A Dutch Network of Friends

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Hardcore-Punk in Holland in den Achtzigern - Teil 2

Ende 2011 erschien „Network of Friends“, ein Buch über die europäische Hardcore-Punk-Szene der Achtziger Jahre. Einen großen Teil der Interviews und Zitate nahmen dort Bands aus den Niederlanden ein, da ich den geografischen Vorteil eines Wohnorts an der deutsch-niederländischen Grenze habe. Dies erlaubte mir, während der Achtziger eine Vielzahl an Konzerten in Venlo, Nijmegen, Arnheim, Hengelo, Winterswijk, Groningen, Amsterdam und Utrecht zu besuchen. Ich fahre bis heute immer noch regelmäßig und gerne nach Holland, um dort gute Punk-Shows zu sehen. In den vergangenen drei Jahrzehnten habe ich eine Menge Freundschaften dort geschlossen und die Bands aus unserem Nachbarland recht gut kennenlernen können. Für mein Buch interviewte ich eine ganze Reihe von Bands aus Holland, wobei die Auswahl subjektiv erfolgte und ich aus Platzgründen nicht auf alle erwähnenswerten holländischen Bands eingehen konnte. Dies soll dieser Artikel nachholen, der ursprünglich Ende 2012 auf Englisch in Ausgabe #30 des Artcore-Fanzines erschienen ist. (Helge Schreiber)

NEUROOT

NEUROOT waren und sind unter den holländischen Hardcore-Punkbands meine Lieblingsband. NEUROOT kamen aus Arnheim, das nah an der deutschen Grenze liegt. Die Mitglieder von NEUROOT waren sehr eng mit dem Goudvishal-Squat in Arnheim verbunden, das einer der besten Konzertorte für D.I.Y.-Punk-Shows in Holland war.


NEUROOT gehören zu den heftigsten Live-Bands, die ich je gesehen habe, waren bekannt für ihre gewalttätigen musikalischen Attacken. NEUROOT wurden 1981 von ein paar Kids in einem Vorort von Arnheim gegründet und veröffentlichten 1983 ihr erstes Demotape mit dem Titel „Macht kaputt“, das in Punk-Kreisen schnell die Runde machte. Die Leute von NEUROOT machten zu diesem Zeitpunkt auch noch das Shock-Fanzine und standen damals mit fast der gesamten Punk-Szene in Holland in Kontakt.

Die Konzerte in der Goudvishal wurden ab 1984 veranstaltet, da es damals nicht viele andere Läden in und um Arnheim herum gab, wo junge Punks spielen oder gar andere Bands hören konnten. So kam es dazu, dass die Leute von NEUROOT ein Konzert für ihre eigene Band organisierten und bei der Stadtverwaltung von Arnheim vorsprachen. Die bei diesem Auftritt entstandene Live-Aufnahme wurde sogar im holländischen Fernsehen gezeigt. Die Stadtverwaltung war aber nicht dazu bereit gewesen, ihnen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder gar einen Club oder Halle zur Verfügung zu stellen, wo regelmäßig Konzerte durchgeführt werden konnten. Letztendlich haben sie 1984 dann ein leerstehendes Warenhaus besetzt. Der harte Kern der Besetzer bestand aus rund zehn Leuten, wobei die Zahl derer, die an der Organisation der Konzerte in der Goudvishal beteiligt waren, sich auf rund vierzig Leute belief. Sie organisierten jedoch nicht nur Konzerte, das Squat wurde auch für politische Veranstaltungen genutzt, wie zum Beispiel die Organisation des Protestmarschs gegen das holländische Flüchtlingsgesetz, welches bis heute in derselben Form gültig und ein wichtiges Thema in der holländischen Gesellschaft ist. An die 2.000 Leute nahmen an dieser Demonstration teil, was damals ein großer Erfolg war. Circa jedes halbe Jahr wurde eine solche Veranstaltung durchgeführt. Unter den tourenden Bands war die Goudvishal recht bekannt und angesehen, wobei anzumerken ist, dass Touren damals bei weitem nicht so professionell gebucht wurden wie heutzutage. Marcel erwähnte hierbei, dass Bands wie TOXIC WASTE aus Belfast oder SCREAM aus den USA mehrere Tage gemeinsam mit den Bewohnern des Squats in Arnheim verbrachten. Eine Ausnahme waren allerdings immer wieder Bands aus den USA, wie zum Beispiel FANG, die überhaupt kein Interesse an einem Austausch mit den Punks vor Ort hatten. Die Leute von FANG waren nur daran interessiert, wo man Gras oder andere Drogen kaufen oder wo sie den nächsten Puff finden konnten. Die italienischen Bands, die auf Tour waren, haben ebenfalls kaum Kontakte geknüpft und sind oftmals sehr früh am nächsten Morgen nach dem Konzert weitergefahren.

Die meisten Punks außerhalb von Arnheim oder Holland stießen durch die 1985er 7“ „Might Is Right“ auf NEUROOT, die bis heute ein Klassiker des holländischen Punkrock ist. Diese 7“ enthält den Song „(Wir sind) Die Ratten vom Müll“, der komplett auf Deutsch gesungen wird. Die tiefe Stimme des Sängers Wouter hat gerade bei deutschen Punks Eindruck hinterlassen. Die „Might Is Right“-7“ erschien auf Smeul Records, welches von der Band für die Veröffentlichung der Single gegründet wurde. Letztendlich blieb diese 7“ aber die einzige Veröffentlichung auf Smeul Records – das nur als Info für unsere Plattensammler-Nerds, die vielleicht noch nach anderen Smeul-Releases Ausschau halten. Diese erste 7“ bescherte NEUROOT eine recht große Aufmerksamkeit, auch wenn der Bassist Marcel der Auffassung ist, dass sie nie eine in der Szene bekannte Band waren. In ihrem Umfeld waren meist die amerikanischen oder englischen Bands populär. Ähnlich sah es zu diesem Zeitpunkt aber überall in Festlandeuropa aus. Ungeachtet dessen haben NEUROOT häufig in Holland und auch einige Male in Deutschland live gespielt. In der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre tourten NEUROOT auch in England und Dänemark. Selbst eine Tour in den USA stand in Aussicht, da der amerikanische Zeichner Pushead (zugleich Sänger von SEPTIC DEATH beziehungsweise Betreiber von Pusmort Records) beabsichtigte, eine Split-LP von NEUROOT mit der kanadischen Band FRATRICIDE zu veröffentlichen. Pushead hatte ebenfalls Gefallen an den Songs der 7“ gefunden, woraufhin er den Plan fasste, die vier Songs der 7“ mit zwei weiteren Songs aus der gleichen Session auf einer Split-LP Seite zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung war für 1987 angekündigt und es wurden auch eine Handvoll Testpressungen an die Band versandt, aber letztendlich ist die LP nie erschienen. Ich sprach Marcel auf die Nicht-Veröffentlichung an, aber er kann bis heute keine Gründe dafür angeben, da Pushead auf mehrere Kontaktversuche nicht reagierte.

Zu diesem Zeitpunkt hatten NEUROOT bereits ihre erste komplette LP mit dem Titel „Plead Insanity“ aufgenommen, die eine Versinnbildlichung ihrer unglaublichen musikalischen Brutalität darstellte. Diese LP erschien 1987 auf dem belgischen Label Hageland Hardcore, das von Werner betrieben wurde, der in seiner Heimatstadt Scherpenheuvel in der Hageland-Region in Belgien Konzerte organisierte, unter anderem auch für NEUROOT. Werner zeigte Interesse daran, die NEUROOT-LP herauszubringen, da die Band selbst nicht über genügend finanzielle Mittel verfügte, um die LP auf dem eigenen Smeul-Label zu veröffentlichen. Ursprünglich war sogar geplant, die LP als eine Art Kooperation mit dem englischen Label In Your Face Records (betrieben von Kalv von HERESY) zu veröffentlichen, was letztendlich aber doch nicht verwirklicht wurde.

Diese Vinyl-Veröffentlichungen (7“ und LP) sind allesamt ausverkauft, da Werner seit dem Ende der 80er Jahre aus der Szene verschwunden ist und es bislang keine Wiederveröffentlichungen gab. Erst 2008 hat das holländische Label Coalition Records gemeinsam mit Prügelprinz Records aus Mannheim die Songs vom ersten Demo als „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ auf einer LP (keine CD!) wiederveröffentlicht. 2012 erschien dann auf dem amerikanischen Label Havoc Records ein 12“-Rerelease, auf dem die Songs von der 1985er 7“ enthalten waren, plus zwei zusätzlicher Bonus-Songs aus der gleichen Studiosession. In absehbarer Zeit soll auch noch die „Plead Insanity“-LP wiederveröffentlicht werden, allerdings mit einem anderen Coverartwork. Es soll der Originalentwurf verwendet werden, der ursprünglich für die englische Version auf In Your Face Records vorgesehen war.

Ende der 80er Jahre lösten sich NEUROOT aus verschiedenen Gründen auf, die allerdings eher persönlicher Natur waren und von den Bandmitgliedern nicht ausgesprochen werden. Was aus den NEUROOT-Leuten geworden ist, berichtet mir Marcel: „Unser Sänger Wouter arbeitet heute als Sozialarbeiter. Er ist in den letzten Jahren christlich geworden. Das war gut für ihn, denn er hatte schwere Probleme mit seiner Drogensucht. Der Glaube hat ihm geholfen, diese zu überwinden. Etje, unser Gitarrist, hat einen eigenen Laden für Bürobedarf. Er hat von seinem Vater den Familienbetrieb übernommen, als dieser gestorben war. Jetzt betreibt er den Laden zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester. Er spielt immer noch in Bands. Wir hatten ja mehrere Schlagzeuger, zu denen habe ich aber keinen Kontakt mehr. Ich spiele auch noch in einer Band, wir haben aber noch keinen Namen und suchen derzeit einen Sänger. Nach NEUROOT habe ich noch bei MOTHER mitgewirkt, die ausschließlich instrumental gespielt haben. Ich arbeite im Qualitätsmanagement eines Telekommunikationsbetriebs, bin dort im Kundenbereich tätig.“

Am 24.02.2013 spielten NEUROOT erstmalig wieder ein Konzert zusammen mit anderen holländischen Bands aus den 80er Jahren. Das Konzert fand im Amsterdamer Paradiso Club im Rahmen der Veröffentlichung des „Punk’s Not Deaf “-Doppel-LP Samplers statt, auf dem jede Menge Bands und Leute zu hören sind, die bereits in den 80er Jahren aktiv waren und es bis heute noch sind. Live spielten am 24.02.2013 neben NEUROOT auch THE VOPO’S, KECKS MODERN (aka FRITES MODERN), BOMBA ROJA, BEP, BACKBITER, BUITENGEBRUIK, KATIE KRUEL und DISTURBANCE.

Es gab während der Achtziger eine enge Verbindung zwischen NEUROOT und dem Goudvishal Squat in Arnheim mit den Leuten von PANDEMONIUM und den Squats in Venlo. Bassist und Sänger Peter von PANDEMONIUM beschrieb seinen ersten Kontakt mit NEUROOT in seinem Buch „Indigo Blue and Red Impact“ aus dem Jahr 2007. Hier ein Auszug:

Indigo Blue and Red Impact


„Police Provocation!“ schrie der Sänger von NEUROOT wie wild in das Mikrofon, als gerade eben zwei Bullen in den Konzertsaal hereinkamen und der Sänger von der Bühne herunter in Richtung der Bullen sprang. Das Publikum hatte die beiden Bullen noch nicht bemerkt, da jeder auf die Band fixiert war. Aber dann brach die Hölle los. Der Sänger hat einfach nicht weiter nachgedacht. Er war nur seinem Bauchgefühl gefolgt und hat sich auf die beiden Bullen geschmissen. Alle im Saal folgten ihm und drängten die beiden Bullen nach draußen vor den Laden.

Das Jugendzentrum Doornroosje in Nijmegen war zu diesem Zeitpunkt erst einige Tage besetzt gewesen, um ein Statement gegenüber der Stadtverwaltung abzugeben, wozu einige Bands eingeladen worden waren, unter anderem auch meine, PANDEMONIUM. Selbstverständlich hatten wir zugesagt zu spielen. NEUROOT waren die erste Band an dem Abend und es sah danach aus, als würde alles schnell vorbei sein. Die Bullen waren perfekt auf den Abend vorbereitet. Um die Ecke vom Club standen eine Reihe von Bullenwannen und warteten darauf, was passieren würde. Diese Wagen waren voll mit Bullen in kompletter Nahkampfausrüstung und sie hatten zusätzlich Hunde mitgebracht. Ich wunderte mich, wie es dazu kam, dass diese beiden Bullen dazu ausgewählt wurden, in das Squat hineinzugehen. Waren es Freiwillige? Sie müssen geahnt haben, welche Reaktion sie auslösen würden, es vielleicht sogar erhofft haben ... und genau so geschah es.

So war es kein Wunder, dass der Parkplatz vor dem Doornroosje überschwemmt war mit Bullen, Hunden und sich prügelnden Leuten. Und der einzige Weg heraus aus diesem Chaos war von den Bullenwannen versperrt. Ein Freund von mir wurde von einem Polizeihund in den Arm gebissen. Ich konnte gerade noch jemanden zurückziehen, der ebenfalls kurz davor war, gebissen zu werden. Ich sah das alles wie in einem Film und verstand einfach nicht, wie es zu dieser unkontrollierten Wut gekommen war, wo doch angesichts dieser wohlvorbereiteten Staatsmacht nichts anderes zu erwarten war als eine Niederlage unsererseits. Und was hätte man in dieser Situation machen können, wo ich dem Ganzen außer meinem T-Shirt und blanken Fäusten nichts entgegensetzen konnte? Wie sollte ich gegen trainierte Kampfhunde und Überfallkommandos ankämpfen? Ich habe es immer schon gehasst, unnötig Energie zu verschwenden. Wenn man etwas macht, muss man das effektiv und gut vorbereitet durchziehen, um etwas zu erreichen. Man muss sich auf die Gegebenheiten vorbereiten, aus Erfahrungen lernen und sich generell disziplinieren. Blitzartige Überfälle ... das war es, was ich bevorzugte. Wie auch immer, man bekämpfte das Gewaltmonopol des Staates. Abgesehen davon hatte die ganze Szenerie auch etwas mit den Problemen durch Alkohols und Drogen zu tun, die mehr Schaden anrichten, als die meisten Leute es sich vorstellen können. Wir wurden an diesem Tag ganz kalt erwischt von den Bullen. Niemand hatte so etwas erwartet.

Als sie die Situation unter Kontrolle hatten, nahmen sie einige von uns fest, andere ließen sie laufen. Einige entkamen auch, indem sie über einen Zaun auf der Rückseite des Squats geklettert waren. Das Haus wurde geräumt. Das Ende der Besetzung war gekommen. So standen wir am Ende der Nacht nun auf der Straße vor dem Squat, unsere Instrumenten und Boxen, die wir extra für dieses Konzert gemietet hatten, waren drinnen eingeschlossen. Wir wussten nicht, wohin wir sollten. Die Bullen wollten von unserer Geschichte erst nichts hören. Also war unser Soundmann Mat zurück zum Squat gegangen und unterhielt sich lange mit dem zuständigen Einsatzleiter. Wir anderen aus der Band kamen dann auch zurück zum Haus. So gut wie alle Punks waren in die Nacht verschwunden. Es hat dann echt noch ein paar Stunden gedauert, bis wir noch einmal hinein durften, um unsere Sachen zu holen. Alles war ruhig geblieben und wir luden unser Equipment in unseren Van und fuhren anschließend ins Krankenhaus, um den Hundebiss nähen und behandeln zu lassen. Einige gingen los, Kaffe trinken. Ich blieb im Van, um mich erst einmal auszuruhen und mich mit dem Fahrer über das zu unterhalten, was am Abend geschehen war. Die meisten Leute im Tourvan waren älter als ich, und so habe ich dem aufmerksam zugehört, was sie zu sagen hatten. Die anderen hatten sich schon mehrfach in derartigen Situationen befunden, die oftmals wesentlich mieser und weitaus gefährlicher gewesen waren. Es sollte mir helfen, künftig abgeklärter mit so etwas umzugehen.

So fuhren wir früh am Morgen nach Hause, nach einem Scheißabend und ohne Geld, um das gemietete Equipment zu bezahlen. Das mussten wir als Erstes zurückbringen, dann ging es nach Hause. Jeder im Van hat den Bullenterror gehasst. Aber der Anblick der fast leeren Straßen am frühen Morgen hat mich entschädigt, denn ich mochte diese Atmosphäre. Dies waren die Momente, speziell an den Wochenenden, wenn ich nach einem unserer Konzerte nach Hause kam und mit meinem Vater in der Küche Kaffee trank und Sandwiches aß. Manchmal musste ich auch sofort los zur Arbeit. Wir haben dabei nur wenige Worte gewechselt. Ich ging dann hoch in mein Zimmer, um in einen Tiefschlaf zu fallen, meist bis in den späten Nachmittag. Natürlich habe ich meiner Mutter nie erzählt, was auf den Konzerten geschehen ist. „Das war nur eine ganz normale Nacht mit meiner Band, Mutter. Das ist alles.“

PANDEMONIUM

An meinen ersten Kontakt zu PANDEMONIUM kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war im Februar 1984, als ich sie im Babylon Club in Hengelo das erste Mal live sah. CRUCIFIX aus Kalifornien waren die Headliner des Abends, „plus eine weitere Band“.


Damals wusste ich nicht, welche Band als Opener spielen würde. Aber die drei Leute, die dann auf der Bühne standen, haben mich regelrecht weggeblasen. Das lag vor allem daran, dass sie mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit spielten, die ich bis dahin noch nie zuvor gehört hatte. Sie waren definitiv viel schneller als CRUCIFIX. PANDEMONIUM erinnerten mich an diesem Abend stark an die frühen GANG GREEN. Diese Begegnung war der Anfang einer engen Freundschaft, die viele Jahre bestand. PANDEMONIUM stammten aus Venlo, das direkt an der deutsch-holländischen Grenze liegt, gerade mal fünfzig Kilometer entfernt vom westlichen Rand des Ruhrpotts. Die Leute von PANDEMONIUM waren auch noch maßgeblich am berühmt-berüchtigten VHC-Squat in der Martinusstraat beteiligt und später im OOC-Squat, das von vielen Punks aus Deutschland frequentiert wurde. Peter, Bassist und Sänger von PANDEMONIUM, spricht perfekt Deutsch, so ist es nicht verwunderlich, dass die Band auch einige deutsche Texte sang, wie „Wir fahren gegen Nazis“ oder „Schwarze Hand“, welches beides Anti-Nazi-Lieder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sind. Gerade diese Songs waren unter den deutschen Punks besonders beliebt.

Peter berichtete mir, dass sie sich bereits seit ihrer Kindheit von der Schule und vom Fußballspielen her kannten, weil sie alle in der gleichen Gegend wohnten. Mitte 1981 fingen Danny und Peter gemeinsam an, Musik zu machen. Dannys Bruder Rowdy kam kurz danach ebenfalls zur Band, da sie sonst niemanden fanden, der Schlagzeug spielen konnte. Der erste Proberaum befand sich im Keller des Limbabwe-Hauses, später wurde das Jugendzentrum in Venlo zu ihrem Proberaum als auch zum Treffpunkt. Mat Aerts wurde Ende 1982 zu einem offiziellen Bandmitglied ernannt, obwohl er kein Instrument spielte. Er betrieb das Limbabwe-Label und nahm erst ein paar Songs von PANDEMONIUM für einen Tape-Sampler auf und kurz darauf auch das erste Demo.

Mat fing dann an, die Konzerte für PANDEMONIUM zu buchen, und er war auch für die Aufnahmen zuständig. Nach einer Weile wurde Mat von allen Seiten als reguläres Bandmitglied angesehen. Nachdem PANDEMONIUM ein paar Monate hier und da in Holland gespielt hatten, nahmen sie das „De Pandemonium Affaire“-Tape auf, welches natürlich auf Limbabwe Records veröffentlicht wurde. Die Musik darauf war sehr rauh und beißend, wies einen starken skandinavischen Einfluss auf. Während der ersten Jahre ihres Punker-Daseins hatten die Leute von PANDEMONIUM 1980 unter anderem die UK SUBS in Holland live gesehen, so war diese Band anfangs sehr prägend für sie, nach 1982/83 wurde der Einfluss der amerikanischen Hardcore-Punkbands immer größer, vor allem in der kleinen Szene in Venlo. Peter erinnert sich daran, dass es vor allem an den anderen nationalen und internationalen Kontakten lag, dass sich dieser musikalische Einfluss während der frühen Achtziger so stark auf sie auswirkte. Er meint dazu lakonisch, dass sie zur rechten Zeit am rechten Ort mit den richtigen Leuten waren, was zu musikalischen Ergebnissen führte, die anders nicht zustande gekommen wären. So entstand eine gute lokale Punk-Szene, die auf einer gemeinsamen Einstellung der Beteiligten basierte und von der speziellen Dynamik der Leute angefacht wurde. Die Konzerte fanden hauptsächlich in den beiden Squats VHC und OOC statt und wurden so zum perfekten Ort für einen subkulturellen Austausch, da Leute aus ganz Europa sich dort trafen und teilweise auch für eine Weile lebten. Mit diesen wichtigen Squats im Rücken wurde Venlo zu einem Geburtsort für viele Bands, von denen eine ganze Reihe ihre Aufnahmen auf Limbabwe Records veröffentlichten. Die Bands haben damals nach etwas Neuem gesucht, nach etwas, was aber auch gar nichts mit dem Mainstream zu tun hatte.

Angesprochen auf die Texte, erzählte mir Peter, dass alle PANDEMONIUM-Songs von politischen Themen handelten, da die Weltpolitik als auch die Geschichte ihn seit seiner Kindheit stark interessierte. „Wenn man Fernsehen schaute, konnte man in den Nachrichten alles über die Kriege und Unruhen erfahren, die die menschliche Rasse angezettelt hatte und immer mehr Negatives hervorbrachten als Gutes. Die großen Problemstellungen der Geschichte als auch der Politik waren oftmals auch direkt mit dem Ausmaß von Krisen und deren Auswirkungen auf die betroffene Bevölkerung verbunden. Die Grundlage der Politik der herrschenden Klasse war und ist stets angefeuert von ihrer eigenen Egozentrik, Macht, Geld und Neid. Nichts hat sich verändert während der vergangenen Jahrhunderte. Viele Dinge sind noch viel schlechter geworden während der vergangenen drei Jahrzehnte, seit es PANDEMONIUM als Band nicht mehr gibt. Alles wird nur noch aus einem ökonomischen Blickwinkel gesehen und alles, was man macht, muss rentabel sein, wobei Ideen oder Absichten in keiner Weise mehr zählen. Es besteht auch weiterhin Grund genug, dass sich etwas ändern muss, immer und immer wieder, weil ein jeder lernen muss zu verstehen, dass die eigene Person immer in der ersten Reihe stehen muss.“

Nachdem PANDEMONIUM recht häufig in Holland und Deutschland spielten, erschienen sie mit einem Song auf der heute legendären „Als Je Haar Maar Goed Zit 2“ Sampler-LP auf Vögelspin Records. Anschließend erschien 1984 die erste „Who The Fuck Are You?“-7“, die in alle möglichen Länder verschickt wurde. Damals war das noch so etwas wie ein Abenteuer, denn im Punkrock gab es noch wenig Infrastruktur für den Vertrieb. Nach dem Erscheinen der „Wir fahren gegen Dreck“-LP im Jahr 1984 fand der Name PANDEMONIUM international immer mehr Verbreitung. Diese LP war bis zum Anschlag mit „Angst Driven Hardcore Punk“ angefüllt und galt damals als Meilenstein. Die Produktion und das Spielvermögen war besser, vor allem war die Band noch schneller geworden, was ihr die Gelegenheit verschaffte, in vielen Squats, Jugendzentren und anderen Läden zu spielen – in Holland, Deutschland, Belgien, Italien, Jugoslawien und Spanien, gemeinsam mit zahllosen anderen Bands.

Ende 1986 löste sich die Band auf. Es war hauptsächlich Peters Entscheidung, die Band zu verlassen, welche von Danny und Rowdy akzeptiert wurde. Sie hatten alles erreicht, wovon die einzelnen Bandmitglieder zuvor nur träumen konnten, doch sie waren an einem Punkt angekommen, wo sie es einfach satt hatten, das Gleiche immer und immer zu wiederholen. Es war an der Zeit, verschiedene Wege einzuschlagen. Peter ging für einige Zeit in den politischen Untergrund und hörte mit der Musik insgesamt auf. Gitarrist Danny fing an, Schlagzeug zu spielen, und gründete gemeinsam mit zwei Freunden die Band GORE, die einige Jahre aktiv war und unter anderem mit CASPAR BRÖTZMANN MASSAKER und später mit Dee Dee Ramone und seiner Band I.C.L.C. spielte. Danny ist seit vielen Jahren nicht mehr als Musiker aktiv. Rowdy hat nach dem Ende von PANDEMONIUM Schlagzeug bei NEGAZIONE gespielt, dann aber Ende der Achtziger ebenfalls aufgehört Musik zu machen. Der PANDEMONIUM-Soundmann Mat eröffnete sein eigenes Aufnahmestudio, buchte aber weiterhin Bands und war mit vielen auch auf Tour. Limbabwe Records starb Ende der 80er Jahre einen leisen Tod. Heute ist Mat ausschließlich hin und wieder als Tourmanager aktiv, da er sein Studio vor ein paar Jahren aufgegeben hat. Nach der Auflösung im Jahr 1986 spielten PANDEMONIUM 1987 noch einmal ein Reunion-Konzert, gemeinsam mit dem bekannten holländischen Saxophonisten Hans Dulfer, als Benefiz für das örtliche Jugendzentrum in Venlo. PANDEMONIUM hatten als Band mit ihrem hyperschnellen Hardcore Punk und den höchstpolitischen Texten einen großen Einfluss auf die europäische Punk-Szene, so dass sie auch 25 Jahre nach der Auflösung immer noch gehört werden. Peter schreibt seit vielen Jahren Gedichte und malt ziemlich gut, daher empfehlen ich, sich seinen Blog anzusehen. Über die Jahre haben sich dort eine ganze Reihe von Gedichten und autobiografische Kurzgeschichten angesammelt, die letztendlich zum Inhalt seines Buches „Indigo Blue and Red Impact“ wurden. obras-del-alma.com

FUNERAL ORATION

FUNERAL ORATION sind eine Band, die ich leider nur wenige Male live sehen konnte, deren Musik für mich aber während der Achtziger sehr prägend und wichtig war. Als eine der ersten Bands hatten sie ihrer Punkmusik eine recht große Portion Melodie hinzugefügt, was damals noch recht ungewöhnlich war.


FUNERAL ORATION waren zwischen 1983 und dem Ende der Neunziger aktiv und haben auf holländischen, deutschen, britischen und amerikanischen Labels eine ganze Reihe von Platten veröffentlicht, die wegweisend waren und andere Bands beeinflussten. FUNERAL ORATION hatten schon früh ihren eigenen Stil gefunden, so dass man sie aus vielen anderen Bands leicht heraushören konnte, vor allem dank der außergewöhnlichen Stimme des Sängers Peter Zirschky.

FUNERAL ORATION gründeten sich im Frühjahr 1983 als Nachfolgeband von Peters erster Band LAST WARNING. Nur wenige Monate später brachten sie bereits ihre erste Kassette mit dem Titel „There’s Nothing Left To Laugh About“ heraus. Sie enthielt zwölf Songs, die in der gesamten holländischen Punk-Szene schnell Bekanntheit erlangten. Anfang 1984 folgte recht schnell die zweite Kassette mit dem Titel „The Godsend“, auf der 16 Songs zu hören waren. Im Juli 1984 begaben sich FUNERAL ORATION das erste Mal in ein richtiges Studio und nahmen die besten Songs der beiden Tapes für die 12“ „Shadowland auf. Mit dieser Aufnahme kam ein zweiter Gitarrist zu Band hinzu, Tos Nieuwenhuizen, der zuvor bei der holländischen Band AGENT ORANGE gespielt hatte. Innerhalb weniger Monate fand diese 12“ unter den Punks auf dem europäischen Festland weite Verbreitung und bescherte der Band überragende Kritiken. Die erste komplette LP „Communion“ erschien im Jahr 1985 auf Die Hard Records und wurde im amerikanischen Flipside-Magazin im jährlichen Poll in der Rubrik „Bestes Punkrock-Album“ auf Platz drei gewählt. 1986 verließ Tos die Band wieder, daher spielte man nunmehr nur mit einer Gitarre. Im gleichen Jahr wurde ebenfalls der Drummer ausgewechselt, von da an spielte man aber bis in die späten Neunziger in einer festen Besetzung: Peter Zirschky am Gesang, Will Steinhäuser am Bass, Hayo Buunk an der Gitarre und Erik Jansen (der später noch bei YAWP! spielte) am Schlagzeug. Ende 1987 erschienen noch eine selbstbetitelte LP und zwei Singles mit den Titeln „Survial“ (1986) und „The More We Know“ (1989).

Es gab eine kurze Auszeit, bis sie 1993 wieder anfingen, neues Material zu veröffentlichen. Es folgte die erfolgreichste Zeit von FUNERAL ORATION, vor allem da mehrere Platten („Funeral Oration“ 1995, „Believer“ 1997 und „Survival“ 1998) auf dem amerikanischen Label Hopeless Records veröffentlicht wurden. Melodien und Produktion wurde immer besser. Mit der Unterstützung ihres amerikanischen Labels im Rücken tourten FUNERAL ORATION in den Jahren 1996 bis 1998 dreimal und wurden somit zu derjenigen holländischen Punkband in diesem Artikel, die am längsten existierte. Ende der Neunziger lösten sich FUNERAL ORATION auf und die Bandmitglieder gingen ihrer eigenen Wege.

Viele alte Bands haben sich während der vergangenen Jahre wieder zu einmaligen Konzerten zusammengefunden, aber von FUNERAL ORATION wird es leider eine solche Reunion nie geben. 2004 starb Sänger Peter Zirschky und 2008 Drummer Erik Jansen, beide aufgrund von tragischen Unglücksfällen. Bassist Will Steinhäuser besitzt einen eigenen LKW und arbeitet im Transportwesen.

INDIREKT

INDIREKT gründeten sich offiziell im August 1982 in der alten Hafenstadt Hoorn am Ijsselmeer mit Rick, Jeroen und Ruud als auch Jeroens Schwester Marjolein als erster INDIREKT-Sängerin. Der Name INDIREKT wurde gewählt, weil die Musik und die Texte eine indirekte Form von Aktion sein sollte. Doch gerade die ersten INDIREKT-Texte waren sehr direkt. Die korrekte holländische Schreibweise des Wortes wäre „indirect“, aber zur damaligen Zeit verwendete man in der alternativen holländischen Szene anstelle eines „c“ gerne ein „k“ oder „ks“ anstelle von „x“, zum Beispiel „Kompleks“ anstelle von „Complex“.


Ruud erzählt, dass Punk ihr Weg gewesen sei, wie sie ihre Ideen und ihre Meinung über die Welt ausdrücken konnten, sowohl im Kleinen als auch im Großen. Und es ging vor allem um eine alternative Möglichkeit, sein Leben selbst zu gestalten. Ruud: „Man konnte seine eigene Band, Plattenlabel oder Touren organisieren und es war einfach, Leute zu finden, die dir dabei geholfen haben. Auch wenn du kein Instrument spielen konntest, konntest du eine Band gründen. Hoorn war eine ziemlich ruhige Stadt, die ein paar gute politische Statements vertragen konnte.“

Auf die holländische Punk-Szene angesprochen, sagt er: „Es gab damals Party-Punkbands und solche, die alles viel ernster nahmen. Und ich zähle INDIREKT zu den ernsthaften Bands, auch wenn wir gerne zusammen gelacht und getrunken haben. Unter den Partybands gab es freundliche und lustige Trinker, wie zum Beispiel DE BOEGIES aus Groningen. Aber die ernsthaften Bands waren die von der eher hilfreichen Sorte, wie THE EX oder LÄRM. Und dann gab es noch die Bands aus den drei großen holländischen Städten, die dachten, dass sie cool sind, und auf andere Bands aus kleineren Städten herabschauten. Die können mir gestohlen bleiben. Die wissen schon selbst, wen ich meine.“

Zwischen 1982 und 1986 spielten INDIREKT um die 120 Konzerte. Sie waren auf Tour in Deutschland, Spanien, Baskenland, Dänemark und es gab viele Shows in Belgien. Zwischen 1982 und 1987 veröffentlichten INDIREKT fünf Schallplatten und ein Tape. Auf das „Groeten uit Hoorn“-Tape folgten die „Nieuws voor Doven en Slechthorenden“-7“, die „Op Oorlogspad“-LP und die „Present History“-Split-Doppel-LP mit THE VERNON WALTERS. 1986 erschien die „Nacht und Nebel“-7“, wobei sich der Titel auf einen Befehl von Adolf Hitler vom 7.12.1941 bezog. Anstelle des erfolglosen Vorgehens, nach Untergrundaktivitäten Geiseln zu nehmen, wurde mit diesem „Nacht und Nebel“-Erlass die Praxis eingeführt, während der Nachtzeit Menschen vornehmlich in Frankreich, Holland und Belgien festzunehmen, die dann oftmals gefoltert, zum Tode verurteilt oder in die holländischen Konzentrationslager in Natzweiler oder Gross-Rosen deportiert wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Vorgehensweise auch bei anderen Diktatoren populär. Der Song „Nacht und Nebel“ behandelt dieses Thema und dreht sich vor allem um die Hoffnung und die Angst.

Ich fragte Ruud nach dem Grund, warum die Band sich Ende 1986 auflöste: „Das hing damit zusammen, dass wir unterschiedliche Interessen entwickelt hatten. Einige von uns wollten noch mehr Konzerte, die anderen wollten weniger spielen. Rückblickend würde ich auch sagen, dass uns die musikalische Inspiration ausgegangen war, aber da mögen die anderen aus der Band vielleicht anders darüber denken“.

Nach der Auflösung von INDIREKT 1986 gab es zwei Reunion-Konzerte. Einmal spielten sie 1992 in Belgien und 2003 zu Ehren Hans Engels von den VERNON WALTERS, der auf einer spanischen Insel erschossen wurde.

Sängerin Anneke hat ihre normale Arbeit aufgegeben und organisiert ein paar Mal im Jahr Rockabilly-Konzerte. Jeroen arbeitet als Programmierer und Rick betreibt eine Werbeagentur und arbeitet dazu noch als freier Journalist. Er hat als Co-Autor ein Buch über den holländischen Strafvollzug mit dem Titel „Onder Dwang“ (Unter Zwang) geschrieben und arbeitet derzeit an einem neuem Buch über die Ernährung während des Ersten Weltkriegs. Ko (Marcel) ist immer noch Tontechniker und betreibt mit jemand anderem zusammen eine Firma für Schallmessungen. Ruud arbeitet als Projektmanager bei einer Zugfirma und studiert Spanisch.

Rick und Ruud sind die einzigen Leute von INDIREKT, die heute noch aktiv Musik machen. Rick spielt bei STACKBABBER und Ruud bei STAGGER 3, wobei STAGGER 3 derzeit eine Ruhephase eingelegt haben. Ruud hat während der vergangenen Jahre ein paar Platten produziert, von seiner eigenen Band wie auch einige andere, beispielsweise von der Ska-Band THE BOUNCERS. 2009 erschien auf dem kalifornischen Label Grand Theft Audio Records eine INDIREKT-Diskografie-Doppel-CD. Darauf befinden sich alle Songs, die INDIREKT jemals im Studio aufgenommen haben.