebsten jedoch spielen wir mit AMEN 81 zusammen.

Ist es eher amüsant oder eher nervig, vor einem Publikum zu spielen, das eigentlich alle Bedingungen erfüllt, um von euch der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden?

Ganz ehrlich, keine Ahnung. Bisher empfand ich unser Publikum eigentlich immer als gut. Klar sind auch mal Idioten darunter, über die man herzlich lacht, aber die sind deutlich in der Unterzahl und by the way: FRONT-Konzerte sind immer amüsant. Manchmal mehr für uns, manchmal mehr fürs Publikum.

Würdet ihr sagen, dass eine gewisse Arroganz in diesem Zusammenhang durchaus hilfreich sein kann, ohnehin bekommt man diesen Stempel doch schnell verpasst, wenn man nicht nach dem gängigen Verhaltenskodex agiert?

Wenn man mit Idioten zu tun hat, ist Arroganz immer hilfreich. Dass man als Band auch mal den Stempel „arrogant“ verpasst bekommt, lässt sich wohl nicht vermeiden. Man will halt nicht immer vor oder nach einem Konzert mit jedem ein Bier trinken. Die Sonnenbrillen und unser oft grimmiger Blick bei Auftritten tun wahrscheinlich ihr Übriges. Das hat aber selten etwas mit dem Publikum oder den Veranstaltern zu tun. Für uns ist jedes Konzert ein Fest, auf das wir uns schon Wochen vorher freuen. FRONT-Ausflüge sind immer wie eine Klassenfahrt und ein großer Spaß für uns. Wer das als arrogant empfindet, kann das gerne tun.

Die angesprochene Uniformität oder das Verkommen von Widerstand zur reinen Ästhetik, um sich einmal auf euren Song „Prada Meinhof“ zu beziehen, ist immer wieder Teil eurer Texte. Warum beschäftigt ihr euch so sehr damit und warum ist diese Einstellung von mehr Oberfläche und weniger Hintergrund eurer Meinung nach immer öfter vorzufinden?

Hast du nicht den Eindruck, dass Inhalte immer unwichtiger werden und nur noch die Verpackung wichtig ist? Dass alles beliebiger wird? Es kommt nicht mehr darauf an, was jemand ist oder für welche Inhalte er/sie steht, sondern was er/sie trägt. Oft habe ich das Gefühl, dass nur noch Äußerlichkeiten zählen. Ohne die passenden Klamotten braucht man sich auf dem Punkrock-Catwalk gar nicht mehr blicken zu lassen. Also kurz bei H&M vorbei geschaut und ein SEX PISTOLS-, RAMONES- oder CLASH-T-Shirt gekauft, oder bei einem der einschlägigen Mailorder das Punk-Outfit von der Stiefelspitze bis zum Scheitel zusammenbestellt, Hauptsache, es sieht gut aus. Alle fühlen sich so individuell, obwohl sie alle das Gleiche tragen. Mit Individualismus oder gar D.I.Y. hat das nichts zu tun.

Ist es heutzutage schwieriger geworden, wirklichen Widerstand zu leisten, weil sich die Bedingungen verändert haben, oder ist es nur die eigene Bequemlichkeit und die Angst, ausgeschlossen zu werden, die einen davon abhält?

Kommt darauf an, wie man Widerstand definiert. Der klassische, konfrontative, in vielen Punk-Songs beschworene Widerstand mit Straßenschlacht und so was, ist definitiv schwieriger geworden. Schon allein, weil heutzutage jede Demo von mehr Kameras gefilmt wird als ein EM-Finale. Im Kleinen gibt es aber immer noch Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Vielleicht sogar mehr als früher. Dank der Vernetztheit ist es für Leute, die sich ein wenig auskennen, relativ einfach, Homepages von Firmen und staatlichen Organen zumindest zeitweise lahmzulegen, wie Anonymus immer wieder zeigt, oder wenn die richtige Oberleitung zerstört wird, fällt der halbe Fernverkehr der Bahn aus. Ganz zu schweigen vom persönlichen Widerstand, sich gewissen Dingen zu verweigern, das geht ja noch immer. Von daher haben sich die Bedingungen verändert, die Möglichkeiten sind aber noch immer da, sofern die eigene Angst oder Bequemlichkeit nicht zu groß ist, aber die stand ja auch früher oft genug im Weg.

[b]Beschäftigt man sich mit euren Texten, kann man meiner Meinung nach auch abseits der musikalischen Einflüsse eine direkte Verbindung zu beispielsweise den FEHLFARBEN oder S.Y.P.H. ziehen. Sind demnach die Themen grundsätzlich die selben geblieben und haben sich nur die Bedingungen verändert?


Viel verändert hat sich nicht. Beton ist immer noch Beton und noch immer Alltag. Der Grauschleier liegt noch immer über diesem Land, wenn nicht gerade EM oder WM ist, und alles in Schwarz-Rot-Gold erstrahlt. Themen wie soziale Gerechtigkeit, Nationalismus, Gewalt von Neonazis, staatliche Überwachungsfantasien, Leistungs- und Anpassungsdruck an gesellschaftliche Normen, das schleichende Verschwinden von Freiräumen sind immer noch da. Manche Themen sind sogar aktueller denn je. Nimm nur die Kluft zwischen Arm und Reich. Die wird immer größer. Früher konnte man auch mit Gelegenheitsjobs gut über die Runden kommen, heute wird das immer schwieriger. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass vor zehn Jahren Menschen, die halbwegs bürgerlich aussehen, Mülleimer nach Pfandflaschen durchsucht haben. Die Bedingungen sind anders, die Themen im Grunde noch die gleichen wie vor zwanzig, dreißig Jahren und sie werden es auch in den nächsten Jahren bleiben.

[b]Seltsam ist es aber doch, dass damals alle den Überwachungsstaat gefürchtet haben und sich heute jeder sklavisch seinem iPhone ergibt, jederzeit auffindbar und sein ganzes Leben preisgebend?


Ja, irgendwie lustig. Vergangenes Jahr war ja wieder Volkszählung. 1987 war das ein Riesending. Mit allem, was ging, wurde dagegen protestiert. Wenn ich mir anschaue, was damals gefragt wurde, wirkt das heutzutage mehr als skurril. Was heute in einem durchschnittlichen Facebook-Profil zu finden ist, ist deutlich mehr, als damals gefragt wurde. Nur heute werden die Daten freiwillig preisgegeben.