BRIDGES LEFT BURNING

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CSU, Weißwurst und guter Hardcore

In der heutigen Zeit, in der man über Social Networks und Messageboards binnen kürzester Zeit mit allen möglichen Infos zu Punk und Hardcore gefüttert wird und sich per Mausklick zusammenschließen kann, mag folgendes etwas banal klingen. Denn wer Anfang 2000 in der öden niederbayerischen Provinz auf der Suche nach alternativen Inhalten und Musik war, musste noch einen real vorhandenen Ort finden, an dem er Gleichgesinnte traf und wo ältere Leute aktiv waren, um Konzerte zu organisieren und Partys zu schmeißen. Für mich war das die „Alte Linde“ in Straubing, die jedoch schon 2003 der Gentrifizierung zum Opfer fiel.

In jenem Jahr sah ich aber auch mein erstes Konzert im Jugendcafé Zwiesel, tief im Bayerischen Wald, der noch viel stärker abgeschottet wirkte als meine Heimatstadt, wo aber offensichtlich einiges los war. Damals schon begeisterte mich, wie viele Bands dort bereits zu Gast waren: von großartigen Combos wie MILEMARKER, SERPICO oder THE ROBOCOP KRAUS, die jetzt kaum mehr ein Mensch kennt, bis hin zu bekannten Bands wie DIE KASSIERER, TOMTE oder JIMMY EAT WORLD. Dem Jugendcafé selbst entsprangen überregional bekannte Bands wie STATIC84, DRIVING THE SALT oder BRIDGES LEFT BURNING. Mitglieder der letztgenannten Hardcore-Formation sind aktiv im Jugendcafé Zwiesel, das für die Region im Bayerischen Wald in Sachen Subkultur seit gut dreißig Jahren unabdingbar ist und seit einiger Zeit von der Schließung bedroht wird. Daher habe ich Benedikt, Bassist der Band, die ihre neue LP „Bystanders“ diesen Sommer auf Assault Records veröffentlichen, einige Fragen zum Jugendcafé und seiner Band gestellt.


Schildere bitte mal, warum das Jugendcafé Zwiesel von seinem ursprünglichen Standort vertrieben werden soll.

Das JuCa Zwiesel wurde vor rund dreißig Jahren von ein paar Jugendlichen aus einem baufälligen, alten Stallgebäude in Eigenleistung errichtet und entwickelte sich dort zum Mittelpunkt der alternativen Musikszene und Subkultur. Dreißig Jahre später ist nun die Caritas, auf deren Grund das JuCa-Gebäude steht, pleite gegangen, und es gab einige Komplikationen, die dazu führten, dass eine Pflegeeinrichtung direkt neben das JuCa-Gebäude gebaut werden sollte, was eine Koexistenz unmöglich machte. So stand das JuCa kurz vor dem Aus. Als ein getrennter Kauf mittels Investor plötzlich möglich wurde, sammelten Jugendliche und der Förderverein Geld und beschlossen den Ankauf des einen Gebäudes. Als das Geld tatsächlich da war, gab es wieder Probleme, da der Grund der Kirche gehört und nicht verkauft werden darf, und, um es kurz zu machen, stellten sich Kirche und Stadt noch ein paarmal quer, bevor es letztendlich nun doch danach aussieht, dass das Jugendcafé zu 99% gerettet ist. Obwohl die Stadt Zwiesel letztlich nur sehr niedrige Zuschüsse genehmigte, ist jetzt doch alles mit allen Beteiligten geklärt und das JuCa kann gekauft und weitergeführt werden – sofern der finale Notar-Termin endlich zustande kommt. Alle Beteiligten sind froh, dass das Ganze geklärt und das Fortbestehen so gut wie gesichert ist.

Es gab ja eine Menge Aktionen für das JuCa. Welche Bands und Personen haben sich für euch eingesetzt?

Die größte Aktion war das Benefiz-Konzert von BOYSETSFIRE, das von Oise Ronsberger in die Wege geleitet und von Benedikt, uns und den anderen JuCa-Stammgästen veranstaltet wurde. Dadurch nahm der Förderverein des JuCas circa 7.000 Euro ein. Greg Bennick von TRIAL, Casey Lewis von THE EVIDENCE, Steve Rawles von THIS IS A STANDOFF und einige mehr haben Briefe und Mails an die Stadträte geschickt, in denen sie erklären, wie sie das JuCa und die Leute dort erlebt haben und warum dieser Ort essentiell für die Jugend in der Region ist. Dann gab es ein Support-Video, in dem sich beispielsweise Jon Snodgrass, Leute von BOYSETSFIRE, TOMTE und andere namhafte Bands solidarisch gezeigt und versucht haben, Werbung für den Erhalt des JuCas zu machen. Nennenswert sind aber auch die unerwarteten und kreativen Aktionen. Zum Beispiel wurden zwei Fahrräder restauriert und dann versteigert, oder Mützen gehäkelt und verkauft. Es brachten sich unterschiedliche Leute mit ein und alle versuchten, in ihrem Metier das Projekt zu unterstützen. Lokale Radio- und TV-Sender wurden auf die Sache aufmerksam – das Engagement und die Unterstützung von überall her war überwältigend.

Inwieweit seid ihr auch in Diskussionen mit Politikern der Stadt involviert? Ich kann mir vorstellen, dass man auch gerne mal für sein Engagement und seinen Eifer belächelt wird. Wie steuert man da entgegen?

Wir waren in den öffentlichen Stadtratssitzungen und die Stadträte sowie der Bürgermeister hatten auch einen „Besichtigungstermin“ im JuCa, wo wir dabei waren. Dabei hört man Meinungsäußerungen, die man vielleicht gar nicht hören will. Allgemein verbinden im Zwieseler Stadtrat die meisten das Klischee des tätowierten, asozialen Drogensüchtigen mit dem JuCa – was natürlich Blödsinn ist. Gegensteuern ist relativ schwierig, da die festgefahrenen Ansichten nur schwer geändert werden können. Allerdings würde ein genauerer Blick und mehr Interesse für die Jugendlichen zeigen, dass die 15- bis dreißigjährigen Stammgäste keine asozialen Taugenichtse sind, sondern Abiturienten und Studenten, angehende Ärzte, Sozialarbeiter, Erzieher – also die Zukunft der aussterbenden Region, aus der wir kommen. Die Besucher des JuCa sind diejenigen, die den Stadträten im Altersheim später die Windeln wechseln werden, und das haben die meisten von ihnen noch nicht verstanden, haha.

Viele Leute, die aus größeren Städten kommen, können wahrscheinlich gar nicht so recht nachvollziehen, dass eine einzelne Einrichtung so immens wichtig sein kann.

Das stimmt sicher. In München oder anderen Großstädten gibt es genügend Clubs, um den Verlust eines einzigen zu verschmerzen. In unserer Region gibt es das JuCa und das war’s. Klar kann man sich die Sporthalle für größere Veranstaltungen und Konzerte mieten, aber einen Treffpunkt für Jugendliche, in dem auch Kultur, Diskussionen und eine Alternative zum allfreitäglichen Absturz in der Disko geboten werden, gibt es nicht. Wir selbst wären ohne das JuCa niemals so tief in die Hardcore-Szene hineingewachsen, haben hier unsere ersten Konzerte besucht und gespielt, von Älteren gelernt, wie man sich auf Konzerten verhält, wie man welche veranstaltet und worum es im Punk/Hardcore gehen soll. Wie viel Seele der Ort hat, merkt man spätestens, wenn man einen Blick an die Decke wirft, an der Plakate und Flyer aus fast dreißig Jahren hängen. Da findet man alle lokalen Bands, die es im Bayerischen Wald und Umgebung je gab, aber auch internationale Bands, von JIMMY EAT WORLD, die irgendwann in den Neunzigern bei uns waren, bis hin zu H2O, DEATH BY STEREO, DIE KASSIERER, STRIKE ANYWHERE, A WILHELM SCREAM, THE CASTING OUT, TRIAL und vielen mehr, die in den letzten fünf Jahren hier gespielt haben.

Sprechen wir über deine Band. Nachdem ihr mit BRIDGES LEFT BURNING bisher auf Benedikts Label veröffentlicht habt, kommt die neue LP „Bystanders“ über Assault Records. War es eine schwierige Entscheidung, diese Arbeit an ein anderes Label abzugeben?

Die CD von „Bystanders“ erscheint weiterhin auf Benedikts Down The Drain Records, die LP auf Assault. Wir geben also nicht alles komplett aus der Hand. Die Gründe, warum wir uns für ein anderes Label entschieden haben, sind einerseits, dass wir jemanden brauchten, der uns finanziell und zeitlich entlastet, damit wir mehr in die Band und Benedikt mehr in sein Studio und die Arbeit mit anderen Bands auf seinem Label stecken kann. Andererseits ist es eine einfache Möglichkeit, neue Leute zu erreichen. Über die Kontaktaufnahme gibt es nichts Spannendes zu berichten. Wir haben Promopakete geschnürt, an ein paar Labels verschickt und anschließend ein paar Antworten erhalten. Auf den zweiten Blick war Jan von Assault aber der Einzige, mit dem wir uns sofort eine Zusammenarbeit vorstellen konnten, weil er unsere Einstellung versteht und unterstützt. Das ist uns letztendlich um einiges wichtiger als ein großes Werbebudget.

„Since I got my eyes opened by the sound of change ...“ heißt es in einem eurer Songs und damit spielt ihr wohl auf STRIKE ANYWHERE an. Welche Bands waren für euch noch wichtig?

Die Passage bezieht sich nicht ausschließlich auf STRIKE ANYWHERE, aber die Herrschaften haben die Idee, dass Punkrock etwas bewegen kann, mit „Change Is A Sound“ sehr schön zusammengefasst und waren tatsächlich immer eine unserer Inspirationen. Wir haben ein sehr breites Spektrum an Bands, die wir gut finden. Ich höre zur Zeit viel FALL OF EFRAFA und LIGHT BEARER, während Matthias wieder ganz zurück zum LAGWAGON/NOFX-Punk gedriftet ist. Ich stehe auch total auf die „Miles From Home“-EP von WHITE FIELDS. Das sind superlustige Jungs, die richtig packend musizieren. Textlich sind es eher Bücher und Nachrichten, die mich zum Schreiben bewegen, wobei ich TRIAL, BEHIND ENEMY LINES und PROPAGANDHI für ihre Texte vergöttere. Allerdings waren wir textlich schon immer in dieser Richtung unterwegs, während sich unser Sound erst zu dem entwickelt hat, was er auf der neuen LP ist. Und dazu haben VERSE und HAVE HEART vieles beigesteuert. Auf zwei Bands reduzieren würde ich es allerdings nicht.

Euer Booklet habt ihr bislang immer mit Zitaten von Autoren und Bands gespickt. Welche Themen werden auf der neuen LP angesprochen?

Die neue Platte dreht sich um zwei Hauptthemen. Das ist zum einen Teilnahmslosigkeit und das „Sich-damit-Abfinden“, dass die Dinge so sind wie sie sind, ohne überhaupt nur zu versuchen, etwas zu verändern. Zum anderen die Wirtschafts- und Finanzkrise, die zum Zeitpunkt des Schreibens rund um die Uhr im Fernsehen und auf den Titelseiten war. Die beiden Themen bilden den roten Faden und werden aus verschiedenen Positionen beleuchtet. Dafür kamen Denkanstöße hauptsächlich von David Graebers „Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus“ und John Kampfners „Freedom for Sale“. Gegen Ende der Platte gibt es noch einen Dreiteiler zum Thema Rechte der Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Europa. Das war ein Thema, das wir alle bei anderen Bands vermisst haben und dessen wir uns daher angenommen haben. Die Doku „Residenzpflicht“ hat hier für die meiste Inspiration gesorgt.

Die Einnahmen der letzten EP gingen komplett an PeTA – gab es auch andere Einrichtungen, die als Spendenempfänger in Frage gekommen wären?

Unzählige! Sea Shepherd, die Hardcore Help Foundation, das örtliche Tierheim. Uns ist Tierschutz sehr wichtig, auf besagter EP gab es auch einen Song, der davon handelt, und PeTA ist nunmal die größte Tierschutzorganisation, die zwar umstritten sein mag, aber am meisten bewegen kann. Von daher fanden wir PeTA zu unterstützen nur logisch. Außerdem muss man als Band etwas anders an diese Spendensache herangehen als der Einzelne. Mit einer Band kann man mehr Geld für den guten Zweck auftreiben, wenn man eine Organisation findet, die im Gegenzug Werbung für die Band und das Spendenprojekt machen kann, was das Tierheim nicht kann. Hätten wir uns was Kleineres gesucht, hätten wir die erste Auflage der EP sicher nicht so schnell verkauft und diesen Spendenbetrag zusammenbekommen. Es wird auch in Zukunft nicht allein bei PeTA bleiben. Je mehr Leute wir mit der Band erreichen, desto mehr fühlen wir uns verpflichtet, das Ganze positiv und konstruktiv zu nutzen. Sobald es uns möglich ist, werden wir sicher auch an kleinere Organisationen spenden. Sie anderweitig zu unterstützen versuchen wir ohnehin schon lange. Wir verteilen Flyer, machen Werbung und weisen auf gute Organisationen in unseren Booklets hin. Der Kontakt mit PeTA lief von Anfang an reibungslos und supernett. Hendrik von PeTA2 hat sich sehr gefreut, war sofort für die Aktion zu begeistern und hat uns mächtig unterstützt.

Seit einiger Zeit seid ihr jetzt schon immer so ein- bis zweimal pro Jahr unterwegs. Was war die bisher beschissenste oder auch lustigste Situation?

Die Band existiert eigentlich schon seit zehn Jahren, richtig aktiv sind wir allerdings erst seit vier. Richtig beschissene Situationen gibt es bei uns nicht wirklich, denn dadurch, dass wir alle auch außerhalb der Band Freunde sind, finden wir nach fünf Minuten Ärger und Streit alles wieder lustig und haben uns wieder lieb.

Werden euch gegenüber auf Tour auch gerne mal gängige Bayern-Klischees bedient? Welche Beziehung habt ihr selbst zum Bayerischen

Ich erinnere mich nur an eine negative Äußerung gegenüber Bayern auf Tour, und das war in Berlin. Aber abgesehen davon mag man uns Bayern meistens überall, und dass der bayerische Durchschnitts-Hardcoreler nichts mit CSU und Weißwürsten zu tun hat, ist den meisten auch klar. Wir mögen den Bayerischen Wald eigentlich alle, weil hier unsere Freunde sind und weil wir uns als Band hier treffen. Zum Studieren muss man sowieso die Landflucht ergreifen und je nach Beruf bleibt einem auch nichts anderes übrig. Die Konservativen, die uns nicht verstehen, gibt es anderswo genauso und vor ihnen in die moderne weltoffene Metropole zu flüchten, ist auch nicht unbedingt sinnvoll. Solange man also ab und zu auch mal rauskommt aus dem Kleinstadtdenken und andere Eindrücke gewinnen kann, ist es gar nicht schlecht, hier zu wohnen.