A Dutch Network of Friends

Foto

Hardcore-Punk in Holland in den Achtzigern - Teil 1

Ende 2011 erschien „Network of Friends“, ein Buch über die europäische Hardcore-Punk-Szene der Achtziger Jahre. Einen großen Teil der Interviews und Zitate nahmen dort Bands aus den Niederlanden ein, da ich den geografischen Vorteil eines Wohnorts an der deutsch-niederländischen Grenze habe. Dies erlaubte mir, während der Achtziger eine Vielzahl an Konzerten in Venlo, Nijmegen, Arnheim, Hengelo, Winterswijk, Groningen, Amsterdam und Utrecht zu besuchen. Ich fahre bis heute immer noch regelmäßig und gerne nach Holland, um dort gute Punk-Shows zu sehen. In den vergangenen drei Jahrzehnten habe ich eine Menge Freundschaften dort geschlossen und die Bands aus unserem Nachbarland recht gut kennenlernen können. Für mein Buch interviewte ich eine ganze Reihe von Bands aus Holland, wobei die Auswahl subjektiv erfolgte und ich aus Platzgründen nicht auf alle erwähnenswerten holländischen Bands eingehen konnte. Dies soll dieser Artikel nachholen, der ursprünglich Ende 2012 auf Englisch in Ausgabe #30 des Artcore-Fanzines erschienen ist. (Helge Schreiber)

LÄRM

LÄRM hatten als Band irgendetwas für jeden im Publikum: ernsthafte linke politische Texte, eine starke Straight-Edge-Philosophie, eine offenherzige, humorvolle Einstellung und – vielleicht am wichtigsten – mitreißende Musik in einer bis dato zuvor noch nie gehörten irrwitzigen Geschwindigkeit. Sie spielten einen extrem „krachigen“ Stil: kurz, schnell und disharmonisch. Faktisch waren sie der verkörperte Lärm.


Aber zurück zu den Anfängen, die bis in das Jahr 1979 zurückgehen, als Paul und Olav durch die Straßen von Amersfoort zogen und die Namen ihrer Lieblings-Punkbands und den Bandnamen PUNX 79 als Graffiti überall an die Wände sprühten. Und eines Tages entdeckten sie folgendes Graffiti: „Achterveld Punx greets PUNX 79“. Bis dahin hatten sie diese anderen Punks noch nicht getroffen, bis Paul im Frühjahr 1980 in einen Imbiss ging, um etwas zu essen. Dort sah er diesen jungen Typen mit Punk-Buttons auf seiner Jacke und nahm an, dass er einer der Achterveld-Punx sein könnte und sprach ihn an. Dieser Punk war Jos und einer von zwei Achterveld Punx, Alex war der andere. Und so gab es nun vier Punk-Teenager, die zu Freunden wurden, die zusammen Platten hörten und kauften und die auf Punk-Konzerte gingen.

Nachdem sie ein paar Punkbands aus Utrecht gesehen hatten, wie THE LULLABIES, BIZONKIDS beziehungsweise THE RONDOS aus Rotterdam, hatten sie die Idee, ihre eigene Band zu gründen. Das waren 1980 THE SEXTONS, die aber nur kurze Zeit bestanden. Nach nur einem Konzert und zwei Tapes wurde Alex wegen seines Drogenkonsums rausgeworfen. Paul, Olav und Jos gründeten danach zwei weitere kurzlebige Bands: THE DISTURBERS (1981 mit Dik) und TOTAL CHAOZ (1981/82 mit Berletta und Dorien). Wenn man so will, machten die drei bereits seit 1980 zusammen Krach, als sie dann ihren Bandnamen in LÄRM änderten. Das erste frühe LÄRM-Line-up war genau das gleiche wie das letzte von TOTAL CHAOZ: Dorien – Gesang, Olav – Schlagzeug, Jos – Bass/Gesang und Paul – Gitarre/Gesang. Als sie dann im Punkenstein-Squat in Hilversum spielten, lernten sie Menno kennen, der damals noch in der Punkband SURVIVAL SQUAD spielte. Er stieg bei LÄRM ein, als sie ihn später bei einem Konzert mit BLACK FLAG, MINUTEMEN und NIG-HEIST in Amsterdam trafen. Dorien verließ 1983 die Band nur ein paar Wochen, bevor sie die Split-LP mit STANX aufnehmen wollten. Dorien konnte nicht damit umgehen, live zu spielen, sie wurde vor Konzerten unheimlich nervös und glaubte, dieses Gefühl mit Alkohol vertreiben zu können. Das führte dazu, dass sie oft betrunken auftrat, was ihr und der Band mehr Schaden zugefügte, als dass es für sie gut gewesen wäre. Und so gab es von dieser Zeit an das klassische LÄRM-Line-up: Menno am Gesang, Olav am Schlagzeug, Jos am Bass und Paul an der Gitarre.

Ich fragte Paul nach den Inhalten der LÄRM-Songs. „Wir hatten keine wirklichen Ziele, als wir mit der Band anfingen. Wir schrieben damals Texte mit sozialen oder politischen Inhalten. Weil wir Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger in einer politisch hochexplosiven Zeit lebten, hatte das natürlich eine massive Auswirkung auf unsere damals jungen Leben. Es gab den Kalten Krieg und das Wettrüsten, den Kampf gegen die Apartheid, Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und das Aufkommen der Hausbesetzerbewegung, die Reagan/Thatcher-Ära, den Kampf gegen Faschisten, das Aufkommen der radikalen linken Organisationen und revolutionären Zellen wie die RAF, Roten Brigaden, Action Directe, die Proteste gegen die Atomenergie und so weiter. Neben der Band waren wir zu diesem Zeitpunkt auch noch in der linken politischen Bewegung aktiv. Die Band war für uns der Weg zu agitieren und Propaganda für die linken Ideale zu betreiben, ähnlich wie bei den alten Agitprop-Gruppen der Dreißiger Jahre oder den politischen Folk-Gruppen der Sechziger Jahre. Natürlich war die Band außerdem auch ein Ventil für unseren Zorn, unsere Wut und Frustration über das bestehende politische System. Straight Edge war für einige Bandmitglieder ein wichtiges Thema, obwohl wir uns nie als Straight-Edge-Band verstanden haben. Auch wenn wir nicht alle straight edge waren, konnten wir den Gedanken des Ganzen aber nachvollziehen, wir sahen viele Punks den Bach runtergehen, ziemlich viele sind aufgrund von Alkohol- und Drogenmissbrauch gestorben. Dies betraf auch zwei unserer früheren Bandmitglieder – Alex, den Bassisten der SEXTONS, und Berlette, die Sängerin von TOTAL CHAOZ. Beide waren voll auf harten Drogen und sind beide sehr übel geendet. Das hat uns sehr getroffen, und anstatt diesbezüglich auf einem Auge blind zu sein, haben wir Straight Edge als Aussage verwendet, dass man als Punk andere Optionen und Möglichkeiten hat.“

Mit der Veröffentlichung der „Campaign For Musical Destruction“-Split-LP mit THE STANX waren LÄRM international bekannt geworden. Wie hatte sich das damals auf die Band ausgewirkt? Paul: „Um ehrlich zu sein, haben wir uns damals nicht vorstellen können, dass sich jemand für uns interessiert. Erst später haben wir verstanden, dass diese Split-LP uns auf die internationale Landkarte gesetzt hat. Wir haben damals fast drei Jahre gebraucht, um die 1.000-Stück-Auflage zu verkaufen, was damals schon keine besonders große Anzahl von Platten war. Wobei man aber auch erwähnen muss, dass es damals eine große Tape-Trader Szene gab, denn ich bin mir fast sicher, dass diese Tape-Trader uns über den ganzen Planeten verteilt haben. Das hatte damals, so vermute ich, fast noch mehr positive Wirkung für uns gehabt als die Split-LP selbst. Eine effektive Auswirkung der Split-LP war zum Beispiel, dass wir erstmals Angebote bekamen, außerhalb von Holland zu spielen. In den frühen LÄRM-Tagen haben wir alle unsere Konzerte nur in Holland gespielt und sind oftmals mit dem Zug zu den Konzerten gefahren, weil keiner aus der Band einen Führerschein hatte. Als Angebote reinkamen, außerhalb von Holland zu spielen, haben wir bei unseren Freunden herum gefragt, wer einen Führerschein hat, so dass wir einen Van anmieteten, damit wir diese Konzerte spielen konnten. Generell denke ich, dass die meisten der LÄRM-Konzerte großen Spaß gebracht haben, denn wir haben gute Erinnerungen daran. Wir haben mehrere Touren gespielt, zuerst in Spanien und Italien, wobei wir aber nur die Konzerte in Spanien spielten, weil unser Van kaputt gegangen war. Wir haben damals in Italien niemanden gefunden, der uns den Van reparieren konnte, und wir hatten nur genügend Geld für ein paar Zugtickets, damit wir wieder nach Holland zurückkommen konnten. Wir waren auch noch in England, Deutschland und Österreich auf Tour. In Belgien haben wir auch viele Konzerte gespielt. Anfangs sind wir nicht oft getourt, was dem fehlenden Führerschein geschuldet war, daher unsere Abhängigkeit gegenüber Freunden mit Führerschein, die uns herumkutschierten. Aber nach und nach sind wir zu einer Band geworden, die ernsthaft auf Tour gegangen ist, wo wir mehr Konzerte nacheinander spielten. Dadurch haben wir auch viel mehr Post von Leuten aus der ganzen Welt erhalten. Alles noch zu Zeiten vor dem Internet, was bedeutet, dass wir recht viel Zeit in die Band investiert haben, wodurch die Band in unserem Leben immer wichtiger wurde. Effektiv hat die Band unser Leben verändert.“

Wichtig waren damals auch die autonomen und selbstverwalteten Konzertorte und Squats für LÄRM. Paul dazu: „Diese Räume waren sehr wichtig, weil Punk- und Hardcore-Bands ansonsten nur in sehr wenigen offiziellen Rock- oder Jugendclubs spielen konnten. Daher waren die autonomen, selbstverwalteten Clubs und Squats absolut essentiell, sowohl für uns als auch für die meisten anderen Punk- und Hardcore-Bands. In unserer Heimatstadt Amersfoort gab es keinen Ort, wo sich Punks treffen oder Bands spielen konnten, also sind wir selbst zu Squattern geworden. Mit einem Haufen befreundeter Punks und örtlichen Aktivisten haben wir mehrere Häuser besetzt und so eine Punk-Bar beziehungsweise einen Konzertort eingerichtet. Berühmt-berüchtigt war die Grachtkerk, eine alte Kirche im Zentrum von Amersfoort, ebenso Het Koetshuis, eine große Villa in einer wohlhabenden Gegend. In beiden Gebäuden haben wir unseren Punk-Treff t’Kippenhok betrieben, ein Punk- und Aktivisten-Treff mit Bar und Konzertraum. Wir haben dort jahrelang Konzerte veranstaltet, mit Bands wie LAITZ, BTD, B.G.K., RESISTANCE, SECOND SIBERIA, FUNERAL ORATION, GEPOPEL, SCA, WCF, PANDEMONIUM, LÄRM aus Holland und NEGAZIONE, KAAOS, TENSION, GOVERNMENT ISSUE und so weiter von außerhalb. Diese selbstverwalteten Konzertorte und Squats waren in diesen Jahren für die Bands unfassbar wichtig, ohne sie hätten Punk und Hardcore niemals so aufblühen können. Genauso wie wir in Holland unsere eigenen Häuser besetzten, besetzten Punks und Bands in ganz Europa ebenfalls Häuser. Und ehe man sich versah, gab es ein großes Netzwerk von autonomen, selbstverwalteten Häusern in ganz Europa. Mit LÄRM haben wir fast alle unsere Konzerte in solchen Konzertorten und vielleicht gerade mal zehn Konzerte in offiziellen Jugendzentren gespielt.“

Und nebenbei erwähnt, die Leute von LÄRM hatten in den Achtziger Jahren auch ihr eigenes Fanzine, das Alarm 84 hieß und in dem es zum Teil um linke Politik, aber auch um Punkrock ging. Später machten sie dann das Definite Choice-Fanzine, das europaweit in der Szene bekannt war.

LÄRM lösten sich 1988/89 auf. Mit dem Ende von LÄRM ging es nahtlos mit der Gründung von SEEIN RED weiter. LÄRM-Sänger Menno verließ die Band, weil er aufgrund seines Jurastudiums nach Amsterdam umgezogen war und ziemlich die Nase voll hatte von der Punk-Szene. Für ihn war es das Ende einer Ära. Der Rest von LÄRM wollte weiter Musik machen, aber ohne Menno wäre es nicht mehr LÄRM gewesen, so entschied die Band, sich in SEEIN RED umzubenennen, nicht ahnend, dass die Band bis 2012 bestehen würde. 2009 fingen LÄRM wieder an, hier und da einzelne Shows zu spielen. Ich hatte während dieser Zeit das Glück, LÄRM noch drei Mal live zu sehen, was wirklich verdammt geil war, aufgrund der absoluten Live Power, die LÄRM verbreiteten. Leider hat Bassist Jos seit 2011 ernsthafte Probleme mit seinem Gehör, eine Zeit lang drohte sogar der vollständige Hörverlust. Dies führte in der Folge dazu, dass sich sowohl SEEIN RED als auch LÄRM auflösten. Beide Bands spielten lediglich Anfang 2012 noch einmal ausverkaufte Abschiedskonzerte vor einem enthusiastischen Publikum im OCII-Club in Amsterdam.

Einige LÄRM-Platten sind heute noch erhältlich: Über Coalition Records sind immer noch alte Pressungen der „Extreme Noise“-CD von 1997/2005 im Umlauf, eine Diskografie mit allen Studioaufnahmen von LÄRM. Im Jahr 2007 hat Way Back When Records aus Holland zwei LÄRM-EPs („No One Can Be That Dumb“, „Nothing Is Hard“) wiederveröffentlicht, als auch eine LÄRM-LP, welche die Songs der Split-LP mit STANX auf einer Seite und den Studio-Songs der „Straight On View“-LP auf der anderen Seite beinhaltet. 2010 feierte WBW-Records den Umstand, daas Jos, Paul und Olav bereits seit dreißig Jahren zusammenspielen mit einer Jubiläums-LP, für die LÄRM 25 ihrer alten Klassiker neu aufnahmen. Zeitgleich mit dem Abschiedskonzert Anfang 2012 wurde auf Farewell Records die Diskografie-Doppel-LP „Complete Campaign“ veröffentlicht, die 71 Songs bei einer Spielzeit von 75 Minuten enthält.

B.G.K.

In der Historie der holländischen Hardcore-Punk-Bands sind B.G.K. wohl eine der bekanntesten Bands. Die Band wurde nach Balthasar Gerard benannt, welcher 1584 den König der Niederlanden ermordete. B.G.K. („Balthasar Gerards Kommando“) wurde 1981 von Mitgliedern der Amsterdamer Punkband THE NITWITZ gegründet, lediglich ohne deren Sänger Eric, der damals seine eigene Band, THE OUTRAGEOUS, gründete.


Tony Slug, ehemaliges Mitglied von NITWITZ als auch B.G.K., beschreibt es so: „Die Band startete 1978 als NITWITZ. Gegen 1981 hatte sich diese ganze Punk-Geschichte in einen dampfenden Haufen Kacke verwandelt. Überall lief dieses gewalttätige Oi!-Zeug, und die Musik war schrecklich, sehr langsam gespielt, und kam mit Texten wie ,Rasierklingen in der Nacht‘ daher. Eben diese typische Scheiß-Safari durchs britische Gangland. Wir waren der Meinung, dass das richtiger Mist war. Und das Publikum bestand zum größten Teil aus Sid-Vicious-Abziehbildern, die total betrunken herumtorkelten – es war schrecklich. Jeder schaute nur nach England und niemand nahm europäische Bands ernst, so dass wir uns doppelt beweisen mussten. Die Presse hat all das komplett ignoriert. Wir mochten keinen Oi!, ich hörte dagegen Bands wie die SAINTS, STOOGES, MC5 oder ein paar frühe englische Bands. 1981 bekam ich ein paar Tapes aus den USA von D.O.A., MDC oder BLACK FLAG in die Finger, und das hörte sich wie eine richtige Alternative zu dem englischen Müll an. Wir wollten dann noch schneller spielen, als wir es damals ohnehin schon taten. Ich würde unsere Musik beschreiben als irrsinnig schnell mit harten Gitarrenriffs und zum Teil naiven, aber aus tiefstem Herzen kommenden Texten, die für uns zu dieser Zeit eine wahre Gültigkeit hatten. Was unsere Band auszeichnete, war die Intensität und die Tatsache, dass wir unsere Instrumente ein bisschen besser beherrschten als die meisten unserer damaligen Mitstreiter. Ich konnte damals und kann auch heute eine Melodie oder ein Lied mit Pep schreiben.“

Die Band hatte während ihrer Existenz einen klaren linken Standpunkt, sowohl was die Punk-Szene betraf, wo sie D.I.Y.-Konzerte mit niedrigen Eintrittspreisen veranstalteten, als auch mit der Veröffentlichung von preislich erschwinglichen Platten auf ihrem eigenen Label Vögelspin Records. In Bezug auf ein weiter gefasstes politisches Spektrum spielten sie oft Benefizkonzerte für unterschiedliche Anlässe und engagierten sich unter anderem auch aktiv im Emma-Squat in Amsterdam. B.G.K. kooperierten mit amerikanischen Plattenlabels wie R Radical und Alternative Tentacles, sie halfen Bands aus den USA, in Holland auf Tour gehen zu können, und tourten selbst mehrere Male in den USA. Die erste B.G.K.-Tour absolvierten sie 1984, wobei sie mehrere große Konzerte vor tausenden von Leuten spielten. 1987 löste sich die Band letztendlich auf.

Nach dem Ende von B.G.K. gründete Bassist Tony die Punk’n’Roll-Band LOVESLUG, die mehrere Platten veröffentlichten. Von Epitaph dazu angestiftet, taten sich NITWITZ 1996 wieder zusammen. sie existierten bis 2007 und waren damals überraschenderweise vor allem in Spanien angesagt. B.G.K.-Sänger René war in den späten Achtzigern bereits nach Kalifornien ausgewandert und arbeitet als professioneller Hundetrainer. Schlagzeuger Wouter lebt seit einigen Jahren in Zürich, spielte unter anderem bei FLEISCH. Alternative Tentacles haben den kompletten Backkatalog von B.G.K. wiederveröffentlicht, auf Vinyl sowie auf CD.



DISGUST

DISGUST gründeten sich im März 1984 aus den Überresten von INCEST und kamen aus Venlo, einer Stadt direkt an der deutschen Grenze. Gitarrist Pieter und Schlagzeuger Martin gründeten DISGUST gemeinsam mit Maurice am Bass (ein Schulkumpel von Martin) und Johan am Gesang, der zuvor bereits bei PANDEMONIUM in deren Frühphase gesungen hatte.


Johan erinnert sich an die Zeit, als sie mit DISGUST anfingen: „Für uns war das damals definitiv ein politisches Statement gegen die Gesellschaft und gegen die Regierung. Wir hatten damals das Gefühl, dass Venlo bestimmt keine relaxte Gegend war. Venlo war damals eine der Städte neben Amsterdam, Rotterdam und Utrecht mit den meisten Underground-Bands in Holland. In Venlo gab es das berühmt-berüchtigte Punk-Squat ,VHC-Club‘, von wo aus viel Ärger mit den Behörden ausging. Punk war für uns damals eine Lebenseinstellung.“

Im Oktober 1984 veröffentlichten DIGUST mit „Brainwash“ ihr erstes Tape auf Limbabwe Productions, die auch alle Platten von PANDEMONIUM herausbrachten. Im Februar 1985 erschien via SFP-Tapes das zweite Tape „Trash Back“ und im September 1985 das Live-Tape „Screamings“, welches in Venlo aufgenommen worden war. Im November 1985 erschien dann die „The Last Blast“-7“ auf dem belgischen Plattenlabel Hageland Hardcore, die zum Beispiel auch die Platten von CAPITAL SCUM herausgebracht hatten. Auf den textlichen Inhalt angesprochen, antwortete Johan: „Wir lebten damals in der Zeit des Kalten Kriegs, in der ständig nur aufgerüstet wurde. Das hat uns eine Höllenangst bereitet, daher handelten unsere Texte von Krieg, Aggression und Waffen. Und wir wollten nicht einfach nur darüber singen, sondern den Menschen auch wirklich etwas zum Nachdenken mit auf den Weg geben. Wir wollten unsere Message nicht einfach rausschreien, sondern den Menschen eine ernsthafte Warnung geben und sie dazu stimulieren, für sich selbst zu denken und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“

Wie kam es zur Auflösung von DISGUST in den späten Achtziger Jahren? „Punk hatte sich in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr unsere war. Einige unserer Konzerte beziehungsweise die Konzerte in Venlo wurden von Skinheads aus unserer Gegend gestört. Für uns hat es damals effektiv so ausgesehen, dass die Leute, die zu Konzerten gingen, nur noch daran interessiert waren, zu saufen und sich vielleicht auch noch zu prügeln. Unsere Message als Band wurde nicht mehr gehört. Dazu kam auch noch, dass zwei von uns immer mehr bei GORE involviert waren, die eine der ersten Sludge-Metal-Bands weltweit waren. Sie wollten einfach eine andere Art von Musik machen. Letztendlich fehlte einfach die Power, mit DISGUST weiterzumachen. Die komplette Geschichte kannst du auf unserer Diskografie-LP ,The Last Blast‘ nachlesen. Was unsere damaligen Texte betrifft. will ich nicht sagen, dass wir immer im Recht waren, aber so haben wir damals gefühlt. Ich selbst habe dann mit Rowdy und Danny von PANDEMONIUM eine neue Band gegründet, NGGT, was ein holländisches Kürzel für „Nicht gut, Geld zurück“ ist. Musikalisch war das RUDIMENTARY PENI-mäßiger Punkrock.“

Was ist aus den Leuten von DISGUST geworden? Der erste Bassist Maurice arbeitet als Fahrlehrer, war verheiratet, geschieden und hat dann erneut geheiratet, er hat zwei Kinder. Pieter, der Gitarrist, lebt in Rotterdam und arbeitet als freischaffender Fotograf, keine Frau, keine Kinder. Martin, der Schlagzeuger, lebt in einem kleinen Ort namens Hegelsom in der Nähe von Venlo und ist ein Glasbläsermeister, hatte verschiedene Jobs, ist zur Zeit aber arbeitslos. Von Danny, dem zweiten Bassisten, wusste Sänger Johan nichts Genaues zu berichten. Das Letzte, was er von ihm gehört hatte, war, dass er in Amsterdam lebt und in einem Sex-Shop arbeitet. Sänger Johan ist, wie er sagt, glücklich verheiratet und hat zwei wunderbare Kinder. Er arbeitet als Geschäftsführer in einem Supermarkt und lebt immer noch in der Umgebung von Venlo. Keiner der DISGUST-Leute macht heute noch Musik.

DEADLOCK

Die Ursprünge der Amsterdamer Band DEADLOCK gehen bis in das Jahr 1979 zurück, als ein paar Kids ihre erste Band gründeten. Ähnlich wie bei vielen anderen Bands konnten sie damals noch nicht wirklich spielen und hatten auch nicht das Geld, um sich Equipment zu leisten, so dass sie einen Mülleimer zu einem Schlagzeug umfunktionierten und ihre alten Hardrock-LPs als Becken verwendeten.


In diesem frühen Stadium änderten sie alle zwei Monate ihren Bandnamen und spielten anfangs eher poppigen Punkrock, der stark von den ’77er Bands aus England beeinflusst war. Nach einer ganzen Reihe von Besetzungswechseln gründeten sich THE LAST FEW, die ein Demo veröffentlichten und drei Songs auf dem „Als je haar maar goed zit 2“-Sampler hatten. Ein paar weitere Umbesetzungen später erfolgte 1983 die Gründung von DEADLOCK.

Gitarrist Herry über die Anfänge der Band: „Kurz bevor wir unseren Namen von LAST FEW in DEADLOCK änderten, hatten wir uns einen Proberaum/Studio mit B.G.K., NOG WATT, NO PIGS und den FRITES MODERNES geteilt. Besonders Tony von B.G.K. verdanken wir viele unserer Kontakte nach Übersee. Wann immer eine amerikanische Band auf Tour war, ließ er eine Band aus dem Amsterdamer Umfeld als Support spielen. Er war da recht selbstlos und hat nicht nur an B.G.K. gedacht – sehr sozial. Hier kann man schon von Szene sprechen. Wir waren oft mit anderen Bands zusammen, wie zum Beispiel SCA.“

Darauf angesprochen, was Mitte der Achtziger Jahre alles in Amsterdam abging, antwortet Herry: „In Amsterdam gab es ein paar Squats und Clubs, wo wir abhängen konnten, wie das No Name, De Tighel, Oktopus, Akhnation und das Wijers. Aber da wir alle über die ganze Stadt verteilt waren, konnte man nicht von einer richtigen Szene sprechen. Erst später, als das Wijers geräumt wurde, haben wir ein neues Squat gefunden, das Emma. Von da an gab es schon eher etwas, was einer richtigen Szene entsprach. Leute aus ganz Holland und auch aus den angrenzenden Ländern kamen, um das Emma zu besuchen.“

DEADLOCK erschienen auf einer Reihe von Samplern und veröffentlichten ein komplettes Album mit dem Titel „Name The Beast“, das zu einem Klassiker des holländischen Hardcore-Punks der Achtziger wurde. Das Album enthielt nicht einfach nur Thrash- oder Hard-to-the-core Songs, sondern auch sehr versiert gespielte und vor allem gute Songs mit außergewöhnlichen Texten. Obwohl Gitarrist Herry der Meinung ist, dass das Album nicht gut gewesen sei: „Wir haben sehr schlecht gespielt, sehr schlecht aufgenommen und es noch schlechter abgemischt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich Abschlussprüfungen an der Schule. Ich fand es damals richtig schlimm, dass so viele Punkbands von Heavy-Metal-Bands beeinflusst waren und alle dieser einstigen Anti-Helden nun zu Rockstars wurden. Ich hatte genug von Punk und Hardcore, so ging mich das alles nichts mehr an. Im Februar 1986 lösten wir uns auf.“

Seine Eindrücke von der D.I.Y.-Ethik der europäischen Szene betreffend, sagt Herry: „Ich bin der Meinung, D.I.Y. war und ist einer der Hauptbestandteile von Punk. Auch wenn Punk für die meisten Leute nur laute Musik ist und im Hardcore nur die ersten vier Buchstaben Gültigkeit haben, war die ganze Sache für mich immer wichtig. Und D.I.Y. war ein Hauptmerkmal. In den frühen Achtziger Jahren war D.I.Y. in den Niederlanden sehr präsent. Die meisten Leute, die ich kannte, machten Musik, aber viele haben auch Fanzines gemacht, Konzerte organisiert oder hinter dem Tresen gearbeitet. Es wurden auch eine Reihe alternativer Läden gegründet, die bis heute existieren.“

Herry war während der vergangenen zwei Jahrzehnte mit seiner Band YAWP! sehr aktiv, die mehrere Alben unter anderem auf dem holländischen Label Kangaroo Records herausgebracht haben.