GUMBLEED

Foto

The State of Punk in Beijing

Die chinesische Hauptstadt versinkt im Smog, ihre Politiker sind korrupt und die Menschen desillusioniert und zynisch. Alles Scheiße in Peking? Zum Glück gibt es Bands wie GUMBLEED, die seit 2006 mit ihrem aggressivem Hardcorepunk gegen die Lethargie anspielen. Wer mal Gelegenheit hatte, die vier live zu erleben, dürfte überrascht sein, dass trotz der aggressiven Musik ihr charismatischer Sänger Dee die meiste Zeit lacht. Verblüffend ist auch das hohe technische Niveau auf dem GUMBLEED ihre Instrumente spielen, im Streetpunkbereich gibt es da wenig Bands die den vier Chinesen das Wasser reichen können. Ich habe GUMBLEED 2010 in Peking kennen gelernt, als ich versuchte, ein Festival in Deutschland zu organisieren. Aus dem Festival ist bislang nichts geworden, dafür haben sich die vier Jungs hier in Peking zu meinen besten Freunden entwickelt. 2012 waren die vier schon zum dritten Mal in Deutschland auf Tour, über ihre Erlebnisse vor Ort, die Punkrockszene in Peking und Vorurteile hüben wie drüben erzählt uns Sänger Dee im folgenden Interview.

Dee, kannst du eure Band kurz vorstellen?


Ich bin der Sänger. Unser Gitarrist heißt Snow, unser Schlagzeuger heißt Konglong oder auf Englisch Dinosaur. Neu am Bass ist Jiang Bo, genannt Joe.

Was habt ihr für Jobs oder macht ihr nur Musik?

Ich arbeite in einer Bibliothek. Dinosaur ist Schlagzeuglehrer an einer Grundschule. Snow macht überhaupt nichts. Ab und zu gibt er Gitarrenunterricht, aber nur selten. Unser Bassist Joe studiert Musik. Er hat vor Kurzem noch bei einem Film mitgemacht. Er würde später gern Schauspieler werden. Sein Film kommt nächstes Jahr ins Kino, die Rolle, die er da gespielt hat, war gar nicht mal klein, sagt er, aber ich habe den Film noch nicht gesehen.

Kannst du einen kurzen Überblick über die chinesische Punk-Szene geben? Oder sagen wir besser, über die Pekinger Punk-Szene.

Die chinesische Punk-Szene ist die Pekinger Punk-Szene, da gibt es kaum einen Unterschied. Die erste Welle von Bands kam 1996/97. Dazu gab es eine enorm wichtige Compilation, die 1998 oder ’99 rauskam, „Bored Army“ hieß sie. Darauf waren alle großen Bands dieser Zeit, BRAIN FAILURE, REFLECTORS, SIXTY NINE, ANARCHY BOYS ... Von außerhalb kamen SMZB aus Wuhan, die waren auch ganz früh dabei. Dann NO NAME aus Xian, die waren auch schon in Deutschland auf Tour. In dieser Zeit gab es an bekannten Bands außerdem die SUBS, die aber nie so richtig in der Szene waren, und QUEEN SEA BIG SHARK. Deren frühere Musik kann man als Dance-Punk bezeichnen, heute machen die eher elektronische Musik. BRAIN FAILURE und die REFLECTORS sind immer noch sehr aktiv, ANARCHY BOYS haben inzwischen ihren Namen geändert, sie heißen nur noch A BOYS. Ihre Musik ist nicht mehr besonders anarchisch, deshalb heißen sie jetzt auch nicht mehr so, haha. Die gehen jetzt eher in eine Rockabilly-Richtung. Das war der erste Punk aus China, den man hier hören konnte.

Wann und wie bist du damals an Punk-Musik gekommen?

Die „Bored Army“-Compilation war sehr bekannt, fast Mainstream, es gab sie als Tape in vielen Plattenläden zu kaufen. 2003 habe ich das Tape zum ersten Mal gehört, mit 14. Zu dem Zeitpunkt habe ich außerdem noch RAMONES gehört, THE CLASH und GREEN DAY. Ich habe also drei Jahre Punk gehört, bis ich 2006 dann GUMBLEED gegründet habe.

Wie hat sich das mit der Musik nach 2003 entwickelt, gab es sonst noch chinesische Bands, die du gehört hast?

Es gab da nicht sehr viele. Die zweite Welle von Punkbands hat auch eine Compilation rausgebracht, die hieß „Punk Manifesto“. Mir fallen jetzt spontan UNSAFE und EASY GOING ein, die auch aus Peking kommen, die habe ich auch viel gehört. Die dritte Generation waren dann DEMERIT, GUOSHI und DISCHORD. Mit DISCHORD spielen wir heute noch ziemlich viel zusammen. Diese Bands sind 2005/06 bekannt geworden.

Wie sieht es mit den verschiedenen Bands heute aus?

Die meisten machen noch Musik. Kommerziell erfolgreich sind vor allem die REFLECTORS und BRAIN FAILURE. Die große Punk-Welle in China war von 1999 bis 2004. Später wurde dann Indierock und so was entdeckt. Als wir 2006 angefangen haben, Punk zu spielen, war das schon nicht mehr im Trend. Heute gibt es zwar Nachwuchsbands, aber die meisten Kids spielen ein Jahr und hören dann wieder auf. Richtig viele Newcomer-Punkbands fallen mir auch nicht ein. HELLCITY vielleicht, obwohl es die auch schon seit 2005 gibt. LARRYS PIZZA sind ziemlich gut, die sind seit 2007 dabei. Die machen eher Newschool. Zwischenzeitlich war das ziemlich getrennt in China. Ganz am Anfang, als die Szene klein war, sind alle zusammen aufgetreten. Später sind Oldschool-Bands nur mit Oldschool-Bands aufgetreten, Pop-Punk- oder Metal-Bands hatten ihre eigenen Konzerte. Inzwischen haben aber alle gemerkt, dass wir mehr Leute erreichen, wenn verschiedene Bands zusammen spielen. Unterschiedliche Musikrichtungen heißt in China mehr Zuschauer.

Was ist mit Punk in anderen Städten wie Shanghai?

In Shanghai gibt es eher Indierock-Bands und ein paar Hardcore-Bands. In Wuhan sind SMZB, das sind die wichtigsten und viel mehr ist da auch nicht. Shenzhen in Südchina ist noch ganz cool. Ich mag Shenzhen. Ich weiß nicht, wie die dort heißen, viele junge Bands, aber die Szene da gefällt mir. Da ist Punk gerade ziemlich angesagt. In Szichuan auch, vor allem in den Metropolen Chengdu und Chongqing. Wenn wir in China auf Tour sind, verkaufen wir in Chengdu und Wuhan, Shenzhen und Shanghai immer die meisten Tickets.

Was ist mit deiner Heimat Shijiazhuang, könntet ihr da gut auftreten?

Ich habe einen Freund, der da jetzt ein Livehouse aufgemacht hat. Da gehen auch immer mehr Bands hin, wir waren aber noch nicht da.

Diese Livehouses gibt es in jeder großen chinesischen Stadt, oder?

Ja, in sehr vielen Städte gibt es die inzwischen. Kann sein, dass die vor Ort gar keine Bands haben, die auftreten, deshalb suchen die Livehouses immer nach Bands. Du musst nur relativ bekannt sein, so wie die REFLECTORS oder TWISTING MACHINE. Die treten überall im Land auf und verdienen gutes Geld. Und natürlich spielen diese Bands auch auf Musikfestivals, die sind auch sehr wichtig, noch wichtiger als Livehouses.

Wie viele Festivals gibt es in China ungefähr im Jahr?

Mehr als sechzig mit Sicherheit und die sind fast alle riesig, das ist eine Besonderheit in China. Warum die alle so groß sein müssen? Nicht, weil wir so viele Menschen sind, sondern weil die Veranstalter mit der Regierung kooperieren müssen. Wenn du ein Festival veranstalten willst, brauchst du eine Genehmigung durch die Lokalregierung. Wenn die das Festival genehmigt haben, helfen sie dir mit der Publicity, mit öffentlichen Bussen, Plakatwerbung usw. Wenn du einmal die offizielle Unterstützung hast, wird es groß.

Und die stören sich nicht daran, wenn da Punkbands spielen?

Nein, die Musikrichtung ist egal. Es wird gesagt, dass so eine Behörde alle Songtexte durchliest, aber in der Praxis ist das halb so wild. Du kannst einfach ein paar Lieder hinschicken, aber musst du die gar nicht spielen. Die wissen ja nicht, was du da am Ende spielst, zumindest bei so Bands wie uns, haha. Falls das Festival richtig groß ist, die Medien da sind und du da englisch singst, dann verstehen die sowieso nicht, was du singst. Selbst wenn du auf Chinesisch singst, hört das keiner so richtig raus. Probleme gibt es da nie, es sei denn, du machst zwischen den Liedern Ansagen, dass du mit der Regierung nicht zufrieden bist, dann kann das zu Schwierigkeiten führen. In Nanjing hat vor Kurzem ein bekannter Musiker richtig über die Regierung gewettert, daraufhin musste der sein Konzert abbrechen.

Und hatte der Auftritt sonst Konsequenzen?

Nein, weil er ein Star ist. Bei einer kleinen Band wie GUMBLEED könnte das ernsthafte Konsequenzen haben, wenn wir es zu sehr übertreiben. Aber wenn ein Superstar so etwas macht, trauen die sich nicht, was zu machen, die haben zu viele Fans. In kleinen Clubs interessiert das alles niemanden, wir hatten noch nie Probleme.

Ich war vor zwei Jahren auf einem relativ großen Musikfestival, da gab es einen Auftritt, bei dem der Sänger immer gerufen hat: „Eure Regierung vertritt nicht die Menschen!“

So was ist kein Problem, solche Sachen werden dauernd gesagt, das ist nicht direkt genug. Was ich meine, ist, wenn du sagst: „Die Kommunistische Partei besteht aus Kriminellen!“, dann kann das problematisch werden. Das gilt aber auch nur für große Musikfestivals.

In Deutschland ist, glaube ich, die Vorstellung weit verbreitet, dass es sehr gefährlich ist, in China Punk-Musik zu machen.

Ist es aber nicht. In einigen Ländern ist es gefährlich, Punkrock zu spielen, sagen wir mal in Indonesien. In China kann man das, und wenn man sich nicht so dumm anstellt, kann man auch Kritik üben.

Ihr seid ja jetzt ziemlich oft im Ausland gewesen, was, denkst du, sind die größten Unterschiede zwischen Punk in China und in Europa?

In Europa, besonders in Deutschland, gehen sehr viele Punks zu den Konzerten, habe ich den Eindruck. In China gibt es nicht sehr viele Punks, das sind ganz normale Leute, die aufs Konzert gehen. Früher war es so, dass ich nur Punker auf unseren Konzerten haben wollte, jetzt bin ich erwachsener geworden. Wir spielen nicht mehr nur „for the punks“, jetzt spielen wir für die Menschen, egal, für wen.

Diese eher normalen Leute sehen sich dann alle möglichen Musikrichtungen an oder?

Genau. In China entwickelt sich alles sehr schnell, auch die Musikszene. Viele Leute hier haben schon viel von Rockmusik gehört, also wollen sie das mal ausprobieren. Deshalb gehen auch so viele Leute auf die Musikfestivals. Heutzutage sind deswegen insgesamt mehr Leute auf den Konzerten.

Wie viele Konzerte habt ihr im letzten Jahr gespielt?

2012 waren es über vierzig. Wenn wir auf Tour sind, dann noch mehr. 2012 haben wir es in Europa etwas ruhiger angehen lassen, wir haben nicht jeden Tag ein Konzert gespielt, das war beim letzten Mal zu stressig.

Und was habt ihr dieses Jahr für Pläne?

Im Frühling 2013 wollen wir eine neue Platte aufnehmen. Wir müssen nicht mehr ganz so viel auftreten, denke ich. Einige größere Veranstaltungen reichen, oder Festivals. Am wichtigsten sind die Aufnahmen. Wir werden auch nicht im Ausland touren dieses Jahr.

Wer sind eure musikalischen Vorbilder?

Bei mir THE CLASH, DEAD KENNEDYS – zu viele ... Die RAMONES, die CASUALTIES – die haben uns vor allem bei unserer Musik beeinflusst. Die MISFITS. Snow mag Rock’n’Roll und Metal. Seine Lieblingsband sind GUNS N’ ROSES, hehe. Dinosaur hört am liebsten THE CURE. Zhang Bo mag alles. Er hat vorher noch in einer Hardcore-Band gespielt. Wegen des Films musste er aber aus der Band aussteigen. Als er den Film gedreht hat, haben wir auch die ganze Zeit Shows gespielt. Also ist er 300 Kilometer mit dem Auto vom Filmset nach Peking gefahren, um zu spielen. Er macht das nicht fürs Geld ...

Bei den meisten Konzerten bekommt ihr ja eher überschaubare Gagen, mal abgesehen von eurem legendären Auftritt auf einem deutschen Bierfest hier in Peking ...

Ja, der Auftritt war unglaublich. Die haben sich offensichtlich vorher nicht angehört, was wir für Musik machen. Wir sind in einem riesigen Festzelt aufgetreten, es war eher ein Familienfest, die Kinder haben alle angefangen zu heulen und ein Opa hatte einen Herzinfarkt, kein Witz! Aber die Gage haben sie uns trotzdem gezahlt. Manchmal verdienen wir schon ein bisschen Geld, wir haben hier in Peking selbst ein Konzert organisiert, das hat sich gelohnt. 120 Leute sind da gekommen. Wir haben etwa 400 Euro für unsere Band gehabt und noch genug, um die anderen Bands zu bezahlen. Das wollen wir nächstes Jahr wieder machen. In Wuhan oder Shanghai ist es etwas einfacher, aber wenn man die ganze Zeit hier in kleinen Bars in Peking spielt, bekommt man kein Geld, es gibt hier zu viele Bands. Wir wollen weniger solche kleine Konzerte spielen, einfach um es auch für uns noch neuartig und interessant zu machen. Deswegen wird es auch langsam Zeit, dass wir ein neues Album machen, damit wir neue Songs spielen können.

Welches war dein persönliches Lieblingskonzert?

Das war der Auftritt von Marky Ramone in Peking. Und mit SHAM 69 haben wir mal in Shanghai gespielt, darauf hatte ich mich sehr gefreut. Das war aber dann eher Durchschnitt, die sind wohl zu alt, haha. Dieses Jahr habe ich WHITE LIES und GLASVEGAS auf einem Festival hier in Peking gesehen, das war auch cool.

Du schreibst deine Songs alle auf Englisch, warum singt ihr nicht auf Chinesisch?

Das ist eine interessante Frage. Am Anfang fand ich, dass Punk am besten mit englischen Texten klingt, das glaube ich eigentlich noch immer. Ich weiß, in Deutschland gibt es auch sehr viele Bands, die auf Deutsch singen. Ehrlich gesagt, auch wenn ich in anderen Ländern bin, höre ich Punk lieber auf Englisch. Das liegt nicht daran, dass ich die Texte besser verstehe. Es hört sich einfach echter an. Es ist ein bisschen so wie bei Peking-Oper, die kannst du auch nicht auf Englisch singen, das klingt komisch.

Ihr habt auf eurer Tour unter anderem mit SS-KALIERT zusammen gespielt, die ja auch auf Deutsch singen.

Deren Musik gefällt mir, aber wenn ich ähnliche Musik mit englischen Texten finden kann, dann höre ich die lieber. Die Chinesen mögen vor allem Bands, die auf Chinesisch singen, das ist mir anfangs gar nicht so bewusst gewesen. Wenn man auf Chinesisch singt, wird man in China viel leichter bekannt. Ich kann allerdings überhaupt keine Songtexte auf Chinesisch schreiben. Das liegt, glaube ich, daran, dass Englisch nicht meine Muttersprache ist. Da kann ich schreiben, was ich will, ich mach mir da nicht so viele Gedanken. Wenn ich auf Chinesisch schreibe, habe ich zu hohe Ansprüche und habe eine Blockade. Wir singen also nicht auf Englisch, damit uns noch mehr Leute mögen, sondern weil wir eben so Punk-Musik machen wollen. Wir hatten nie die Absicht, ins Ausland auf Tour zu gehen, als wir angefangen haben. Na ja, mal sehen, vielleicht haben wir auf unserem neuen Album auch ein, zwei chinesische Lieder, wenn ich sie geschrieben bekomme, haha.

Ihr habt 2012 auf dem Force Attack gespielt, erzähl mal, wie ihr das erlebt habt.

Wir hatten eine Mail ans Force Attack geschrieben und die haben sich relativ schnell zurückgemeldet, die kannten uns, weil wir ja schon zweimal in Deutschland gespielt haben. Als wir die Zusage hatten, haben wir uns natürlich gefreut. Eigentlich haben wir unsere Tour nur wegen des Force Attacks geplant, weil wir da gerne spielen wollten. Dann, zwei Wochen bevor wir geflogen sind, hat uns ein Freund aus Deutschland eine Mail geschrieben und gesagt, dass das Force Attack vielleicht nicht stattfindet. Wir hatten natürlich schon die Flüge gebucht und uns um unser Visum gekümmert, das ist alles sehr kompliziert in China, alles war schon geplant, also haben wir noch mal nachgefragt, ob es Probleme gibt. Die vom Force Attack haben uns gesagt, es sei alles in Ordnung, kommt einfach vorbei. Als wir dann in Berlin am Flughafen angekommen sind, habe ich Imre Sonnevend, den Veranstalter, angerufen, und er meinte, das sei gerade eine schwierige Situation, überall sei Polizei. Bis dahin wussten wir durch andere Freunde schon, dass das Konzert von Klingendorf weg verlegt wurde. Wir hatten dann gedacht, das wäre alles halb so wild, die Location hätte nur gewechselt, und Imre meinte dann auch, wir sollten einfach vorbeikommen. Allerdings, falls wir von der Polizei angehalten werden, sollten wir denen sagen, wir würden Urlaub machen oder arbeiten. Wir sollten denen nur nicht sagen, dass wir eine Band sind, haha. Das war schon merkwürdig. Am 29. Juli waren wir dann in Forst auf dem Force Attack, dann hat uns Imre gesagt, er komme in fünf Minuten. Wir haben eine halbe Stunde gewartet und er kam nicht. Wir haben den Typen nie zu Gesicht bekommen, stattdessen sind wir dann einfach aufs Gelände und haben andere Organisatoren getroffen. Die sagten dann zu mir, Imre ginge es psychisch gerade nicht so gut. Sie wären auch davon ausgegangen, dass wir nicht zum Festival kommen würden. Zum Glück konnten wir dann trotzdem auftreten und die Leute sind gut abgegangen. Ich schätze mal, dass die ziemlich tough waren, sonst wären sie wohl nicht unter solchen Umständen auf das Festival gekommen. Nach dem Auftritt haben wir dann noch eine Nacht in einem Hotel pennen können, das hatte sogar einen Pool, haha. Wir konnten nämlich an dem Abend nicht mehr weg, weil es keinen Zug mehr gab. Unsere Gage haben wir am Ende auch bekommen, die haben uns das Geld vom Bierverkauf gegeben, weil sie sonst nichts mehr hatten. Am nächsten Tag hat uns der Typ, der sich kurzfristig um die Organisation gekümmert hat, mit dem Auto mit nach Berlin genommen.

Du bist Vegetarier, deine anderen Bandmitglieder aber inzwischen nicht mehr, oder?

Snow hat nur ein paar Monate vegetarisch gegessen, Dinosaur auch, wegen seiner Freundin. Sie wollte unbedingt Fleisch essen. Sie hat solange auf ihn eingeredet, bis er wieder angefangen hat.

Bei anderen Punkbands kennst du keine Vegetarier?

Für Jungs, die härtere Musik machen, gehört es sich, viel zu trinken und viel Fleisch zu essen. Gerade auch für Punks. Das hängt unter anderem mit einer Geschichte aus einem der vier großen chinesischen Klassiker „Shuiwu Zhuan“ zusammen. Da wird von einer Gruppe von Kerlen erzählt, die gegen die Regierung kämpfen. Die „108 tapferen Männer“ führen auf einem großen Gebirgszug Krieg, berauben die Regierung, versaufen das Geld und feiern jede Nacht große Gelage. Wenn mich andere Punks fragen, warum ich kein Fleisch esse, sage ich, weil ich Tiere schützen will. Aber mehr diskutieren wir nicht. Punk wird hier nicht unbedingt von Intellektuellen gemacht, die kümmern sich nicht so sehr um Hintergründe, darum geht es den meisten nicht. Eine Ausnahme sind SMZB, obwohl wir mit denen politisch eher nicht übereinstimmen.

Findest du es schwer als Vegetarier in Peking zu leben?

Hm, wenn man selbst kocht, geht es ganz gut. Meine Wohnung momentan hat aber leider keine Küche, meine Arbeitsstelle stellt alles bereit, wir haben eine Kantine. Wenn ich selber was mache, dann Toast. Mehr hab ich nicht bei mir in der Wohnung. Wenn ich außerhalb esse, geht das aber auch. Klar, manchmal bekomme ich Schweinefleisch obwohl ich das nicht im Essen wollte, aber so schwer ist es nicht. Wenn es unglaublich schwierig wäre, dann wäre ich kein Vegetarier mehr. In Peking hat man sehr viele Möglichkeiten, gutes vegetarisches Essen zu bekommen. Das ist auch einer der Gründe warum ich gerne in Peking bin. In meiner Heimat Shijiazhuang gibt es vielleicht ein Restaurant, das vegetarisches Essen hat. Hier gibt es überall welche, bestimmt über fünfzig.

Warum bist du Vegetarier geworden?

Als ich zum ersten Mal nach Europa gekommen bin, waren da viele Punks Vegetarier, das hat mich beeinflusst. Grundsätzlich ist meine Entscheidung, vegetarisch zu leben, stark politisch geprägt. Ich bin der Meinung, dass Menschen, die Tiere töten, auch gegenüber anderen Menschen grausamer sind. Ich denke, dass ich, wenn ich Gewalt gegen Tiere ablehne, mich automatisch auch gegenüber Menschen besser verhalte, und nicht einfach Menschenleben zerstören würde. In China sagt man „Yurou baixing“, das bedeutet in etwa: „Simple people are like fish and meat.“ Die einfachen Leute werden in der Gesellschaft wie Fisch oder Fleisch gefressen. Das hat Lu Xun gesagt, einer der Begründer der modernen chinesischen Literatur. Lu Xun hat in den Zwanziger Jahren über die Gesellschaft geschrieben, als es keinen Kaiser mehr gab, da haben sich die Leute gegenseitig gegessen.

Das Problem, dass es in China relativ wenig Mitgefühl für andere Menschen gibt, wird ja heute noch diskutiert.

Das stimmt. Ich glaube, das liegt einmal daran, dass hier einfach zu viele Menschen leben, gerade in einer Stadt wie Peking. Wenn man die alle gleichmäßig über China verteilen würde, wäre das nicht viel. Ich denke, dass Japan zum Beispiel viel enger und dichter besiedelt ist, aber die sind wohl etwas höflicher als Chinesen. Aber als wir 2012 in Deutschland waren, ist uns etwas Interessantes passiert. Da sind wir irgendwo in Ostdeutschland mit dem Zug gefahren, ich weiß nicht mehr, wohin, vielleicht von Dresden nach Berlin. Offenbar gab es einen Streckenschaden und wir konnten nicht weiterfahren. Also mussten alle aussteigen, 200 Leute ungefähr. Wir sollten dann mit Bussen nach Berlin gebracht werden, allerdings haben die nur zwei Busse bereitgestellt, das war viel zu eng. Als die Leute dann alle in den engen Bussen eingepfercht waren, haben sie angefangen, sich gegenseitig zu schubsen und zu streiten. Es ging wohl um einen Sitzplatz für einen alten Mann. Irgendwann ist sogar die Polizei gekommen. Das hätte ich nicht gedacht, dass sich auch Deutsche so benehmen. Dann ist mir klar geworden, dass es in Deutschland nicht deshalb meist gesitteter zugeht, weil die Leute besser sind als die Chinesen, sondern weil es weniger Menschen gibt. Der Druck ist hier in China einfach sehr groß. Von außen und von innen.

Würdest du dich selbst als politischen Menschen bezeichnen?

Würde ich, ja. Ich ordne mich selbst ziemlich weit links ein. Ich fühle mich als Sozialist, natürlich will ich keinen Sozialismus, wie er jetzt in China herrscht oder wie es damals in der UdSSR war. Das Interessante ist, dass die meisten Bands sich eher an westlichen Ideologien orientieren, wenn überhaupt, also am amerikanischen Neoliberalismus vor allem. Die meinen, alles in China sei scheiße und alles im Westen super. Auch auf Weibo, dem chinesischen Twitter, ist das so. Ich hoffe jedenfalls nicht, dass wir uns einfach unkontrolliert öffnen und immer mehr demokratisieren. Solche Länder gibt es schon viele, Indien zum Beispiel. Bei denen ist die Korruption noch schlimmer als bei uns. Viele sagen, dass die KP an unseren Problemen schuld ist. Aber Indien hat viele Parteien. Man muss sehen, dass das alte Europa vor ein paar hundert Jahren die Industrielle Revolution durchschritten hat. Diese Länder hatten lange Zeit, sich weiterzuentwickeln. In China beziehungsweise im Neuen China, wie ich es nenne, also nach 1949, ist das erst ein paar Jahrzehnte her. Ich glaube nicht, dass für die Entwicklung eines Landes entscheidend ist, wie viele Parteien es gibt. Sieh dir die USA an, die haben zwar ein paar Parteien, aber wirklich demokratisch ist das doch auch nicht. Ich denke, dass man überhaupt eine Partei hat, ist schon das erste Problem. Die Menschen sollten direkt die Politik lenken. Aber das ist alles utopisch im jetzigen China.

Wünschst du dir, dass die Chinesen wählen können?

Ja, klar, aber nicht sofort. Sieh dir Russland an, denen haben sie die Wahlen gegeben und was ist daraus geworden? Früher war die UdSSR eine mächtige Nation, sieh dir an, was Russland jetzt noch ist. Besonders in den Augen der Chinesen. Ich glaube, dass China schon einen ganz guten Weg geht, wenn auch die Durchführung teilweise sehr schmerzhaft ist. Als 1998 viele staatliche Firmen privatisiert wurden, sind enorm viele Bürger arbeitslos geworden, das meine ich zum Beispiel mit schmerzhaft. Aber es wurde auch einiges erreicht. Zum Beispiel ist unser Bruttoinlandsprodukt unglaublich hoch. Zu welchem Preis, ist natürlich eine weitere Frage. Dazu kommt die wachsende Ungleichheit hier. Das sieht, soweit ich weiß, zumindest in Nordeuropa wesentlich besser aus. Ich hoffe darauf, dass der gesellschaftliche Wohlstand in China zu einem gemeinsamen Wohlstand wird. Wenn jemand Geld hat, dann sollen alle Geld haben und nicht wie jetzt einige superreiche Kapitalisten. Und dann horten sie das Geld im Ausland.

Das ist doch genau das, was viele der hohen Politiker in der KP machen, oder?

Ja, stimmt. Ich hoffe darauf, dass unsere neue Führung da etwas besser handelt – gerade wurde der 18. Volkskongress zu Ende geführt. Allerdings weiß ich nicht, ob ich da zu sehr hoffen sollte. Selbst wenn du in noch so einer hohen Position bist, musst du zu den einfachen Menschen gut sein, heißt es im Konfuzianismus. Tatsächlich gibt es immer mehr Mitglieder der KP, die sich mit dem Konfuzianismus auseinandersetzen. Das ist eine gute Sache, denke ich. Natürlich hat jeder die Hoffnung, dass es mit der Regierung besser wird. Aber tatsächlich darf es mit der Korruption nicht schlimmer werden, sonst wird hier alles auseinander brechen, da bin ich mir relativ sicher.

Gibt es einige Vorurteile, denen du im Ausland begegnet bist und mit denen du gerne aufräumen würdest?

Hm, also immer wenn ich mich im Ausland mit den Leuten, die zu unseren Konzerten kommen, unterhalte, fragen die mich immer: „Wie kann es sein, dass du in China Punk-Musik spielst? Ist das nicht gefährlich?“. Es ist nicht gefährlich. Niemand wird ins Gefängnis geworfen, weil er Punk-Musik macht. Ich kenne niemanden, der wegen der Musik im Knast war. Höchstens weil er beim Kiffen erwischt wurde oder wegen anderer Drogen. Noch nie aus politischen Gründen. Von so einem Fall habe ich noch nie gehört. Außerdem glauben viele, dass wir hier Hunde und Katzen essen, und tatsächlich stimmt das, auch wenn nur sehr wenige Chinesen das noch tun. Nehmen wir mal ein anderes Land, Korea, als die olympischen Spiele da stattfanden, kamen die Amerikaner und haben keinen Tag ausgelassen, um zu behaupten, dass die Koreaner schlechte Menschen sind, weil sie Hundefleisch essen. Hier in China haben das einige Intellektuelle kommentiert, die haben gesagt, Hundefleisch zu essen, ist eine koreanische Tradition. Klar, ist das nicht gut, Hunde sollten der beste Freund des Menschen sein und so weiter; aber die Amerikaner schlachten jedes Jahr so viele Rinder, warum ist das besser? Die Koreaner machen das nicht. Also lehnt euch nicht so weit aus dem Fenster. Für mich macht das keinen Unterschied – beide Nationen ziehen diese Tiere auf, um sie zu schlachten, warum ist das eine schlechter als das andere? Ich esse beides nicht, das ist meine Lösung. Stell dir vor, was die Inder erst über die Amerikaner sagen müssten, für die sind Kühe doch heilig. Dass die Amerikaner sich überall als Weltpolizei aufspielen müssen, nervt mich. Dann gibt es noch das Vorurteil, dass wir in China alle Reisfresser sind. Das ist Schwachsinn. Hier in Peking zum Beispiel essen wir Nudeln. Ich erinnere mich noch, als ich aufgewachsen bin, habe ich fast nie Reis gegessen, eigentlich nur Nudeln oder Hefebrötchen. Im Norden wird traditionell sehr wenig Reis gegessen, weil der hier nicht wächst. Dass wir zum Jahreswechsel hier mit Drachen durch die Straßen rennen, stimmt auch nicht, die reisessenden Chinesen mit Drachen sind alle im Süden, das hat nichts mit uns zu tun. Das liegt wohl daran, das die erste Welle der Auswanderer damals alle aus Südchina kamen. Deswegen haben Chinarestaurants in Deutschland wohl auch so wenig mit dem Essen hier zu tun. Die meisten Chinarestaurants werden sowieso von Vietnamesen geführt, haha. Ich versuche mit denen immer Chinesisch zu reden und die verstehen kein Wort.

Was haben die meisten Chinesen für Vorurteile gegenüber Westlern?

Viele Chinesen denken, die Ausländer im Westen hätten alle Aids, haha. Ernsthaft! Vor allem viele der alten Chinesen mögen Ausländer nicht besonders. Die sagen, wenn du dir eine ausländische Freundin suchst, kriegst du Aids. Die Konservativen sagen halt, dass die Ausländer sexuell viel zu offen sind. Was natürlich auch Schwachsinn ist. Gerade was unsere Sexualität angeht, sind Chinesen ziemlich offen, ich glaube, wir sind da schlimmer als jedes andere Land, das ich kenne, haha. Europäer finde ich tatsächlich eher konservativ, vor allem Deutsche.

Was noch?

Wir jungen Leute haben das Problem, dass wir glauben, Ausländer wären besonders gute Menschen. Das wird uns vermittelt durch die Fernsehshows, die wir online gucken. Und dass Ausländer besonders gut aussehen – und dann kommst du ins Ausland und merkst, dass viele arrogant sind. Arrogante Menschen gibt es in China ziemlich selten. Chinesen sind da eher einfach gestrickt. Hier findet man viele einfache Menschen. Guck mal in ein Restaurant hier in Peking, wenn wir hier Geburtstag feiern. Wir haben dann einen großen runden Tisch, an dem alle sitzen und essen und reden. Hier ist es wichtig, dass alle zusammen sind. Wir mögen es tatsächlich, wenn um uns herum viele Menschen sind und es laut ist. Schau dir mal an, wie wir das chinesische Neujahr feiern, da werden zwei Wochen lang Knaller gezündet. Und als ich von Kopenhagen zurück nach Peking geflogen bin, war das grauenhaft, der ganze Flieger voll mit Chinesen und die haben nur rumgeschrien, haha.

Was sollte man sich in China unbedingt ansehen, hast du ein paar Tips?

Peking natürlich, haha. Jeder Ausländer, der nach Peking kommt, findet es hier erst mal gut. In Peking gibt es die Große Mauer, die Verbotene Stadt, den Sommerpalast. Und um etwas von der Live-Szene in Peking mitzukriegen, muss man nur nach Ostpeking, vor allem in der Gegend um den Glockenturm gibt es jede Menge Livehouses. Da gibt es das Mao Livehouse, Yu Gong Yi Shan, School, XP, das ist das frühere D22, die Templebar, eigentlich spielt sich fast alles in der Gegend ab.

Hast du noch was zum Abschluss zu sagen?

Ich hoffe, dass die Menschen in Deutschland mehr chinesische Bands zu sehen und hören bekommen. Nicht unbedingt nur Punk, aber hier gibt es einige gute Bands. Holt mehr Bands auf Festivals. Hier in China gibt es auch immer mehr deutsche Bands, die auftreten, elektronische Bands, Rockbands. Umgekehrt ist das noch ein bisschen mager.