JOSH GRAHAM

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Artwork ohne Grenzen

Wenn Namen wie NEUROSIS, BATTLE OF MICE und RED SPAROWES fallen, sind viele Menschen geneigt, ehrfürchtig aufzuhorchen, wissen aber auch um die Bodenständigkeit dieser Bands. Etwas im Hintergrund wirkte bei allen dreien auch das Multitalent Josh Graham mit, dabei immer die Musik und seine visuelle Kunst verbindend, und hat sich 2007 mit der Gründung von A STORM OF LIGHT sein ganz eigenes Refugium geschaffen. Angesichts des aktuellen doppelten Geniestreiches, dem Artwork für „King Animal“ von SOUNDGARDEN und der Gestaltung des NEUROSIS-Albums „Honor Found In Decay“, bietet es sich an, Graham mal direkt zu seiner Kunst zu befragen. Ganz und gar nicht janusköpfig erörtert Graham gerne sämtliche Geheimnisse seiner gestalterischen Arbeit.

Erinnerst du dich noch an dein erstes Kunstwerk oder den Moment, in dem alles professionelle Züge annahm?


Kunst treibt mich eigentlich seit der sechsten Klasse um. Damals machte ich ziemlich detaillierte Zeichnungen vom Vietnamkrieg. Wahrscheinlich wegen des obsessiven Umgangs meines Vaters mit diesem Krieg. Die Zeichnung, auf der ein armloser Mann eine Straße entlang rennt, die von auf Speeren aufgespießten Schädeln gesäumt ist, habe ich sogar noch. Bei dem Begriff Professionalität gibt es ja etwas Spielraum, also würde ich vielleicht die Flyer für meine Band zu Highschool-Zeiten als erste professionelle Arbeiten bezeichnen.

Welche Materialien benutzt du für ein Artwork? Momentan scheinst du dich verstärkt auf Skulpturen zu konzentrieren.

An Materialien greife ich mir alles, was ich brauche, um eine bestimmte Idee umzusetzen – da setze ich mir keinerlei Grenzen. Bei „King Animal“ für SOUNDGARDEN habe ich Schädel, Geweihe, Treibholz, Blumen, wasserspeichernde Kristalle und Baumwolle benutzt. Leider vereitelte Mutter Natur mir den letzten Schliff am Artwork. Nach monatelangen Gesprächen, wo die Skulptur nun genau fotografiert werden sollte, war es bereits April und der Schnee war komplett verschwunden. So setzte ich die Skulptur auf meinem Dachboden zusammen, fotografierte sie und fügte alles in eine verschneite Landschaft ein.

Bist du Autodidakt, was deine Kunst angeht, oder hast du ein traditionelles Studium absolviert?

Mein Industriedesign-Studium habe ich mittendrin geschmissen, weil mein Fachbereich auf einen anderen Campus verlegt wurde, der vierzig Kilometer weit entfernt war. Mir war die Pendelei einfach viel zu viel, weil ich damals schon Vollzeit arbeitete. Als ich überlegte, was als Nächstes kommen sollte, bekam ich ein Angebot für ein Praktikum im Bereich Motion-Design. Im Anschluss daran arbeitete ich direkt als Angestellter und ging aus Zeitgründen nie mehr ans College zurück. Nach dem Praktikum arbeitete ich dann zusammen mit Leuten, die 70.000 Dollar für ihre Ausbildung ausgegeben hatten, und das war für uns alle sehr seltsam. Mich hat es regelrecht eingeschüchtert, aber es stellte sich heraus, dass meine Arbeit ihrer in nichts nachstand. Meine Ausbildung ist also alles andere als konventionell, aber ich habe jahrelang schwer und hart gearbeitet. Manche brauchen vielleicht auch die Uni, um Disziplin zu erlernen, das war bei mir nicht nötig. Zum Spaß war ich aber doch noch einmal in einer Hochschule. In Lettland habe ich eine informelle Vorlesung über meine Artworks gehalten. Da ging es um die verschiedenen Aspekte meiner Arbeit und darum, wie man den Berufsweg „Künstler“ einschlägt.

Landschaften und Tiere sind wiederkehrende Motive bei dir. Menschen tauchen eher selten auf.

Darüber habe ich mich kürzlich auch mit meiner Frau gesprochen. Aber es ist doch eindeutig so, dass bei den aktuellen Artworks, also „Honor Found In Decay“ von NEUROSIS und das für „As The Valley Of Death Becomes Us, Our Silver Memories Fade“ von meiner Band A STORM OF LIGHT keine Tiere auftauchen und sie sich auf Menschen konzentrieren. Es gibt zwei Gründe, weshalb ich anfangs eher Tiermotive verwendet habe: zum einen, weil ich mich eher für die Natur als für Menschen interessierte, und zum anderen, weil ich mich unwohl fühlte, wenn ich Leute für diese Art Bilder knipsen musste. Nun habe ich das nötige Selbstbewusstsein, und alle für dieses Jahr geplanten Artworks werden auch Personen zeigen. Das wird sowohl ästhetisch als auch inhaltlich eine Veränderung sein.

Für einen Künstler, der malt oder fotografiert, fällt die Kommunikation mit dem Publikum ja eher flach. Die einzige Möglichkeit, sich auszutauschen, sind Ausstellungen. Was ist da generell zu beachten – und ist das sehr kostspielig?

Seltsamerweise findet doch tatsächlich einiges an Interaktion über meine Artworks statt, wenngleich auch per Mail. Diese Art der Kommunikation unterscheidet sich aber nicht wesentlich von der des Musikers im Club. Manchmal ist es allerdings entspannter. Bei Shows ins Gespräch zu kommen, ist ja recht schwer, denn man hört ja dabei nie mit der Arbeit auf, bis man schließlich im Bett liegt. Man kommt im Club an, baut auf, ist vor dem Gig nervös, spielt, baut ab, lädt das Equipment wieder ein, sucht das Hotel und dann geht es wieder von vorne los. Bei Ausstellungen wiederum ist es sehr wichtig, wie man seine Kunst präsentiert. Meist sind die Räume eben so konzipiert wie sie sind, doch wenn man etwas daran modifizieren kann, kann man die eigene Kunst oft wirksamer präsentieren. Als Gruppe auszustellen ist immer recht lustig, und wenn die Kuratoren etwas davon verstehen, kann man erkennen, dass eine größere Künstlermeute doch von ähnlichen Dingen beeinflusst wird. In meinem Fall ist das Ausstellen recht kostspielig, weil meine Werke sehr groß sind und deshalb leider nur in recht teuren Versandkisten auf die Reise gehen können.

Hattest du jemals etwas wie eine künstlerische Blockade? Wie erhältst du dir die Inspiration?

Klar hatte ich schon Blockaden. Das passiert immer, wenn ich mich dabei ertappe, dass ich mich wiederhole. Die problematische Phase beginnt, wenn man bemerkt, dass jetzt was anderes kommen muss, der nächste Schritt. Als die Entscheidung fiel, dass ich vom großen Panorama und von den Tierszenen wegwollte, ging es plötzlich darum, dasselbe Emotionsspektrum anders darzustellen und ich wusste nicht, wie mir dies gelingen sollte. Was mir viel Inspiration verschafft, ist die Arbeit mit verschiedenen Bands, weil das Erstellen deiner persönlichen Vorstellung ihre Musik betreffend verschiedene Denkprozesse anstößt. Das gefällt mir enorm und ist immer ein Türöffner für die Kreativität.

Angebliche kam dein Kontakt zu NEUROSIS per Mail zustande, dann wurdest du Mitglied und hast dich um das Artwork und die künstlerische Umsetzung der Shows gekümmert. Vor Kurzem hast du deinen Ausstieg verkündet. Was genau waren die Ursachen?

Das Gerücht stimmt. Ich habe in L.A. viel mit Motion-Design gearbeitet und ihnen angeboten, bei Videoclips zur Verfügung zu stehen, wenn sie Interesse hätten. Etwas später traf ich dann Steve und wir haben uns gleich gut verstanden, aber Pläne gab es noch keine. Dann hat Pete plötzlich NEUROSIS verlassen und sie fragten, ob ich in wenigen Wochen die Gestaltung einer zweistündigen Show auf die Reihe bekäme, und irgendwie hat es geklappt. Alles funktionierte toll – und das zwölf Jahre lang. Es gab keinerlei persönliche Differenzen, wir haben uns in gegenseitigem Einvernehmen getrennt und es gibt auch kein böses Blut zwischen uns. Ehrlich gesagt war es wohl an der Zeit für etwas anderes. Ich war ja nicht direkt in die Musik involviert und daher wurde es ein enormer Aufwand für mich, für die richtige Inspiration zu sorgen und den gemeinsamen Nenner zu finden, so dass sowohl ich als auch die anderen Jungs vollkommen begeistert waren. Zugleich fühlte sich der Rest der Band inzwischen sehr eingeengt durch die Frage nach der Verfügbarkeit solcher Visualisierungen und deren festgelegte Abfolge in der Show. Wir haben viele Gespräche darüber geführt, was der nächste Schritt sein könnte und ob wir uns doch noch mal zusammenraufen sollten, aber momentan macht es einfach mehr Sinn, es ad acta zu legen und etwas Neues zu entdecken. Mit Scott habe ich mich erst gerade unterhalten, und schon jetzt vermissen wir beide den Spaß, den wir immer gemeinsam auf Tour hatten, aber trotzdem wissen wir, dass die Entscheidung richtig war. Das Gemeinschaftsgefühl, das wir hatten, bleibt uns jedenfalls für immer erhalten.

Gibt es noch jemanden im Hintergrund, dessen Meinung du einholst, bevor du etwas veröffentlichst?

Davon abgesehen, dass ich total von meinen Artworks und meiner Musik besessen bin, hole ich mir oft bei meiner Frau eine zweite Meinung ein. Sie ist eine großartige Bildhauerin und generell eine tolle Künstlerin, so dass sie Sachen sieht, die ich nach stundenlanger Arbeit gar nicht mehr erkenne, weil ich dann betriebsblind bin. Der Beitrag, den sie in diesen Momenten leistet, ist von unschätzbarem Wert.

Woran arbeitest du zur Zeit? Hast du auch schon mal Jobs abgelehnt, weil du um deinen künstlerischen Ruf besorgt warst?

Momentan arbeite ich an Visuals für SOUNDGARDEN, bin am neuen A STORM OF LIGHT-Album dran und versuche, mich auch wieder auf CROOKED SON zu konzentrieren, ein düsteres Folk-Projekt. Ich habe definitiv schon Angebote abgelehnt, obwohl ich das ungern tue, aber wenn ich nicht inspiriert bin, kann ich halt nichts machen. Das ist auch total unabhängig vom Budget. Komischerweise habe ich für die zwei Arbeitszweige, die ich beackere, auch einen unterschiedlichen Arbeitsethos. Wenn es um Visuals für Konzerte wie Projektionen geht, dann bin ich offener, was andere Musikstile angeht. Kürzlich habe ich sogar was mit Jay-Z gemacht, was recht interessant war. Bei meinen Artworks für Platten hingegen muss ich ganz meiner künstlerischen Vision folgen und konzentriert arbeiten. Ich nehme mir da gerne Storm Thorgerson als Vorbild, weil er sich seit Jahrzehnten, von kleinen Brüchen mal abgesehen, künstlerisch treu geblieben ist.