DISTEMPER

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From Russia, with SKA

DISTEMPER aus Moskau sind Dauergäste auf deutschen Bühnen, ihr traditioneller Ska-Punk ist eingängig und mitreißend, aber auch engagiert und klar politisch. Kürzlich erschien ihr neues Album „Pride Belief Love“ auf Pork Pie Records. Ich mailte der Band englische Fragen, die Antworten kamen von Sänger Dacent auf russisch und wurden von unserem Berliner Kontaktmann ins Deutsche übersetzt.

Ich habe den Eindruck, dass unter dem „lupenreinen Demokraten“ Putin – wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder ihn mal genannt hat –, das Leben für Querdenker immer schwieriger wird. Wie ist es momentan aus eurer Sicht, in Moskau beziehungsweise Russland zu leben?

Das Leben war niemals einfach, für niemanden und nirgendwo. Es hängt immer damit zusammen, wie man mit diesen Schwierigkeiten umgeht. Das Leben in Moskau zum Beispiel unterscheidet sich sehr vom dem im restlichen Russland, deshalb wollen viele Leute nach Moskau, in der Hoffnung, dass es dort besser ist. Etwas Ähnliches habe ich in Ägypten beobachtet, wo der größte Teil der Bevölkerung sich in Kairo konzentriert. Aber der Umzug aus der Provinz in die Hauptstadt ist keine Garantie für ein besseres Leben. In Moskau ist genauso wie überall in Russland alles von Korruption und Beamtenwillkür verseucht. Wirtschaftlichen Erfolg und einen höheren Lebensstandard ist für jene leicht erreichbar, die der Regierung nahestehen und den Machtstrukturen des Staates. An die einfachen Leute denkt die Putin-Regierung zuletzt, auch wenn es in den Nachrichten und in der Öffentlichkeit ganz anders klingt. Ich bin sicher, dass die Situation in allen Staaten der Welt ähnlich ist. Aber wir, die Mitglieder der Band DISTEMPER, haben keinerlei Angst vor so etwas. Wir versuchen, unser alternatives Leben weiterzuführen und so wenig wie möglich mit dem Staat und seinen Strukturen in Kontakt zu kommen, höchstens wenn wir irgendwelche Dokumente wie zum Beispiel Visa brauchen. Ich denke nicht, dass Leute mit alternativen Ansichten jetzt wirklich schlimme Zeiten erleben, immerhin machen wir ja Musik, spielen überall im Land Konzerte, versuchen einfach so zu leben, wie wir wollen. Es gab Jahre, da konntest du einfach so auf der Straße ein Messer in den Rücken kriegen, nur weil du lange Haare oder einen Ohrring hattest. Als ich das erste Mal in Deutschland bei einem Polizisten, der auf einem Parkplatz unseren Bus kontrolliert hatte, einen Ohrring sah, war ich einfach nur geschockt. Wohin Putins Politik uns noch führt, wird die Zeit zeigen, hierbei hängt es stark von den Menschen selbst ab, wie sehr sie dieser Politik zu folgen bereit sind, aber solche Menschen sind in Russland leider die Mehrheit!

Inwiefern haben eure persönlichen Lebensumstände Einfluss auf eure Texte?

In allen unseren Texte geht es hauptsächlich um Situationen aus unserem Leben. Ich versuche sie so zu formulieren, dass sie jeder auch auf sich beziehen kann, sie jeder auf seine eigene Weise deuten kann. Gerade dann, denke ich, trifft das Lied mit seiner Bedeutung genau das Ziel. Dementsprechend spiegeln alle Texte das Leben in der Band und unsere Sicht auf die Welt zu 100% wider. Ich finde, das ist eine ehrliche Herangehensweise an unser Schaffen, unsere Position. Wir denken uns nichts aus, machen aus uns kein Märchengebilde. Wir sagen, wie es aussieht, ob das jemand gefällt oder nicht. Jedoch vertreten wir im Großen und Ganzen eine positive Sicht auf die Dinge, ein positives Weltbild – wenn auch auf eine etwas brutale Weise. Wir schreiben viele Lieder, um Menschen aufzumuntern, wenn es ihnen schlecht geht, um ihnen mit einem Ratschlag in schwierigen Situationen beizustehen, besonders den jungen und dummen. Die gegenwärtige Lage im Land lässt uns keine andere Möglichkeit, als in diesem Kontext zu agieren. Es ist schön, Nachrichten von Fans in sozialen Netzwerken zu lesen und zu begreifen, dass deine Musik für sie eine Quelle echten inneren positiven Befindens ist, sogar wenn rundherum alles beschissen aussieht und es sonst nichts gibt, aus dem man sonst Energie schöpfen könnte.

Dann lass doch mal hören, wie sich das konkret äußert. Fangen wir mit „Not like in fairytales“ an.

„Not like in fairytales“ beschreibt eine typische Situation bei jungen Menschen, deren Gehirne noch keine Persönlichkeit entwickeln konnten – und es existiert eine Jagd nach diesen Gehirnen. Es handelt von ein paar Jungs, die einfach nur so ins Stadtzentrum kommen, zufällig geraten sie in eine Kundgebung, die gerade dort stattfindet, oder eine Demo. Sie haben mit der Sache an sich nichts zu tun, aber es reicht, dass sie sich versehentlich mitten in diesem Ereignis wieder finden und bekommen so richtig große Probleme. Das soll so eine Art Warnung sein für junge Leute, solche Demos und politischen Kundgebungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das ist kein Spaß, man kann leicht eine verirrte Kugel abbekommen oder im Knast landen! Vielleicht hast du von den „Gefangenen vom sechsten Mai“ gehört, das ist ein typisches Beispiel, was passieren kann, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Da sind Leute in den Knast gekommen, nur weil sie mit ihren Mobiltelefonen aus der Metrostation gekommen sind, in deren Nähe eine Kundgebung war. Und die FSB, der russischer Geheimdienst, verfolgt einfach nur die Signale ihrer Mobiltelefone. Das Lied haben wir jedoch fast zwei Jahr vor diesem Ereignis geschrieben.

„Brutal positive“?

Das Lied spiegelt genau unser Lebenskonzept wider: Positiv bleiben und Spaß haben – egal, was kommt. Manchmal muss man für eine gute Sache die Fäuste ballen. Je schlimmer die Situation um dich herum ist, desto mehr Kraft musst du aufwenden, um zu kämpfen. Unsere Lieder sollen dir diese Energie geben, dafür sind sie gedacht.

Und „Pride“?

Das ist eine Aufzählung all der Dinge, auf die wir stolz sind: zu einer bestimmten Subkultur zu gehören, auf unsere Freunde, dass wir nicht blind allem nachlaufen, was die Medien versuchen uns aufzuzwingen. Und obwohl wir unbequem sind für die Regierung oder den Staatsapparat, bleiben wir frei und positiv.

Ihr seid in der glücklichen Lage, mehr oder weniger frei reisen, überall touren und die unterschiedlichsten Länder sehen zu können. Auch wenn ich Deutschland, Spanien oder Italien jetzt nicht unbedingt als Paradies bezeichnen würde, welche Beobachtungen habt ihr gemacht, wenn ihr diese Länder mit Russland oder generell Westeuropa vergleicht?

Wir kommen schon seit 15 Jahren nach Deutschland und in andere europäische Länder, kennen die europäische Punk-Szene gut. Dank der Band befinden wir uns in einer wirklich privilegierten Lage und nutzen das mit Freude aus. Wir versuchen, so viel wie möglich von den Städten zu sehen, in denen wir spielen. Genauso direkt haben wir hier auch die Art zu leben kennen gelernt. Deswegen ist es uns egal, was in den Zeitungen steht, und ob Länder in den Dreck gezogen werden von unseren Politikern, die sich davon einen Vorteil versprechen. Dank unserer Booker in Europa sind wir in all den Jahren an interessante Orte gekommen und haben viele Sehenswürdigkeiten gesehen, und zwar anders, als sie von normalen Touristen gesehen werden. Das Leben in Russland hat sich immer unterschieden vom dem in Westeuropa, das war so und wird immer so sein! Es hat alles ein Für und Wider. Musikalisch hinkt die russische Punk- und Ska-Szene weit hinter der europäischen her, aber wir versuchen diesen Abstand zu verkürzen.

Skapunk ist ein internationales Phänomen. Habt ihr spezifisch russische Elemente in eurer Musik?

Trotz des gemeinsamen Konzepts der Skapunk-Kultur, bringt jede Band etwas Eigenes ein in diese Musikrichtung. Jeder Komponist geht anders an die Musik heran, ist auf andere Art kreativ, jeder Musiker spielt auf seine eigene Weise. Ich bin der Meinung, den Stil von irgendjemandem kopieren und musikalische Praktiken der Lieblingsbands benutzen, das können nur junge Bands. Ernstzunehmende Bands hingegen müssen zu unserer Kultur etwas Eigenes beitragen. Wir spielen zum Beispiel Lieder nur auf Russisch und finden, dass das unser großer Pluspunkt ist, denn in der internationalen Skapunk-Szene gibt es fast keine russischsprachigen Bands. Es ist angenehm, hier zu den Pionieren zu zählen und eine Lücke zu schließen

Mich interessiert euer aktuelles Coverartwork: Man sieht einen römischen Streitwagen, der von drei Hunden durch eine Stadt gezogen wird; darunter stehen die Worte „Pride Belief Love“.

„Distemper“ ist ein Fachbegriff aus der Veterinärmedizin, der beschreibt, dass Hunde diese Welt auf der Ebene der Instinkte wahrnehmen. Wir träumen davon, dass der Stolz, der Glaube und die Liebe unser Publikum erobern, indem sie ihre Instinkte ansprechen. Im Altertum gab es die Vorstellung, dass unsere Erde von drei Walen getragen wird. Heute glauben wir, dass die drei Wale, die unseren zwischenmenschlichen Beziehungen Halt geben, der Stolz, der Glaube und die Liebe sind. Liebe zu etwas, Stolz auf etwas und der Glaube an etwas – davon erzählen wir auf unserem neuen Album. Die Assoziation mit dem römischen Streitwagen ist auch kein Zufall, denn wir geben unsere Gedanken kompromisslos und brutal wieder, so wie es die Starken der Welt im alten Rom gemacht hatten.

Das Schicksal der Frauenband PUSSY RIOT war und ist im Westen ein Thema, und immer ist die Rede von einer Punkband. Sind beziehungsweise waren sie eine, spiel(t)en sie Konzerte und sind sie ein Teil der Szene?

Nein, PUSSY RIOT sind keine Band. Die Musik ist nur ein Teil ihrer Performance. Sie sind ist eher eine Künstlergruppe, und mit der Punk-Szene in Russland hatten sie nie etwas zu tun, nicht mal mit der alternativen Szene insgesamt. Ich habe von ihrer Existenz erst durch die Berichterstattung der Medien erfahren, und ich kenne die Punk-Szene in Russland sehr gut. Einige Künstler malen Bilder mit Farben und andere machen Performances mit Mitteln des Theaters, Geräuschen oder verschiedenen Lichtinstallationen zum Beispiel. Zu der Kunst-Performance von PUSSY RIOT gehörten musikalische Elemente des Punkrock, aber eine Musikband waren sie nie.

Inwieweit verfolgen Punks und Alternative das Geschehen rund um PUSSY RIOT? Was haltet ihr von ihren Aktionen und davon, wie die Massenmedien damit umgehen?

Ich denke, dass die Aufmerksamkeit für PUSSY RIOT in Russland auf null gesunken ist. Die Sache gerät leider langsam in Vergessenheit. Ich bin mir sicher, dass jeder mit gesunden Menschenverstand über die Gefängnisstrafen der Mitglieder von PUSSY RIOT empört ist. Sie sind zu 100% politische Gefangene. Sie sind zum Bauernopfer im politischen Spiel des Kremls geworden. Aber den Punks in Russland sind die scheißegal, sie hören andere Bands. Viele interessieren sich nur für die westliche Szene, denn in Russland gibt es in der Punk-Szene nur sehr wenige interessante Bands. Leute, die russische Rockmusik oder russischen Punkrock hören, haben ganz andere Vorbilder. Vor Kurzem wurde Gorschok von KOROL I SCHUT begraben, auf der Beerdigung waren mehr Leute als auf allen PUSSY RIOT Verteidigungsdemos zusammen. So ist das Leben.

Werden von Regierungsseite Verbindungen von PUSSY RIOT zu Bands wie DISTEMPER gezogen? Oder sind erstere in deren Augen schlicht Dissidenten, die aus dem Verkehr gezogen werden müssen, während Punks einfach nur ungefährliche Freaks sind?

Die Regierung ist immer gegen Punkrock als Ganzes und wir haben uns längst daran gewöhnt. Ich bin nicht sicher, ob man uns mit PUSSY RIOT vergleicht, aber manchmal werden unsere Konzerte von den lokalen Behörden verboten. Einmal wurden DISTEMPER von den Fußball-Nazi-Ultras in Woronesch attackiert und das wurde in den Fernsehnachrichten gezeigt. Danach hatten wir wirkliche Probleme mit unseren Konzerten. Bei den Veranstaltern erschienen Leute vom Geheimdienst FSB und baten eindringlich darum, das Konzert mit uns nicht zu machen! Vor Kurzem bekamen wir Einblick in ein offizielles Papier des FSB, welches an die Leiter der Kulturhäuser und Klubs verschickt wurd. Dort waren Bands aufgezählt, mit denen man keine Konzerte machen sollte. Der Name DISTEMPER stand an erster Stelle auf dieser Liste, zusammen mit verschiedenen Nazi-Arschlöschern. Das heißt, für die Regierung sind wir eine unerwünschte Band – und wir waren das schon immer.

Gibt es etwas oder jemanden, dessen Aktionen, Ideen und Ideale ihr besonders bewundert und unterstützt?

Wir gehen das ganze Leben lang nur unseren eigenen Weg und verlassen uns auf niemanden! Wir bringen die Ideen voran, die wir für richtig halten. Wir folgen niemals der Mode und Konjunktur, denn wir haben 1989 angefangen und unseren dornenreichen Weg kann keine andere Band mehr wiederholen, alleine schon aus dem Grund, weil jetzt eine ganz andere Zeit ist. Das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Punkrock ist für uns nicht nur Kampf, sondern auch eine Möglichkeit, Leute einzubinden und mitzunehmen. In diesem Zusammenhang ist es auch eine große Verantwortung, man muss zu jedem einzelnen Wort und zu jedem Gedanken stehen können. Aber wir bekommen dafür die beste Belohnung, die man sich als Band vorstellen kann – das sind unsere Fans! Schon seit vielen Jahren gibt es bei unseren Konzerten keine leeren Hallen.

Übersetzung: ljuba generalova