Guatemala - Tina auf Weltreise I

Tina Willenborg aus Göttingen ist derzeit mit ihrem Freund Sebastian auf Weltreise. Via Internet gibt sie uns alle drei Monate einen Bericht über die zuletzt von ihr besuchten Länder. Der erste Teil: Guatemala

Dass nach dem Ende meines Studiums zunächst einmal etwas ganz anderes kommen sollte, war mir schon früh klar. Dass es aber darauf hinauslaufen sollte, ein Jahr lang die Welt zu bereisen, von Mexico bis Indien, mir den grossen Traum zu erfüllen, der immer wieder in meinem Kopf herumspukte, während ich frustriert am Schreibtisch hockte - unvorstellbar. Realisiert habe ich das alles erst, als mein Freund Sebastian und ich endlich im Zug Richtung Flughafen sassen und allmählich der Stress der letzten Wochen von uns abfiel.

Mittlerweile sind wir bereits drei Monate unterwegs und es wird Zeit für einen ersten Lagebericht. Einen Grossteil der ersten Etappe haben wir in Guatemala verbracht, ursprünglich wollten wir von Mexico durch Mittelamerika bis nach Panama reisen, um von dort über das Darien Gap den Sprung nach Südamerika zu schaffen. Stattdessen waren wir nun einige Zeit in Mexico und fast zwei Monate in Guatemala, weil das Land nicht nur in geographischer, sondern auch in sozialer und ethnischer Hinsicht sehr vielfältig ist und es seine Zeit braucht, um Land und Leute einigermassen kennenzulernen.

Die Mayas, die indigenen Ureinwohner, leben hauptsächlich in den Highlands Guatemalas und haben ihre Traditionen und Lebensgewohnheiten in ursprünglicher Weise beibehalten und geben diese von Generation zu Generation weiter. Der Konflikt zwischen dem modernen westlich orientierten Leben und alten Traditionen und Werten ist in Guatemala allgegenwärtig und hat immer wieder zu Spannungen und blutigen Konflikten geführt. Obwohl die Indígenos immer noch die Bevölkerungsmehrheit stellen, sind sie es, die am stärksten von der sogenannten strukturellen Gewalt betroffen sind, von Diskriminierung, Mangel an Chancen sowie Bezahlung in Hungerlöhnen. Von den über 60% der Bevölkerung, die als arm oder sehr arm gelten, sind die meisten Indígenos. Sie leben in ärmlichen Hütten ohne fliessend Wasser und Strom und ernähren sich hauptsächlich von Tortillas (Maismehl mit Wasser) sowie Bohnen und Reis.

Die Maya-Kultur ist auf vielfältige Weise im Land präsent. Am auffallendsten ist zunächst die farbenfrohe, gewebte Kleidung, die von den Maya-Frauen getragen wird. Bei den Männern sieht man den traditionellen Kleidungsstil mittlerweile selten, obwohl viele von ihnen zu westlicher Kleidung gerne eine Art Cowboyhut aufsetzen. Jedes Dorf hat seine eigene individuelle Kleidung, Frauen und auch winzigste Mädchen tragen farbenprächtige Trachten, eine über fünf Meter lange Stoffbahn dient als Rock, der mit einem gemusterten Band zusammengehalten wird. Dieses Kleidungsstück ist das einzige, welches von den Männern hergestellt wird. Bluse, Kopfbedeckung oder Schultertuch werden von den Frauen mit der Hand gewebt, wobei Muster und Farbkombination von Dorf zu Dorf unterschiedlich sind und auch innerhalb eines "pueblos" Statusunterschiede durch Variationen der Muster oder Farben demonstriert werden. Amtssprache Guatemalas ist Spanisch, faktisch werden aber über 20 verschiedene Indígeno-Sprachen gesprochen, viele Maya-Kinder lernen erst in der Schule Spanisch, ältere Leute beherrschen oft nur ihre traditionelle Sprache. Obwohl die Mayas oft in völliger Armut und Perspektivlosigkeit leben, fällt immer wieder ihre Vitalität, ihr Lachen und die Lebensfreude auf, mit der der harte Alltag gemeistert wird. Wie oft sieht man zahnlose Maya-Omis fröhlich kichernd mit Hühnern und fünf anderen Leuten eine kleine Busbank teilen, nie sieht man nörgelnde oder jammernde Kinder, obwohl diese oft schwerste Lasten mit sich herumtragen müssen und den ganzen Tag hart arbeiten. Die Unterdrückung der Maya-Bevölkerung wurde lange Zeit kaum registriert, erst als Rigoberta Menchú 1992 den Friedensnobelpreis für ihr Buch "Me llamo Rigoberta Menchú y así me nació la consciencia" erhielt, wurde das Problem ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt und die strikte Teilung der guatemaltekischen Gesellschaft bewusst gemacht. Rigoberta Menchú kämpft bis heute aktiv für die Rechte der indígenen Bevölkerung.

Die tiefe Kluft innerhalb der Bevölkerung kann auch von der Politik nicht überwunden werden - eher im Gegenteil: Populismus und Korruption sind allgegenwärtig und viele Guatemalteken haben längst das Vertrauen in die Politiker verloren, von denen übrigens niemand ein "Indígeno" ist, die Mehrheit der Bevölkerung hat keinen einzigen Vertreter innerhalb der politischen Strukturn des Landes - genauso wie es in Deutschland ausser dem Vorzeige-Türken Cem Özcdemir niemanden gibt, der diese grosse Gruppe innerhalb der deutschen Wohnbevölkerung repräsentieren würde.

Ende vergangenen Jahres sollten die Karten auf der politischen Bühne neu gemischt werden, die Präsidentschaftswahlen standen an. Im ersten Wahlgang am 7.11.1999 konnte kein Kandidat die erforderliche Stimmenmehrheit für sich verbuchen, bei der Stichwahl am 26.12. ging es dann um die Frage: Oscar Berger von der Partido de Avanzada Nacional (P.A.N.) oder Alfonso Portillo der Frente Republicano Guatemalteco (FRG) - wer sollte die Guatemalteken im neuen Millenium regieren?

Um zumindest einen annehmbaren Teil der politikverdrossenen guatemaltekischen Bevölkerung am zweiten Weihnachtstag zu den Wahlurnen zu bewegen, trat das sogenannte "ley seco" (das "trockene Gesetz") in Kraft, welches der Bevölkerung den Verkauf und Konsum von alkoholischen Getränken von 24 Stunden vor bis 12 Stunden nach dem grossen Tag verbot. Alkohol wird in Guatemala zu einem immer grösseren Problem, insbesondere in armen Bevölkerungsschichten, viele Strassenkinder trinken hochprozentigen medizinischen Alkohol und liegen oft schon mittags sturzbetrunken im Rinnstein. Die Stichwahl nun konnte Alfonso Portillo von der FRG für sich verbuchen. Anhand seiner Partei soll nun ein kleines Beispiel die Methodik der Politik in diesem Land verdeutlichen. An der Seite Ortillos sieht man immer wieder seinen engen Vertrauten, den General José Efraín Ríos Montt. Eben jener General kam 1982 durch einen Militärputsch an die Macht und hat sich in seiner einjährigen "Regierungszeit" vor allem dem Kampf gegen den Terrorismus und die Guerrilla-Bewegungen verschrieben. Die Identität der Guerrilleros war weitgehend unbekannt, ihr Aktionsradius hingegen war klar einzugrenzen. Ríos Montt folgerte daraus: Wir dezimieren die komplette Bevölkerung in diesen Landstrichen, demnach auch die aktiven Guerrilleros. Über 400 Indio-Dörfer wurden vernichtet, ein Grossteil der Bevölkerung getötet - oft nach vorheriger Folterung. Die geschätzte Zahl der Opfer dieser Massnahmen liegt bei 15.000. Der Verantwortliche für dieses Blutbad ist nun aktuell die rechte Hand des Präsidenten, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, sich für die Rechte der Armen und der indígenen Bevölkerung einzusetzen. Dies nur als Beispiel, um zu demonstrieren, wie durchsetzt von Korruption, Gewalt, Vetternwirtschaft und Populismus die Politik ist. Erst am 29.12.1996 wurde das Friedensabkommen unterzeichnet, welches über dreissig Jahren Terror, Folter und Unterdrückung ein Ende setzen sollte. Über 200.000 Tote, eine Million Obdachlose und unzählige Vermisste sind die Bilanz dieser schrecklichen Jahre.

Guatemala ist das Herz der jahrtausendealten Maya-Kultur, deren riesiges Imperium sich ausserdem über Belize, die Yucatán-Halbinsel und die Chiapas-Region Mexicos bis in westliche Regionen Honduras und El Salvadors erstreckte. Die Ursprünge der Maya-Hochkultur reichen bis in die vorchristliche Zeit zurück, der Höhepunkt ihrer Macht ist um das 6. bis 8. Jahrhundert anzusiedeln. Einige archäologische Stätten liegen mitten im Dschungel wie Palenque/Chiapas oder Tikal/Guatemala. Faszinierend, wie sich riesige Tempelanlagen majestätisch aus dem Dschungel erheben. Palenques Lage mitten im Lacandonen-Dschungel macht einen Besuch dieser archäologischen Stätte zu einem ganz speziellen Erlebnis. "Anders reisen" beschreibt den Ort Palenque vor zehn Jahren als quasi verlasssene schwül-heisse Strasse, an der sich niemand mehr bewegt als es unbedingt nötig erscheint und Serviceleistungen für den erschöpften Touristen nicht auf der Tagesordnung zu stehen scheinen. Es war einmal...

Mittlerweile merkt man Palenque und seiner Bevölkerung an, dass hier ein Typus des professionellen Tourismus Einzug gehalten hat. Verwundert betrachten wir die hell erleuchtete Strasse, an der sich Travel Agencies, Hotels und Restaurants mit eifrigen Hängematten-Verkäufern abwechseln. Die an sich typischen "tiendas"suchen wir vergeblich - alles ist dreimal so teuer wie anderswo - und harte Dollars werden mit der Vermarktung der Vergangenheit verdient. Die "ruinas" sind natürlich Dreh- und Angelpunkt der kleinen Stadt, die sonst nichts Sehenswertes zu bieten hat. Infrastruktur ist bereits perfekt vorhanden, Minibusse, die sogenannten "colectivos", fahren den ganzen Tag die extra neu und breit asphaltierte Strasse zur "zona archaeologica" hin und her und bringen den Bernstein-Imitationen und Original-Maya-Pfeil-Verkäufern Nachschub, die den ganzen Tag am Eingangsbereich auf Touristen warten, denen das Geld locker in der Tasche sitzt.

Ausserhalb der Stadt, an der sechs Kilometer langen Strasse zu den Ruinen, gibt es einige alternative Unterkünfte, wo man in Palapas (vier Pfähle und ein Palmdach) hausen kann. Der Dschungel ist hier viel unmittelbarer, alles ist monströs gross, von den Palmblättern bis zu den Horden von Spinnen, die unsere Palapa bevölkern. An der Strasse trifft man häufig kichernsde Grueppchen von Reisenden, die offensichtlich dem Konsum der legendaeren "magic mushrooms" gefroent haben, die hier aufden Kuhweiden wachsen. Auch in der archaeologischen Zone sitzen verdaechtig viele Personen in meditativer Pose auf den Tempeln und geniessen das einzigartige Schauspiel der untergehenden Sonne hinter den Tempelanlagen umgeben von dem undurchsichtigen Gruen des Dschungels. Faszinierendes Erlebnis.

Die monumentale Maya-Stadt Tikal liegt ebenfalls mitten im Dschungel. Soeben fertiggestellt wurde das Jahrhundert-Projekt, eine Strasse, welche Guatemala-City mit dem El Petén-Dschungel verbindet und die vorher 24 Stunden dauernde Fahrt über staubige schlaglochübersäte Wege auf nunmehr acht verkürzt. Dennoch leben die Menschen in diesem Riesen-Urwaldgebiet meist abgeschnitten von der Aussenwelt und müssen sich mit der Unbarmherzigkeit des Dschungels arrangieren. Auf halbem Weg zwischen der Hauptstadt und der Ruinenstadt Tikal liegt Poptún, eine Kleinstadt mit etwa 20.000 Einwohnern. Etwas abgelegen am Ortsrand befindet sich die Finca Ixobel, Anziehungspunkt für viele Traveller. Von dort aus werden auch "Real-Jungle-Treks" angeboten. Wir - inspiriert von den Palenque und Tikal-Erfahrungen - beschliessen gemeinsam mit acht weiteren Travellern aus Österreich, Australien, Israel und Neuseeland den viertägigen Dschungel-Trip zu wagen. Am nächsten Morgen bringt uns der Landrover zum Starting Point. 4WD ist auch dringend nötig, die Schlagloecher sind tief und der Boden so schlammig, dass selbst das Auto nicht den ganzen Weg schafft und uns ein ganzes Stueck frueher aussteigen lassen muss. Dort treffen wir das Pferd, welches Hängematten, Proviant, Kerzen usw. für uns zum Camp schleppen soll. Mitsamt Führer Nery, der für die nächsten Tage unser "guía" sein wird, schleppen wir uns hinterher. Nach einer dreieinhalb-stuendigen Wanderung durch die Hitze erreichen wir erschöpft das Camp. Basislager ist eine grosse Palapa, die natürlich auch nach allen Seiten offen ist und in der nun Hängematten für uns alle aufgehängt werden. In unserem neuen "Zuhause" gibt es zudem eine kleine Feuerstelle sowie einen zusammengenagelten Holztisch. Im Camp wohnen ausser dem zweiten Führer Hugo noch zwei Affen, ein gemeingefährliches neurotisches Wildschwein, viele Hühner und Puten und ein Alligator. Die Affen schliessen gleich begeistert Freundschaft mit allen und nerven uns fortan auf Schritt und Tritt, um unser Essen zu ergattern. Hugo begrüsst uns freundlicher als das Wildschwein, sein fröhliches Gekicher begleitet uns in den nächsten Tagen bei allem, was wir zivilisationsgewöhnten Touristen so alles falsch machen. Hugo findet das alles äusserst amüsant.

Das Camp liegt an einem Fluss, welcher von uns zum Geschirrspülen und für die tägliche Körperreinigung benutzt wird. Auch das Trinkwasser entstammt dem Fluss, wird dann über der Feuerstelle abgekocht, um die Bakterien abzutöten. Anschliessend schmeckt es eher nach Räucherschinken als nach Wasser. Beim Auspacken der Proviantkisten stellen wir fest, dass wir den Kaffee vergessen haben. Panik bricht aus. Hugo und Nery klären uns auf, dass oberhalb der Hütte Kaffee wächst und bereits einige Bohnen gepflückt und getrocknet sind und nur darauf warten, von uns geschält und anschliessend geröstet zu werden. Die nächsten Stunden verbringen wir mit gruppendynamischem Kaffeebohnen-von-der-Schale-befreien, ganz schön anstrengend. Die geschälten Objekte werden ca. eine halbe Stunde auf einer Platte über dem Feuer geröstet und danach in einer vorsintflutlichen Kaffeemühle gemahlen, unterbrochen von Attacken des bissigen Wildschweins. Unser "eigener" Kaffee schmeckt dann aber ausgezeichnet, ich habe kaum einen besseren getrunken.

Next day - Dschungeltrip. Sandwiches, smoky-water und los geht es - rüber über den Fluss, dort beginnt die Wildnis, der Dschungel ist hier wirklich noch unberührt. Hugo muss uns mit der Machete den Weg bahnen. Wir schliddern matschige Abhänge hinunter, bleiben in Schlingpflanzen und tückischen Wurzeln hängen und kämpfen mit Zecken en masse, Fliegen, Mücken und Dornenbäumen. Immer wieder bleibt Hugo stehen, um uns die Pflanzen des Dschungels zu erklären, welche giftig sind und welche man in Notzeiten essen kann, äusserst lehrreich. Hugo lacht sich permanent tot, wie wir tolpatschig hinter ihm die Abhänge hochkraxeln, ist aber immer hilfsbereit an deiner Seite, um dir über besonders unwegsame Stellen hinwegzuhelfen. Irgendwann wird das Gelände wirklich extrem unwegsam, wir schleppen uns vorwärts und dann muss selbst Hugo zugeben, dass er den Weg verloren hat. Er kichert fröhlich, guckt nach dem Stand der Sonne, schätzt, dass es "más o menos", zwei Uhr sein müsse und wir uns "más o menos" in diese Richtung fortbewegen müssen. Dann fällen wir einen Baum - nicht etwa ein kleines Exemplar, sondern einen gut und gerne zwanzig Meter hohen Baum, dessen "Herz" wir zum Abendessen verzehren sollen. Schmeckt auch äusserst delikat. Während er mit kräftigen Schlägen den Stamm bearbeitet, ruft er uns noch zu, dass wir uns doch ein wenig zurückziehen sollen, der Baum könne durchaus in unsere Richtung fallen. Der Baum kracht tatsächlich unkontrolliert zu Boden, allerdings in die andere Richtung. Hugo erzählt uns, dass das Herz des Baumes die bevorzugte Nahrung von Militärs ist, die zum Survival-Training ohne jegliche Nahrung für zwei Wochen in den Dschungel geschickt werden.

Insgesamt war der Dschungel-Trek eine eindrucksvolle Erfahrung, einige Tage lang ganz ohne die gewohnten Errungenschaften der Zivilisation auszukommen wie Wasser aus der Leitung, Herd, elektrisches Licht oder eine Toilette mit Spülung. Hier braucht es seine Zeit, den Frühstückskaffee zuzubereiten, und dass nicht hinter der nächsten Liane eine 24-Stunden-Tanke Kippen und Bier offeriert, ist auch klar. Hugo kam übrigens am Tag nach unserer Rückkehr überraschend zur Finca. Er musste den langen Weg durch den Dschungel auf sich nehmen, weil wir ihm kein einziges Streichholz dagelassen hatten und ohne Feuer geht natürlich gar nichts. Hier will ich den ersten - sehr selektiven - Teil meines Reiseberichts beenden, Teil zwei folgt im nächsten Heft, dann berichte ich aus Bolivien und Peru.