PENTAGRAM

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Der Soundtrack für die eigene Beerdigung

Du bist ein Fan trashiger Gothic-Filme und suchst noch nach einem passenden Soundtrack für deine Beerdigung? Dir kann geholfen werden! Hohlwangiger, fluchbeladener Gesang, getragen von Gitarrenriffs, die so schwermütig vorwärts kriechen wie mit Mühlsteinen beladene Nacktschnecken. Die Musik von PENTAGRAM hört man am besten auf Kopfhörer – in einem Sarg.

Was sicher damit zu tun hat, dass Bobby Liebling, koboldhafter Frontmann dieser obskuren US-Doom Metal-Formation, der mit flusigem Haar und schmächtigem Köper wirkt wie der obszöne Zwilling von Ronnie James Dio, gut vierzig seiner sechzig Lebensjahre als lichtscheuer, in Crack-Schwaden gehüllter Drogen-Ghul im Souterrain seiner Eltern gefristet hat. Man könnte sagen, Bobby Liebling habe ein typisches Rock’n’Roller-Leben geführt. Nur dass die Exzesse bei ihm nicht mit den Erfolgen kamen, sondern solche gar nicht erst zuließen. Hinzu kamen eine Menge Pech, schlechtes Timing, falsche Karriereentscheidungen und verpasste Gelegenheiten. Doch mit Hilfe seines Fans, späteren Freundes und Notbehelfs-Managers Sean „Pellet“ Pelletier gelang Bobby Liebling 2009 schließlich ein Bühnen-Comeback. Während der Vorbereitungen zu einer Show lernte der Mittfünfziger die 33 Jahre jüngere Hallie Miller kennen, gab ihr zuliebe die Drogen auf, verließ den elterlichen Keller und wird am Ende sogar glücklicher Ehemann und Vater.

Nachzuvollziehen ist das alles auf der kürzlich auf DVD erschienen Dokumentation „Last Days Here“ der amerikanischen Filmemacher Don Argott und Demian Fenton. Happy End? Nun ja, derzeit lebt das Paar getrennt, Bobby Junior hat Liebling seit zehn Wochen nicht gesehen. Jetzt sitzt er im Backstageraum des Berliner Astra Kulturhauses und schaufelt eine Ladung Salat mit dicken Camembert-Scheiben in sich hinein. Die Gabel hält er mit fleischigen, schwer beringten Fingern, die einen auffälligen Gegensatz zu seinen dünnen mit Fixer-Narben übersäten Armen bilden. Ansonsten scheint Liebling aber fit für den Auftritt beim dreitägigen Desertfest, nur sein stark mäandernder Gesprächsfluss ist mitunter etwas verwirrend. Hinzu kommt, dass auf der nur wenige Meter entfernten Bühne gerade Bobbys Ex-Gitarrist Victor-Griffin mit seiner neuen Band IN-GRAVED lärmt. Da Bobbys Sprechstimme – anders als sein Gesang – eher leise und brüchig ist, macht dieser Umstand das Interview auch nicht gerade leichter.


Bobby, du machst diesen Job seit vierzig Jahren. Warum sind PENTAGRAM heute so erfolgreich wie nie zuvor?

Ganz einfach, weil ich keine Drogen mehr nehme.

PENTAGRAM waren immer so etwas wie eine Kultband, aber immerhin lässt sich heute sagen, der Kult ist größer als je zuvor.

Ich glaube nicht, dass wir noch immer eine Kultband sind. Ich glaube, dass wir im vergangenen Jahr den Übergang zu einem mehr oder weniger kommerziellen Markt geschafft haben. Wir haben viele große Festivals mit wirklich großen Bands gespielt, TWISTED SISTER zum Beispiel. Aber es stimmt schon, so richtig sind wir nie aus dem Underground herausgekommen, weil ich lange einfach zu fertig war. Bis 2009 haben wir ja nie richtig getourt. Da gab es uns schon 39 Jahre. Ich glaube, die Leute sind zu den Shows gekommen, weil sie dachten, wer weiß, wie lange er noch da ist.

Das wollte ich gerade fragen, ob du darüber denkst, dass die Leute nur kommen, weil sie denken: „Vielleicht fällt er morgen tot um?“

Ich denke, dass es zumindest am Anfang bestimmt so war. Es hat schließlich keiner dran geglaubt, mich jemals nüchtern zu sehen. Ich habe ja selbst nicht dran geglaubt, dass ich jemals von den Drogen loskomme – bis ich schließlich meine Frau getroffen habe. Sie war der Grund, warum ich aufgehört habe.

Wie bereitest du dich auf eine Tour vor?

Gar nicht, haha. Vor einer Tour bin ich ein nervöses Wrack. Drei Tage bevor es losgeht, habe ich immer alles schon komplett gepackt, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich nichts vergesse. Dann darf auch niemand mehr meinen Koffer anfassen – auch meine Frau nicht. Ich hoffe, ich kann das noch sagen, meine Frau. Wir hatten ein paar Probleme in letzter Zeit, musst du wissen.

Was hältst du davon, dass viele der neuen Doom-Bands, die hier beim Desertfest spielen, euch als Einfluss nennen?

Ich finde das sehr schmeichelhaft.

Aber gefällt dir die Musik dieser Bands?

Ich stehe mehr auf Wayne Kramer – von dem habe ich viel gelernt. Viele Bands, die ich mag, gibt es auch gar nicht mehr, STRAY, GROUNDHOGS, SIR LORD BALTIMORE, BUDGIE, FROST, THE PAGANS, MC 5, THE STOOGES. 77er-Punk finde ich auch gut. Die VIBRATORS höre ich mir oft an. Was gibt’s noch? THE SAINTS, DEAD BOYS – die DEAD BOYS sind sowieso das einzig Wahre! Das waren super Musiker, die richtig spielen konnten und dazu verdammt schnell. Ich mag aber nur die ersten zwei Alben.

Wie siehst du die Metal-Szene insgesamt heute?

Ich denke, es ist vorbei mit dem Metal. Es wurde alles gemacht und alles ausprobiert. Viele der Metal-Dudes von früher leben auch gar nicht mehr. Heute spielt doch keiner mehr richtige Musik – und das ist, was ich immer gemacht habe und immer machen werde. Heute ist Heavy Metal „Roaarhhgrgrgrrrwuawua“ [verzieht das Gesicht und macht bellende Geräusche]. Deswegen würde ich uns nach heutigen Maßstäben auch nicht als Heavy-Metal-Band bezeichnen. Das hat vielleicht in den frühen Siebzigern gepasst, aber heute nicht mehr. Ich würde sagen, wir spielen Hard Rock.

Welcher Sound hat dich zuallererst angefixt?

Eigentlich Fünfziger-Doo-wop. Doch dann kamen erst die British Invasion und dann die amerikanischen Bands, die zwischen 1963 und ’66 darauf geantwortet haben. Die waren ein riesiger Einfluss für mich. Als sie mich mit fünf fragten, was ich werden will, sagte ich, New York Yankee oder Rockstar. Ich war mir also noch nicht sicher. Dann sah ich das erste Mal die BEATLES in der Ed Sullivan-Show und lauter Höschen und BHs flogen auf die Bühne. Da sagte ich, das ist es, was ich machen will!

Die Höschen waren der Grund?

Ja, ursprünglich waren es die Mädels. Wenn du so ein verrückter, hässlicher, exzentrischer, merkwürdiger Hurensohn bist wie ich, ist das doch die einzige Möglichkeit, an Frauen ranzukommen. Als die BEATLES bei Sullivan waren, war ich neun, und mit zehn gründete ich meine erste Band.

Spielst du auch ein Instrument?

Seit 51 Jahren spiele ich Gitarre und Bass.

Ich habe mal gehört, dass du in den Siebzigern in relativ kurzer Zeit eine enorme Anzahl Songs geschrieben hast.

Zwischen 1971 und ’74 habe ich etwa 450 Songs geschrieben und seitdem vielleicht noch mal 2.000. Mir werden also nie die Lieder ausgehen. Ich habe mir einen Zeitplan gemacht, nachdem ich in einer Stunde drei Songs schreiben musste. Damals hatten sie gerade „Boone’s Farm Apple Wine“ erfunden. Also habe ich eine Flasche Wein getrunken und wenn ich nach einer Stunde keine drei Songs fertig hatte, habe ich die unfertigen in den Müll geworfen. Über die Jahre habe ich aber die Lust verloren, Musik zu komponieren, meine Texte allerdings haben erheblich an Tiefe gewonnen. Durch die Weisheit, die ich bestimmte Dinge betreffend mittlerweile erworben habe. Für das nächste Album möchte ich aber einige der ganz alten Songs aus den Sechzigern verwenden, die klingen nach Mersey Beat und den BEATLES. Und ich möchte auch ein paar Akustik-Songs aufnehmen und darauf Gitarre spielen.

Nach Victors Abgang im vergangenen Jahr musstet ihr einen neuen Gitarristen finden. Wie hat das geklappt?

Ich glaube, er hatte sich auf eine Anzeige hin gemeldet – mit 85 anderen. Beim ersten Vorspielen ist er aber durchgefallen. Wir haben uns für einen anderen entschieden, aber nach drei Wochen merkten wir, dass es irgendwie nicht funktioniert. Also haben wir Matt Goldsborough noch mal eingeladen. Er hat einfach ein super Feeling für die Musik der Sechziger und Siebziger. Ich bin einfach sehr froh über Matt, er ist ein toller Gitarrist. Er hat in nur vier Tagen alle unsere Songs gelernt und heute ist erst sein zweiter Auftritt mit uns. Ich hoffe, dass dieses Line-up Bestand hat, denn es ist eines der stärksten, das wir je hatten. Ich hoffe, dass die Band keine Besetzungswechsel mehr verkraften muss, ich bin es leid.

Davon gab es ja reichlich, oder?

Die Leute sagen immer, es habe so viele verschiedene Versionen von PENTAGRAM gegeben. Aber das stimmt eigentlich nicht. Es waren gar nicht sooo viele, es haben immer nur einzelne Mitglieder gewechselt. Meistens Gitarristen. Der von der ersten Besetzung etwa ist an einem Gehirntumor gestorben, da war er erst fünfzig und der andere Gitarrist, der gleichzeitig in der Band war, wurde nur 49.

Wenn du heute zurückschaust, überwiegt da die Trauer, dass du so viele Jahre deines Lebens vergeudet hast, oder bist du einfach nur froh, doch noch die Kurve gekriegt zu haben?

Irgendwie beides. Es weiß ja keiner, was hätte geschehen können, wenn ich nicht die ganze Zeit zugedröhnt gewesen wäre. Andererseits könnte ich längst tot sein. Aber natürlich bereue ich manche Dinge. Denn im Musikgeschäft verdienst du heute so verdammt wenig im Vergleich zu früher. Ich wünschte schon, ich würde in einer anderen Liga spielen mit einem Haufen Ruhm und Geld. Meine Frau ist sehr jung und mit dem Geld, das ich früher bekommen habe, hätte ich es leichter, meine Familie zu versorgen. Aber um meinetwillen tut es mir nicht leid, weil es nichts ändern würde. Du kannst es also drehen und wenden, wie du willst.

Bist du völlig abstinent oder trinkst du schon mal ein Bierchen?

Nein, ich trinke nichts, gar nichts, nein, nein, nein. Ich habe mit allem komplett aufgehört. Meine Frau ist die einzige Person in vierzig Jahren, die geschafft hat, was alle Beratungen, Entgiftungen und Krankenhausaufenthalte nicht geschafft haben. Ich habe einfach keine Lust mehr, ständig weggetreten zu sein. Das bringt mir nichts mehr. Ich will lieber mitbekommen, was um mich herum geschieht. Ich nehme Medikamente gegen hohen Blutdruck, das war’s. Mann, ich bin jetzt 59 und meine Frau wird am Montag 27.

Ja, da muss man mithalten!

Von wegen, sie muss mithalten, haha.

Wie ist eigentlich das Verhältnis zu deinem Vater? Er war ein hohes Tier im Pentagon und hatte die ganze Zeit diesen Hippie-Ganoven-Junkie im Keller. Hattet ihr viele Konflikte? Im Film hat es so gewirkt, als hätten dir deine Eltern immer die Stange gehalten.

Mein Vater war das Pentagon. Er war das absolute Gegenteil von mir – in jeglicher Hinsicht, die mir einfällt. Er wollte, dass ich Rechtsanwalt bei einer großen Firma werde, kein Rocksänger. Die Familie meiner Mutter war anders. Dort gab es Musiker und Stand-up-Comedians.

Dein Sohn, kommt der mehr nach dir oder seiner Mutter?

Nach mir! Er ist genau wie ich! Ich werde also auf ihn aufpassen müssen. Ich will nicht, dass er so wird wie sein Daddy. Ich will nicht, dass er Drogen nimmt. Und ich will, dass er viele Freunde hat. Er singt gerne. Er soll tun, was ihm Freude macht, aber ich würde ihn nicht dazu drängen, professioneller Musiker zu werden. Leider verdient man nichts mehr, also brauchst du einen Plan B. Den habe ich zum Beispiel nicht. Schön, wir hatten in unserer Karriere zehn verschiedene Plattenfirmen und die Royalties bekomme ich bis an mein Lebensende. Aber das Problem ist, wenn du zu alt bist und nicht mehr auftreten kannst, dann war’s das. Dann werfen sie dich auf den Knochenacker. Keine Sozialversicherung, keine Rente, nichts!

Irgendwann wird man in jedem Job ausrangiert.

Aber du bekommst wenigstens Sozialleistungen. Im Rock’n’Roll kriegst du einen Dreck. Du kriegst vielleicht einen Sarg – wenn du Glück hast. Wenn ich keine Drogen genommen hätte, würde ich jetzt auf meinem Arsch sitzen, Kabelfernsehen gucken und mein Geld zählen. Aber so ist es nun mal nicht gelaufen.

Was sind also deine Zukunftspläne?

Ich würde gerne noch einen Vertrag für ein paar Alben unterzeichnen und wieder mit meiner Frau und meinem Sohn zusammenkommen. Außerdem möchte ich gerne in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen werden. Das ist mein Lebenstraum!