CJ RAMONE

Der RAMONES-Geist lebt noch

Natürlich, an Joey und Johnny kommt keiner vorbei – sie waren die RAMONES-Flaggschiffe. An Dee Dee scheitern sie auch alle – er war der Verrückte, der Durchgeknallte, der konsequente Punkrocker unter den cjramone.comRAMONES und darum am beliebtesten bei den Fans. Dafür aber ist CJ, Dee Dees Nachfolger am Bass und von 1989 bis zum letzten Album „Adios Amigos“ (1996) Teil der Legende, der bis heute musikalisch Umtriebigste der Übriggebliebenen. Tommy macht heute Bluegrass, Marky spielt seit Jahren das alte RAMONES-Set mit wechselnden Bands rauf und runter und hält sich für den Gabba-Gabba-Hey-Gott persönlich. Und Richie ist erst seit kurzer Zeit wieder aus der Versenkung aufgetaucht, um die Trommelfelle unter dem alten Namen zu bearbeiten. CJ aka Christoper Joseph Ward hat indes seit damals drei Bands (LOS GUSANOS, WARM JETS, BAD CHOPPER) gegründet und wieder aufgelöst, Konzerte in aller Welt gespielt, zwei Alben und eine Single veröffentlicht. Und jetzt hat er mit Stargästen der Szene auch noch sein ganz persönliches RAMONES-Tribute-Album eingespielt. „Reconquista“ wurde per Crowdfunding gestemmt, klingt wie die besonders gute Phase der ohnehin guten, alten „Bruddas“-Zeit und dürfte den Fans der für viele Menschen besten Band der Welt nostalgische Gefühle bescheren. Dem Ox erzählte CJ, warum „Reconquista“ eine schwere Geburt war, wie er Joey aus dem Himmel singen hörte, was er von New York und seinen alten Bandkollegen so hält. Und er stellte fest: Der Geist der RAMONES lebt noch immer – trotz H&M-Bandshirts.

CJ, dein Album „Reconquista“ war bislang nur als Download über die Internet-Plattform Pledgemusic erhältlich und ist jetzt doch auf CD und Vinyl gepresst worden.

Ja, die Finanzierung der Platte wurde durch Crowdfunding bewerkstelligt. Aber nachdem ich das Geld zusammen hatte, gab es leider ein bisschen Ärger und ein paar Verzögerungen. Normalerweise wären die CDs und die LPs nämlich schon längst gepresst und zumindest schon einmal an die Funding-Teilnehmer verschickt worden, bevor sie später in den normalen Verkauf gehen. Aber die Firma, die ursprünglich vom Merchandising bis zur Plattenpressung alles machen wollte, ist plötzlich abgesprungen. Zum Glück haben aber mein Manager und ich uns an das Label Pirate Press gewendet und die sind sofort eingesprungen.

Du hast zuletzt im Jahre 2008 mit der Veröffentlichung des BAD CHOPPER-Debütalbums von dir hören lassen. Warum hast du fünf Jahre gebraucht, um wieder etwas zu veröffentlichen?

Ich hatte in den letzten Jahren zum einen viele private Dinge zu erledigen: Ich habe mich um meine Kinder gekümmert, habe eine Scheidung hinter mir, habe wieder geheiratet. Und all das wieder zu ordnen, hat eben gedauert.

Und zum anderen?

Tja, 2009 war ja mein Jubiläumsjahr: Es lag genau zwanzig Jahre zurück, dass ich zum ersten Mal mit den RAMONES aufgetreten bin. Und von da an hatte ich den Plan, eine Art Tribute-Album aufzunehmen. Ich habe mich also hingesetzt und Songs geschrieben – und dann habe ich „Reconquista“ drei Mal aufgenommen, ehe ich zufrieden war. Die ersten beiden Male hat es sich derart schlecht angehört, dass ich es in dieser Form keinem Fan hätte zumuten können. Es wäre der RAMONES nicht würdig gewesen. Ich war sogar kurz davor, alles hinzuschmeißen. Dann aber bin ich mit Steve Soto von den ADOLESCENTS in Kontakt gekommen. Ich habe ihm gesagt: „Lass mich dir bitte meine Demos schicken, damit du mal reinhörst!“ Er stimmte zu. Und zwei Wochen später rief er mich tatsächlich an und sagte: „Alles klar, steig in den Flieger und komm rüber, wir machen es!“

Und was hat dir an den ursprünglichen Songs konkret nicht gefallen?

Die Songs waren zwar bei allen drei Aufnahmen dieselben, aber sie waren schlecht von mir eingespielt worden. Außerdem habe ich einen Großteil meines eigenen Gesangs nicht gemocht. Aber als dann mit Steves Hilfe plötzlich Jay Bentley von BAD RELIGION, Johnny „Two Bags“ Wickersham und John Maurer von SOCIAL DISTORTION, Marcus Hollar von den STREET DOGS oder Billy Zoom von X mitmachten, hat es plötzlich geklappt. Kein Wunder: Das sind einfach Profis. Die kamen ins Studio, spielten drauflos und es war perfekt! Es gibt viele Musiker, die in berühmten Bands gespielt haben und hinterher Soloalben rausbringen, von denen sie erwarten, dass sie sich gut verkaufen, nur weil ihr Name draufsteht, aber dann sind die Songs meist zum Wegwerfen. Und dieses Gefühl habe ich bei „Reconquista“ nun überhaupt nicht mehr. Diese Platte klingt von vorne bis hinten nach den guten, alten RAMONES!

Wie hat es sich vor diesem Hintergrund angefühlt, RAMONES-Songs ohne die RAMONES aufzunehmen?

Das war manchmal eine echt verrückte Erfahrung. Hör dir zum Beispiel „Baby, you’re the only one“ an. Da habe ich mich hingesetzt, auf der Akustikgitarre gespielt und Melodielinien entworfen – und plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde Joey singen. Das war jetzt keine Stimme aus dem Jenseits oder so was. Das war einfach das Gefühl, dass ich die Wörter mit seiner Stimme hörte. Letztlich wünschte ich, ich hätte einige dieser „Reconquista“-Songs für die letzten RAMONES-Alben geschrieben. Vor allem auf „Adios Amigos“, dem Abschiedsalbum, befinden sich meiner Meinung nach viele schwache Stücke, die früher noch nicht einmal B-Seiten geworden wären. Aber ich darf mich nicht darüber beklagen, denn ich habe damals ja selbst ein paar dieser Lieder beigesteuert.

Auf jeden Fall klingt das so, als ob du auf „Reconquista“ stolzer bist als auf deine anderen Alben nach den RAMONES.

Auf jeden Fall. „Reconquista“ ist schließlich das erste Album, auf dem ich alles selber gemacht habe – Texte geschrieben und Gitarre und Bass gespielt. Alle anderen Platten – mit LOS GUSANOS, den WARM JETS und BAD CHOPPER – sind jeweils von einer Band gemacht worden. Da haben viele Menschen ihre Sicht der Dinge und Ideen in die Songs gesteckt, nicht nur ich. Das war ein ganz anderes Arbeiten im Studio.

Apropos „Studio“: Die RAMONES galten immer als Live-Band. Wie aber habt ihr damals im Studio gearbeitet?

Das war eine recht seltsame Arbeitsweise und führte dazu, dass ich es eigentlich überhaupt nicht mag, ins Studio zu gehen. Damals haben wir nämlich zuerst Songs gesammelt. Wir haben sie einmal grob durchgespielt und auf ein Tape aufgenommen. Ich bin dann mit dem Tape nach Hause gegangen, habe an den Gitarren- und Bassparts gefeilt, die Texte gelernt, bin zurück ins Studio – und habe Johnny alles bei den Proben beigebracht. Und wenn es dann an die Aufnahmen ging, waren Marky und ich meist die Einzigen, die im Studio zusammenspielten.

Wo war der Rest?

Joey und Johnny haben ihre Parts immer separat aufgenommen. Gerade Johnny hasste es, ins Studio zu gehen. Marky war dagegen ein totaler Perfektionist. Manchmal hat er einen Song 30-mal durchgespielt, ehe er zufrieden war. Ich habe dann vier Stunden lang meine Bassparts gespielt und aufgenommen. Und wenn Marky an den Songs saß, habe ich auch noch gesungen, damit er überhaupt erst daran arbeiten konnte.

Das klingt nach viel Arbeit für dich.

Na ja, zumindest hatte es zur Folge, dass ich immer über alle Maßen vorbereitet war und das ganze Material wie kein anderer draufhatte – weil ich die Stücke eben zigmal durchgehen, Johnny beibringen und bei den Proben spielen musste, ehe es an die Aufnahmen oder auf Tour ging. Zudem haben diese früheren Erfahrungen jetzt eben auch dazu geführt, dass ich die Studioaufnahmen von „Reconquista“ so genossen habe: Da haben alle mitgezogen. Und genau dadurch haben wir es auch geschafft, die alte Stärke der RAMONES wieder aufleben zu lassen.

Die da wäre?

Die ungeheure Eingängigkeit ihrer Songs. Die hatte keiner sonst so drauf. Sie haben zwar über Mörder, Drogen, Kettensägen und Klebstoffschnüffeln gesungen, aber sie waren dabei ungeheuer poppig. Diesen Entstehungsprozess, diese hohe Energie, die bei den Aufnahmen zu „Reconquista“ im Studio herrschte, werden die Fans auch sehen können, denn wir haben das auf einer DVD dokumentiert, die der CD beiliegen wird. Die Fans sollen die Platte lieben – und sie werden sie lieben!

Haben die verbliebenen Ex-RAMONES schon mal in „Reconquista“ reinhören können?

Nein. Aber ich wüsste liebend gerne, was Tommy darüber denkt. Ich habe zwar großen Respekt vor Richie und Marky, aber für mich war immer Tommy der RAMONES-Drummer schlechthin. Meine Lieblingsalben der Band sind bis heute die ersten, also die, auf denen er zu hören ist. Ich bin für die meisten ja auch nicht der RAMONES-Bassist – das ist völlig zu Recht immer noch Dee Dee. Und wenn du heute ein RAMONES-Shirt kaufst, wird nicht umsonst immer das Logo mit den Namen der Gründungsmitglieder darauf sein.

... und diese Shirts werden mittlerweile ja schon von großen Textilketten angeboten.

Das ist schrecklich! Die Kids laufen damit rum und haben keine Ahnung, was sie da tragen. Bands wie MOTÖRHEAD oder AC/DC haben dieses Problem ja auch.

Hast du Tommy oder die anderen wegen einer Beteiligung an „Reconquista“ angesprochen?

Ich habe tatsächlich Tommy gefragt, ob er nicht mitspielen möchte. Aber er war leider zu beschäftigt mit anderen Dingen. Richie ist meines Wissens nach eher mit Heavy Metal beschäftigt. Und Marky – nun, der hat irgendwie nicht allzu viel Gutes über mich zu sagen. Dementsprechend würde er auch über das Album nichts Gutes sagen.

Was ist da zwischen euch los?

Keine Ahnung, was er gegen mich hat. Aber darum kümmere ich mich auch nicht. Ich habe genug andere Dinge zu tun. Außerdem: All diese negativen, zwischenmenschlichen Dinge – wer macht mit wessen Freundin rum, wer spricht nicht mehr mit wem? – gab es ja schon immer bei den RAMONES. Das langweilt mich. Es ist nur schade, dass diese Sachen die Musik häufig überdecken. Immer wenn ich etwas über die RAMONES lese, geht es nur um solche persönlichen Probleme. Das ist wie eine schlechte Seifenoper.

Joey, Johnny und Dee Dee sind tot, die RAMONES werden also niemals wieder auf der Bühne stehen können. Gibt es Momente, in denen du darüber froh bist?

Darüber bin ich sogar sehr froh. Nicht darüber, dass die drei so früh gestorben sind natürlich. Sondern froh darüber, dass sie nicht ihre eigene Legende zerstören können. Die Musik der RAMONES ist eine sehr jugendliche, hochenergetische Musik. Und die könnte man nicht spielen, wenn man alt ist. Weißt du, ich liebe die ROLLING STONES, aber ich will um keinen Preis so enden wie sie. Sie haben als schön dreckige, wilde Bluesband begonnen. Aber wenn ich sie jetzt sehe, dann sehe ich eine Broadway-Show. Das ist schlimm.

Die Zeiten ändern sich eben – ein Thema, das du ja auch auf „Reconquista“ anschneidest, wenn du im ersten Song singst, dass du New York als Heimat der RAMONES lieber heute als morgen verlassen möchtest.

Oh ja. New York ist wirklich ätzend geworden. Ich hasse es, das zu sagen, denn im Grunde liebe ich New York. Es ist meine Heimat, aber die Stadt ist mittlerweile richtig schlimm. Sie haben alles so elend nett und hip gemacht. Überall laufen reiche Leute rum, überall ist es so schön, sicher und sauber. Dafür sind die dreckigen, schönen Punk-Clubs verschwunden. Sie haben das Leben aus New York gequetscht. Das CBGB’s ist heute eine Modeboutique! Damals haben in der Nachbarschaft Künstler und Junkies gelebt. Heute macht eine Ladenkette nach der anderen für die Besserverdienenden auf. Dafür stehen alte Gebäude leer. Es ist wirklich abartig!

Gibt es irgendwo noch eine lebendige Punk- oder Clubszene?

Ja, in Kalifornien. Da ist die Szene nach wie vor recht groß. Als ich vor ein paar Monaten dort getourt bin und in kleinen Clubs gespielt habe, sind die Leute abgegangen! Das hat sich nach einer echten Punkrock-Show angefühlt. Noch etwas, das es in New York nicht mehr gibt. Ich merke das jeden Tag, wenn ich im Netz unterwegs bin.

Stimmt, du bist bei Facebook sehr aktiv.

Ja, um mit den Fans in Kontakt zu bleiben. Und da poste ich häufig Archivmaterial der RAMONES und anderer Punkrock-Bands – etwa Videos von Konzerten in den alten New Yorker Clubs. Das waren tolle Shows. Ich denke dann immer: „Oh Gott, war das super! Das war laut und gefährlich!“ Aber diese Videos erinnern einen eben auch daran, dass es all das nicht mehr gibt. Natürlich müssen sich Dinge ändern. Doch sobald man hingeht und Sachen bekämpft, von denen sich die Reichen gestört und belästigt fühlen, weißt du, dass sich die Kultur einer Stadt und einer Szene unweigerlich verändern wird. Wobei das auch allgemein ein amerikanisches Problem ist. Die USA sind noch ein sehr junges Land und derzeit liegt hier einiges im Argen, das bekommt man als Amerikaner ja auch völlig zu Recht ständig im Ausland um die Ohren gehauen. Wir müssen unsere Erfahrungen eben erst noch machen – genau wie das England oder Deutschland getan und mitunter auch geschafft haben. Nimm zum Beispiel Berlin im Vergleich zu New York: Berlin ist eine Stadt geworden, die sich zwar rundum erneuert, ihre subkulturelle Szene und ihre Viertel aber trotzdem nicht verloren hat. Das ist toll.

Spielen die RAMONES auch 17 Jahre nach ihrem Ende noch eine Rolle in deinem täglichen Leben?

Ja, auf jeden Fall. Ich höre fast jeden Tag ihre Musik. Jedes Mal, wenn ich etwas in Sachen Musik mache oder wenn ich meine Facebook-Seite anschaue, sehe ich außerdem meinen Namen: CJ Ramone. Wenn ich morgen für was auch immer verhaftet würde, dann stünde am nächsten Tag in der Zeitung: „CJ Ramone im Gefängnis“, nicht „Christopher Ward“. Wir haben nach dem Ende der Band vertraglich vereinbart, dass niemand jemals mit einer neuen Band etwas unter dem Namen RAMONES machen darf. Aber unsere persönlichen Namen haben wir alle behalten. Und meiner zeigt mir jedes Mal, dass ich Teil einer Legende war. Was für eine Ehre!

Du bist der einzige Ramone, der Kinder hat. Sind sich deine Kleinen auch im Klaren darüber, dass ihr Vater bei dieser Legende mitgespielt hat?

Ja. Aber das ist meinem Sohn und meiner Tochter ziemlich egal. Es gab da nur diesen einen besonderen Moment: 2009, als PEARL JAM im Madison Square Garden in New York gespielt haben. Ich kenne Eddie Vedder und die Band und sie fragten mich, ob ich während des Auftritts nicht mit meiner Familie auf die Bühne kommen und mit ihnen „I believe in miracles“ spielen wolle. Meine Tochter, die damals acht war, hat das alles mitgekriegt und hat erlebt, wie die Leute im Publikum ausgerastet sind und gejubelt haben, als ich rauskam. Nach dem Konzert, hinter der Bühne, lief sie mit weit aufgerissenen Augen auf mich zu und sagte: „Daddy! Ich hatte ja keine Ahnung, dass du derart berühmt bist!“

Und was ist mit deinem Sohn?

Der war damals noch sehr klein und wäre auf der Bühne fast eingeschlafen. Er bewundert mich sowieso viel mehr dafür, dass ich im Marine Corps war.

Ein gutes Stichwort für die letzte Frage. Was war härter: Die Zeit bei den Marines oder bei den RAMONES?

Definitiv die Zeit in der Band! Das Marine Corps war einfach dagegen. Aber wäre ich bei den Marines geblieben, dann hätte ich für all die Frauen, mit denen ich damals zwischendurch etwas hatte, wohl zahlen müssen. Bei den RAMONES bekam ich sie umsonst, haha.