SWINGIN’ UTTERS

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Die Geheimnisse der Bibliothekare

Acht Jahre hatten sie pausiert. 2011 veröffentlichten sie mit „Here, Under Protest“ ein neues Album, das keinen Deut schlechter war als alles davor. Und jetzt schieben die SWINGIN’ UTTERS mit „Poorly Formed“ (in den USA auf Fat Wreck, in Deutschland auf People Like You) den nächsten Paukenschlag hinterher. Auf ihrem neuen Album klingen die Jungs aus der Bay Area so abwechslungsreich wie nie zuvor: mehr späte THE CLASH, weniger Rotzpunk – und das alles mit neuem Bassisten und einem um Gitarrist Jack Dalrymple leicht erweiterten Songschreiberteam. Wir fragten Frontmann Johnny Bonnel und den zweiten Mann an der Gitarre, Darius Koski, nach scheidenden Bandmitgliedern, der Erziehung des eigenen Nachwuchses, der Wichtigkeit einer politischen Haltung und Bibliothekaren, die etwas vor der Welt verheimlichen.

Die erste Single eures neuen Albums heißt „The librarians are hiding something“. Was verheimlichen uns denn die Bibliothekare dieser Welt?

Johnny Bonnel:
Das ist ein Zitat von Stephen Colbert, dem Moderator der TV-Show „Colbert Report“. Als ich es seinerzeit hörte, dachte ich mir sofort: Ein toller Satz! In den kann man ja unheimlich viel hineininterpretieren. Und ein Ansatz ist eben der, dass die Bibliothekare tatsächlich eine riesige Menge an Informationen und Wissen geheim halten, das sie der Öffentlichkeit nicht mitteilen ... Aber letztendlich soll der Hörer seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Ein anderer eurer neuen Songs heißt „The fake rat of Dave Navarro“. Habt ihr etwas gegen euren Musikerkollegen Navarro, der ja mit JANE’S ADDICTION und den RED HOT CHILI PEPPERS schon Erfolg hatte?

Bonnel:
Nein, wir haben absolut kein Problem mit Dave Navarro. Der Songtitel ist mir eben einfach so eingefallen. Und der Begriff „falsche Ratte“ ist ein Seitenhieb auf die US-Kultur und bedeutet: Wir verschwenden viel zu viel Zeit und Aufwand für völlig triviale, blödsinnige Dinge. Ich meine: Schau dir ein paar Minuten Fox News an und du wirst sehen, was ich meine.

Ihr hattet eine achtjährige Pause hinter euch, als 2011 euer Album „Here, under protest“ veröffentlicht wurde. Mit „Poorly Formed“ liefert ihr jetzt schon das zweite Album in weniger als zwei Jahren ab. Woher kommt dieser kreative Schub?

Darius Koski:
Der war immer da. Wir haben ja nie aufgehört, kreativ zu sein, und uns nie aufgelöst. Wir haben nur acht Jahre lang – bis auf ein paar Konzerte an der Westküste – nicht getourt, weil wir andere Dinge zu tun hatten, mehr Zeit mit unseren Familien verbringen und unsere Kinder aufziehen wollten. Natürlich hätten wir weiterhin Platten aufnehmen können, aber es wäre nicht richtig gewesen, das zu tun, ohne hinterher auf Tour zu gehen. Wie auch immer: Diese acht Jahre sind jedenfalls unfassbar schnell vergangen.

Bonnel: Da hat Darius Recht: Am Anfang dieser Bandpause waren meine Töchter in einem Alter, in dem ich so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen wollte und meiner Frau zu Hause helfen. Die Familie ist nun einmal das Wichtigste in meinem Leben. Und Kinder aufzuziehen, ist eine so große Herausforderung, die einem so viel zurückgibt, dass eigentlich jeder verstehen müsste, warum wir eine Pause eingelegt haben.

Jetzt sind die Kinder älter ...

Bonnel:
Genau. Und jetzt, wo sie das, was ich mache, begreifen und zu schätzen wissen, kann ich die Band viel gelassener sehen – als eines von vielen Dingen, die ich brauche, um zu leben. Glaub mir: Ich bin einer der glücklichsten Menschen überhaupt, weil ich so viele Möglichkeiten habe, meiner Kreativität Ausdruck zu verleihen.

Wenn ihr sagt, dass euch die Familie über alles geht – nehmt ihr Kind und Kegel dann auch mit auf Tour?

Koski:
Wenn wir es uns leisten könnten, würden wir sie sicherlich mitnehmen. Aber das Geld haben wir nicht, also halten wir es so: Wir touren gerade so viel, wie es uns das Leben, das wir außerhalb der Band führen, erlaubt. Das heißt: Wir sind eigentlich nie länger als drei Wochen am Stück unterwegs und aufs Jahr gesehen insgesamt nicht länger als drei Monate.

Zurück zu eurem neuen Album. „Poorly Formed“ klingt irgendwie völlig anders als alle anderen Alben der SWINGIN’ UTTERS: nach späten THE CLASH, nach Indie und Garage. Wieso habt ihr euch vom Punk beziehungsweise Streetpunk ein wenig zurückgezogen?

Koski:
Ich denke, wir haben auf unseren Platten nie nur nach reinem Punk geklungen. Und du hast Recht: Das neue Album ist noch einmal ganz anders – weil Jack Dalrymple, unser erster Gitarrist, erstmals am Songwriting beteiligt war. Wir alle lieben den Sound von „Poorly Formed“! Aber wir wollten uns ja auch nie auf nur ein Genre beschränken. Wir wissen schon, dass wir eine Punkband sind. Aber damit hat es sich auch schon, was das Kategorisieren angeht.

Bonnel: Richtig. Wir sind nie vollständig vom Punk weggegangen. Punk ist die Basis der SWINGIN’ UTTERS. Aber wir mögen alle so viele verschiedene Arten von Musik, dass es eine Schande wäre, diese Einflüsse nicht zu zeigen und zu verwenden. Ich könnte mein Leben unmöglich so erbärmlich engstirnig leben und nur die Musik machen, mit der wir damals begonnen haben.

Gibt es Künstler, deren Musik euch bei den Aufnahmen zu „Poorly Formed“ beeinflusst haben?

Bonnel:
Wir haben eigentlich immer Künstler, die uns beeinflussen, wenn wir Songs schreiben. Diesmal waren das vor allem VELVET UNDERGROUND, BIG YOUTH, CULTURE, Lee Perry, King Tubby, Linton Kwesi Johnson, PIXIES, THE STROKES, THE KINKS und Bob Dylan. Und diese Liste ließe sich noch endlos weiterführen.

Nun hat vor geraumer Zeit euer Bassist Spike Slawson die Band verlassen, „Poorly Formed“ ist die erste Platte ohne ihn. Inwieweit hatte das Auswirkungen auf die Band und ihren Sound?

Bonnel:
Zumindest rein musikalisch hat sich durch den Wechsel zu Miles Peck nicht viel verändert. Sowohl er als auch Spike sind Musiker, die zig Instrumente beherrschen. Man kann vielleicht sagen, dass Spike ab und an gerne mal einen Joint rauchte beim Spielen, während Miles das stets nüchtern macht.

Koski: Trotzdem ändert sich natürlich – abgesehen von der Musik – alles dadurch, dass Spike nicht mehr da ist. Er war eben so lange bei uns.

Habt ihr denn noch Kontakt zu ihm?

Koski:
Na klar. Wir sind weiterhin befreundet, gehören quasi ein und derselben Familie an. Und es wäre schön, wenn er in Zukunft auch mal wieder auf der einen oder anderen Platten mitmachen würde.

Warum ist er überhaupt ausgestiegen?

Bonnel:
Er hatte einfach nicht mehr die Zeit, um mit uns auf Tour zu gehen. Und er musste sich auf seinen Job konzentrieren.

Das heißt, die SWINGIN’ UTTERS werfen nicht genug Geld ab, um davon leben zu können?

Bonnel:
Nein. Wir sind zwar alle unheimlich glücklich, Musik in einer Band machen zu können, aber wir könnten nicht nur von den SWINGIN’ UTTERS leben.

Ihr seid in gewisser Hinsicht immer schon eine politische Band gewesen. Nun lag zwischen „Here, Under Protest“ und „Poorly Formed“ die Präsidentschaftswahl in den USA. Obama wurde glücklicherweise wiedergewählt. Müsst ihr euch trotzdem weiterhin musikalisch der Politik widmen?

Bonnel:
Ja. Denn wir müssen weiterhin wachsam sein, in jeder Form: als Bürger, Eltern, Musiker. Amerika unter Bush war einfach desaströs und es wird eine Weile dauern, bis alles wieder einigermaßen ins Lot kommt.

Koski: Bush war der vielleicht korrupteste Präsident, den die USA jemals hatten. Und es macht mich krank, wenn ich mir vorstelle, dass all diese Arschlöcher in meinem Heimatland dieses Stück Scheiße gewählt haben.

Bonnel: Obama als Präsident ist da schon ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich motzen viele Leute, weil es ihnen nicht schnell genug geht. Aber der Schaden, der von den vorherigen Präsidenten angerichtet wurde, ist nun einmal unfassbar groß.

Koski: Ich denke, wir werden immer politisch bleiben, denn korrupte und kaputte Systeme gibt es fast überall. So ist der Mensch nun einmal. Leider.

Ihr kommt aus der Bay Area, die schon immer bekannt war für ihre lebendige Punkszene rund um Clubs wie das Gilmans. Wie sieht es mit der Szene aktuell aus?

Koski:
Ich bin vor geraumer Zeit nach Santa Cruz gezogen. Das liegt eine Autostunde südlich, weshalb ich nicht mehr so viele Shows in der Bay Area miterlebe. Aber ich würde sagen: Es gibt die Szene noch. Nur ist sie nicht mehr so lebendig wie früher in den Neunzigern, als sie regelrecht explodiert ist und jeder wie verrückt Platten kaufte.

Bonnel: Auch ich bekomme davon nicht mehr allzu viel mit, weil ich eben Vater bin und nicht mehr die Zeit dazu habe, dort aufzuschlagen. Dennoch fühlt sich die Szene noch lebendig an. Vielleicht hat sich ein bisschen Bequemlichkeit breit gemacht. Aber ich kenne noch viele Leute, die damals wie heute in der Szene dort mitmischen. Und wer weiß: Vielleicht starten unsere Kids ja irgendwann die nächste Ära der Punkbewegung in der Bay Area.

„Kinder“ ist ein gutes Stichwort: Wie versucht ihr denn, die heutigen Jugendlichen mit eurer Musik zu erreichen – immerhin seid ihr noch im Bewusstsein aufgewachsen, dass man Musik auch in Albumlänge hören kann und nicht nur als 30-Sekunden-Hörprobe auf dem iPod.

Koski:
Ich denke, dass man die Kids heute am besten erreicht, indem man wie wir versucht, an so vielen Orten wie möglich zu spielen und seine Songs zu verbreiten. Und ich gebe zu: Ich habe selber Tausende von Songs auf meinem iPod. Aber ich besitze auch noch tausende Schallplatten.

Kann Punkrock denn überhaupt im Umfeld dieser neuen Technologie existieren, die sich ja dadurch auszeichnet, dass Musik eine immer kürzere Halbwertzeit hat, geradezu inflationär auf irgendwelchen Festplatten gehortet wird und dadurch an Wert und Wichtigkeit verliert?

Koski:
Natürlich. Jede Art von Musik kann überleben – weil es immer Musikliebhaber geben wird. Menschen, die diesen von dir angedeuteten Tunnelblick haben, lieben Musik ja nicht. Sie sind nur daran interessiert, so viele Dinge wie möglich – Dateien oder was auch immer – zu besitzen.

Bonnel: Punk wird es immer geben. Denn diese Musik ist kreativ und nicht als Eintagsfliege von Snobs gemacht. Auch ich höre übrigens gerne Musik über meinen iPod. Das erinnert mich nämlich daran, wie ich früher als Jungspund Musik am Transistorradio gehört habe. Das war wunderbar.