DEFEATER

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Briefe von der Front

DEFEATER aus dem Großraum Boston sind eine Ausnahmeband. Schon ihr Debüt „Travels“ (2008, Topshelf/Bridge Nine) erweiterte das Hardcore-Spektrum um prägnante Wechsel zwischen lauten und leisen Passagen, und trotz musikalischer Komplexität sah man in den letzten Jahren bei kaum einer anderen Band das Publikum so inbrünstig mitbrüllen. 2009 folgte die EP „Lost Ground“ (B9), 2011 kam der zweite Longplayer „Empty Days & Sleepless Nights“ (B9), und im Juli erschien nun „Letters Home“ (B9), der dritte Teil jener vertonten Familiensaga, die den DEFEATER-Alben textlich zugrunde liegt. Ich sprach mit Gitarrist Jay Maas.

Euer Album-Artwork besteht aus einer Collage von Briefen und Fotos eines Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg aus Europa seiner Familie in den USA berichtete. Ist das Material, das man da sieht, denn echt?

Ja! Derek hat sich um das Cover gekümmert, und ihm war wichtig, dass das Material authentisch ist. Es handelt sich also um echte Briefe und Fotos von damals – von Menschen aus der Gegend, in der die Geschichte spielt, also Portsmouth, New Hampshire. Derek hat diese Dinge zusammen mit dem Fotografen, der all unsere Cover gemacht hat, in Szene gesetzt. Die Fotos unserer Platten-Artworks stammen übrigens alle aus der gleichen Gegend – Derek stammt von da.

Was ist der Grund, dass ihr euch textlich in euren Platten – speziell beim neuen Album – auf jene Zeit konzentriert, also die des Zweiten Weltkriegs?

Ich hatte zu Beginn, als wir die Band gründeten, diese Idee eines sich über mehrere Platten erstreckenden Konzepts. Mir schwebte für DEFEATER vor, daraus so eine Art Kunstprojekt zu machen. Ich finde es reizvoll, alle Platten miteinander zu verbinden. Meine Vorstellung war, diese Geschichte in der Gegenwart anzusiedeln, doch Derek schlug dann vor, die Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu nehmen – er hat sich einfach schon immer für diese Zeit interessiert. In Portsmouth gibt es beispielsweise ein Museum rings um ein altes U-Boot, so was hat ihn schon früh beeinflusst. Die Stadt ist eine Marinestützpunkt, sie ist voll von Menschen, die in der Navy sind oder waren – etwa sein Großvater – und da lag es für ihn nahe, eine Geschichte in diesem Kontext zu erzählen. Ich fand nach und nach diese Zeitperiode, die Derek vorgeschlagen hatte, immer interessanter, denn die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird in den USA als eine Art „Goldenes Zeitalter“ angesehen. Gleichzeitig war es aber auch die Zeit, als verschiedensten Fragen nach sozialer Gleichheit aufgeworfen wurden. Dereks Vorschlag, seine Geschichten in jener Zeit anzusiedeln, gefiel mir also immer besser. Wir haben uns so die Möglichkeit geschaffen, viele verschiedene Themen anzusprechen, wie eben nach Gleichheit und Gerechtigkeit, die in dieser Zeit wichtig wurden. Man kann von der Nachkriegszeit natürlich als einem „Goldenen Zeitalter“ sprechen, aber das ist allein die Sicht der weißen Mittelschicht.

Stand von Anfang an fest, dass ihr politische Themen ansprechen wollt?

Nicht zwingend, das hat sich so ergeben. Letzten Endes geht es bei DEFEATER immer um menschliches Handeln, um Menschen. Wenn man beschreibt, wie die Welt durch die Augen eines Menschen gesehen aussieht, portraitiert man auch andere Menschen, und war immer anders. Nimm’ „Travels“, da könnte man denken, es gehe darum, den älteren Bruder des Protagonisten zu dämonisieren, aber dann hört man sich „Empty Days & Sleepless Nights“ an, und plötzlich bekommt die Geschichte einen ganz anderen Dreh. Diese Vielschichtigkeit ist mein Anliegen, denn wir sind alle nur Menschen, die nichts dafür können, in welchem bescheuerten Land sie geboren und aufgewachsen sind. Wir können uns als Kinder nicht dagegen wehren, was unsere Eltern uns beibringen – erst später können wir uns eine eigene Meinung bilden. Ich wollte also DEFEATER nutzen um zu demonstrieren, was es bedeutet, immer nur einer Sichtweise verhaftet zu bleiben, ohne jemals einer anderen Sichtweise eine Chance zu geben.

Im letzten Ox-Interview habt ihr zum Ausdruck gebracht, wie glücklich ihr seid, durch die Band die Chance bekommen zu haben, mehr von der Welt zu sehen und so euren Horizont zu erweitern.

Bevor ich mit DEFEATER diese Erfahrung machen konnte, bezog sich diese Meinung auf die USA, auf mein Umfeld aus Freunden und Familie. Mit der Band stand uns dann plötzlich die ganze Welt offen, man reist herum und stellt fest, dass es in jedem Land coole Menschen gibt, die alle die gleichen Vorlieben teilen: die Menschen wollen lachen, zusammen Spaß haben, was leckeres essen, und vor allem keinen Ärger. DEFEATER machen großen Spaß, die Band ist die beste Erfahrung meines Lebens, das ist alles sehr herzerwärmend. Man lernt so aus erster Hand, dass Nationalismus und wie Länder miteinander umgehen eine Sache von Regierungen sind, aber nichts mit dem richtigen Leben zu tun hat.

Ich las eben einen Artikel über einen Israeli, der eine Online-Kampagne gestartet hat unter dem Motto „Israel loves Iran“, um so gegen die Kriegsrhetorik der Regierung zu protestieren. Aber um auf DEFEATER zurückzukommen: Du erwähntest, dass DEFEATER von Anfang an als Band mit Konzept gedacht war. Hattest du, hattet ihr eine bestimmte Band als Vorbild?

Nein, aber ich habe immer schon Geschichten gemocht, wenn sich verschiedene Elemente verbinden. Ich spiele in Bands, seit ich 14 bin, habe zig Songs über mich selbst geschrieben, oder Freunde und Freundinnen. Ich schrieb über viele isolierte, persönliche Momente, und das war lange Zeit okay, weil es auch Phasen gab, wo das eine kathartische Wirkung für mich hatte. Aber jetzt bin ich erwachsen, ich fühle mich wohler in meiner Haut, da habe ich das Bedürfnis, etwas komplexere Kunst zu schaffen. Genauer kann ich das nicht erklären. Derek und ich waren zum Zeitpunkt der Gründung von DEFEATER einfach „durch“ mit normalen Bands und wollten etwas Neues ausprobieren, fragten uns, was uns eigentlich davon abhält, 100% das zu tun, wozu wir Lust haben. Wir gingen davon aus, dass es eine weitere Band sein wird, von der nie jemand etwas erfahren wird, was sollte uns also davon abhalten? Und so sagten wir „Fuck it!“ und legten los. Wie man weiß, ist das meist der Schlüssel zum Erfolg, also dass man keinerlei Ambitionen hat und einfach macht, was man will.

Du erwähntest eben, dass du Geschichten magst – meinst du damit Bücher, Romane? Was hat dich in dieser Hinsicht inspiriert?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich früher mehr gelesen habe als heute – irgendwie hatte ich da mehr Zeit. Mit meinem Studio hier in Boston habe ich in den letzten Jahren einfach immer so viel zu tun. Meiner wenige Freizeit nutze ich dann lieber, um mit meiner Frau zusammen zu essen. Dazu kommt, dass ich als Kind mit Dyslexie diagnostiziert wurde und von daher immer schon Schwierigkeiten mit dem Lesen hatte – was nicht ausschließt, dass ich gute Geschichten mag. Filme oder Hörbücher sind deshalb mein favorisierter Zugang – oder auch Computerspiele.

Euer neues Album hat mich im der kurzen Zeit, die ich hatte, es kennenzulernen, schon begeistert: ich empfinde es also noch intensiver, aber auch atmosphärischer als die beiden davor. Was ist alt, was ist neu?

Seit dem letzten Album habe ich all mein Geld und all meine Zeit in ein neues Studio investiert, hier im Norden von Boston. Seit der Fertigstellung habe ich dort zwar schon die neue Platte von VANNA aufgenommen, aber unser „Letters Home“ war das erste große Projekt – ich wollte, dass es einfach richtig gut wird, und das hat mich schon sehr inspiriert. Klar, es ist ja auch die Visitenkarte, um zu zeigen, was ich so drauf habe. Neu ist seit diesem Album auch der Schlagzeuger. Bis zum letzten Album war das Andy, aber der hat mit Greenvans eine eigene Firma, er vermietet Tourvans, die mit Biodiesel laufen. Die lief mit der Zeit immer besser, und er hatte immer weniger Zeit für die Band. Keiner wollte was sagen, aber wir merkten schon, dass sich sein Zeitmangel sowohl auf die Band als auch auf seine Firma auswirkte – er konnte nicht so viel geben, wie wir von ihm für DEFEATER verlangten, als wir merkten, dass wir uns noch stärker der Band widmen wollen. Also trennten wir uns, und ich glaube, wir sind heute wieder an einem Punkt, an dem wir ganz unbefangen miteinander umgehen können. Es war wirklich emotional anstrengend, wir dachten anfangs, ohne ihn schaffen wir es gar nicht.

Aber ihr habt es geschafft ...

Ja, Joe Longobardi ist der Neue, und ich kannte ihn schon eine Weile von anderen Bands, die ich aufgenommen hatte. Als wir einen Nachfolger für Andy brauchten, kam er mir in den Sinn, weil er der beste Drummer ist, mit dem ich je gearbeitet habe. Ich fragte ihn erst mal, ob er mit uns touren will, er spielte ein paar Touren mit uns, und irgendwann – ich erinnere mich noch ganz genau, ich war sturzbesoffen, es war im Cassiopeia in Berlin – fragte ich ihn nach einem wundervollen Konzert, ob er nicht „richtiges“ Mitglied von DEFEATER sein will. Das war für uns eine große Sache, und ich denke auch für ihn – mal eine Tour mitspielen, ist das eine, aber sich zu „verpflichten“ das andere. Na ja, ich torkelte also zu ihm rüber und fragte „Do you wanna be in this band or not?“. Er: „Yeah, man!“, und ich: „You’re in!“. Er ist ein phänomenaler Drummer, aber wir hatten bis zu „Letters home“ nie ohne Andy aufgenommen, das war also eine neue Herausforderung, die mich erst mal erstarren ließ. Wir fingen mit dem Songwriting an und waren beide recht ängstlich. Er sagte ganz offen, dass er nicht Andy sei, anders spiele, dass es sicher anders sein werde. Ich sagte, das sei mir klar, und dann legten wir los! Und es machte sofort „Klick!“. Joe hat es einfach drauf, er ist nicht „nur“ ein Drummer, der ausschließlich in Drumparts denkt – er hat immer den gesamten Song im Blick. Wo macht ein Drumfill Sinn, welche Art von Fill ist gefragt, und so weiter. Und wir können sehr offen miteinander umgehen, er ist nicht beleidigt, wenn mir etwas, das er spielt, nicht gefällt. Meine Songwriter-Fähigkeiten und sein Kompositionsgeschick ergänzen sich hervorragend, die sind das Fundament des neuen Albums.

Klingt alles gut – aber du hast dein neues Studio, Derek mit ALCOA noch eine zweite Band, habt ihr da überhaupt Zeit, euch DEFEATER wieder so richtig zu widmen?

Klar, wir haben auch andere Prioritäten. Ich bin verheiratet, Derek heiratet im Oktober, Jake und Joe sind in festen Beziehungen, wir haben also alle auch noch anderes zu tun, wenn wir zuhause sind. Aber wir wissen alle, dass diese Band sicher die einzige Chance in unserem Leben ist, so was zu erleben. Wir können um die ganze Welt fliegen wie ein paar Kinder, können Menschen unsere Musik vorspielen, und so eine Chance bekommt man nur einmal, uns ist da ein großes Glück widerfahren. Klar ist das Touren auch mal hart, aber da muss man rauszoomen können, sich aus der Distanz anschauen, was man da eigentlich macht. Ja, wir haben den Flug verpasst, das Essen ist beschissen, wir sitzen in einer fremden Stadt ... aber was würde ich lieber machen?! Was wir tun, ist ein Geschenk, dessen sind wir uns bewusst.

Euch bedeutet die Band eine Menge, das erkennt man immer wieder. Um so mehr muss es schmerzen, wenn man so angegriffen wird, wie es euch wegen eines Benefiz-T-Shirts für kriegsverletzte US-Soldaten widerfahren ist. Auch mir hat diese Unterstützung für Soldaten nicht gefallen, aber ich bin sicher, dass du dazu eine gute Erklärung hast.

Das Ganze ist ein Thema, das sehr viel Leidenschaft entfacht, wie wir feststellen mussten. Ich kann absolut verstehen, warum das so ist, und ich bin auf niemand wütend. Wir wurden bei der ganzen Sache aber von Anfang an missverstanden und wir haben gemerkt, wie schwer es ist, sich so zu äußern, dass man so verstanden wird, wie man verstanden werden will. Wir stellten fest, dass wir keine Kontrolle mehr haben über alles, was da vor sich geht, dass wir nicht mehr alles selbst kontrollieren, dass das Label da mitredet, unsere Promoterin, unsere Bookingagenturen, unser Tourmanager, unser T-Shirt-Verkäufer, und so weiter. So ist das eben als Band, die nicht mehr ganz klein ist und alles selbst machen kann. Wenn man dann also etwas zu verkünden hat, etwa diese Benefiz-Aktion, dann können sich auch solche „Stille Post“-Effekte ergeben. Letztlich ist genau das passiert – wir wurden völlig missverstanden. Unsere EP „Lost Ground“ von 2009 ist klarer Ausdruck unserer Kritik am Umgang der USA mit Minderheiten, klare Kritik an der Art, wie dieses Land sein Militär einsetzt. In keinster Weise hatten wir die Absicht, irgendwie nationalistisch rüberzukommen, und jeder, der uns privat kennt, kann bestätigen, dass wir so nicht drauf sind. Worum es uns geht: Unsere Armee sucht sich neue Rekruten nicht in Kreisen reicher Weißer mit guter Bildung, sondern sie zielt auf arme Menschen mit geringer Bildung, um die dann für sie die Drecksarbeit tun zu lassen. So kommt es, dass 16-, 17-Jährige sich bei der Armee verpflichten, die es einfach nicht besser wissen. Die kommen dann Jahre später als körperliche und/oder seelische Wracks zurück nach Hause – und keiner kümmert sich um sie. Und das macht mich sauer!

Was vielen Leuten hier in Europa aufstieß, war wohl die Verwendung des Wortes „hero“ in diesem Kontext. Daran entzündete sich wohl letztendlich der Sturm der Entrüstung.

Ich weiß! Und das genau meine ich mit „Stille Post“! Hätte ich zu diesem Benefiz-Shirt selbst einen Satz geschrieben, wären das niemals meine Worte gewesen. Wir haben schnell kapiert, dass es wirklich nur ein winziges Detail war, das falsch war, wegen dem wir für schuldig befunden werden. „Oh shit!“, das war unsere Reaktion! Wir haben mit Stellungnahmen reagiert, aber es ist leicht, bei diesem Thema schnell und leidenschaftlich zu reagieren. Und es ist noch viel leichter, bei einer einmal gefassten Meinung zu bleiben, anstatt sie zu überdenken. Die Ironie ist, dass es uns bei DEFEATER eigentlich schon immer um genau das ging. Wann immer man unterschiedlicher Meinung ist, kann man darüber diskutieren, aber in diesem Fall ist uns die Diskussion entglitten. Tja ...

Man gerät schnell in die Position, in der man Ziel eines Shitstorms wird und erkennt, wie schwer es für beispielsweise große Firmen sein muss, auf so etwas zu reagieren.

Ich bin kein Fachmann in Sache Krisenmanagement, ich war völlig verblüfft, als ich merkte, dass egal, wie wir reagieren, es gegen uns ausgelegt werden würde. Man hat das Gefühl, alles ist vorbei. Ich kann rückblickend nur jedem empfehlen, sich selbst seine Meinung zu bilden. Wir haben online alles dokumentiert, wer will, kann sich das durchlesen, und wer uns dann immer noch hassen will, der soll das tun. Wir sind nur eine Band, ein paar Jungs, okay, dann hass’ uns eben. Wenn nicht ... dann komm zu einer Show, rede mit uns. Es tut mir wirklich leid, dass es soweit gekommen ist. Jetzt wollen wir nach vorne blicken, wollen zeigen, dass wir ganz normale, mitfühlende Menschen sind. Und ich freue mich, dass sich irgendwer für unsere Musik interessiert, dass mich wie du jetzt jemand anruft und mit mir über meine Musik sprechen will. Ich weiß das echt zu schätzen.