TURBOSTAAT

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Geld, Angst, Stinkefinger!

Getreu Toberts Jahresmotto 2013 „Nur weil man nicht weiß, wer die Rechnung bezahlt, darf man nicht aufhören, geile Sachen zu machen!“ haben TURBOSTAAT sich im September 2012 in das Hamburger Clouds Hill Recordings-Studio begeben, um den Nachfolger von „Das Island Manøver“ einzuspielen, erneut mit Moses Schneider. Erneut ohne neues Label. Der von der Szenepolizei seinerzeit argwöhnisch beobachtete Wechsel zum Major Warner Music hat nach zwei Alben sein reguläres Befristungsende erreicht. Was bleibt, sind Eindrücke und Erfahrungswerte, die der Band sicherlich nicht geschadet haben, weswegen man sich „ohne Groll oder schlechte Gefühle“ von dem (neben Sony und Universal) weltweit größten Majorlabel getrennt hat.

Da war sie also wieder, diese seltsame Situation, ohne Plattenvertrag dazustehen, genau wie 2004, als Schiffen Records die Segel strich, wenn auch aus anderen Gründen und irgendwie/eigentlich/definitiv gar nicht vergleichbar. Dennoch markiert die damalige Situation für die Musiker den endgültigen Übergang vom Indie zum Major und von semi- zu professionell, was sich vor allem darin äußert, dass die Musiker tatsächlich seitdem von der eigenen Musik leben können, wenn auch nicht zwingend durch die Plattenverkäufe, sondern eher durch die kontinuierlichen Konzerttourneen. Geld und Zeit spielen deswegen logischerweise immer eine große Rolle. Musikmachen und Produzieren sind ja per se recht teure und aufwendige Hobbys, doch zwischenzeitlich wollen auch fünf Familien mit mittlerweile acht Kindern wohlernährt werden – nix mehr mit blau an der Küste! Zumal TURBOSTAAT zwar ursprünglich aus Husum stammen, aber mittlerweile schon seit Jahren in Flensburg (Roland, Peter, Jan) beziehungsweise in Berlin (Marten) und Hamburg (Tobert) beheimatet sind. Da aber der Proberaum immer noch in Schleswig steht und der auch nach wie vor gerne und häufig frequentiert wird, ist Zeit eben auch ein wesentlicher Faktor in der aktuellen Entwicklungsphase.

In unklaren existenziellen Situationen ist Angst ein steter Wegbegleiter, mitunter auch ein schlafraubender Paranoiaverstärker, immer aber ein verdammt schlechter Ratgeber. Es bedarf einer gehörigen Portion Mut und Überzeugung aller Besatzungsmitglieder, mit dem Flaggschiff wieder in See zu stechen und bei einem neuen, kleineren Label einfach weiter zu machen und: vielleicht tut das auch weh?! Nee, nicht wirklich! Es ist wohl eher so, dass der Schmerz in Freude umschlägt, wenn man weiß, dass der Kapitän wieder Moses Schneider ist. Auch die Sorgenwolken über dem eigenen Kopf verdampfen und lösen sich in Wohlgefallen auf, wenn das Studio erst mal gebucht ist und man mit seiner Band eine zehntägige Materialschlacht ausleben darf. Um die Köpfe frei zu bekommen und die Angst rauszuschreien. Und um die eigenen routinierten Formate zu sprengen, um zu experimentieren, sich zu entwickeln und vor allem um das schöne alte Clouds-Hill-Equipment in diesem urgemütlichen Studiokomplex an der Elbe in Hamburg-Rothenburgsort auch gebührend seinem eigentlichen Daseinszweck zuzuführen, nämlich dem Musizieren. Am Ende der Aufnahmen kamen alle Beteiligten zu der Erkenntnis, dem ewigen Suchen, der ewigen Angst und den ewigen Arschgeigen den Stinkefinger zu zeigen und alles in eine Hand zu geben, und somit Clouds Hill den vollständigen Zuschlag über Vinyl und CD zu erteilen.

Sich neu erfinden brauchen TURBOSTAAT nicht. All ihre Platten besitzen einen durchgängigen, wiederkehrenden Stil, der dem Hörer Verlässlichkeit bietet, ohne ihn mit Selbstplagiaten zu langweilen. Mittlerweile färbt ihr Einfluss auf zig andere deutschsprachige Punkbands ab. So wie sie selbst früher mit anderen Bands verglichen wurden, zieht man sie heute als stilbildende Referenz heran: das gelingt nicht vielen Bands! 2000 das erste Tape in 500er Auflage rausgehauen, darüber Kontakt zu Jürgen Schattner von Rookie Records bekommen, der sich nicht nur um einen geeigneten Vertrieb kümmerte, sondern auch Olaf Evers von Schiffen Records mit ins Boot holte. 2001 erscheint „Flamingo“ also bei dem Label, welches bereits DACKELBLUT und ANGESCHISSEN im Programm hatte: nicht nur ein gefühlter Ritterschlag für die Musiker, sondern auch ein großer Schritt vorwärts in die Öffentlichkeit beziehungsweise Szene, die es erfreut zur Kenntnis nahm: endlich eine neue deutschsprachige Punkband mit intelligenten Texten, ohne platte Parolen, leere Floskeln und blödem Gehabe. Zwar mit klar erkennbaren Einflüssen, aber eigenständig genug, um Identifikation zu schaffen. Außerdem viel getourt, wie sich das gehört ... Das zweite Album „Schwan“ erscheint 2003. Zwischenzeitlich hatte sich Schiffen Records aus dem aktiven Labelgeschäft zurückgezogen. Ohne Label nahm man die Songs „Haubentaucherwelpen“ und „Pingpongpunk“ auf und tourte weiter fleißig durch die Lande, bis sich eine Liaison mit den befreundeten BEATSTEAKS ergab, welche in dem fulminanten „Frieda und die Bomben“ gipfelte. Endlich, nach vier Jahren und mit Hilfe dieser Berlin-Connection fanden TURBOSTAAT in Same Same But Different (Warner Music) den richtigen Partner zur richtigen Zeit und veröffentlichten 2007 das herausragende „Vormann Leiss“, welches erstmals mit Moses Schneider aufgenommen wurde und der Band großes Airplay beschert hat. 2010 veröffentlicht man „Das Island Manøver“ und legt der CD noch eine Bonus-DVD des bis dato größten TURBOSTAAT-Konzertes im Berliner SO36 bei. Es folgen Auftritte bei größeren Festivals, parallel dazu bespielt die Band weiterhin die kleinen Clubs und Läden der Republik und manifestiert ihren äußerst guten Ruf bezüglich der Intensität ihrer Konzerte.

Aktuell schreiben wir das Frühjahr 2013 und TURBOSTAAT veröffentlichen ihr fünftes Album. Wieder komplett live eingespielt und weitestgehend analog aufgenommen. Fünf Mann in einem Raum, bereit Neues zuzulassen, ohne das Alte zu verhindern. Natürlich hört man die Einflüsse – „Stadt der Angst“ ist voller Zitate, bewussten und unbewussten. Das fängt beim Coverartwork an und zieht sich durch alle 15 Songs, aber dazu mehr im Interview mit meinem gut gelaunten Interviewpartner Tobert.

Tobert, bei „Das Island Manøver“ hattet ihr euch mit einer Deadline absichtlich terminlich unter Druck gesetzt. Im Nachhinein hast du die Produktion dieser Platte als „Klotz“ und „Koloss“ beschrieben. Ist „Stadt der Angst“ dementsprechend ein Befreiungsschlag für euch?

Ja, insofern, als dass man begreift: man braucht keine Angst mehr vor Kolossen zu haben. Es ist wie bei David und Goliath: wenn du den Dicken einmal umgeknallt hast, schaffst du es auch immer wieder. Aber einfacher wird es wirklich nicht, überhaupt nicht. Gerade dieses ganze Selbermachen, in Form von D.I.Y. mit kleinem Label, bringt eine Menge Mehrarbeit mit sich.

Ihr benutzt mit „Stadt der Angst“ eine starke Metapher.

Ich weiß nicht, wie das bei den anderen ist, aber ich finde, dass Zustände wie Angst und Paranoia mitunter schwer zu begreifen sind und deswegen durch textliche Abstraktion etwas fassbarer werden. Eine Stadt der Angst sollte man jedenfalls meiden. Generell ist es aber natürlich auch einfach so, dass das Kind einen Namen braucht. Nach „Schwan“ hat man gemutmaßt, die nächste Platte würde „Reiher“ heißen, hahaha! Der Begriff „Stadt der Angst“ fiel einfach irgendwann bei den Proben und Moses meinte sofort: „Das ist ein krasser Titel!“ So einfach ist das.

Ihr veröffentlicht „Stadt der Angst“ als Doppel-LP: unterscheiden sich die Seiten konzeptuell?

Nein, inhaltlich dreht sich „Stadt der Angst“ um ein Thema. Außerdem ist die D-Seite als Bonus zu sehen. Regulär hat das Album nämlich zwölf Songs in der CD-Version beziehungsweise 15 Songs in der Amazon-Edition, aber 15 in der Vinylversion. Das heißt, du kaufst diese Doppel-LP, zweimal 180 g-Vinyl, mit einem 12“-Booklet und einem 7mm-Rücken und du hast für die mp3s keine Mehrkosten, weil die Platte als CD und die Bonustracks als Download-Code beiliegen. Das ist uns ein Anliegen, mit dem wir auch die tendenziellen CD-Käufer reizen wollen: kauft doch lieber Vinyl. Vinyl ist und bleibt das einzige relevante Format, um Musik zu veröffentlichen! Klar haben wir zum Beispiel bei der Erstellung der Tracklist auch die CD-Variante im Hinterkopf, aber diese Band besteht aus Vinylliebhabern: wir denken unsere Platten immer mit einer A- und einer B-Seite, wir denken immer in Schallplatten. Und dass es jetzt ein Doppelalbum geworden ist, hat einfach damit zu tun, dass wir mit zehn Liedern eigentlich schon am Limit des Pressbaren waren. Und sich dann ausgerechnet „Fresendelf“ oder einen anderen Song abzusparen, nur um Einzelvinyl veröffentlichen zu können, wollten wir uns vom Album nicht diktieren lassen. Dann machen wir lieber zwölf Stücke über drei Seiten und pressen auf die vierte Seite die Bonussongs, die sonst wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt hätten.

Das Coverartwork ist sehr reduziert, was im krassen Gegensatz zu den bisherigen Layouts und deinem doch recht hohen Kreativoutput steht. Du arbeitest ja nicht nur beim Artwork der Alben mit, sondern beteiligst dich auch bei den ganzen Designs für das Merchandise und so weiter.

Eigentlich reduziert dieses Design alles, was ich gut finde, auf die wichtigsten Bestandteile, nämlich die Lieder: ich finde Schrift beziehungsweise Typografie ungeheuer wichtig. Das analoge Fotografieren und Setzen dieser Buchstaben auf dem Cover hat Philipps Frau Julia Hoppen gemacht, die Fotografin ist. Wir kamen während der Mixingphase dazu, uns intensiver mit der Covergestaltung auseinander zu setzen. Ich hielt es für eine gute Idee, ein Artwork zu machen, das nicht so plakativ ist wie „Das Island Manøver“, sondern Fragen offen lässt. Außerdem passiert in dem Textheft grafisch eine Menge.

Ursprünglich wolltet ihr mit eurem Stammproduzenten Moses Schneider bei Clouds Hill nur aufnehmen, jetzt seid ihr dort unter Vertrag und veröffentlicht bei den Hamburgern Vinyl und CD.

Johann als Eigentümer und Pascal als Labelmanager von Clouds Hill sind gute Freunde von mir, die Liebhaber-Musik veröffentlichen und ein hervorragendes Studio mit altem Vintage-Equipment besitzen. Der Studioaufenthalt war ein lang gehegter Wunsch von mir. Primär ging es mir darum, meine alte Band einmal in Ruhe dabei betrachten zu können, wie sie etwas macht, das ihr gefällt. Ich kenne die Örtlichkeiten sehr gut, ich bin in diesem Studio schon oft gewesen und es gefällt mir da sehr, sehr gut. Außerdem waren wir – wie immer– ordentlich vorbereitet, alle Songs waren vor dem Studioaufenthalt fertig. Und es ging hier nicht um wirtschaftliche Hintergedanken, sondern einzig und allein um Musik. Außerdem ist Warner Music ja auch kein Punk-Label. Und es war mir dann auch egal beziehungsweise es war vollkommen zweitrangig, wie die sonstige Künstlerpalette von Clouds Hill aussieht. Wir waren einfach in der Situation, dass wir autark und ohne Management dasaßen und uns immer wieder fragten: „Warum machen wir es nicht einfach alles zusammen?“ Während der Aufnahmen dort fiel uns nämlich immer wieder auf: wir haben hier gerade eine super Zeit. Generell konnte man bei Moses und seinem Engineer Max – so wie bei allen anderen Anwesenden – permanent so eine Glückseligkeit in den Augen sehen: wir haben da gelebt, es war die totale Entspannung und man konnte sehen, wie es allen gut ging. Da kommt man dann auch in so einen Zustand, wo man sagt: „Manchmal sollte man nicht glauben, dass das alles so gehört.“ Also dachten wir uns: „Hey, da nebenan, dreißig Meter weiter im Büro sitzt ein Label, das Platten rausbringt. Fuck it! Wir gehen dahin! Wir machen das jetzt hier!“ Im Endeffekt ist es doch so: man nimmt eine Platte auf und muss zusehen, dass man das bezahlt bekommt, dass diese Platte aufgenommen wurde. Und man muss sehen, dass diese Platte irgendwie an den Mann gebracht wird. Das macht man mit einem Label. Da ist der kurze Weg, der sich angeboten hat, doch nachvollziehbar. Wir haben zwei Jahre an dieser Platte gearbeitet und während dieser Zeit hat kein Label ernstzunehmendes Interesse angemeldet. Klar fragen Warner Music, was wir so machen, aber bei einer Band wie TURBOSTAAT ist es auch klar, dass wir niemals soviel verkaufen können und auch nie so groß werden wie BILLY TALENT oder die BEATSTEAKS.

Die ganze Platte hat eine hohe atmosphärische Dichte und einen warmen Raumton. Gerade der fette Schlagzeugsound beim Opener „Eine Stadt gibt auf“ hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Genau deswegen hat Moses gesagt: „,Eine Stadt gibt auf‘ muss die erste Nummer auf der Platte sein“. Es freut mich tierisch, dass jemand wie du, der sich die Musik leidenschaftlich anhört und Bock drauf hat, das auch so empfindet. Du hattest mir ja schon im September gesagt, dass dir beim „Island Manøver“ die poppigen Elemente nicht so gut gefallen haben. Aber ich verstehe mittlerweile, was du meinst. Es gibt einfach unterschiedliche Arten, wie man so was verursachen kann: Variante 1 ist die artfremde, bei der man sich selbst komisch vorkommt und denkt: „Oh Mann, was machen wir denn hier?“ Oder Variante 2, wo man dem Song folgt und sich treiben lässt, dann vielleicht sogar dreistimmig, wenn es denn dann trotzdem voll auf die Fresse ist ... Also, mein jetziger Eindruck vom Album ist schon, dass da poppige Elemente drauf sind.

Ja, stimmt schon. Und ausgerechnet diese Melodien bleiben mir im Kopf. Auf einmal summe ich den Refrain von „Fresendelf“, wahrscheinlich weil die Nummer so eine enorme Tiefe entwickelt.

Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass dir ausgerechnet „Fresendelf“ so im Kopf hängen bleibt. Weil das ja eigentlich ein todtrauriges Lied ist ...

Und beileibe nicht so ein Punkrocker wie zum Beispiel „Psychoreal“, bei dem mir übrigens natürlich das „Youth of America“-Zitat von den WIPERS aufgefallen ist.

Das hast du gemerkt!?

Ihr habt noch mehr Zitate: THE CLASH, THE SMITHS ...

Was klingt denn da nach SMITHS?

Bei „Snervt“ die Gitarre, der Auftakt, das Schlagzeug!

Echt? Das findest du „smithig“, das ist ja interessant ...

„Psychoreal“ und „Sohnemann Zwei“ klingen experimenteller als alles, was ihr bisher gemacht habt.

„Psychoreal“ ist das letzte Lied, das wir für die Platte geschrieben haben. Marten und ich saßen im Proberaum in Schleswig, nachts, kurz vor Vollendung von allem, wir haben da gepennt und rumgehangen und dieses Songschreiben wirklich sehr intensiv erlebt. Mir ist zum Beispiel dieser lange Instrumentalpart bei „Psychoreal“ sehr, sehr wichtig, weil man da TURBOSTAAT bei etwas beobachten kann, das sie normalerweise nie tun, nämlich total aus dem Format rudern. Dass da einfach mal rumgekrautrockt wird und dass Noise gemacht wird. Und wenn Marten dann spontan „Youth of America“ von den WIPERS zitiert, dann ist das eben so. Ich finde es traumhaft, solche Zitate zu benutzen und eventuell Leute dazu zu inspirieren, mal wieder eine WIPERS-Platte aufzulegen.

Ihr habt ein paar Songs, bei denen ihr den Klang des Studioraums als Effekt benutzt habt.

Das Witzige ist, wir wollten in diesem tollen analogen Studio eine ganz räumliche Platte machen, aber Moses Schneider hat gesagt: „Ist ja super Jungs, aber ihr seid so laut, dass wir immer ein Slapback, quasi ein kurzes Echo, im Raum haben. Wir nehmen jetzt einfach noch lauter auf, so laut, dass wir den Slapback nicht mehr hören.“ Deswegen geht dann in den leisen Passagen der Raum auf und man hat den Eindruck, man wäre ganz nah dran, so wie bei „Sohnemann Zwei“. Wir haben da außerdem noch einen anderen entscheidenden Trick benutzt, aber den verrate ich nicht ...

Bei „Sohnemann Heinz“, das man ja schon von den letzten Konzerten und „ZDFneo-Paradise“ kannte, ist mir aufgefallen, dass ihr euch am Ende des Stückes um Peters Schlagzeug versammelt und die Schlussstrophe im Chor singt. Das kommt recht konspirativ und verschlossen rüber. Wollt ihr das genau so nach außen demonstrieren?

Klar, wir sind so eine typische Gang; das wird ja auch von außen so wahrgenommen. Wir fahren immer mit dem gleichen Merchandiser, immer mit dem gleichen Lichtmann, immer mit dem gleichen Soundmann, wir wechseln keine Bandmitglieder aus, wir sind halt das, was wir sind, und das schon ganz schön lange ...

Und ihr habt keine Roadies ...

Wir haben keine Roadies, stimmt. Obwohl, da kann ich dir nicht versprechen, dass sich das nicht irgendwann ändert, falls sich mal jemand von uns den Rücken kaputt haut oder so ... Jedenfalls: das Singen am Ende von „Sohnemann Heinz“ hat mit dem Text zu tun. Am Ende des Liedes heißt es: „Wir ziehen weiter als der Sieg, das ist keine Ende für den Krieg, das ist kein Ende ...“. Und das eigentliche Ende des thematischen Fadens dieses Albums findet man dann in „Sohnemann Zwei“, nämlich: „Der Krieg ist nie vorbei!“

Jans Stimme setzt sich ultraklar durch und wird zusätzlich gelegentlich mit Filtereffekten verziert. Habt ihr wieder alles live eingespielt?

Ja, wir haben alles live mit Gesang aufgenommen, nachträglich aber zum Beispiel noch Backing-Spuren eingesungen. Für den Gesangssound hat Jan ein altes RCA-Radiomikrofon aus den Fünfzigern benutzt und bei ein paar Gesangsstellen auf dem Album haben wir Entenmikrofone als Effekt benutzt.

„Tut es doch weh“ ist ein klassischer Mutmachersong, der davon handelt, sich von Existenzängsten freizumachen, was übrigens eins zu eins auf meine aktuelle berufliche Situation passt. Klasse Nummer!

Auf unsere berufliche Situation passt das auch eins zu eins – schon immer! Die Platte war aufgenommen und wir wussten immer noch nicht, wo die rauskommt. Das war alles nicht so easy diesmal und keiner konnte sich entspannt zurücklehnen. In dem Song geht es um ein Kernthema, nämlich um uns.

Einige Songs handeln von Altern, Krankheit und Abschied. Ein Thema, das uns früher oder später alle betrifft. Ich meine „Alles bleibt konfus“ und „Fresendelf“.

Wie ich dir hier so gemütlich zuhöre, wird mir bewusst, dass die Vermutung, die ich die ganze Zeit bezüglich des Albums habe – und du bist der Erste mit dem ich darüber rede –, wahr ist, dass es nämlich relativ klar in den Liedern unsere Intentionen transportiert, was mich gerade ziemlich beeindruckt, weil ich bisher das Gefühl hatte, dass die Texte sehr oft schon sehr verschlüsselt waren. Aber dieses Mal geht’s nicht um einfache Dinge, sondern um klare Sachen ...

Haha, sehr witzig! Das mit der Verschlüsselung ist doch eure ureigene Kryptik, wer soll das denn wissen? Dass „Harm Rochel“ der Name von einem Arbeitskollegen deines Opas war, habe ich im Ox-Archiv gelesen, wie sollte man da auch sonst drauf kommen?

Ich meine das Inhaltliche in den Texten. Man kann in Texten ja Gefühle sehr direkt transportieren, ob nun A.C.A.B. oder was anderes. Und ich hab einfach das Gefühl, dass Marten zu einer klareren Sprache gekommen ist. Auch wenn ich zum Beispiel bei „In Dunkelhaft“ den Eindruck habe, dass der Text und die Stilistik sich auch gut auf Alben wie „Flamingo“ oder „Schwan“ integrieren ließe. Ein Gegensatz quasi, sozusagen ein Marten-Oldschool-Text, der dann natürlich irgendwie auch wieder verschlüsselt ist.

Wie werdet ihr das Ganze live umsetzen? Spielt ihr die ganze Platte beziehungsweise wird es reine „Stadt der Angst“-Auftritte geben?

Oh, das ist schwierig ... Am liebsten würde ich alle neuen Lieder spielen, aber es wird wohl eine Mischung aus alten und neuen, weil die Platte ja gerade erst veröffentlicht wird und keiner im Publikum die Lieder kennt. Allerdings erwischt du mich zu einem Zeitpunkt, wo ich darüber noch nicht groß nachgedacht habe, mir sind beide Ansätze allerdings vertraut. Ich bin großer Fan davon, wenn beispielsweise DINOSAUR JR. auf Tour gehen und nur die „Bug“-Platte spielen. Ich finde so was großartig. Uns macht insgesamt unsere Unterschiedlichkeit aus und wir befinden uns in einer wahnsinnig verrückten Situation: vier Alben waren schon viel, fünf Alben sind jetzt mal richtig viel für uns. Und ganz ehrlich: die Aussicht, zum Beispiel „Fraukes Ende“ deswegen nicht live zu spielen, ist genauso wenig verlockend wie zweieinhalbstündige Konzerte.