HARMFUL

Foto

Weder müde noch krank

1995 fand sich in Ox #21 die erste Rezension einer HARMFUL-Platte, seitdem ist die Frankfurter Band mit Frontmann Aren Emirze immer wieder mal im Heft aufgetaucht. Dennoch habe ich persönlich nie so recht den Zugang zum im Grunde sperrig-noisigen Rock der Band gefunden, der zwischenzeitlich mit Majordeal im Rücken durchaus erfolgreich zur Aufführung gebracht wurde. Erst das aktuelle Album „Sick And Tired Of Being Sick And Tired“ ließ mich wieder aufhorchen, brachte mich dazu, meine Meinung zu überdenken, und weckte neues Interesse an HARMFUL. Entsprechend stellte ich Aren ein paar Fragen.

Aren, kannst du zu Beginn mal definieren, was „Noiserock“ für dich bedeutet – und wann du zuerst und wann zuletzt UNSANE gesehen hast?


Noiserock bedeutet für mich mehr Klangentfaltung und die Freiheit, auf deine Impulse zu achten. Wenn ich zum Beispiel Gitarre spiele, liebe ich es, wenn sie etwas verstimmt ist oder die Obertöne verrückt spielen. Ich erwarte von meiner Gitarre, dass sie mich mit unerwartetem Krach überrascht und meine Aufgabe ist es, den Noise zu kontrollieren und Songs daraus zu machen. Metal und normaler Rock lässt das in meisten Fällen nicht zu. Wir waren mit UNSANE 2003 auf Europatournee. Das war auch die erste Begegnung mit ihnen und für mich sind UNSANE eine der besten Live-Bands überhaupt. Ein geiles, lautes UNSANE-Konzert ist eine Therapie für mich und kann durchaus heilend wirken. Ich fühle mich danach besser. Das Gleiche versuche ich, bei HARMFUL-Konzerten unserem Publikum weiterzugeben, mit unserer Version des Noiserocks.

Der Titelsong eurer neuen Platte „Sick And Tired Of Being Sick And Tired“ klingt, ebenso wie das Album insgesamt, kein Stück, als hättest du genug davon, dich krank und müde zu fühlen – sofern das eine Aussage über die bisherigen zwanzig Jahre HARMFUL sein soll. Wütender und aggressiver hat man euch schon lange nicht mehr erlebt.

Der Titelsong ist auch einer meiner Favoriten auf dem neuen HARMFUL-Album. Er vereint alle Stärken von HARMFUL in einem Song. Mit dem Titel kann man definitiv auch unsere Vergangenheit als Band in Verbindung bringen. Jeder Rückschlag hat uns am Ende stärker gemacht, so pathetisch das klingen mag, Deswegen empfinde ich den Titel als Motivation zum Aufbruch beziehungsweise Ausbruch aus Zwängen, die einen ungewollt limitieren und dadurch schwächen. Wir mussten bei diesem Album sehr impulsiv arbeiten, dadurch hatten wir nicht die Möglichkeit, zu verkopft an die Sache zu gehen. Dadurch sind Songs wie „Ambition“ entstanden, die wohl härter sind als alles, was wir bisher gemacht haben. Auch Experimente wie „Not sure enough“ oder „Distance“ sind dadurch möglich geworden. Einfach machen und das Momentum genießen!

Was vor drei, fünf, zehn oder 15 Jahren noch „angesagt“ war, ist ein paar Jahre später oft nur noch Musik für kauzige Fans – man denke mal an Stoner-Rock Ende der Neunziger, oder Ska-Punk, oder Metalcore. Ihr seid eurem Sound im Kern immer treu geblieben, obwohl die Indie-Szene 2013 ganz anders aussieht als jene Mitte/Ende der Neunziger. Wie würdest du deine musikalische Vision für deine Band definieren?

Meine Vision von HARMFUL ist kreativ auf jeden Fall aufgegangen. Jedes Album von uns ist verschieden und wir haben uns immer selbst verwirklicht, ohne kommerzielle Kompromisse zu machen, und wenn mal ein Song wie „Art of rebellion“ rauskam, der sehr poppig war für HARMFUL-Verhältnisse, war das ohne Kalkül, sondern sehr authentisch und so wie wir uns damals gefühlt haben. Außerdem wollten wir immer unsere musikalische Bandbreite erweitern und HARMFUL auf die individuelle Entwicklung jedes Musikers anpassen. Wenn ich mir vorstelle, was Gesang vor zwanzig Jahren für uns bedeutete und was er jetzt bedeutet, sind das zwei Welten. Visionen ändern sich, aber die Quintessenz bleibt die gleiche. Authentisch zu sein, um das Beste aus den sich ergebenden Möglichkeiten rauszuholen. Wer sich unsere neun Alben am Stück anhört, merkt, dass wir das für uns erfolgreich durchgezogen haben.

Irgendwann sah es ja auch für euch mal so aus, als „ginge“ da was mit der Band. Welchen Status hat die Band heute in eurem Leben, was muss sich ihr unterordnen, inwiefern ist das „normale“ Leben auch mal wichtiger – und wie sieht das aus, etwa in Sachen Jobs?

Wir hatten als Band sehr viel Glück mit Plattenfirmen und konnten in den Blütezeiten der Musikindustrie noch viel finanziellen Support genießen, wodurch wir unabhängig waren und uns voll und ganz auf die Musik konzentrieren konnten. Das hat sich in den letzten Jahren leider geändert. Jetzt muss man schauen, wo man finanziell bleibt, und auch in nicht-musikalische Gefilden ein Zubrot verdienen. Außerdem sind Chris und ich Familienväter, die ihr musikalisches Leben auch mal an zweite Stelle setzen, was vor dieser „Familien“-Zeit nie der Fall war. Es hat aber auch seine guten Seiten, da wir mit mehr Abstand und Objektivität an HARMFUL herangehen können. Die Hoffnung, dass Musik irgendwann doch genug abwirft, bleibt trotzdem in unseren Herzen.

Für mich – entschuldige diese Offenheit – waren HARMFUL, so sehr ich euch im Grunde immer geschätzt habe, wie BLACKMAIL immer eine von diesen „Visions-Bands“, immer eher mit einem Bein im großen Rockgeschäft als „richtiger“ Underground. Ich weiß, dass ich euch damit eigentlich Unrecht getan habe, dennoch; man nimmt Bands eben immer in einem bestimmten Kontext wahr. Wie sieht eure Selbstwahrnehmung aus?

Egal in welchem Umfeld, HARMFUL saßen immer zwischen den Stühlen. Für die Metaler zu alternativ. Für die Visions-Alternativos zu Metal-lastig. Für die Punks zu kontrolliert und sperrig. Am Ende haben HARMFUL für jeden etwas, können aber nicht eingeordnet werden. Um bei der bluNoise-Familie zu bleiben, BLACKMAIL zum Beispiel sind um Längen „Visions-kompatibler“ und leichter einzuordnen als HARMFUL, deswegen waren sie kommerziell auch immer erfolgreicher als wir. Wir fühlen uns in dieser Alternative-Welt eher wie Stiefkinder und waren da nie richtig zu Hause. Aber wo fühlt man sich als HARMFUL zu Hause? Im Noiserock, aber da sind wir eigentlich konkurrenzlos am Werk in Deutschland, da es nicht mehr viele unserer Art gibt. Die Dinosaurier sind „fast“ alle ausgestorben, zum Glück gibt es UNSANE noch!

Wie sieht es mit der Rezeption im Ausland aus? Ihr habt englische Texte, hattet internationale Produzenten/Musiker mit dabei – ging da jemals was im Rest von Europa oder gar in den USA?

Wir waren mehrmals im Ausland auf Tour, dennoch ist es bei der Flut an neuen Bands schwer, ausländische Labels zu überzeugen, eine deutsche Band mit englischsprachigen Texten zu veröffentlichen. Da fehlt es uns auch an einer deutschen Noiserock-Szene, die das nach außen, sprich: ins Ausland transportieren könnte. Im Metal ist das etwas einfacher, weil der deutsche Metal auch im Ausland renommiert ist. Aber auch hier gilt: die Hoffnung bleibt.

Gibt es die bluNoise-Familie überhaupt noch, gab es sie jemals? Was verband/verbindet Bands wie HARMFUL, BLACKMAIL und ULME?

Es ist schon fast wie ein Märchen. Es war einmal eine Stadt namens Troisdorf im kleinen, aber feinen bluNoise-Tal. Im Ernst, die Anfangszeit war sehr inspirierend und wir entdeckten viele interessante Bands und es war auch eine Art Familie Gleichgesinnter, fernab des Kommerzes. Subversiv und intelligent. Jedoch war es eine Sackgasse ohne kommerzielle Perspektive und irgendwann verhungert man dann letztendlich, wenn man nicht den Absprung schafft. Wir waren die Ersten, die sich in die Major-Welt verabschiedeten, und BLACKMAIL folgten uns dann. Diese beiden Bands gibt es als Einzige heute noch, also denke ich, es war eine gute Entscheidung. Trotzdem erinnere ich mich gerne zurück und wir haben bluNoise viel zu verdanken.

Im Dezember 2012 war der zwanzigste Geburtstag von HARMFUL. Gib uns zum Schluss doch bitte noch jeweils deine Top 3 der Flops und Tops jener zwei Jahrzehnte.

Zu den Top 3 gehört auf jeden Fall die Zusammenarbeit mit der Produzentenlegende Dave Sardy sowie Billy Goulds Einstieg bei HARMFUL. Ein weiterer großer Moment war unser erster Majordeal, der uns erlaubte, für eine Zeit nur noch Musik zu machen und unsere Ideen zu verwirklichen, die finanziell vorher nicht möglich waren. Zu den Flops gehört auf jeden Fall, als unsere Plattenfirma Intercord kurz vor unserer ersten Major-Veröffentlichung Pleite machte und wir mit fertigem Album, aber ohne Plattenfirma dastanden. Das war ein Scheißgefühl. Zum Glück hatten wir kurz danach mit BMG-Ariola einen guten Ersatz gefunden, der das Album dann veröffentlichte. Ein weiterer Flop war der unsägliche KORN-Modetrend, der sogar uns dazu brachte, die Gitarren runter zustimmen, bis wir im Studio waren, um das „Sanguine“-Album aufzunehmen und uns letztendlich bewusst wurde, dass wir keine „Runterstimmband“ sind, und ich auf einmal alle Songs zwei Grundtöne höher einsingen musste, was wirklich alles von mir abverlangte und mich sogar Blut kotzen ließ. Flop Nummer drei war der Totalschaden unseres Band-Busses bei einem Gig in der Nähe von Stuttgart bei Minus 25 Grad. Wir mussten sitzend in einer Werkstatt übernachten, um am nächsten Tag die Gewissheit zu haben, dass der Bus tatsächlich futsch ist und wir unsere komplette Gage für den Abschleppdienst ausgeben mussten. Das waren wunderschöne Weihnachten!