VALIENT THORR

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Hart, aber belesen

Die 2000 in Chapel Hill, North Carolina gegründete Band VALIENT THORR ist ein ziemliches Phänomen. Seit nunmehr sieben Alben – gerade erschien „Our Own Masters“ – spielt sie eine eigenwillige Kombination aus sehr direktem Männer-Rock, Alien-Legende („Wir kommen vom Planeten Venus!“) und sehr engagierten, politischen Texten. Die Band um Valient Himself (alle anderen Mitglieder tragen den Nachnamen Thorr) ist eine dauertourende Musikmaschine, die in den USA als Support-Band etwa von MOTÖRHEAD schon einen etwas anderen Status hat als in Europa, wo sie auch nach mehrfachen Touren noch als Geheimtipp gilt. Für Menschen beispielsweise, die eine Alternative suchen zu den zum lahmen Zock verkommenen TURBONEGRO oder den bis auf weiteres an den Nagel gehängten SMOKE BLOW. Ich sprach mit Valient Himself über das neue Album und vor allem dessen eigenwilliges Artwork.

Du klingst, als stündest du in einer Telefonzelle. Wo habe ich dich erwischt?

Valient:
In Kansas City, Missouri – wir sind gerade auf Tour, eben aufgestanden und brauchen jetzt erst mal Frühstück. Danach müssen wir wieder auf die Straße, auf nach Tulsa, Oklahoma, wo wir heute Abend spielen. Wir machen gerade eine kleinere Tour im Osten der USA, dann fliegen wir nach Europa, und danach touren wir im Westen der USA. Und dann kommen wir im November wieder nach Europa, und dann ... touren wir weiter.

Wie viele der 365 Tage eines Jahres seid ihr auf Tour?

Valient:
Sehr viele, letztes und dieses Jahr allerdings etwas weniger. Wir haben gemerkt, dass wir es etwas langsamer angehen lassen müssen, um nicht auszubrennen. Seit dem letzten Album waren drei Jahre vergangen, und um weiter kreativ und relevant bleiben zu können, mussten wir eine sechsmonatige Auszeit nehmen, erstmals nach acht Jahren „Dauerbetrieb“. Das war eine schöne Erfahrung, wir hatten mal Zeit für die Familie und konnten uns um Sachen kümmern, zu denen wir sonst nie kamen. Irgendwas, worauf man nicht vorbereitet ist, passiert ja immer: Geburten, Todesfälle, Hochzeiten – vieles davon erlebten wir das erste Mal.

Haben dieser Erfahrung sich auf das neue Album ausgewirkt?

Valient:
Auf jeden Fall! Lies dir einen Texte wie „Call of the dogs“ durch. Unser Gitarrist ist Vater geworden, der Vater unseres Drummers starb, unser anderer Gitarrist heiratet bald, und all diese Erfahrungen schlagen sich in Texten wieder – allerdings nicht immer direkt und für jeden erkennbar, denn unsere Texte sind oft doppeldeutig. Ich finde es aber wichtig, nicht jeden Text zu erklären und zu deuten, das ist wie bei Bildern, das nimmt etwas von der Aura des Geheimnisvollen, die ich für wichtig halte. Jeder sollte sich den Texten mit seinen eigenen Vorstellungen, Erfahrungen, Wünschen und Ideen nähern, und daraus ergibt sich dann die individuelle Interaktion mit Kunst – nur dann ist sie signifikant.

Das ist ein interessanter Aspekt an eurer Band, die man, wie ich finde, leicht unterschätzen kann, wenn man sie nämlich auf die Rock’n’Roll-Klischees und diese Alien-Geschichte reduziert.

Valient:
Ja, wir haben dieses auf Äußerlichkeiten basierende Image, das mancher für blöd halten mag, für machohaft, für billig und klischeehaft. Aber unser Bandlogo ist die „Tigereule“, und dieses Symbol haben wir gewählt, weil es Gegensätze vereint: ein Tiger steht für Stärke, wohingegen die Eule für Wissen und Klugheit steht. Und so sehen wir uns, haha: Sehr hart, aber belesen.

Wird das von jedem eurer Fans verstanden?

Valient:
Das erkennt man meist recht schnell. Echte „Thorrior“ wissen uns einzuschätzen, aber wenn sich auf den Konzerten irgendwelche Trottel herumschubsen, was einfach mal passiert, dann ist schnell klar, dass die uns nur für irgendeine Rock’n’Roll-Band halten und sich nicht dafür interessieren, was wir zu sagen haben. Meistens werden wir aber verstanden – wenn man sich nur ein paar Minuten mit uns beschäftigt, merkt man schnell, dass wir mehr sind als nur eine Rock’n’Roll-Band. Kluge Menschen und dumme Hinterwäldler gibt es überall, und ich glaube, in der Regel kommen zu unseren Konzerten eher die Klugen.



Gab es vor der Gründung der Band eigentlich eine Art „Generalplan“, oder hat sich das Konzept erst im Laufe der Jahre entwickelt?

Valient:
Es gab von Anfang an einen Plan – etwa dass wir uns als Venusianer zu erkennen gaben, die sich darum bemühen, die Erdbewohner davon zu überzeugen, sich gegenseitig zu helfen, solidarisch zu sein, denn Hilfe von außen wird es nicht geben. Und so lautet unsere venusianische Botschaft: „Ihr seid alle Menschen und müsst euch selbst helfen, denn sonst wird euer Planet zerstört – genau das ist uns Venusianern passiert.“ Unser Plan ist es also gewesen, die Menschen dazu zu bringen, sich gegenseitig zu helfen, nicht sich zu verletzen.

Welche Unterschiede zwischen den Menschen habt ihr auf eurer weltweiten Rettungsmission so festgestellt, etwa im Vergleich von USA und Europa?

Valient:
Jedes Land, jede Stadt ist anders. Die Menschen in den USA verfügen oft über einen seltsamen Stolz, und wenn man sich genauer und mit dem Blick des Außenstehenden damit beschäftigt, stellt man fest, dass der unbegründet ist, aber irgendwie ganz fest und tief in deren Persönlichkeit steckt. Die reden dann davon, „Proud to be American“ zu sein, haben aber keine Ahnung, wie es woanders in der Welt aussieht. Und es ist ja gut möglich, dass das Leben woanders besser ist. Ein Beispiel dafür ist, dass die Menschen in Amerika fast alle nur eine Sprache sprechen, wohingegen überall sonst, wo wir so hinkommen, mindestens zwei Sprachen gesprochen werden, und schon so ein Detail macht einen großen Unterschied aus – in der Hinsicht, dass man so natürlich viel besser in der Lage ist, mit anderen zu interagieren. Das bringt einen auf ein höheres Level. Wenn du ein Land besuchst, in dem die Menschen zwei oder drei Sprachen beherrschen, dann fängt man an, über das Land nachzudenken, aus dem man stammt und stellt fest, dass man wirklich benachteiligt ist, wenn man nur eine Sprache beherrscht. Die Menschen, die sagen „Ich bin stolz Amerikaner zu sein“, die kapieren nicht mal, wie schlecht ausgeprägt ihre Fähigkeit ist, mit dem Rest der Welt zu kommunizieren.

Ich habe sowieso noch nie verstanden, wie man auf so etwas abstraktes wie die rechtliche Zugehörigkeit zu einem Land stolz sein kann. Stolz kann man sein auf etwas, das man selbst geschaffen hat, etwa wenn man mit seiner eigenen Hände Kraft ein Haus gebaut hat. Aber Nationalstolz ...?

Valient:
Ja, genau, ich habe das auch nie verstanden. Eine ähnliche Erfahrung ist es, wenn man das erste Mal in seinem Leben umzieht. Ich bin unlängst aus North Carolina nach Virginia umgezogen, und man unterhält sich am neuen Wohnort dann mit Menschen, wird gefragt „Aus welcher Ecke von Virginia kommst du?“ „Äh, ich komme aus North Carolina ...“ – und schon bekommst du komische Blicke.

Umziehen ist eine Sache – die Hälfte des Jahres auf Tour zu sein eine ganz andere. Ist das Touren einfach eure Lebensweise oder simple Überlebenstechnik, um die Miete bezahlen zu können?

Valient:
Es ist unsere Lebensweise. Die acht Jahre, die ich eigentlich ständig auf Tour war, musste ich keine Miete zahlen, ich hatte ja gar keine Wohnung. Aber das war unsere eigene Entscheidung, wir wollten Rock’n’Roll-Spielen als Job. Mittlerweile haben wir Familie, das ändert manches, da ist es schön, auch mal eine Pause vom Touren zu machen. Und eine Pause macht Sinn, um zu verhindern, dass die Band sich auflöst oder dass man seine Gesundheit ruiniert. Ich will das mit dem Rock’n’Roll schließlich noch eine ganze Weile machen.

Reden wir über das Artwork eures aktuellen Albums, das auch noch einmal als Mini-Poster beiliegt. Es sieht auf den ersten Blick etwas befremdlich aus, bei genauerem Hinschauen stellt man fest, dass es von John Aylward ist, dem verstorbenen Vater eures Schlagzeugers, und aus den Siebzigern stammt. Was genau hat es damit auf sich?

Valient:
Ja, der hat das Bild 1975 gemalt. Das Bild hing im Elternhaus von Lucian, und nachdem sein Vater gestorben war, hing es bei einem früheren Geschäftspartner in Florida. Wir riefen den an, fragten, ob wir das Bild verwenden dürften, und er war einverstanden. Es ist eine Art Dankeschön an den Verstorbenen, der uns als Band über die Jahre immer unterstützt hat.

Das Cover sieht aus, als ob der Mann einst selbst einen Bezug zur Metal-Szene gehabt habe.

Valient:
Könnte man meinen, ist aber nicht so. Und mit Horror- oder Fantasy-Filmen oder so hat es auch nichts zu tun. Es ist vielmehr eine Verneigung vor verschiedenen Malern, etwa Hieronymus Bosch. Mehr kann dir Lucian dazu sagen – ich reiche dich einfach weiter.

Lucian: Mein Vater war in jungen Jahren sehr von Dalí beeindruckt, er wollte selbst Künstler werden, aber letztlich wurde er Ingenieur und besuchte nie eine Kunsthochschule. Ich habe mit ihm nie über das Bild gesprochen, mein Vater genoss es, wenn Menschen versuchten, sich selbst einen Reim zu machen auf etwas. Es hing bei uns im Haus und stellt Father Time dar, eine Figur, die in der Kunst oft vorkommt, und der Teufel wartet darauf, dass ihm die Kugel aus der Hand fällt. Mein Vater hat mir nie erzählt, was er mit dem Bild zum Ausdruck bringen wollte. Ich finde, das Bild passt gut zu VALIENT THORR, weil es in unseren Texten auch immer wieder um mythologische Themen geht. So kam mir die Idee, das Bild zu verwenden, von dem ich mal ein Foto gemacht hatte. Ich zeigte es meinen Bandkollegen, und so ungefähr das erste Mal in der Bandgeschichte sagte sofort jeder „Das ist es!“. Keine Diskussionen, jeder fand, es ist das perfekte Cover. Ich finde, es gibt da verschiedene seltsame Übereinstimmungen mit unseren Themen und Texten. Es ist einfach zeitlos und surreal. Mein Vater war definitiv kein Metalhead, sein Musikgeschmack war eher ... lustig. Eine Beeinflussung durch Musik und Plattencover schließe ich aus.

Danke für die Aufklärung. Valient, ihr habt auf der neuen Platte einen Song namens „Immaculate consumption“, eine Anspielung auf die angebliche „Unbefleckte Empfängnis“ von Maria. Was steht hinter „Unbeflecktem Konsum“?

Valient: Es geht in dem Text unter anderem um die wirtschaftlichen Entwicklungen, ausgehend von der Bankenkrise 2009, wie die sich über die ganze Welt ausbreitete und ihre Folgewirkungen. Manche, die damals sehr reich waren, müssen heute betteln gehen, andere sind im Knast. Ich betrachte in dem Text aus verschiedenen Perspektiven diese Folgen: Aus der eines Menschen, der überlegt, ob er einem einst reichen Bettler Geld geben soll, aus der Sicht von einem, der selbst Entscheidungen getroffen hat in diesem Kontext, und so weiter. Der Titel ist aber auch ein Bezug auf den DOORS-Song „Stoned immaculate“ – und die ersten Textzeilen sagen ja auch schon fast alles: „People spending money that they don’t have / goaded on by imaginary credit / Makeup and tvs and phones are on / while their kids ain’t got nothing to eat“.

Geld auszugeben, das man nicht hat – das hat die Wirtschaft der USA in den letzten 30 Jahren befeuert. Inwiefern hat euch diese ganze Krise betroffen?

Valient: Haha, wir sind arme Musiker. Wir haben die Mahnung verstanden, uns nicht verleiten zu lassen, irgendwas zu kaufen, was uns so verlockend angeboten wird. Das bisschen Geld, das wir verdienen, sollten wir besser verwenden unsere Miete zu bezahlen – und das bringt uns dann zu einem weiteren Song und dessen Text, „Call of the dogs“, der thematisch genau da anschließt. Ich denke, dass unsere Texte auch keinesfalls nur eine amerikanische Perspektive abbilden, sondern einen allgemein verständlichen humanitären Ansatz haben.