Alles für alle - Viva Zapata - Der Aufstand in Mexiko

Nach dem Massaker im Dezember 1997 an 45 indigenen Frauen, Kindern und Männern in Acteal, einer Gemeinde im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, wurde für eine kurze Zeit das Interesse der Weltöffentlichkeit auf den dortigen Konflikt gelenkt.

Dies war nach dem spektakulären Beginn des zapatistischen Aufstands am 1. Januar 1994 das zweite Mal, daß Bilder aus diesem Krisengebiet um die Welt gingen. Aber schon nach wenigen Tagen verschwanden die Berichte wieder aus den meisten Medien. Oft werden die Hintergründe dieser Rebellion gegen die Ausbeutung durch den mexikanischen Staat und den Neoliberalismus2 überhaupt nicht erwähnt. Dieser Artikel soll die Entstehungsgeschichte des Aufstands beleuchten und den Bogen zur aktuellen Situation schlagen, denn seit April 1998 wird wieder vermehrt über krasseste Menschenrechtsverletzungen und Morde durch rechte Banden, Polizei und Bundesarmee an der oppositionellen Zivilbevölkerung berichtet. Viele, die sich seit Jahren mit Chiapas beschäftigen, fürchten nun die völlige Zerschlagung dieser gerechtfertigten Erhebung.

Besonderheiten von Chiapas

Chiapas ist der südöstliche, an Guatemala angrenzende Bundesstaat von Mexiko. Chiapas ist reich an Bodenschätzen (Erdöl, Erdgas), produziert Strom (Wasserkraft) und verfügt über fruchtbares Land, auf dem u.a. ein Großteil des mexikanischen Kaffees angebaut wird. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt jedoch in Armut, da die Gewinne der Rohstoffe und des Bodens nicht in Chiapas bleiben oder von der Oberschicht beansprucht werden. Hier handelt es sich hauptsächlich um Großgrundbesitzer, deren Familien aus Europa eingewandert sind. "Dieses Land zahlt weiter seinen Tribut an die Imperien; Öl, Strom, Vieh, Geld, Kaffee, Bananen, Honig, Mais, Kakao... . Und chiapanekisches Blut, das über die tausendundeinen Plünderzähne hinausfließt, die an dem Hals des südöstlichen Mexikos saugen. Eine Handvoll Kaufleute, unter ihnen der mexikanische Staat, holen aus Chiapas all ihren Reichtum und hinterlassen nur ihre tödliche und verpestete Spur."3 Der mehrheitlich indigenen Bevölkerung fehlen die elementarsten Lebensgrundlagen. Die Menschen sterben wegen mangelhafter ärztlicher Versorgung an heilbaren Krankheiten wie Masern, Durchfall oder Lungenentzündung. Etwa 70 % der Kinder sind unterernährt, viele beenden nicht einmal das erste Schuljahr. Die Rate der AnalphabetInnen ist dementsprechend hoch. Es gibt kaum Strom und fließendes Wasser, oft existiert keine Kanalisation. Die fruchtbaren, leicht zu bebauenden Landstücke liegen in den Händen weniger Großgrundbesitzer.

Die Entstehung der EZLN

Die EZLN (Zapatistische Nationale Befreiungsarmee) entstand in einem über 10jährigen Prozeß. Die Aufständischen haben sich nach Emiliano Zapata benannt, der während der mexikanischen Revolution zwischen 1910 und 1919 unter der Parole "Land und Freiheit!" bäuerlich-indigene Truppen gegen das Militär des Diktators Porfirio Díaz angeführt und so maßgeblich zum Sturz dieser Diktatur beigetragen hatte.

Anfang der 80er Jahre, zu Beginn der Entstehung der EZLN, fand sich eine kleine Gruppe im Regenwald von Chiapas zusammen, die ein ,klassisches' Konzept verfolgte, das sich an anderen lateinamerikanischen Guerillas orientierte. Es ging - vereinfacht gesagt - darum, die bisherige Regierung Mexikos zu bekämpfen und im besten Fall zu stürzen, um sie durch einen sozialistisches Staatsmodell zu ersetzen. Die Gruppenmitglieder aus den Städten mußten zunächst jedoch lernen, in den Bergen des lakandonischen Urwalds zu überleben. Nach wenigen Jahren erkannten sie, daß ihre bisherigen Vorstellungen nicht umsetzbar und für die indigene Bevölkerung vor Ort unangemessen waren.

Es wurden die ersten Kontakte zu Indigenas aufgenommen. Es gelang der Gruppe, einige von der Notwendigkeit der Verteidigung ihrer Rechte zu überzeugen und nach drei Jahren vergrößerten junge Indigena-Männer die Gruppe. Es begann ein bemerkenswerter wechselseitiger Lernprozeß: "Zusätzlich zu ihrer Kondition, die sie für ein Leben in den Bergen befähigte, brachten sie uns ihre Weltsicht sowie ihre Sicht des Kampfes und ihre Kultur. Das heißt, in dieser Aufbauphase bewegten wir uns in einer Schule, wo es nicht klar war, wer Lehrer und wer Schüler war."4 In diese Zeit fällt ein weiteres Ereignis, das von der EZLN als sehr wichtig eingestuft wird: Aus den indigenen Dörfern heraus schlossen sich auch Frauen der EZLN an. Zunächst nur wenige, aber über die Jahre glich sich das Verhältnis aus und Frauen bekleiden heute auch höhere Ränge in der Guerilla. Für die ersten Frauen der EZLN bedeutete dieser Schritt einen völligen Bruch mit der Dorfgemeinschaft. Die EZLN schreibt dazu: "Aber nicht nur für sie war es ein einschneidender Schritt, auch für uns, wo wir doch immer dachten, Guerilla sei eine Männersache. Wir würden lügen, wenn wir behaupteten, wir seien von Anfang an emanzipiert gewesen - wir waren Machos wie alle anderen auch, vielleicht sind wir es auch heute noch. Die Frauen haben sich mittlerweile ihren Platz in der EZLN erobert. [...] Es war ein harter und sehr konsequenter Kampf von seiten der Frauen. Und er ist immer noch nicht zu Ende."5 Die Rechte der Frauen wurden in einem revolutionären Frauengesetz manifestiert.

Durch die zunehmende Beteiligung indigener Männer und Frauen an der Guerilla wuchs deren Akzeptanz in den Dörfern und Gemeinden. Mit der Zeit erkannten viele die Ziele der EZLN als ihre eigenen an. Die EZLN ihrerseits zeigte -obwohl sie eine militärische Gruppierung war- immer mehr Verständnis für die traditionellen Entscheidungsformen der Dörfer: Wichtige Beschlüsse wurden hier schon seit vorkolonialer Zeit basisdemokratisch gefaßt. Stand eine Entscheidung an, trennten sich Männer und Frauen und diskutierten. Sie trafen dann wieder zusammen und verglichen ihre jeweiligen Ansichten. Stimmten diese überein, wurde die Entscheidung auf diese Weise getroffen. Stimmten diese Ansichten nicht überein, trennten sie sich wieder und berieten erneut, trafen wiederum zusammen usw., bis ein Konsens erzielt wurde, d.h. eine Entscheidung, mit der alle leben konnten. Diese basisdemokratische Beschlußfindung wird bis heute praktiziert.

Die EZLN übernahm diese Prinzipien. Die Comandantes der EZLN nennen ihre Art, die Guerilla zu leiten "gehorchend befehlen". Der Willen der Basis bestimmt ihre Befehle. Dies ist eine völlig neue Qualität der Organisation - auch für eine Armee von Aufständischen. (Etwas vergleichbares gab es höchstens innerhalb der anarchistischen Milizen während des Spanischen Bürgerkrieges 1936-39).

Die EZLN hat sich seit ihrer Gründung stark weiterentwickelt. Die Zapatistas wollen nicht die politische Macht erobern, sie fordern Freiheit, gerechte Landverteilung, eine basisdemokratische Gesellschaftsordnung, die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, Gleichberechtigung, das Ende der Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung, die Autonomie der indigenen Bevölkerung, ein würdiges Leben, mehr Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur etc. - zusammengefaßt in der Parole "Alles für alle!".

Die Ursachen des Aufstands

In Mexiko herrscht seit fast 70 Jahren eine einzige Partei, die PRI (Partei der institutionalisierten Revolution). Zu Beginn ihrer Herrschaft gab die PRI vor, revolutionären Zielen zu folgen und es wurde sogar ein Artikel (Nr. 27) in der Verfassung geschaffen, der eine gerechtere Landverteilung vorsah. Die Guerillagruppen (auch die von Emiliano Zapata angeführte), die entscheidend zur Machtübernahme der Vorläuferpartei der PRI beigetragen hatten, fühlten sich jedoch bald um ihre Ideale betrogen und wandten sich ab. Mit der Zeit wurde so wieder einmal deutlich, daß "Staat" und "Revolution" nicht zusammen passen, und daß eine anfangs durchaus fortschrittliche Elite auf Dauer ihre Macht nicht mehr hergeben will. Die revolutionären Ziele wurden von der PRI mehr und mehr vernachlässigt bzw. gänzlich fallengelassen. Übrig blieb ein Staat, in dem Korruption auf der Tagesordnung steht, in dem es nach wie vor Ultrareiche gibt und eine elitäre Clique die Herrschaft innehat. Diese Umstände verursachen die Spaltung der mexikanischen Bevölkerung in PRIistas, die von der jahrzehntelangen Vetternwirtschaft profitieren, und in krasse GegnerInnen der Regierungspartei, die sich vornehmlich aus den ärmeren und indigenen Bevölkerungsgruppen rekrutieren.

Die mexikanische Regierung setzt seit mehreren Jahren verstärkt auf einen industriellen Wirtschaftskurs und hat deshalb die Agrarsubventionen gekürzt, was die Lage der Landbevölkerung verschlechtert. Die teilweise relativ hohen Sozialausgaben der Regierung für Chiapas versanden in der korrupten Bürokratie. Sie werden weiter gekürzt, da Mexiko extrem hoch verschuldet ist und der Hauptkreditvermittler, der Internationale Währungsfonds (IWF), für die weitere Vergabe von Krediten drastische Sparprogramme - vor allem im Sozialbereich - von den jeweiligen Ländern verlangt.

Oft werden Kleinbauern durch die bewaffneten Banden der Großgrundbesitzer vertrieben oder erschossen, um weiteres, leicht zugängliches Land kontrollieren zu können. Desweiteren ist die Abholzung des Regenwalds für Indigenas verboten, für Konzerne dagegen oft erlaubt. Die Indigenas holzen stets nur kleine Stücke und gewisse Pflanzen ab, um sich selbst versorgen zu können. Die breiten Schneisen, die momentan vom Militär in den Regenwald geschlagen werden, werden ohne Zweifel in Zukunft von Konzernen genutzt, welche die noch unzugänglichen Rohstoffe ausbeuten wollen.

Am 1.1.94 trat NAFTA (das Nordamerikanische Freihandelsabkommen) zwischen USA, Kanada und Mexiko in Kraft, was den eh schon neoliberalen Kurs der PRI weiter erhärtete. Viele Befürchtungen, vor allem der verheerende Sozialabbau und der ungebremste Strom von Investitionen, Billigprodukten und Lohndumping, sind tatsächlich eingetreten. Trotz dieses harten Wirtschaftskurses, der z.B. Kleinbetriebe schutzlos dem Wettbewerb mit großen Konzernen aussetzt und sie so zerstört, hat sich die Verschuldung Mexikos nicht verringert. Die Armen wurden ärmer, die Reichen reicher, und durch den rassistischen Alltag dort sind vor allem Indigenas die Leidtragenden.

Ein entscheidender Schritt der Regierung, der vor allem die Landbevölkerung hart traf, stellte die faktische Abschaffung des Artikels 27 (Recht auf Land) der Verfassung dar. Diese Bestimmung mußte unter dem Druck von USA und Kanada während der NAFTA-Verhandlungen von der Regierung zurückgenommen werden, damit nordamerikanische Investoren sich in die mexikanische Landwirtschaft einkaufen konnten, was sie mittlerweile in großem Stil getan haben, während viele Kleinbauern vertrieben worden sind.

Der Aufstand und die Verhandlungen

Nach zahlreichen vergeblichen Aktionen (z.B. Protestmärschen, Demonstrationen, Anträgen an die Regierung, Landbesetzungen, Gewerkschaftsaktivitäten), die meist in Repression endeten, sahen die Menschen keinen anderen Ausweg mehr: Um endlich gehört zu werden, beschloß die Unterstützungsbasis in den Gemeinden Ende 1993, daß die EZLN am 1. Januar 1994 (dem Tag des Inkrafttretens des NAFTA-Abkommens) den bewaffneten Kampf beginnen sollte. Dieser richtete sich gegen die PRI-Regierung, die Großgrundbesitzer und ihre Paramilitärs und gegen die Ausbeutung allgemein. Sie wollten lieber in Würde sterben als so weiterleben wie bisher. Einige hundert maskierte Guerilleras und Guerilleros besetzten einige Städte und Ortschaften von Chiapas. Vom Rathaus von San Cristobal de las Casas, der größten Stadt von Chiapas, ließen die Zapatistas u.a. die Besitzurkunden der Großgrundbesitzer auf die Straße regnen und verlasen ihre Kriegserklärung, die mit dem Ausruf "Ya Basta!" (Es reicht!) begann. Die EZLN enteignete und verteilte Lebensmittel und Medikamente. Einige Großgrundbesitzer wurden verjagt, ihr Land aufgeteilt und in der Folge (teilweise bis heute) gemeinsam bewirtschaftet, wie es die Indigenas schon seit Jahrhunderten tun.

Die Bundesarmee schlug brutal zurück und bombardierte auch zivile Dörfer. Nach heftigen Gefechten zog sich die EZLN in die Berge des lakandonischen Urwalds zurück. Die Regierung bot unter dem Druck der Weltöffentlichkeit einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen an. Die Basis der EZLN stimmte dem zu und ein langwieriger Verhandlungsprozeß unter der Vermittlung der Kirche und einer parlamentarischen Kommission begann. Im Verlauf dieses Prozesses wurde deutlich, daß die Regierung einerseits mit den Zapatistas verhandelte und andererseits immer mehr Militär in Chiapas zusammenzog. Das bereits von EZLN und Regierungsdelegation ausgehandelte "Abkommen von San Andres" über die Rechte der Indigenas in bezug auf Kultur und selbständige Verwaltung wurde von der Regierung nie umgesetzt. Dies war der Grund, warum die EZLN 1996 die Verhandlungen abbrach. Die Zapatistas fühlten sich hintergangen und verraten. Während die Regierung auf Zeit spielte, ging der Terror der "Guardias Blancas" ("Weiße Garden" der Großgrundbesitzer) und anderer reaktionärer Paramilitärs unvermindert weiter und steigerte sich sogar, begleitet von Repression durch Armee und Polizei. Bereits 1994 setzte die Regierung einen (später bekannt gewordenen) Geheimplan in Bewegung. Durch einen "Krieg niederer Intensität" sollte der Widerstand der Bevölkerung durch Einschüchterungen und Terrorakte gebrochen werden und zudem die Guerilla zu einer militärischen Konfrontation provoziert werden, an deren Ende die völlige Zerschlagung der zapatistischen Rebellion stünde.

Der basisdemokratische Charakter der EZLN zeigte sich ein weiteres Mal, als sie eine mexikoweite Befragung durchführte. Hier entschieden die ca. 1 Million Befragten, daß die EZLN keinesfalls eine Partei werden sollte oder nur noch politisch tätig sein sollte. Mit der FZLN (Zapatistische Nationale Befreiungsfront) wurde ein "politischer Arm" gegründet, in dem sich die Menschen der gesamten "Zivilgesellschaft" (also alle, die keiner Partei, der Polizei, dem Militär oder gar der Regierung angehören) zusammenschließen. Die FZLN organisiert seitdem Hilfslieferungen, betreibt Öffentlichkeitsarbeit, unterstützt Menschenrechtsgruppen und versucht die Forderungen der Zapatistas zu verbreiten. Bei Demonstrationen und Aktionen wurde deutlich, daß den Zapatistas durchaus Sympathien von Teilen der mexikanischen Bevölkerung entgegengebracht werden.

Wenn die Regierung das Abkommen von San Andres umsetzen würde, wären die Zapatistas sofort wieder zu weiteren Verhandlungen bereit, was einmal mehr ihre Dialogbereitschaft unter Beweis stellt.

Eine neue Internationale der Hoffnung und des Widerstands?

Viele linke Gruppen und Menschen in Mexiko aber auch weltweit knüpfen große Hoffnungen an diese neue Politikform der Zapatistas, die niemanden ausschließen will und vom gegenseitigen Zuhören lebt, um eine solidarische Weltgesellschaft aufzubauen. So entstand eine zivile Bewegung, die sich unabhängig von Parteien international organisiert, um für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus zu kämpfen. Auf den Vorschlag der Zapatistas gab bereits mehrere kontinent- und sogar weltweite Treffen, wo über den Widerstand gegen die globale Ausbeutung diskutiert wurde, viele Kontakte geschlossen und Strategien ausgetauscht wurden.

Die aktuelle Situation in Chiapas

22.12.97. In Acteal werden 45 oppositionelle ZivilistInnen getötet, während in einer Holzkapelle Kleidung vom Roten Kreuz verteilt wird. Neun der Getöteten sind Männer, der Rest Frauen und Kinder. Die Angreifer schießen eine Stunde auf die Opfer ein, danach verstümmeln sie sie vier Stunden lang. Die Polizei ist in Hörweite, greift aber nicht ein. Verantwortlich für das Massaker ist die Gruppe "Mascara Rojo" (Rote Maske), eine paramilitärische Gruppe, die nachweislich von lokalen Politikern der PRI unterstützt wurde.

Januar 1998. Die Folgen des Massakers: Weltweite Proteste. Einige lokale und regionale PRI-Politiker treten zurück, 39 Personen werden festgenommen. Die mex. Regierung nutzt die Situation, um weitere 5-6.000 Soldaten in Chiapas zu stationieren. Der Zugang für Presse und Menschenrechtsgruppen wird erheblich erschwert. Flüchtlingswellen durch Einschüchterungen und Terror gegenüber der Zivilbevölkerung. (Jungle World/taz Januar 98)

Februar 1998. Rot-Kreuz-Helfer entdecken sieben Leichen. Angehörige erklären, die Opfer hätten mit der EZLN sympathisiert. Ein Indigener, der kurz zuvor internationalen BeobachterInnen Auskunft über Menschenrechtsverletzungen gegeben hatte, wird erschossen.

Mexikos Regierung verweist den französischen Priester Michel Chanteau des Landes. Als Grund nennt das Innenministerium "unautorisierte politische Aktivitäten". Seit 32 Jahren war Chanteau in Chiapas tätig und hatte nach dem Massaker von Acteal öffentlich erklärt, daß dies ein Regierungsplan war, um die Unterstützung der Bevölkerung für die EZLN zu mindern.

Im regierungstreuen Fernsehen und Zeitungen startet eine großangelegte Kampagne gegen AusländerInnen. Es wird propagiert, die internationalen BeobachterInnen würden Mexiko terroristisch unterwandern und seien der eigentliche Kern der EZLN. Diese Strategie wird von seiten der BeobachterInnen als Vorbereitung der beginnenden Massenausweisungen interpretiert. (Adelante #2)

März 1998. Die EZLN fordert die Umsetzung des Abkommens von San Andres (über Rechte und Kultur der Indigenas), die Entwaffnung der Paramilitärs, ernsthafte Vorschläge zur Demokratisierung, die Freilassung inhaftierter Zapatistas sowie die Ernennung eines entscheidungsbefugten Regierungsbeauftragten für den Dialog. Erst nach Erfüllung dieser fünf Bedingungen sind die Zapatistas zu weiteren Verhandlungen bereit.

60 mexikanische Organisationen fordern von der UN-Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter, der Menschenrechtsverletzungen in Mexiko untersuchen soll. Dazu gehören Folter, Entführungen, das Vorgehen paramilitärischer Gruppen und die Brutalität der Polizei. Die Entführungen stiegen in den letzten Jahren um fast die Hälfte. (Adelante #2)

April 1998. 1000 Sicherheitskräfte überfallen die neu etablierte autonome indigene Gemeinde Taniperlas, inhaftieren neun Einwohner und deportieren zwölf dort festgenommene Ausländer sofort und ohne Gerichtstermin. (Chiapas 98 Nr.1)

Zahlreiche internationale BeobachterInnen werden aus Mexiko ausgewiesen, darunter eine über 100köpfige Delegation aus Italien. Sie erhalten eine 10jährige bzw. lebenslange Wiedereinreisesperre.

Mai 1998. Präsident Zedillo kritisiert "revolutionäre Touristen" und solche, die Mexiko mit politischen Absichten besuchen würden. Die Einwanderungsbehörde kündigt verschärfte Bedingungen für die Einreise internationaler BeobachterInnen an. Die Verfahrensweise der mex. Regierung bei den Ausweisungen von AusländerInnen widerspricht einer UNO-Menschenrechtsresolution, die in allen Ländern den Schutz von BeobachterInnen fordert. Amnesty International bezeichnet die jüngste Welle der Ausweisungen als ein Anzeichen dafür, daß die mexikanische Regierung "keine friedliche Entwicklung...in Chiapas will."

Die Anwesenheit paramilitärischer PRIista Gruppen ist der Hauptgrund, warum Tausende von Flüchtlingen zögern, in ihre Gemeinden zurückzukehren. Mitglieder der Paramilitärs Gruppen, die die 45 Menschen in Acteal töteten, sind nach wie vor auf freiem Fuß.

Der stellvertretende Außenminister sagt, daß die mexikanische Regierung nicht bereit sei, Chiapas in ein "Disneyland" für jene zu verwandeln, die unter dem Vorwand "Beobachter" zu sein, beabsichtigen sich einzumischen. (alles Chiapas 98, Nr.2)

Juni 1998. 1000 Soldaten und Polizisten stürmen die Gemeinde Nicolas Ruiz und nehmen dabei über 100 Menschen fest. Nach Angaben der autonomen Verwaltung werden rund 30 Häuser durchsucht, vielfach wird persönliche Habe mitgenommen. (taz/Frankfurter Rundschau (FR) 5.6.98)

Bischof Ruiz tritt von seinem Posten als Vermittler zwischen mex. Regierung und Zapatistas zurück. Als Begründung gibt er an, es mache keinen Sinn, mit einer Regierung zu reden, die keine Friedensbereitschaft zeige. Zudem wirft er der Regierung vor, für die Verschärfung der Spannungen in der Konfliktregion verantwortlich zu sein. (FR/taz 9.6.98)

Bei einem Großeinsatz von 1000 schwerbewaffneten Polizisten und Soldaten in der autonomen Gemeinde San Juan de la Libertad werden laut Angaben der Staatsanwaltschaft 8 Indigenas und 1 Polizist getötet, die Armee habe lediglich auf eine Aggression der "Rebellen" reagiert. Der Einsatz findet offiziell statt, um die autonome Verwaltung aufzulösen und Haftbefehle gegen AnhängerInnen der Zapatistas zu vollstrecken. Es werden Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt. Ausländische Presse darf nicht in die Stadt. Dies ist bereits der vierte Einsatz gegen eine autonome Gemeinde.

Ca. 100 EinwohnerInnen flüchten in die Berge, fordern die Anwesenheit des Internationalen Roten Kreuzes und sprechen von Terror und Verfolgung. Die Armee habe viele Gebäude zerstört. Die EinwohnerInnen weisen die Vorwürfe zurück, die Polizei beschossen zu haben. Zur Zeit gibt es 38 Ortschaften in Chiapas, die die Forderungen der Zapatistas teilen und eine autonome Verwaltung aufgebaut haben. (Süddeutsche Zeitung (SZ) / taz 12.6.98)

Die UN-Hochkommissarin kritisiert die Menschenrechtsverletzungen in Chiapas. Um die Lage dort zu entspannen, müsse die Militärpräsenz reduziert werden. (SZ 15.6.98)

Die regierungsoffzielle Nationale Menschenrechtskommission Mexikos hat eine Untersuchung des Vorgehens der Armee im Unruhestaat Chiapas eingeleitet, wurde allerdings von den EinwohnerInnen der betroffenen Gemeinden mit "Mörder!"-Rufen empfangen. Bei einer Militäraktion waren in San Juan de la Libertad sowie in zwei Dörfern neun Menschen getötet worden. EinwohnerInnen berichteten, einige der Opfer seien zunächst von der Polizei abgeführt und dann später tot aufgefunden worden. (taz 16.6.98)

Über 17.000 Menschen sind momentan wegen des Terrors paramilitärischer Gruppen, mexikanischer Bundesarmee und Polizei in Chiapas auf der Flucht. In Chiapas sind mittlerweile zwischen 30.000 und 40.000 Soldaten der Bundesarmee stationiert.

Juli 1998. "Mexikos Regierung will die Angehörigen der Opfer des Massakers vom Dezember in der südamerikanischen Krisenregion Chiapas entschädigen. Die Betroffenen nahmen die Entschädigung an, forderten aber weiterhin eine rückhaltlose Aufklärung des Blutbades und eine Bestrafung der Schuldigen." (taz/AFP 4.7.98)

Die mexikanische Regierung hat einen 5-Punkte-Plan vorgeschlagen, der zum Frieden in Chiapas beitragen soll. Zum von der EZLN geforderten Abzug der ca. 50.000 Soldaten der Bundesarmee aus Chiapas ist die Regierung jedoch nicht bereit. Einige Parlamentsabgeordnete erklärten, die Vorschläge enthielten wenig Neues. Der Plan sieht die 'friedliche Auflösung' der etwa 30 autonomen Gemeinden vor, die von den Indigenas selbst verwaltet und bewirtschaftet werden. (Anm. d. Autors: Nahezu alle Verbesserungen, die durch den zapatistischen Aufstand erreicht wurden, würden dadurch rückgängig gemacht.). Gefangene Zapatistas sollen freigelassen werden. Die Regierung will so eine Politik der Entspannung vorantreiben und gleichzeitig die Verhandlungen mit der EZLN wieder aufnehmen. Über 500 namhafte Intellektuelle und WissenschaftlerInnen warfen Präsident Zedillo in einem offenen Brief vor, in Chiapas "mit dem Feuer zu spielen". Sie fragten den Staatschef, ob es nicht möglich sei, gegenüber der indigenen Bevölkerung eine andere Politik zu verfolgen als die des Mordes und der Unterdrückung. (Süddeutsche Zeitung 1.7.98)

Nach einem über viermonatigen Schweigen wendet sich die Führung der EZLN wieder an die Öffentlichkeit. In einer Erklärung hat Subcomandante Marcos eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen ausgeschlossen. Die Regierung habe alles Vertrauen verspielt, da sie ein erstes mit den Zapatistas abgeschlossenes Teilabkommen nicht eingehalten habe. (taz/dpa 18.7.98)

Mehr denn je ist zu befürchten, daß der legitime Aufstand der Zapatistas in Blut ertränkt wird.

SOLIDARITÄT MIT DER EZLN!

Luz Insurgente