ÅRABROT

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Zitat-Noise mit Augenzwinkern

Kjetil Nernes, Sänger und Gitarrist der inzwischen zum Duo geschrumpften norwegischen Band ÅRABROT, wird zwar gerne mal philosophisch, ist aber auch immer für einen derben Scherz zu haben. Natürlich ist es für Nernes da ganz hilfreich, sich auf die Literatur durchgeknallter französischer Surrealisten zu stützen, um das Ganze entsprechend geistreich zu unterfüttern. „Solar Anus“ beispielsweise ist der Titel eines Romans von Georges Bataille – aber gleichzeitig auch mehr als das. Merke: Mit einem geschickt gewählten Zitat kann man sowohl provozieren, glänzen als auch belustigen. Unterwegs in der Mission „Metal ad absurdum führen und in provokantem Noise auflösen“ folgt nun: Testeinheit Zitate-Interview. Kann von vorne nach hinten gelesen werden. Aber auch im Shuffle-Modus oder in Ausschnitten.

„Ich bin kein Intellektueller! Künstler, vielleicht.“ David Lynch, Bravo! Magazin, Brasilien, 2002.

Das ergibt wirklich Sinn. Ich denke auch, dass es einen Unterschied bedeutet, ob man ein Intellektueller oder ein Künstler ist. Intellektuelle verbinde ich eher mit Philosophie oder so, das ist eine andere Art zu denken. Ich kann David Lynchs Aussage sehr gut nachvollziehen, ich bin auch ein großer Lynch-Fan, deswegen hat das für mich vielleicht mehr Sinn als für andere. Ich halte mich selbst auch nicht für einen intellektuellen Künstler. Ich glaube, der Unterschied zwischen dem, was wir tun, und den meisten anderen Bands um uns herum, insbesondere Metal-Bands, ist, dass ich eine Menge Dinge aus Literatur, Büchern, Filmen und auch Philosophisches – ich habe ein Faible für abgedrehten französischen Surrealismus – in meine Musik einfließen lasse. Die Filme des „Movement panique“ rund um Alejandro Jodorowsky und Fernando Arrabal haben mich schon sehr beeinflusst. Den Song „Arrabal’s dream“ habe ich beispielsweise geschrieben, nachdem ich den unter Arrabals Regie gedrehten Film „The Guernica Tree“ gesehen habe. Der Jean Cocteau-Film „The Blood of a Poet“ hat – Überraschung – seinen Teil zu dem Track „Blood on the poet“ beigetragen. Die Liste der Filmeinflüsse ließe sich noch lange fortsetzen, der russische Regisseur Andrei Tarkovsky ist auch einer meiner großen Favoriten, auch ein paar deutsche Filmemacher sind darunter, Werner Herzog zum Beispiel. Wir haben also einfach einen anderen Hintergrund als die meisten Metal-Bands, deswegen geht unsere Herangehensweise vielleicht ein bisschen eher in die intellektuelle Richtung. Aber ich würde uns nicht als Intellektuelle bezeichnen, eher als Künstler oder einfach Musiker.

„... schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ Comte de Lautréamont, „Die Gesänge des Maldoror“, 1868.

Ja, „Maldoror“ ist eins meiner liebsten Bücher aller Zeiten. Es ist ein fantastisches Buch, genau wie das Zitat ergibt auch vieles in dem Buch nicht wirklich Sinn. Für mich sind Lautréamont oder auch Bataille aber gerade deswegen so faszinierend. Ich finde das sehr inspirierend, dieses Absurd-Verrückte mag ich einfach sehr. Dieser Maldoror ist ein Biest, aber irgendwo gibt es da auch ein bisschen Zärtlichkeit, wenn man genauer hinschaut.

„Es gibt einen ,Clockwork Orange‘-Humor und es gibt einen ,Three Stooges‘-Humor. Ich sehe diese beiden gerne im Gleichgewicht.“ Steve Albini, Zig Zag-Interview, 1986.

Steve ist ein guter Freund und wenn man ihn kennt, beschreibt dieses Zitat seine Art wirklich perfekt. ÅRABROT gehören da mehr auf die „Clockwork Orange“-Seite, damit meine ich einen ziemlich verdrehten, schwarzen Humor. Und der ist wirklich sehr wichtig für das, was ich tue: Ironie oder auch Sarkasmus, das findest du in meinen Texten reichlich. Manchmal wird das fehlinterpretiert und für bare Münze genommen. Natürlich ist das ab und an schon hart an der Grenze und ziemlich provokant. Ich kann das schon nachvollziehen, wenn Leute da angepisst sind, aber wenn ich ihnen das dann im Gespräch erkläre, verstehen sie, worum es eigentlich geht. Dass das nicht im wörtlichen Sinne gemeint ist und wir nicht irgendwie radikal sind. Das ist auch ein weiterer Grund, warum wir nicht richtig in Schubladen passen, auf Metal-Festivals sind wir genau so fehl am Platz wie auf wie auch immer alternativ angehauchten Veranstaltungen, es ist gar nicht so einfach, da was Passendes für uns zu finden. Aber das liegt in der Natur der Sache.

„Eine Dekonstruktion des Gegensatzes besteht zunächst darin, im gegebenen Augenblick die Hierarchie umzustürzen.“ Jacques Derrida, „Positionen“, 1972.

Damit kann ich gerade gar nichts anfangen. Frag mich in zehn Jahren noch mal, bis dahin habe ich mich vielleicht in Derrida eingelesen.

„Ohne Abweichen von der Norm ist Fortschritt nicht möglich.“ Frank Zappa, VPRO-TV-Doku, 1971.

Das stimmt natürlich, Frank Zappa war schon ein verdammt smarter Hund. Wenn ich in irgendwelchen Normen steckenbleibe, bin ich als Künstler oder als Songwriter tot. Ich brauche einfach den Raum, tun zu dürfen, was ich will. Ich muss mich frei fühlen, um etwas Neues erschaffen zu können.

„Als ich angefangen habe, habe ich mich auf jeden Fall als Künstler gesehen, der innerhalb der Kunst die Disziplin Musik und Text gewählt hat. Als ich angefangen habe, wusste ich wirklich gar nichts über Musik. Ich kam aus einem absolut nicht-musikalischen, nicht-künstlerischen Umfeld. Aber nachdem ich nun 26 Jahre lang Musik gemacht habe, kann ich nicht mehr so tun, als ob ich gar nichts darüber wüsste. Also muss ich mich jetzt Musiker nennen. Aber ich sehe mich noch immer eher als Künstler, weil ich in erster Linie mit Konzepten arbeite. Ich denke mir Konzepte aus und ich konstruiere Ideen, die aufgeführt werden sollen, und das ist üblicherweise mit der Herstellung von Musik verbunden.“ Blixa Bargeld, Electric Sheep-Interview, 2007.

Das hätte ich auch so oder so ähnlich gesagt haben können, mal abgesehen davon, dass ich noch keine 26 Jahre Musik mache. Aber ÅRABROT gibt es mittlerweile auch schon seit zwölf Jahren. EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN waren so wichtig für mich, sie haben mich sehr beeinflusst. Damit hat es irgendwie angefangen, sie haben meine Art, wie ich über Musik denke, sehr gesteuert. Wie sie Aufnahmen gemacht und Sounds geschaffen haben, diese ganze Philosophie dahinter, ist ganz tief in den Sachen verwurzelt, die ich mache. Ja, und bis zu einem gewissen Grad arbeiten wir auch mit Konzepten, wir haben zum Beispiel mal ein Projekt namens „Absolute Negativism“ zusammen mit CONCEPT.VIRUS, einem großartigen norwegischen Soundtüftler, durchgezogen und dahinter hat auf jeden Fall ein konkretes Konzept gesteckt. Das haben wir dann als EP veröffentlicht, es gab aber auch noch eine zweite Version. Die ist bislang noch nicht veröffentlicht worden, wir haben sie aber mehrmals in Galerien und Kunstzentren aufgeführt. Auf der anderen Seite gibt es da aber auch unsere normalen Alben, da tritt das Konzeptuelle doch eher zurück. Klar, ein bisschen Konzept kannst du auch da finden, es gibt immer einen Dualismus zwischen der Rockseite und der Kunstseite. Unser aktuelles Album geht stärker in die Rock’n’Roll-Richtung. Sound- und ganz besonders textmäßig kann man es als Mischung zwischen der im letzten Jahr veröffentlichten „Mæsscr“-EP und dem Vorgängeralbum „Solar Anus“ sehen. Akustisch gesehen ist es eher ein Rock’n’Roll-Album. Ich sehe es als eine Art Rückblick auf unser erstes Album „Proposing A Pact With Jesus“ oder auch unser drittes Album „The Brother Seed“, es ist rockiger, die Lieder sind kürzer. Wir haben Klavier, Noise-Elemente und vieles andere eingeflochten, das eigentlich – ganz besonders im Hinblick auf Metal – nicht unbedingt üblich ist. „Solar Anus“ war schon sehr heavy. Da ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass wir in Norwegen einen Musikpreis in der Sparte Metal gewonnen haben. Diese ganzen Kategorien decken eben einfach nicht das gesamte Spektrum der Musik ab und wir haben nirgendwo so richtig reingepasst. Entweder Rock oder Metal, das funktioniert bei uns in der Form einfach nicht.

„Wir sind jetzt seit zehn Jahren zusammen. Wir kommen gut miteinander aus. – Ja, wir kommen gut miteinander aus, arbeiten gut zusammen und das ist die Quelle der Kreativität. Einander Ideen zuspielen.“ ÅRABROT, Pennyblackmusic Interview, 2011.

Es ist wichtig oder war es jedenfalls lange Zeit, dass die Band so eine Art Familie ist. Ich war auf jeden Fall immer dabei, als Songwriter und Sänger bin ich auch so eine Art Zentrum der Band. Dann waren so zwischen fünf und zehn Personen regelmäßig immer mal wieder dabei, im Studio zum Beispiel lange Emil Nikolaisen von SERENA MANEESH, außerdem noch Stian Skagen von CONCEPT.VIRUS und einige andere Leute. Da wird kein Buch drüber geführt, aber ich muss sagen, mit all diesen Partnern hat es sowohl live als auch im Studio sehr gut funktioniert. Was wir damals gesagt haben, trifft also auf jeden Fall auch heute noch zu. Obwohl wir nicht so funktionieren wie eine normale Band mit drei oder vier Mann, die immer als Band zusammenarbeiten. Es ist eher eine soziale Gruppe, die man vielleicht als die ÅRABROT-Familie bezeichnen könnte.

„Und nichts steht im Buch geschrieben, die Realität wird von dir geschaffen.“ SWANS, „You know nothing“.

Michael Gira ist natürlich auch ein großer Einfluss, er hat wie EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN viel dazu beigetragen, wie ich über Musik und die Arbeit an und mit Musik denke. Es ist auch wieder so eine frei denkende Herangehensweise, beim Songschreiben tendiert es sehr in die Richtung „Alles ist möglich“, sich nicht einschränken lassen. Ich habe die SWANS einige Male live gesehen, das war schon ein echtes Erlebnis. Für die freidenkerische Haltung steht auch diese Aussage, so, wie du dir die Dinge ausdenkst und gestaltest, werden sie im Endeffekt auch sein. Neben SWANS und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN haben mich insbesondere PSYCHIC TV, CAPTAIN BEEFHEART, die RESIDENTS und noch einige andere gelehrt, dass Musik so viel mehr ist als konventioneller Blues-basierter Rock’n’Roll. Es ist eine geistige Haltung, die in Klänge übersetzt wird, ganz ohne Regeln und praktisch ohne Grenzen.