HOTEL ENERGIEBALL

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Wir sind ja keine 17 mehr

Trotz technischen Fortschritts traf ich mich für das folgende Interview ganz oldschoolig auf ein Altbier mit Uwe Umbruch, einem bekennend gebürtigen Düsseldorfer. Von dort aus missionierte er den Punk, indem er bei Bands wie REVOLVERS, DISTRICT und PUBLIC TOYS spielte. Heute ist er Ruhpottler. Gemütlicher ist er geworden und singt bei der recht frischen Ruhrpottcombo HOTEL ENERGIEBALL – auf Deutsch. Gegen Smartphone und Co. wehrt er sich noch immer und will auch mit mir kein, wie er sagt, „virtuelles Bier trinken“. An sich wäre die Idee ja gar nicht mal so schlecht. Aber was soll’s, wenn der Ruhrpott doch so schöne Ecken zu bieten hat, welche unter anderem Gesprächsgegenstand waren.

Uwe, nach den PUBLIC TOYS und 2ND DISTRICT gibt es jetzt also HOTEL ENERGIEBALL. Was genau steckt dahinter?

Das Ding war eigentlich als Projekt mit und um Burn Harper von den großartigen Heizraumstudios in Essen geplant, der damals auch Schlagzeuger bei 2ND DISTRICT war. Das hätte dann so ein großes Unity-Ding werden sollen, bei dem verschiedene Musiker verschiedener Genres ins Studio gehen und jeweils ihre Ideen einspielen. Von Rockabilly über Nietenpunk, Hardcore, gerne auch HipHop und Scratcher, da hätte echt alles dabei sein können. Wie es dann allerdings unter Musikern so ist, bleibt ja meist nur noch so ein harter Kern von vier bis fünf Leuten, die dann auch regelmäßig ihren Input gegeben haben. Mit der Zeit wurden aus den Sessions Proben und aus dem Projekt wurde eine Band mit dem aktuellen Line-up. Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, an dem wir gesagt haben, dass es sich um eine Band handelt, so mit richtigen Proben und Konzerten und allem – und jetzt stehen wir hier als HOTEL ENERGIEBALL.

Auf reichlich Band- und Labelerfahrungen könnt ihr alle zurückgreifen. Kommt jetzt das neue Ding aus Bochum-Langendreer?

Ach weißt du, wir haben jetzt nicht vor, mit der Brechstange erfolgreich zu werden. Konzerte sind auf jeden Fall in Planung. Da waren schon einige und da kommen auch noch welche, und das ist mir und uns auch wichtig. So aggressiv touren, wie es einige Bands tun, können und wollen wir aber auch nicht. Wir haben ja auch noch Jobs und Familie und wollen selbst auch noch Konzerte sehen. Tobbe und ich halten da die Fahne hoch und besuchen echt viele Konzerte. Mir ist es auch wichtig, für eine gute Show mal aus Bochum herauszukommen. Praktisch ist es natürlich, wenn man Konzertgucken und Konzertspielen verbinden kann. Aber so eine Band wie die CASUALTIES, mit denen will ich gar nicht mehr spielen, die gucke ich mir nur noch an.

Wie kommt es, dass du plötzlich auf Deutsch singst?

Ich habe auf Englisch nichts mehr zu erzählen. Mein Englisch ist ziemlich begrenzt, was man als Hörer auch relativ schnell merkt, wenn man sich die REVOLVERS- und HAPPY REVOLVERS-Platten aufmerksam anhört. Ich musste ja erst mal das Selbstbewusstsein aufbauen, überhaupt am Mikro zu stehen; dazu noch Texte zu schreiben und das auch noch auf niveauvollem Englisch, war einfach nicht mehr drin. Mittlerweile kann ich behaupten, meine Texte vertreten zu können. Ich dachte auch immer, das passt nicht so zur Musik, also Glamrock, aber auch da kann ich inzwischen sagen: voll egal, wir machen halt unser Ding! Wie man unsere Musik nennt, ist mir sowieso egal.

Ihr selbst nennt eure Musik „Luxuspunk“. Ist das Wort an sich nicht schon ein Oxymoron?

Ja klar! Völlig, aber auch das ist mir egal. Ich meine, man muss ja heutzutage medientechnisch immer präsent sein. Und dann musst du das, was du da präsentierst, irgendwie benennen. Und dann sitzt du im Proberaum und die Schneebälle fliegen: Glampunk, Luxuspunk, Glam’n’Roll, Rock’n’Roll und so weiter. Dann nimmt man das Erstbeste. Und ob sich das jetzt Luxus-, Glam- oder Sonstwas-Punk nennt, ist mir gleich. Auch, wenn man sich ja heute immer in irgendeine Schublade quetschen muss, finde ich, dass wir einfach Punkrock machen. Feddich. Solange die TOTEN HOSEN das, was sie machen, Punkrock nennen, können wir das erst recht.

Ist es nicht immer noch aktuell, dass sich Punks unter Punks profilieren, weil sie mehr Punk sind als all die anderen Punks?

Echt? Wenn das stimmt, dann bin ich aus der Nummer gottseidank raus. Dieses Eitelkeitsgehabe trifft man vermutlich bei Menschen im Alter zwischen 17 und maximal 29 an. Glücklicherweise gibt es da ja heutzutage für jeden eine Schublade.

Glücklicherweise oder leider?

Schon in den Achtzigern hat man doch oft versucht, auf Konzerten Metal, Punk und Hardcore unter einen Hut zu bringen, aber letzten Endes kocht doch jeder nur sein eigenes Süppchen. Wenn sich die Leute auf der Straße treffen, dann soll es scheißegal sein, was man hört. Wenn ich mir angucke, was gerade in Duisburg passiert, wo Sinti und Roma verfolgt werden, oder in Berlin, wo Asylanten mit dem Hitlergruß empfangen werden, wird mir immer mehr bewusst, dass es für uns alle Wichtigeres als Musik gibt. Es kotzt mich an, dass heutzutage Neonazis selbstbewusst ihren Arm heben dürfen, ohne dass sich im großen Springer-Blatt darüber aufgeregt wird. Die dürfen einfach Asylanten bedrohen! Vor zwanzig Jahren, als Lichtenhagen gebrannt hat, war der Aufschrei noch groß, während heute nichts kommt. Heute hörst du ja selbst von Punks Bullshit wie „Kanacken raus!“ Die Zeiten, in denen volltätowierte Irokesen- oder Rasta-Träger automatisch links waren, sind vorbei. Da frage ich mich, wie weit die Linken schon nach rechts gerückt sind.

Ein leidiges Thema, aber auch eure Texte sind nicht gerade politisch motiviert.

Ja, aber viel zu wenige Bands kommen heutzutage überhaupt auf dieses Thema. Ich bin kein Politiker; ich möchte am liebsten nur Musik machen. Aber in Zeiten wie diesen fällt es mir schwer, wenn wir zu explizit deutschsprachigen Konzerten eingeladen werden. Nein, ich möchte nicht mit Bands wie UNANTASTBAR, KÄRBHOLZ, COTZRAITZ oder dieser Idiotentruppe aus Südtirol spielen, bloß weil wir auf Deutsch singen. In den Achtzigern ging mit Punk immer auch eine politische Einstellung mit einher. Heute kann offenbar jeder Chaospunk mit Faschos in der Fußgängerzone abhängen. Von so einer Form des Punks möchte ich mich abgrenzen. Ich würde gerne auch einen Text gegen diesen Schwachsinn schreiben, da fehlen mir aber die Worte. Das mussten wir zum Beispiel bei den PUBLIC TOYS damals machen, weil wir immer ganz unpolitisch „Oi!“ gegrölt haben. Dann mussten wir uns offen positionieren und dazu schrieb Vossi innerhalb einer halben Stunde den Song „Seid betroffen“, welcher einer der besten Texte ist, die er je geschrieben hat. Das würde ich auch gerne können, kann ich aber nicht. Vielleicht covern wir mal etwas Passendes. Ich will gerne der Welt klarmachen, dass wir keinen Deutschrock machen, dass wir nicht unpolitisch und erst recht nicht rechtsoffen sind. Wir sind links und das soll hier auch genauso abgedruckt werden.

Kommen wir mal wieder auf die Band zu sprechen: Hat euer Name eigentlich irgendetwas mit „Pokémon“ zu tun?

Hast du gekifft? Nein, wir gingen an einem Hotel vorbei und an der nächsten Ecke wies eine Reklametafel darauf hin, dass dort Energiebälle verkauft wurden. Es geht noch langweiliger: Als wir mit dem, was aus dem ursprünglich geplanten Projekt „Rock’n’Roll Babylon“ wurde, auf die Bühne wollten, brauchten wir, ebenso wie bei der Infotext-Geschichte, schnell einen Namen. Den jetzigen Namen hatten wir von einem vor Urzeiten geplanten anderen Bandprojekt mit Linse von den BAD NEWS und Pascal Briggs noch im Keller herumfliegen. Und weil es nun mal schnell gehen musste, hat Tobbe den einfach wieder herausgekramt.

Ich gehe mal davon aus, dass mit „meine kleine Scheißstadt“, die in einem eurer Songs erwähnt wird, Bochum gemeint ist. Trotzdem fühlt ihr euch hier verwurzelt. Was sind deine „places to be“ im Ruhrgebiet?

„Meine kleine Scheißstadt“ ist definitiv Bochum, weil diese Stadt subkulturell verdammt wenig zu bieten hat. Es ist echt eine der langweiligsten Städte der Welt. Nachdem das Zwischenfall abgebrannt ist, bleibt uns hier echt nur noch ein kleiner Laden, der so klein und geheim ist, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt. Bochum ist für Punkrock auf jeden Fall nicht der „place to be“. Da ist Essen viel cooler. Mein Lieblingsladen ist das Freak Show mit großartigen, kleinen Konzerten und zauberhafter Deko. Der Panic Room ist mir oft schon etwas zu groß, aber darf hier auf keinen Fall fehlen. Nur leider liegt direkt daneben ein Konzertladen namens Turock, in dem Drecksbands wie UNANTASTBAR und KRAWALLBRÜDER spielen. Bessere Konzerte gibt es da schon im Rattenloch in Schwerte. Ebenfalls ein großartiger Laden ist das AK47 in Düsseldorf. Den Laden gibt schon seit, ich glaube, 1981; hieß damals nur Café Nix Da. Da komme ich her; da habe ich meine ersten Punkbands gesehen. GREEN DAY zum Beispiel, als sie noch Haare bis zum Arsch hatten und ihre Singles herumgeschmissen und verschenkt haben, weil sie keiner haben wollte. Die TOTEN HOSEN haben zu ihren frühen Zeiten auch öfter dort gespielt. Da hätte ich sie auch gerne noch gesehen, auf jeden Fall lieber als jetzt Campino auf dem Oktoberfest.

Mit DYE FUN habt ihr euer eigenes Label Hotel-Fun Records gegründet und schon eine Split-7“ herausgebracht. Was können wir da noch erwarten? Nur die Split, weitere Platten oder gar gemeinsame Touren?

Da kommen demnächst nur noch Topseller, haha! Nee echt, DYE FUN werden ihr Album komplett auf Hotel-Fun veröffentlichen und wir haben uns noch RilRec mit ins Boot geholt. So können wir machen, was wir wollen, sind unabhängiger und müssen keine Konzerte spielen, die wir gar nicht spielen wollen. Maks von RilRec hat erstens sein Büro quasi in der Nachbarschaft und ist zweitens ein gute Kumpel von uns; mit ihm arbeiten wir gerne. Ich nenne das auch nicht mehr arbeiten – wir trinken zusammen Bier. Und bringen ’ne Platte raus. Und hoffen, dass diese mehr als fünfzig Leute gut finden. Große Touren oder so sind bei uns auch nicht geplant. Wie gesagt haben wir alle auch noch Jobs und Familien. Wir spielen erst mal die Konzerte bis Ende des Jahres und dann schauen wir mal, was da noch so kommt.