Lük Haas - In 180 Tagen um die Welt

Aufmerksamen Lesern der US-Fanzine-Bibel Maximumrocknoll sollte er ein Begriff sein: Lük Haas aus Strassburg, ein Weltreisender in Sachen Punk. Immer wieder haben mich in den letzten zehn Jahren seine Reiseberichte fasziniert, in denen er über die Punkszenen von Ländern berichtete, in denen man eigentlich gar keine Punks vermuten würde. Seit über zwei Jahren hegte ich deshalb den Gedanken, Lük zu seinen Reisen und Erfahrungen zu interviewen, doch der Mann war nie greifbar, arbeitet er doch seit einiger Zeit für das Internationale Kommittee des Roten Kreuzes, was ihn immer wieder für Monate ins Ausland führt. Im Herbst endlich gelang es mir Lük ans Telefon zu bekommen und ihn zu seinen Reisen sowie seinem auf Bands exotischer Herkunft beschränkten Label Tian-An-Men 89 Records zu befragen.

Lük, ich erreiche ich dich nur ein paar Tage vor deinem nächsten Auslandseinsatz.

Richtig, wir reden aber von einer Mission. Details von dem, was ich im einzelnen beruflich mache, darf ich aber nicht erzählen. Ich arbeite für das ICRC, das Internationale Kommittee des Roten Kreuzes. Ich bin ein Delegierter und kümmere mich um den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegs- und Krisengebieten sowie um Kriegsgefangene und aus Gründen der Staatssicherheit inhaftierte Personen. Ich organisiere zum Beispiel Gefängnisinspektionen. Mein erster Einsatz führte mich nach Afghanistan, und jetzt stehe ich kurz vor der Abreise nach Uganda. Vor Afghanistan und zwischen den beiden Einsätzen reiste ich aber natürlich sehr viel privat um die Welt. Die allermeisten Länder, über die wir gleich noch reden werden, habe ich also privat besucht.

Und wie kommt man zu so einem Job? Ich schätze, dass die Qualifikation als Weltreisender in Sachen Punkrock nicht ausschlaggebend dafür war, dass du den Job bekommen hast.

Oh, ich glaube schon, dass das mit ein Grund war. Ich habe mich mit denen vom ICRC sehr lange unterhalten, und natürlich erzählt, was ich sonst so mache, und das hat die schon beeindruckt. Die haben mich in Genf ein paar Tage lang in die Mangel genommen und ich musste wirklich alles von mir erzählen. Es ist eben ein sehr heikler Job, da müssen die sichergehen, dass sie absolut taugliche Leute haben. Ich legte denen also auch meine Artikel aus dem Maximumrocknroll vor, die ich in den letzten elf Jahren geschrieben habe, und auch was ich so mit meinem Label mache. Abgesehen davon habe ich natürlich auch einen Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaft und Ethnologie. Und ich spreche Französisch, Englisch, etwas Chinesisch und auch Deutsch, wobei das nicht besonders nützlich ist.

Aha, aber immerhin können wir das Interview statt auf Englisch auch auf Deutsch machen.

Können wir, aber mein Englisch ist flüssiger als mein Deutsch. Ich komme ja aus Strassburg, da sprechen recht viele Menschen deutsch, aber mein Deutsch ist mangels Übung etwas eingerostet. Aber mit dem Lesen klappt es ziemlich gut, ich lese regelmässig Ox und Plastic Bomb.

Gib uns mal ein paar persönliche Fakten: Wie alt bist du, seit wann hörst du Punkrock, wie bist du darauf gekommen - und vor allem: wie bist du zum Weltreisenden in Sachen Punkrock geworden?

Ich bin 34 Jahre alt. 1983 hatte ich erstmals was mit Punk zu tun, nach einer Reise durch Polen. Ich war damals 20, und Freunde dort führten mich in die polnische Rockszene ein, zu der ganz selbstverständlich auch die Punkszene gehörte, mit Bands wie DEZERTER. Vor allem die Punkbands weckten mein Interesse, ihre Erfahrungen, Ideen und Texte. Polnischer Punk wurde mein Spezialgebiet, und von da aus dehnte ich das auf den ganzen Ostblock aus, gerade auf Punk aus Ungarn und der DDR. In Frankreich traf ich dann auch auf Leute, die Punk hörten, allerdings einheimischen, und die führten mich dann in die französische Szene ein. Ausserdem liegt Strassburg ja direkt an der Grenze, also fing ich an, nach Deutschland auf Konzerte zu fahren. Ich erinnere mich etwa an ein grandioses Konzert von NEGAZIONE in Nagold. So lernte ich Armin von X-Mist kennen, und das entwickelte sich immer weiter. Die erste deutsche Band, die ich kennenlernte, war übrigens SLIME: Als ich deren Texte gelesen habe, haben mich die - und natürlich die Musik - einfach umgehauen. Naja, und seit dieser Zeit bin ich in der Szene aktiv.

Wie ging der Wechsel vom passiven Musikfan zum aktiven Szenemacher vor sich?

Ich fing mit ein paar Freunden an in Strassburg Konzerte zu organisieren, und das lief drei oder vier Jahre. ´87 fing ich dann mit meinem Fanzine an. Es hatte einen polnischen Namen, den zu buchstabieren ich dir jetzt erspare, und es beschäftigte sich nur mit Punk in den kommunistischen Staaten. Ehrlich gesagt gab es nur eine Ausgabe davon - ich hatte damals drei Monate Zeit, weil ich mir ein Bein gebrochen hatte und nicht aus dem Haus konnte. Danach musste ich wieder arbeiten und hatte nie mehr die Zeit, eine zweite Ausgabe fertigzustellen. Schliesslich verbrachte ich meinen gesamten Urlaub mit Reisen in ferne Länder. Zu der Zeit arbeitete ich neben dem Studium als Aushilfslehrer und verdiente damit das Geld, um die Reisen zu bezahlen.

Was hat dich denn so an den Bands aus dem Ostblock interessiert? Zu der Zeit blickte doch jeder andere in der Szene nach England und in die USA.

Ich habe eben schon immer versucht, in die entgegengesetzte Richtung zu blicken. So reiste ich ´83 nach Polen, ´86 in die Tschechoslowakei, und ´87/88 in die DDR. Nach China fuhr ich auch erstmals 1987, und auf dem Rückweg fuhr ich mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch die UdSSR und blieb auch etwas in Moskau. Diese Reisen waren wirklich unglaublich, das waren Einblicke in ganz andere Welten, alles war neu, anders und seltsam. Und vor allem beeindruckte mich, wieviel stärker als im Westen die Punks in diesen Ländern jeden Tag gegen die Mainstreamgesellschaft ankämpfen mussten, um bestehen zu können. Heute interessieren mich die Punkszenen in diesen Ländern immer noch, aber sie gleichen sich immer stärker den unsrigen an, so unterscheidet sich die Punkszene in Ungarn oder Tschechien kaum noch von der hier.

Was für eine Taktik hast du entwickelt, um in all den von dir bereisten Ländern mit Leuten aus der Szene in Kontakt zu kommen? Die meisten Leute haben ja schon Schwierigkeiten, in einer ihnen fremden Stadt einen coolen Plattenladen zu finden.

O.k., also ich gehe mit dem festen Ziel auf Reisen, die örtliche Underground-Szene kennenzulernen. Je nach Land habe ich da natürlich eine andere Strategie. Handelt es sich um ein recht "westliches", modernes Land wie Hongkong, dann gehe ich zuerst an einen gutsortierten Kiosk und besorge mir dort die führenden Musikmagazine. Ich rufe dort an und frage die Leute, ob sie mir was zur Punkszene in ihrem Land erzählen können, und so frage ich mich dann weiter. In Südkorea habe ich das genau so gemacht. Ich kam dahin, hatte überhaupt keine Ahnung, wie Szene dort aussieht, und fragte mich durch. Die Leute von diesem Rockmagazin, wo ich anrief, waren superfreundlich, luden mich ein im Büro vorbeizukommen und erzählten mir alles, was sie wussten. In den anderen asiatischen Ländern, die ich besuchte, wandte ich eine andere Taktik an: Ich schnappte mir die Gelben Seiten, suchte nach Einträgen von Proberaumstudios. Die Sache ist nämlich die, dass Bands in solchen Ländern nur in solchen "Rehearsal Studios" proben können. Also suchte ich dann diese Proberaumstudios auf, sprach mit den Besitzern, die natürlich all ihre Kunden kennen, und liess mir erklären, welche Bands es gibt und wann ich sie treffen kann.

Für weniger entwickelte Länder, wo es solche Proberaum-Studios nicht gibt, habe ich noch eine andere Taktik. Nehmen wir zum Beispiel die Türkei. Als ich die 1989 erstmals besuchte, konnte ich in Istanbul nicht ein einziges Rockmagazin ausfindig machen, und so musste ich mir was anderes einfallen lassen. Dabei kam mir der Zufall zuhilfe, denn ich entdeckte eine Strasse, in der es nur Musikinstrumentenhändler gibt. Die hatten auch E-Gitarren, und da dachte ich mir, wo E-Gitarren sind, gibt es auch Rockmusik. Also fragte ich diese Typen erst allgemein nach Rockbands, und als sie erzählten, dass es eine ganze Menge gebe, fragte ich weiter nach Punkbands. Ein Angestellter wusste dann, dass sich Punks zu einer bestimmten Zeit jeden Tag vor dem McDonalds am Taksim-Park treffen. Tja, und da bin ich dann hingegangen. Und tatsächlich, vor dem McDonalds sassen einige Punks rum und verkauften T-Shirts und Tape-Bootlegs. Ein paar der Leute dort spielten in HEADBANGERS, einer der ersten türkischen Punkbands. Wir unterhielten uns, und die Leute stellten mich dann wieder anderen aus der Szene vor. Das ist das gute an diesen Ländern: die Szenen sind so klein, dass jeder jeden kennt, und wenn du mal einen aus der Szene kennengelernt hast, bist du drin.

Schätzungsweise ist es für diese Leute genauso aufregend dich kennenzulernen wie es für dich ist, Kontakt zu den Punks gefunden zu haben.

Oh ja! Die können immer gar nicht glauben, dass ich nur deshalb aus Frankreich in ihr Land gereist bin, um Leute wie sie kennenzulernen. Die Leute in Korea meinten zu mir, dass ich mit Sicherheit der erste Ausländer sei, der nur ihretwegen ins Land gekommen sei - die waren vollkommen begeistert!

Gab es denn auch ganz harte Nüsse, wo du schon kurz davor standest, die Suche nach Punks aufzugeben?

Ja, Syrien und Jordanien waren so ein Fall. In Syrien galt meine Suche einem Tape-Shop - Musik wird dort wie in den meisten anderen arabischen Ländern vor allem auf Cassette verkauft -, der auch Tapes von Rockbands verkauft. Ich fand schliesslich einen Laden, der Bootleg-Tapes von den gängigen internationalen Rock- und Metalbands verkauft. Die erzählten mir dann, das es durchaus Rockbands in Syrien gebe, und am nächsten Samstag sei sogar ein Konzert, und zwar im Russischen Kulturzentrum in Damaskus. Ich fragte sie, wie ich mit dieser Band in Kontakt treten könne, und sie meinten, ich solle am besten zu diesem Kulturzentrum gehen. Das tat ich, und nachdem ich dem Veranstalter dort erzählt hatte, was ich mache und will, sagte er, die Band würde gerade im Keller des Kulturzentrums proben. Und schwupp, schon hatte ich wieder Kontakt zu ein paar Leuten, die mich wiederum allen ihren Freunden vorstellten. Ich fragte sie dann, ob sie mir mit Kontakten in Jordanien weiterhelfen könnten, aber sie waren sich sicher, dass es dort keine Rockbands gebe. Einer allerdings hatte Verwandte in Amman, und er erinnerte sich, dass es dort einen guten Tapeshop namens Musicbox gibt. Mit dieser Adresse fuhr ich dann nach Amman, steuerte direkt diesen Tapeladen an, und fragte dort nach, ob es in der Stadt Rockbands gibt. Und siehe da, der Verkäufer wusste von einer Heavy Metal-Band. Er griff zum Telefon, sprach kurz mit jemandem und sagte dann nur, dass einer von der Band in zehn Minuten hier sein werde. Und schon war ich auch in Jordanien in der Szene drin.

Das klingt echt spannend und hört sich verdammt nach einem ganz speziellen Detektivspiel an.

Das ist es auch, und es macht verdammt viel Spass!

Wird man nach sowas süchtig?

Oh ja! Aber ich muss zugeben, dass es manchmal auch sehr lange dauert, bis man ans Ziel kommt, und es kann auch ganz schön nerven, zig Leuten die immer gleichen Fragen zu stellen - vor allem dann, wenn das Gegenüber nicht den geringsten Schimmer hat, wovon ich eigentlich rede. In Korea etwa war ich in zig CD-Läden und niemand dort hatte jemals was von Punk gehört, die verstanden immer "Funk". Sowieso ist es eine Ausnahme von der Regel, wenn man über Plattenläden weiterkommt, meistens wissen die Verkäufer in diesen Ländern so gut wie nichts über das, was sie verkaufen.

Gibt es deiner Einschätzung nach ein Land auf der Welt, wo es keine Punkszene oder zumindest eine Rockszene gibt?

Ich kann da natürlich keine absolute Antwort geben, aber in Tunesien habe ich keine Underground-Band irgendeiner Art gefunden. Und in Kambodscha gibt es wohl auch keine Rockbands. Allerdings gab es in den Sechzigern und Siebzigern dort Rockbands, doch die Roten Khmer haben dann alles ausgelöscht. Um auf Tunesien zurückzukommen: als ich das letzte Mal dort war, fand ich nur ein paar Cassetten, die so in die Pop/Reggae-Richtung gehen, aber irgendwas Richtung Rock scheint einfach nicht zu existieren, da fehlt wohl von der Kultur her einfach der "Rock-Spirit". In Libyen gibt es meines Wissens ein paar Reggae-Bands und in Tripolis habe ich einige METALLICA-Graffiti gesehen, aber ich war nicht in der Lage, lokale Bands aufzutreiben. Auf den Märkten gab es aber schon überall Raubkopien von AC/DC, METALLICA etc. zu kaufen, aber nichts von einheimischen Bands. Dafür ist, wie gesagt, die Reggae-Szene ziemlich gross und auch völlig legal. In Marokko sieht es ähnlich aus, da habe ich zwar ein paar Rockmusikfans getroffen, aber Bands auch nicht.

Wie sieht´s mit den Ländern aus, in denen du beruflich zu tun hast, also Afghanistan und Uganda?

Afghanistan ist natürlich ein Extremfall. Musik ist dort völlig verboten, in den Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden sowieso. Das geht soweit, dass selbst Musikinstrumente im Namen des Islam verboten sind, und die Leute dort sind völlig auf das blosse Überleben konzentriert: wer nicht weiss, was er essen soll, macht sich über Musik nicht viele Gedanken. Dazu kommt noch, dass das Land völlig von der Aussenwelt abgeschlossen ist. Ich habe aber erfahren, dass es unter der sowjetischen Besatzung in den grossen Städten, gerade in Kabul, diverse Pop- bzw. Rockbands gab. Und mir wurde auch ein Video von einem recht grossen Popkonzert gezeigt, das erst vor ein paar Jahren stattfand, als die Taliban den Norden noch nicht erobert hatten.

Je nach Land, das du besuchst, scheinst du deine Erwartungen erst von Punk auf Rock allgemein und schliesslich auf Pop reduzieren zu müssen.

Richtig, wobei ich mich in meinen "Scene Reports" im Maximumrocknroll aber schon darauf beschränke, nur von Punk und Metalbands zu berichten. Und so kann ich über ein Land wie Afghanistan einfach nichts schreiben, weil da effektiv nichts in der Richtung existiert. Sollte trotzdem mal jemand auf ein Tape mit afghanischer Popmusik stossen, handelt es sich garantiert um Musik, die von Exil-Afghanen in Pakistan gemacht wird, da leben schliesslich mehr als eine Million Flüchtlinge.

Und was ist mit Uganda?

Naja, ich habe einen Freund, der in Kenia lebt, und der hat mir versichert, dass es in Kenia Punks gebe, dass er schon öfter einheimische, also schwarze Jugendliche mit Iros und Springerstiefeln gesehen habe. Von daher könnte es natürlich sein, dass es auch in Uganda ein paar Punks gibt, aber konkret weiss ich das nicht. Aber die Chancen sind gut, denke ich, weil die Länder benachbart sind und Uganda ebenfalls recht entwickelt ist. Das Problem ist, dass ich kaum Gelegenheit haben werde viel zu forschen, denn wenn es Leute gibt, dann in den grossen Städten. Ich aber werde mitten im Busch stationiert sein, Nahe der Grenze zu Sudan und Zaire.

Welchen Stellenwert hat die Musik heute für dich? Ich meine, bei deiner Arbeit in Krisengebieten wird es doch ständig Erlebnisse geben, die einem drastisch klarmachen, dass es wichtigere Dinge gibt im Leben als einen Luxus wie Musik.

Nun, Musik ist seit 15 Jahren ein sehr wichtiger Teil meines Lebens, es ist mein Hobby, in das ich viel Geld und Zeit investiere, und es bedeutet mir auch sehr viel, darüber mit so vielen Leuten in Kontakt zu sein. Was meine Arbeit betrifft, so trenne ich die ganz klar von meinem Privatleben, da muss man einfach sehr realistisch sein. Ich versuche meinen Job so gut wie möglich zu machen, aber ich bin eben nicht immer im Einsatz und dann habe ich ein Recht auf mein Privatleben. Aber zugegeben, es ist schon krass, irgendwo in Afghanistan zu sitzen und auf dem Walkman Punkrock zu hören. Das ist eine Möglichkeit, der harten Realität zu entfliehen und sich für kurze Zeit etwas "normales" Leben zu holen. Man muss einfach aufpassen, sich nicht zu sehr in die aktuelle Umwelt reinziehen zu lassen und mit der "normalen" Welt in Kontakt zu bleiben. Dabei hilft es, wenn ich auf einer Mission Post von meine Freunden überall auf der Welt bekomme, und auch Tapes, Fanzines und so weiter. Das hilft mir, meinen Job besser zu machen, denn so kann ich auch mal abschalten.

Würdest du sagen, dass es in einem Land wie China oder der Türkei schwerer ist ein Punk zu sein als in Essen oder Strassburg? Ich meine, hierzulande ist sowas ja beinahe schon gesellschaftlich akzeptiert.

Das hängt natürlich ganz stark vom jeweiligen Land ab. In Korea etwa ist es sicher etwas schwerer Punk zu sein als hier in Europa, denn gerade wenn du mit ´nem Iro rumläufst schauen dir die Leute auf der Strasse schon sehr hinterher. Und wenn man abends rausgeht und an Besoffene gerät, gibt´s auch mal was aufs Maul, aber andererseits kann einem sowas hier ja auch passieren. Generell sind Länder wie Hongkong, Taiwan, Malaysia, Indonesien oder Thailand aber schon stark "verwestlicht", so dass Punks keine allzu grossen Probleme haben. Da ist in den letzten 20 Jahren sehr viel passiert. Da hat sich in dieser Zeit eben eine Rockkultur entwickelt.

Wie sieht´s generell mit der politischen Seite von Punkrock anderswo aus? Ich meine, hier ist die Punkszene ja generell von klaren, linken politischen Positionen geprägt.

Ich würde aus meiner persönlichen Erfahrung sagen, dass in den meisten Ländern, die ich besucht habe, Punk in der Regel nicht direkt politisch ist in der Form, dass klare Positionen bezogen werden. Viele dieser Länder, gerade auch in Asien, sind immer noch keine echten Demokratien. Es gibt oftmals zwar eine demokratische Fassade und Wahlen, aber es ist doch noch recht gefährlich, sich als zur Opposition zugehörig oder als radikaler Anarchist zu erkennen zu geben. In Indonesien ist das zum Beispiel sehr gefährlich, in Malaysia etwas weniger, aber auch noch nicht gerade ratsam. Das gleiche gilt für Korea, und in China sowieso, wo die Leute sowieso tendenziell nicht politisch sind. In Peking gibt es übrigens mittlerweile eine recht grosse Punkszene, mit diversen Punkbands und einigen Punkclubs. In Hongkong kann man derzeit noch machen, was man will, es gibt noch keinen Druck auf Andersdenkende. Eine Band wie BLACKBIRD, bekennende Anarchisten, kann deshalb in ihren Aussagen sehr deutlich werden und sich auch aktiv politisch betätigen. Aber Hongkong ist noch eine Ausnahme, wobei Taiwan von den Freiheiten her mittlerweile beinahe so weit ist wie Hongkong. Die Leute können sich dort jetzt weitgehend frei politisch äussern, doch von den Philippinen mal abgesehen ist der Rest von Asien immer noch recht repressiv. Als Punkband spielst du deine Musik, siehst ein bisschen wild aus, und du wirst keinen übermässigen Ärger kriegen. Politik ist dort ein Spiel für Profis, von dem man, auch wenn es blöd klingt, als Laie besser die Finger lässt. Ich meine, die Leute, die dort Punks sind, sind oft noch recht jung, wohnen bei ihren Eltern und wollen vor allem Spass haben und nicht im Gefängnis landen.

Wie werden die Leute beispielsweise in Asien auf Punk aufmerksam? Durch ein Heft wie das Maximumrocknroll oder eher durch MTV?

Das kann man so generell nur schwer beantworten, aber in der Regel sicher nicht durch das Maximumrocknroll. Ich war schliesslich oft der erste, der ein paar MRR-Hefte ins Land brachte und verteilte. Die Leute sind immer ganz begeistert und überrascht, dass es ein ganzes Heft nur über Punkrock gibt. Nein, der erste Kontakt mit Punk läuft bzw. lief über MTV mit Bands wie GREEN DAY oder OFFSPRING. Ich weiss noch, wie ich in Kabul über Satelliten-TV ein GREEN DAY-Video sah. In dieser Umgebung war das völlig bizarr. In Indonesien läuft sehr viel über die Skater-Szene. Das waren die ersten, die Punk gehört haben, und die Skate-Szene ist dort schon recht lange ziemlich gross. Malaysia kann auch schon auf eine recht grosse und lang existierende Punkszene verweisen. Die Plattenläden fingen dort schon vor vielen Jahren an Punkplatten aus dem Ausland zu importieren, und eine ganze Menge westlicher Labels lizenzieren ihre Platten nach Malaysia. Wichtig für all diese Länder war auch der Erfolg von NIRVANA. Durch Grunge kamen dann viele Leute auf Punk, vor allem in Korea und China. Man kann sagen, dass dort viele Punkbands vor allem von den SEX PISTOLS, THE CLASH und NIRVANA beeinflusst wurden. Der Grund ist einfach, dass etwa in China Platten von SEX PISTOLS und CLASH überall auf CD und Cassette zu kaufen sind. Und in Korea sind mittlerweile Lizenzpressungen von Majorlabel-Bands wie OFFSPRING, MIGHTY MIGHTY BOSSTONES und GREEN DAY überall zu kaufen.

Ich habe neulich erfahren, dass ein Label in Malaysia daran interessiert ist, eine Tape-Version der Ox-Compilation-CD zu veröffentlichen.

Das klingt gut. Und weisst du was? In Bandung in Indonesien kam ich in einen Underground-Plattenladen, und weisst du, was die da verkauften? Das Ox! Ich war völlig perplex!

Wow, das ist ja echt cool!

Ja, in letzter Zeit ist das Angebot der Plattenläden in Korea, Malaysia und Indonesien sehr gut geworden, da kriegst mühelos Platten von BLACK FLAG oder DEAD KENNEDYS. Das liegt zum grossen Teil daran, dass es dort mittlerweile überall diese amerikanischen Ladenketten wie Tower Records, Virgin Megastore oder HMV gibt, die damit werben, sie könnten einem jede Platte auf der Welt besorgen. Und das schaffen sie sogar. Wenn du in Seoul oder Hongkong zu Tower Records gehst, findest du echt alles, sogar deutsche Oi!-CDs, zum Beispiel von LOIKAEMIE.

Wie man sieht, hat die Globalisierung der Handelsströme und die Durchsetzung des freien Welthandels also auch seine guten Seiten...

Was diesen Aspekt betrifft schon, ja.

Irgendwie ist es schon paradox, dass Bands wie GREEN DAY und OFFSPRING, die überall im Westen von "echten" Punks verachtet werden, in vielen Ländern überhaupt erst die Tür aufstossen für Punk.

Richtig, in den USA, Frankreich oder Deutschland trugen sie dazu bei, dass Punk immer kommerzieller wurde, aber die Auswirkungen auf für Punk bislang verschlossene Länder waren definitiv positiv. In der Türkei etwa gab es ´89 drei Punkbands, aber durch den GREEN DAY-Effekt findest du heute in allen grossen Städten Punkbands, und die werden mittlerweile dann auch von kleinen, örtlichen Plattenlabels unter Vertrag genommen. Von daher hatte der grosse Punkhype vor drei, vier Jahren also doch sehr viele positive Auswirkungen, würde ich sagen.

Kommen wir auf ganz prinzipielle Fragen zurück: Wie finanzierst du deine ganzen Reisen?

Ich spare eisern! Wenn ich in Strassburg bin, gebe ich so gut wie kein Geld aus, höchstens um mal eine Platte zu pressen. Ich gehe so gut wie nie Essen, trinke nicht, rauche nicht, da bleibt genug Geld übrig für lange Reisen. Und mit dem Job beim Roten Kreuz sieht´s noch besser aus: So eine Mission dauert immer ein Jahr, und während der Zeit gebe ich kaum Geld aus, denn Unterkunft, Verpflegung etc. sind umsonst. Und wenn du irgendwo in Afrika im Busch sitzt, hast du auch keine Chance, dein Geld irgendwie auszugeben. Also kann ich fast alles Geld, das ich verdiene, auf die Seite legen.

Du machst ein Label namens Tian-An-Men 89 Records. Der Name ist bereits ein starkes politisches Statement, denn er bezieht sich auf das Massaker an der chinesischen Demokratiebewegung auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989 in Peking.

Richtig. Ich war ´87 in China, und es war eine sehr interessante Erfahrung und ich traf viele nette Leute. Zuhause fing ich dann an Chinesisch zu lernen und beschäftigte mich auch stark mit China an sich. Als dann ´89 dieses Massaker geschah, traf mich das besonders hart, weil ich mental so nah dran war und auch zu einigen Chinesen in Frankreich Kontakt hatte. Als ich ´93 mein Label startete, wollte ich deshalb schon mit dem Namen ein deutliches Statement abgeben, wobei das Jahr ´89 durch die Veränderungen in Osteuropa eine weitere wichtige Bedeutung bekam. Ausserdem wollte ich dazu beitragen, dass das Massaker nicht vergessen wird, denn weil wenige Monate danach die Mauer fiel, sich die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien etc. von der Unterdrückung befreiten, wurden die Ereignisse in China völlig in den Hintergrund gedrängt. Dieses Jahr war ich dann nochmal in China, und auch wenn man noch nicht von Demokratie und völliger Freiheit reden kann, hat sich in den letzten zehn Jahren doch sehr viel verändert. Es wird wirklich sehr viel über die Ereignisse von ´89 diskutiert, und selbst in den Kreisen, die damals direkt dabei waren, wird heute ausgesprochen, dass die Regierung zwar völlig überreagiert habe, aber andererseits die Forderungen der Studenten doch zu weitgehend gewesen seien und China einfach noch nicht dafür bereit war. Veränderungen, so die Einschätzung, liessen sich in einem Land wie China nicht erzwingen, sondern müssten langsam und allmählich kommen. Heute sei zumindest wirtschaftliche Freiheit vorhanden, und in kultureller Hinsicht sei China auch sehr frei geworden. Man könne ohne Probleme lange Haare tragen, Skateboard fahren, in einer Rockband spielen oder Punk sein. All das war früher nicht erlaubt. Die Leute sind alle sehr zuversichtlich, dass jetzt nach und nach auch noch die politische Freiheit grösser wird.

Wenn du ausser Landes bist, kümmert sich dein Freund Fred Brahim um den Vertrieb deiner Platten.

Ja, er hat auch ein eigenes Label und einen Mailorder namens Darbouka Records. Ich habe einfach keine Zeit, mich um den Vetrieb selbst zu kümmern. Wenn also jemand was bestellen will, sollte er sich in den nächsten Monaten besser an ihn wenden. Wer mir allerdings nach Strassburg schreibt, erreicht mich auch, da mir die Post vom Roten Kreuz nach Uganda nachgeschickt wird. Nur kann ich von dort aus natürlich keine Platten verschicken. Über Strassburg braucht ein Brief an mich ca. drei Wochen, schneller geht es, wenn man mir direkt nach Uganda schreibt. Ich schätze, dass ein Rotkreuz-Flugzeug einmal die Woche Post zu uns ins Dorf bringt. In dem Dorf gibt es nämlich kein Postamt, und das nächste ist 200 oder 300 Kilometer entfernt.

Apropos Post: Bleibst du mit deinen ganzen Brieffreunden weltweit per normaler Post in Kontakt oder nutzt du auch Fax und e-Mail?

Vor allem per Post, und in Uganda scheidet e-Mail schon deshalb aus, weil es in unserem Dorf kein Telefon gibt, vom Satellitentelefon mal abgesehen, das extrem teuer ist. In Afghanistan gab es auch kaum funktionierende Telefonleitungen, da es keine Telefongesellschaft mehr gibt. Zuhause in Frankreich habe ich aber auch keinen e-Mail-Anschluss, ich vertraue noch auf die gute alte Post.

Ich danke dir für dieses Interview.