NICK CAVE & THE BAD SEEDS

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Dreissig Jahre - Die Alben

Mit „Push The Sky Away“ erschien im Februar 2013 das 15. Studioalbum von NICK CAVE & THE BAD SEEDS. Ein guter Anlass, das gesamte Schaffen von Cave und seiner Band Revue passieren zu lassen und dabei festzustellen, welche inhaltliche und musikalische Kontinuität das Werk des Mannes prägt, der sich bei jedem Album neu erfindet.

In den letzten Jahren hatte sich Cave zudem mit GRINDERMAN ordentlich Luft gemacht, so dass er mit den BAD SEEDS der Erwartungshaltung seiner Jünger gerecht werden konnte, andererseits aber auch fast jedes Mal zu überraschen wusste. Nick Cave hat aber über die Jahre mit dem Musikerkollektiv BAD SEEDS aber auch Federn lassen müssen, da langjährige Wegbegleiter wie Blixa Bargeld (1983-2003) und Mick Harvey (1983-2009) die Band verlassen haben. Erstaunlich ist dabei die in in diesem Zusammenhang geäußerte Einschätzung von Mick Harvey, den er nicht unbedingt als kreativen Partner und kongenialen Mitstreiter hervorhebt. Diesen hat er nach eigenem Bekunden seit einiger Zeit in Warren Ellis gefunden. Ellis ist nicht nur musikalisches Rückgrat von NICK CAVE & THE BAD SEEDS und GRINDERMAN, sondern mit ihm schrieb Cave auch einige Soundtracks zu Filmen wie „The Road“, „The Proposition“ oder „Lawless“. Nach dreißig Jahren Bandgeschichte lohnt also der Rückblick auf 15 Studioalben.

Fraglich ist, ob es bei den BAD SEEDS ein vergleichbares Album wie „Exile On Main Street“ von THE ROLLING STONES gegeben hat. Jenes Album, von denen ihre „Die hard“-Fans oft behaupten, es habe das Ende einer großartigen Ära eingeleitet und danach seien die Stones angeblich nie wieder so gut gewesen. In den letzten Jahren waren die Alben von NICK CAVE & THE BAD SEEDS ein wenig wie der Lebensstil des Spiritus Rector Nick Cave, der, so will es die Legende, morgens um neun Uhr in den Keller seines Hauses im südenglischen Seebad Brighton geht, Songs schreibt, ab und an in seiner Bibliothek (reich bestückt mit Vladimir Nabokov, Dostojewski, William Faulkner und Dylan Thomas) einen Blick in die Weltliteratur wirft, und sich ab fünf Uhr wieder seiner Familie widmet. Daran ist aber auch gar nichts auszusetzen. Man muss kein Junkie sein, nächtelang durch Berlin tingeln und existenzielle Grenzerfahrungen sammeln, um gute Songs zu schreiben. Nick Cave, das beweist er alle paar Jahre aufs Neue, kann und konnte das bisher in allen seinen Lebensphasen.

From Her To Eternity

(Mute, 1983)


Nach der Auflösung von THE BIRTHDAY PARTY und einem zwei Tage andauernden Intermezzo als THE IMMACULATE CONSUMPTIVE mit Marc Almond (SOFT CELL) und Jim Thirlwell (FOETUS) gründete Nick Cave die BAD SEEDS (eine Referenz an eine der letzten Veröffentlichungen der BIRTHDAY PARTY mit dem Titel „The Bad Seed“), hochkarätig besetzt mit Mick Harvey, Blixa Bargeld, Hugo Race und Barry Adamson, der bereits mit MAGAZINE Großes vollbrachte. Das Album eröffnet mit einer Interpretation von „Avalanche“ von Leonard Cohen, einer steten Quelle der Inspiration über die gesamte Schaffensphase Caves, und enthält mit „In the ghetto“ ein Elvis Presley-Cover. Auch wenn Cave offenkundig mit dem BIRTHDAY PARTY-Sound abgeschlossen hatte, tragen die Songs noch eine Menge chaotischer Energie und pulsierender Kraft in sich. Der Titelsong wurde zu einem Kassiker in Caves Werk und später Teil des Soundtracks des Wim-Wenders-Epos „Der Himmel über Berlin“.

The Firstborn Is Dead

(Mute, 1985)


Ein Album, das im Wesentlichen Elvis Presley gewidmet ist. Der Albumtitel bezieht sich auf den bei der Geburt verstorbenen Zwillingsbruder von Elvis, der Song „Tupelo“ auf dessen Geburtsort in Mississippi, und die Blues-Legende „Blind“ Lemon Jefferson. Zudem basiert „Tupelo“ auf der Struktur eines Blues-Songs von John Lee Hooker. „Wanted man“ wiederum zieht seine Inspiration aus Bob Dylan und Johnny Cash. Mit THE BIRTHDAY PARTY hatte sich Nick Cave noch dem wüsten Punk-Blues verschrieben, mit diesem Album kultivierte er seine Vorstellung von Blues in der Tradition seiner Helden und deren musikalischen Inspirationen. „ The Firstborn Is Dead“ ist ein Album, auf das er sich in späteren Jahren immer wieder beziehen wird. „Tupelo“ ist einer der Favoriten von Alan Vega von SUICIDE, der Nick Cave durch Daniel Miller von Mute Records vorgestellt wurde und der die erste Begegnung als wenig herzlich beschrieb, auch deshalb, weil Nick Cave in einen schwarzen Maßanzug gekleidet den Raum betrat, was Vega irgendwie sonderbar erschien.

Kicking Against The Pricks

(Mute, 1986)


Mit diesem Album, der Titel ist ein Bibelzitat, wird Caves intensive bibelaffine Phase eingeleitet, die ihren Höhepunkt in seinem Roman „And The Ass Saw The Angel“ (1989) fand. Eine schwere und düstere Sprache, reich an Metaphern, prägt fortan die Songs und das literarische Schaffen von Nick Cave aka „King Ink“. Die Legende besagt, dass er die Wortgewalt der Bibel als so eindringlich und intensiv empfand, dass er sie während des Songschreibens nicht mehr aus der Hand gelegt hat. Das Album enthält Coverversionen von Songs großer Legenden wie John Lee Hooker, Bill Roberts („Hey Joe“), Johnny Cash, Lou Reed und Roy Orbison. Es markiert auch den Einstieg von Thomas Wydler als Schlagzeuger bei den BAD SEEDS, und auch Rowland S. Howard kehrte für die Mitarbeit an dem Song „By the time I get to Phoenix“ zurück. Letztlich musste die zeitintensive Arbeit an Caves erstem Buch als Begründung dafür herhalten, so später Mick Harvey, dass auf diesem Album keine eigenen Songs zu finden sind.

Your Funeral ... My Trial (Mute, 1986)

Erneut in den Hansa Studios in Berlin eingespielt, skelettierte Nick Cave die Songs auf ihre Essenz, beeinflusst vom Bar-Blues der Zwanziger Jahre. Zwischen rohen Songstrukturen findet sich aber auch ein Song wie „Stranger than kindness“, einer der persönlichen Favoriten von Nick Cave in seinem Gesamtwerk und im Wesentlichen von Anita Lane und Blixa Bargeld geschrieben, der etwas die dunkle Poesie vorwegnimmt, die Cave auf seinen späteren Alben auslebt und kultiviert und die ihm zu größerer Popularität verhelfen sollte. Besonders im Song „The Carny“ spiegelte sich – auch nach Auffassung von Produzent Tony Cohen – die Stadt Berlin wider, die Theaterkultur dieser Zeit und irgendwie auch der Geist von Kurt Weill, was durch das „abgehackte“ Klavier und die Orgel nur noch verstärkt wird (ein wenig an „Whiskey bar“ erinnernd, der „Alabama Song“ von Bert Brecht). Und vermutlich auch deshalb findet sich auch dieser Song ebenfalls auf dem Soundtrack zu „Der Himmel über Berlin“.

Tender Prey (Mute, 1988)

Das Album mit dem unbestreitbaren Highlight „The mercy seat“. Der Song basiert auf Caves Lieblingsthemen im Songwriting jener Zeit (Gewalt, biblische Vergeltung, Gott) und kombiniert das mit einem erzählerischen Gesangsstil. Cave vollendete zur gleichen Zeit seine eigene Bibel in Form seines Buchs „And The Ass Saw The Angel“, und „The mercy seat“ trägt diese plakative Wortgewalt in jeder einzelnen Zeile in sich. Ein Song, der laut Cave eher beiläufig entstanden ist und nicht so elaboriert produziert wurde, wie es seiner sonstigen Arbeitsweise entsprochen hätte. Er spielte für BAD SEEDS live immer eine zentrale Rolle, da er die Aufgabe hatte, einen Spannungsbogen in die Setlist zu bringen und nach Einschätzung von Nick Cave unzählige Variationen zulässt. „The mercy seat“ wurde bis zur finalen Version in verschiedenen Varianten im Studio eingespielt und selbst Daniel Miller von Mute legte am Mischpult mit Hand an, bis alle zufrieden waren. Für Nick Cave war es vermutlichsehr befriedigend, dass einer seiner zentralen Inspirationsquellen in Gestalt von Johnny Cash diesen Song auf dem „American III: Solitary Man“-Album coverte.

The Good Son (Mute, 1990)

Ein Album voller opulent arrangierter Balladen, die direkte Rohheit früher Alben ist hier komplett passé. Nick Cave sitzt am Flügel, von kleinen Mädchen in weißen Balletkleidern umgeben, und singt von der dunklen, traurigen und unerfüllten Liebe. Gemeinsam mit Blixa Bargeld segelt er auf einem wackeligen Boot über die stürmische See und leidet in „Weeping song“ zum Herz erweichen. Das Album trägt auch den Einfluss seines damaligen Wohnorts São Paulo in Brasilien in sich, wo er mit seiner damaligen Frau Viviane Carneiro lebte, mit dem Song „Foi na cruz“, der nicht ganz ohne religiösen Einfluss geblieben ist. Das Album strotzt nur so von Streichern und Klavierpartituren in Moll. Ein „Fan Album“ par excellence, das von der Kritik nicht ganz so wohlwollend aufgenommen wurde. Es zeigt einen Nick Cave, der ohne Ende wundersam schöne Balladen schreiben konnte, die später zu dunklen „Murder ballads“ werden sollten. Dem befreundeten Regisseur Tom DiCillo gestand Cave zu dieser Zeit, dass einer seiner größten Einflüsse Burt Bacharach sei, und das hört man dem Album an.

Henry’s Dream (Mute, 1992)

Ein Album, das Kritiker seinerzeit angeblich besonders verzückte, das in der Gunst von Nick Cave selbst aber eher mit einer geringen Wertigkeit belegt wird. Er öffnet hier seine Pandora’s Box mit deutlichen Gospel-Einflüssen beim Song „Papa won’t leave you, Henry“. Und auch wenn die überbordenden Balladen des Vorgängeralbums nicht in dieser Fülle zu finden sind, so bietet es doch mit „Christina the astonishing“ und „Straight to you“ immer noch die kultivierte Melancholie in bekannter Anmut. Songs, die Nick Cave scheinbar leicht von der Hand gehen und die Publikumserwartungen erfüllten. Der Melody Maker wählte das Album zu einem der zehn besten Alben des Jahres 1992. Für die Singles zum Album gelangen dem Fotografen Anton Corbijn beeindruckende Fotos von Cave. Im Nachhinein war Cave allerdings mit der Arbeitsweise des Produzenten David Briggs, bekannt für seine Zusammenarbeit mit Neil Young, nicht wirklich zufrieden. Auf diesem Album wirkte auch zum ersten Mal das spätere GRINDERMAN-Mitglied Martin P. Casey mit, der viele Jahre das musikalische Rückgrat von THE TRIFFIDS war.

Let Love In (Mute, 1994)

Das Album wurde eingespielt im Londoner Townhouse Studio, welches THE WHO extra für „Quadrophenia“ errichten ließen. Die BAD SEEDS-Familie war damals zu einer beachtlichen Größe angewachsen, bei einzelnen Songs wirkten bis zu acht Musiker mit. Unter ihnen waren Rowland S. Howard, Tex Perkins (BEASTS OF BOURBON), David McComb (THE TRIFFIDS) und Spencer P. Jones. „Let Love In“ ist ein ganz großer, wenn nicht der größte Wurf im Schaffen von Nick Cave und seinen BAD SEEDS. Songs wie „Do you love me?“, „Loverman“ und „Red right hand“ sind brillante Cave-Dramen und Beweis seiner musikalischen Virtuosität. In „Loverman“ performt er so exzessiv, dass auch METALLICA und Martin Gore von DEPECHE MODE so begeistert von diesem Song waren, dass sie Coverversionen einspielten. Und natürlich kommt auch Gott auf diesem Album nicht zu kurz. „Red right hand“ ist dem epischen Gedicht „Paradise Lost“ von John Milton entlehnt und bezieht sich auf die Vergeltung übende Hand Gottes. Aber auf „Let Love In“ ist eigentlich Nick Cave der einzig wahre und gerechte Gott. „Nobody’s baby now“ schrieb Cave ursprünglich auf Wunsch von Rick Rubin, da er den Song aber als so gelungen erachtete, widmete er ihn kurzerhand Johnny Cash und Rick Rubin ging leer aus.

Murder Ballads

(Mute, 1996)


„Murder Ballads“ brachte durch das Duett mit Kylie Minogue beim Song „Where the wild roses grow“ nicht nur den kommerziellen Durchbruch – bis dahin war Cave immer noch weitgehend ein Underground-Phänomen gewesen –, sondern Nick Cave fand sich mit diesem Song auch auf mitunter merkwürdigen Pop-Compilations wieder. Zudem erhielt Cave die fragwürdige MTV-Nominierung als „Bester männlicher Künstler“ des Jahres, die er aber ablehnte. Viel spannender – und dem sinisteren Geist beider Künstler geschuldet – war das Duett von Nick Cave mit PJ Harvey beim Song „Henry Lee“. Hier hatten sich zwei Seelenverwandte gefunden. Der Song schließt auf gewisse Weise nahtlos an das Duett von THE BIRTHDAY PARTY-Gitarrist Rowland S. Howard und Lydia Lunch bei „Some velvet morning“ an, eine Coverversion des Lee Hazelwood-Klassiker mit Nancy Sinatra.

The Boatman’s Call

(Mute, 1997)


Ein Album mit sehr dunklen, vom Klavier dominierten Songs, das die orchestrale Opulenz vergangener Arrangements der BAD SEEDS hinter sich ließ. Gleich der Opener „Into my arms“ – lediglich getragen von Klavier und akustischem Bass – ist ein klagender und verlorener Song mit „Oh lord“-Chorus, den Cave auf der Beerdigung seines langjährigen Freundes Michael Hutchence, dem Sänger von INXS, gesungen hatte. In den Songs weichen Bibelinhalte stärker existenziellen und spirituellen Erfahrungen oder gar Erweckungserlebnissen. Aus dem Wanderprediger Nick Cave wird ein Sinnsuchender und Fragender, der Spiritualität in den Vordergrund rückt. Und er zweifelte Gott in „Prompton oratory“ an: „No god up in the sky ... could do the job that you did, baby”. Das zu einer Zeit, als Nick Cave polemisch konstatierte, „Gegenwartspop schleudert bloß Brocken vanillefarbener Babykotze in den Äther“, und ein Jahr später in Wien, auf Einladung des Hauses der Dichtung, einen Vortrag zum Thema hielt, wie denn der perfekte Love-Song zu schreiben sei. Nick Cave wollte nicht mehr nur Musiker sein. Dichter war seine Berufung und dabei galt es bei allem Pathos den „Tear-jerking overacted Schmalz“ zu vermeiden. Und er schrieb im gleichen Jahr die Einleitung zu einer Ausgabe des Markus-Evangeliums ...

No More Shall We Part (Mute, 2001)

Hierbei handelt es sich um ein fast versöhnliches Album, dessen Texte auch etwas „lyrischen Ballast“ abgeworfen hatten und „unbeschwerter“ daherkamen, wenn es diesen Begriff denn je im „Nick Cave Advanced Dictionary of Songwriting“ gegeben hat. In „Love letter“, dessen Streicher eine Referenz an Neil Diamond sind, sind die beiden kanadischen Singer/Songwriter-Schwestern Kate (die Mutter von Rufus Wainwright) und Anna McGarrigle zu hören. Nick Cave und Mick Harvey sparen nicht mit üppigen Arrangements und bei „God is in the house“ singt Cave in fast lieblichem Tonfall die Geschichte (wie sie auch von Dylan Thomas hätte stammen können) von der heilen Welt, wo doch hinter verschlossenen Türen der Irrsinn und bürgerliche Ängste lauern. „No More Shall We Part“ ist ein Album, bei dem Nick Cave nahe an Leonard Cohen, eine seiner wichtigsten musikalischen Inspirationsquellen, heranrückt, dessen „Tower of song“ er bereits 1991 coverte.

Nocturama (Mute, 2003)

Das letzte Album, an dem Gründungsmitglied Blixa Bargeld mitwirkte und das von Nick Launay produziert wurde, der bereits das epochale BIRTHDAY PARTY-Album „Junkyard“ (1982) produziert hatte und dessen Geist dem neuen Album auch ein wenig einhauchte. Auch ein alter Freund wirkte an diesem Album mit, Chris Bailey von THE SAINTS (in jungen Jahren eine Inspiration für Nick Cave), der zu dieser Zeit in Melbourne weilte und bei „Bring it on“ die Zweitstimme sang. Auf „Nocturama“ findet auch Warren Ellis (THE DIRTY THREE) mit seiner Geige zunehmend seinen Platz bei den BAD SEEDS. Der Mann wurde in der Folgezeit für Cave immer wichtiger, wurde nach dem Weggang von Mick Harvey 2009 zu Caves musikalischen Bruder im Geiste und erweckte mit GRINDERMAN das „Rockmonster“ in Nick Cave. Das Grande Finale des Albums bildet das 15-minütige „Babe, I’m on fire“, dessen Text im Booklet ganze vier Seiten beansprucht.

Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus (Mute, 2005)

Ein monumentales Werk, in zwölf Tagen eingespielt, bei dem James Johnston (GALLON DRUNK) als Verstärkung mitwirkte. Große Bedeutung hatte das Album für Schlagzeuger Jim Sclavunos, der zum ersten Mal gemeinsam als Co-Autor mit Nick Cave an „Get ready for love“, eine energetische Uptempo-Nummer, mitwirkte. Der Song entstand, als Nick Cave, Warren Ellis, Martyn P. Casey und Jim Sclavunos in den Pariser Ferber Studios an Marianne Faithfulls Album „Before The Poison“ arbeiteten und noch freie Studiozeit übrig war, was dazu führte, dass aus einer Jam-Session „Get ready for love“ entstand. Diese Sessions in Paris waren die Geburtsstunde von GRINDERMAN, da hier alle vier GRINDERMAN-Mitglieder ihr Erweckungserlebnis hatten in Sachen improvisierten Rock’n’Rolls jenseits der einengenden BAD SEEDS-Schablonen und zu neuen Ufern aufbrechen wollten. Bis zum ersten GRINDERMAN-Album sollte aber noch etwas Zeit vergehen. Der letzte Song des Doppelalbums, das wunderbare „O children“, schaffte es sogar auf einen „Harry Potter“-Soundtrack und wurde Namensgeber der von JOY DIVISION geprägten Londoner Post-Punk-Formation O. CHILDREN.

Dig!!! Lazarus, Dig!!!

(Mute, 2008)


Ein Album, für das sich Nick Cave erneut die Bibel intensiv zu Gemüte führte und das sich auf die Geschichte des Lazarus bezieht: jener Lazarus von Bethanien, der nach dem Johannes-Evangelium von Jesus von den Toten auferweckt wurde. Eine Geschichte, die Cave schon seit frühester Kindheit faszinierte und nach eigenem Bekunden traumatisierte: Ein Mensch vom Tod zum Leben erweckt! So packte er die Geschichte des Lazarus in das New York der Gegenwart und formte seine ganz eigene Version daraus. Die Verweise auf amerikanische Literatur in den Songs sind auf diesem Album umfangreicher als sonst, unter anderem nimmt Cave Bezug auf Ernest Hemingway, Charles Bukowski und John Berryman. Nick Cave ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen fünfzig Jahre alt und es gibt kein Anzeichen von Altersmilde, im Gegenteil: der Drang nach schnellen Rock’n’Roll-Nummern bricht durch und das Album wird in fünf Tagen eingespielt, wie später auch das erste GRINDERMAN-Album. Eine Liebeserklärung seines langjährigen Wegbegleiters und ex-BAD SEEDS Kid Congo Powers gibt es zudem: „,Dig!!! Lazarus, dig!!!‘ is my favourite track. That song made me fall in love with NICK CAVE & THE BAD SEEDS all over again. Plus it has a good beat and I like to dance to it“.

Push The Sky Away

(Bad Seed Ltd., 2013)


Wer bis zu diesem Zeitpunkt den inneren Kontakt zu Nick Cave verloren hatte, weil man die Gelüste nach traurigen Balladen, die sich in ihren lyrischen Auslegungen auf „Little bird“-Metaphern und Kindheitserinnerungen von Cave konzentrieren, nicht befriedigt sah, der wird dieses Album mit offenen Armen empfangen. Gleich der Opener „We know who U R“ trifft mitten ins Herz. Nick Cave schwärmt von den musikalischen Fähigkeiten seines genialen Partners Warren Ellis, der mit seinen Loops und den „Mysterien seiner Klangwelten“ – so Cave – den sensiblen Pulsschlag eines jeden Songs bestimmt. Das Album erinnert, nun aber wesentlich fragiler instrumentiert, an die Balladen von „The Good Son“. Mehr als je zuvor hat Cave den BAD SEEDS, allen voran Warren Ellis, musikalische Gestaltungsspielräume zugestanden, seine ersten Entwürfe der Songs im Studio umzusetzen. „Jubilee Street“, die Straße gibt es tatsächlich in Brighton, ist das Highlight des Albums. Der Protagonist des Songs trägt das Kreuz der Liebe und die verzweifelte Erinnerung lässt ihn in Ekstase geraten. Nick Cave öffnet das Fenster seiner Fantasie, denn dieser Song spiegelt seinen Reichtum an abstrakten Ideen und verinnerlicht in jeder Zeile, weshalb man auf weitere dreißig Jahre NICK CAVE & THE BAD SEEDS hoffen sollte. Das erste Cave-Album, das nicht auf Mute Records erschienen ist, sondern auf Caves eigenem Label.