MODERN LIFE IS WAR

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Blues, Soul und Rock’n’Roll

Es war die perfekte Überraschung: am 1. April 2013 verkündeten MODERN LIFE IS WAR ihre Reunion – ich konnte es angesichts des seitens der Band mit Vorsatz gewählten Datums nicht glauben. Die 2002 gegründeten, aus der Kleinstadt Marshalltown, Iowa stammenden Pioniere des „modernen“ Hardcore-Sounds, die unzählige Bands beeinflusst haben, hatten sich 2008 aufgelöst, als sie nach Meinung vieler auf dem Höhepunkt ihrer Karriere waren. Mit „Modern Life Is War“ (EP, 2002), „My Love. My Way.“ (2003), „Witness“ (2005) und „Midnight In America“ (2007) hatten sie dreieinhalb herausragende Alben veröffentlicht, waren zu Lebzeiten zur Legende geworden, und zogen sich dann unvermittelt selbst den Stecker. Nach vier Jahren „Sabbatical“ wollten es Frontmann Jeff Eaton und die beiden 2005 nach „Witness“ ausgestiegenen Matt Hoffman (git) und Chris Honeck (bass) sowie die beiden anderen Gründungsmitglieder John Paul Eich (git) und Tyler Oleson (drums) dann 2012 noch einmal wissen, doch es war abgemacht, erst dann die Öffentlichkeit zu suchen, wenn ein neues, gelungenes Album im Kasten ist. Mit „Fever Hunting“ erschien dieses im September auf der alten Homebase Deathwish, und ich stellte Jeff die sich aufdrängenden Fragen.

Jeff, euer erstes Album seit sechs Jahren erscheint in einem Monat. Bist du nervös?

Für die Fans kommt das sicher recht plötzlich, und wir haben ja auch erst im April angekündigt, dass wir wieder zusammen sind und ein neues Album machen werden. Wir hatten aber bereits 2012 mit der Arbeit an dem neuen Album begonnen, es war also ein recht langer Prozess für uns und das alles kommt für uns jetzt nicht überraschend. Dennoch ist es ein großartiges Gefühl, dass wir wieder eine Band sind. Es gibt einfach nichts Vergleichbares zur Arbeit an einem Album, also diesen ganzen Prozess durchzumachen: Songs schreiben, die Texte fertigstellen, das Aufnehmen, am Artwork arbeiten, um dann schließlich die fertige Platte in den Händen zu halten. Das ist mir mit das Liebste auf der Welt. Ich bin froh, dass wir das noch mal machen konnten.

Die Sensation war und ist, dass eine der verehrtesten Hardcore-Bands sich wieder zusammengefunden hat. Wie waren, wie sind die Gefühle eurerseits dazu?

Als wir wieder zusammenkamen, fingen wir sofort an, neue Songs zu schreiben, einfach um zu sehen, ob das mit uns noch funktioniert. Wir waren noch unsicher, ob wir es wirklich wagen sollten und hatten öffentlich noch nichts dazu verlauten lassen. Als wir dann aber zusammen Musik machten, fühlte es sich ganz normal an, wir merkten gar nicht, dass wir einige Jahre nicht gespielt hatten. Es fühlte sich höchstens nach ein paar Monaten an, nicht nach fünf Jahren. Als wir dann öffentlich machten, dass wir wieder eine Band sind, vor allem aber nach unserer ersten Show in Philadelphia vor ein paar Wochen war, waren die Reaktionen umwerfend, ebenso das erste Feedback auf das Album. Von daher fühlen wir uns alle richtig gut.

Wart ihr in den Jahren der Auflösung in Verbindung geblieben oder ganz eigene Wege gegangen?

Wir sind Freunde geblieben und standen in Kontakt, die einen mehr, die anderen weniger. Wir mussten uns also nicht neu kennenlernen, es fühlte sich nicht komisch an.

Wer hat das Comeback vorangetrieben? Das neue Line-up ist ja auch ein altes, Gitarrist Matt Hoffman und Bassist Chris Honeck waren schon 2005 ausgestiegen, sind jetzt aber wieder mit dabei.

Stimmt, das Line-up ist die Originalbesetzung, ein paar Jungs, die aus der gleichen Kleinstadt kommen, Marshalltown in Iowa. Die treibende Kraft hinter der Reunion waren Chris und ich, wir haben oft telefoniert über die Jahre, und er sagte immer wieder, wie sehr er uns alle vermisse, dass er wieder mit uns spielen wolle – er brachte also die Reunion-Idee auf. Ich antwortete ihm, dass es mich nicht interessiere, nur alte Songs zu spielen, dass wir also ein neues Album machen müssten, damit ich dabei wäre. Und dass wir alle richtig Lust auf das Album haben müssten. Zudem müssten wir alle der Meinung sein, dass es wirklich gut ist, nur dann sei für mich eine Reunion gerechtfertigt. Chris war also der „Motor“, ich stieg darauf ein, und als Matt dann auch ja sagte, war es beschlossene Sache. Matt ist ein sehr kreativer Gitarrist und Songwriter, er hatte in den letzten Jahren immer dann, wenn er dachte, dass ein Part eigentlich typisch für MODERN LIFE IS WAR ist, die Idee aufgenommen und abgespeichert. Als wir ihn dann fragten, was er von der Idee hält, sagte er sofort, dass er interessiert sei und auch schon ein paar Idee habe. In Sachen Songwriting ging also viel von ihm aus, die Idee kam von Chris, und ich stellte die Bedingung mit dem Album. Es war also nicht die Idee nur einer Person, und je mehr wir uns darüber unterhielten, desto deutlicher wurde, dass wir die gleichen Vorstellungen haben.

Hattest du denn in der Zwischenzeit eine andere Band?

Nein, ich machte nicht aktiv Musik, aber ich bin seit ein paar Jahren als DJ unterwegs. Das wollte ich immer schon machen, schon zu damaligen MLIW-Zeiten, aber ich kam nie dazu.

Was legst du auf? Hardcore?

Nein, nur Vinyl-Singles aus den Fünfzigern und Sechzigern. Rhythm & Blues, Soul, Reggae und Ska. Ich hatte schon immer ein tiefgehendes Interesse an Musik, habe mich dafür interessiert, wo Musik ihre Wurzeln hat. Wenn man sich für Punkrock interessiert, stößt man auch auf Rock’n’Roll, und dann auf den Blues, und so weiter. Jede Musikrichtung ist mit einer anderen verbunden, und so war ich schon immer jemand, der sich für die verschiedenen Einflüsse interessiert hat. Solange ich nicht ein paar Jahre oder Bands zurückgehen kann bei einer bestimmten Musikrichtung, bin ich nicht zufrieden. Für mich ist amerikanischer Blues, früher Soul und früher Rock’n’Roll die beeindruckendste, kraftvollste Musik überhaupt. Und ich habe mich für die schon interessiert, bevor ich überhaupt Sänger in einer Band war. Ich sammle auch schon lange Platten aus den Fünfzigern und Sechzigern, und als sich vor ein paar Jahren die Chance bot, mit diesem Interesse was Praktisches zu verbinden, wurde ich DJ.

DJs sind eine verschworene Gemeinde, und gerade im Bereich von frühem Blues, Soul und Rock’n’Roll werden Unsummen für rare Vinyl-7“s ausgegeben. Gehörst du auch zu denen?

Es gibt zu solchen Typen zwar eine Verbindung, zu Leuten, die nach den rarsten Northern Soul-Singles suchen, aber ich interessiere mich vor allem für Platten, die mir gefallen und bei denen ich mir vorstellen kann, dass sie, wenn man sie bei einer Party spielt, für gute Stimmung sorgen. Ich interessiere mich nicht speziell für rare Platten, ich kann auch Spaß haben an einer schon etwas ramponierten Scheibe für 50 Cent, bei der die Leute tanzen. Das ziehe ich einer raren 7“ für 500 Dollar vor, auf die sich bei eBay alle stürzen. Aber ich habe natürlich auch ein paar rare, gesuchte 45er, die was wert sind, aber für die habe ich selbst nicht viel gezahlt.

Wann hast du angefangen zu sammeln? Heute werden ja schon für recht normale Punk- und Hardcore-Platten Sammlerpreise gezahlt, da kann sich kaum jemand leisten, eine neue Sammlung aufzubauen.

Ich sammle schon seit 2000/2001. In der Zeit hatte ich nie viel Geld, aber in dem Bereich, der mich interessiert, muss man nur in ländlichen Gegenden mal ein paar Flohmärkte, Haushaltsauflösungen und Thriftstores abklappern und findet für wenig Geld interessante Platten. Aber man muss Geduld haben, um Perlen zu finden, und der Aspekt gefällt mir. Gute Punkplatten auf diesem Wege zu finden, ist schwer, die waren einfach nie so weit verbreitet, die gibt’s nur in den seltensten Fällen mal irgendwo auf dem Land bei einem Garagenverkauf.

Schätzungsweise ist eure Heimatstadt Marshalltown genau so eine ländliche Region – lebst du noch dort?

John und Tyler, also unser Gitarrist und unser Drummer, leben dort, ich nicht. Ich wohne derzeit in Kansas City, das ist vier Stunden südlich von da.

Wenn man Anfang zwanzig ist und Hardcore hört, ist alter Blues für viele sicher nicht das Genre, für das man sich übermäßig interessiert. Man muss vielleicht etwas älter werden, um zu erkennen, dass es auch eine Verbindung von MODERN LIFE IS WAR zu Blues gibt.

Wenn man in seinen Texten deutlich die Irrwege des Lebens thematisiert und das mit klaren Worten tut, dabei nicht die kommerzielle Verwertung der Musik im Sinn hat und nicht die Absicht hat, Popsongs zu schreiben, nicht nur im Hinblick auf die Texte, sondern auch die Musik betreffend, dann ist das dem Blues nicht unähnlich. Ich habe nie bewusst Blues gemacht und werde das auch nicht tun, denn ich bin ein weißes Kid im Amerika des Jahres 2013, ich bin mit der Musik aufgewachsen, die wir mit unserer Band spielen. Das ist unsere Musik, unser Sound, das machen wir ganz instinktiv. Aber die Verbindung zwischen den beiden Stilrichtungen ist klar, ohne dass ich unsere Musik mit Blues vergleichen würde. Wenn ich mich mit Kids über Musik unterhalte, sage ich immer, dass sie aufhören sollen, in Genrekategorien zu denken und stattdessen nach Musik suchen, die sie begeistert. Die Leute sollen sich davon lösen, vor welchem Publikum eine Band spielt, aus welcher Szene sie kommt, was die für Frisuren hat. Wenn du dich wirklich für Musik interessierst, ist es egal, ob eine Band Blues oder Rock spielt, aus welchem Land sie kommt, dann interessiert dich nur, ob die Band dich anspricht. An diesem Punkt bin ich angelangt, und ja, mir ist die Hardcore-Szene wichtig, ich liebe sie, ich finde, wir sollten sie unterstützen, weil sie Erstaunliches hervorbringt. Aber gleichzeitig ist mir auch nur gute Musik wirklich wichtig, egal aus welchem Genre.

An MODERN LIFE IS WAR hat mich schon immer der Name fasziniert, einfach weil er so eine großartige Aussage ist. Welchen Hintergrund hat der?

Ich habe schon immer meine Gedanken niedergeschrieben, sehe mich als Autor. Als wir damals die Band gründeten, hatte ich mehrere Notizbücher voller Texte, Sätze, Ideen und Gedanken. Alles Sachen, die ich niedergeschrieben hatte, bevor es die Band überhaupt gab. Und als es die Band dann gab, versuchte ich in meinen Notizen etwas zu finden, das als Bandname taugt, und dabei stieß ich auf diesen Satz, den ich mal geschrieben hatte. Ich brachte die Idee dann ein, doch zuerst hieß es, er sei zu lang für einen Bandnamen, weil es ja schon ein ganzer Satz ist. Außerdem ist der nicht wirklich subtil, sondern schon ein ganz schöner Klotz. Zudem kam dann noch die Frage auf, ob man es überhaupt schaffen kann, den Erwartungen, die der Satz weckt, mit der Band zu entsprechen. Ich finde es immer wieder interessant, wie Leute auf den Namen, den Satz reagieren, man sagte mir beispielsweise, ich hätte doch kein schlechtes Leben, warum ich mich beklagen würde. Ich finde aber, dass man sich heutzutage den Realitäten des Lebens ganz gut entziehen, sie einfach ignorieren, sich hinter Luxus und Sicherheitseinrichtungen, hinter seichter Unterhaltung verstecken kann. Menschen haben gutbezahlte Business-Jobs, leben in ihrer TV-Welt, können einfach ignorieren, was in der Welt so vor sich geht, was einem Angst macht oder das Herz brechen kann. Oder denk nur mal daran, was Menschen für furchtbare Dinge essen – die Liste an schlimmen Dingen ist endlos. Und da kommt diese Band ins Spiel, die sich an Menschen wendet, die vor den Realitäten des Lebens nicht die Augen verschließen wollen. Sie wendet sich an Menschen, die erkennen, was die Probleme sind, woran unsere Gesellschaft krankt, die ein Interesse haben an abweichenden Ideen und Philosophien. Aber ich gebe zu, mein Leben ist nicht schrecklich, ich habe Glück gehabt, mit meiner Familie, meinen Freunden und den Möglichkeiten, die sich mir bislang boten. Andererseits habe ich schon das Gefühl, dass die Welt an sich ganz schön kaputt ist, und wenn man sich einfach nur mit der Masse treiben lässt, nicht versucht, seinen eigenen Weg zu gehen, sich seinen eigenen Kopf zu machen, nicht für das kämpft, was man für den besseren Weg hält, dann ist dein Leben zwar bequem und sicher, aber ich glaube, es ist nicht erfüllend. In unserem Song „Currency“ auf dem neuen Album ist die erste Textzeile „Poverty in spirit“, und das ist mein Kommentar zu vielen meiner Landsleute: materiell sind die reich, geistig aber arm.

Was meinst du mit „spirit“ konkret? Ist das religiös gemeint? Im Texte von „Brothers in arms forever“ bin ich auch auf das Wort „pray“ gestoßen, „beten“.

„Some days I pray for collapse“ singe ich da, aber ich meine das nicht religiös, ich benutze nur gerne religiöse Bilder und Formulierungen. Ich finde, es macht die Texte verständlicher, mehr Menschen können dann etwas damit anfangen. Und es sind einfach sehr sprachgewaltige Formulierungen. In diesem konkreten Fall soll das also nicht heißen, dass ich zu einem Gott gebetet habe, sondern mir einfach etwas sehr stark gewünscht habe.

Ihr habt euer Comeback am 1. April 2013 bekanntgegeben, und ganz ehrlich, ich hielt es für einen Aprilscherz.

Dass wir das am 1. April bekanntgaben, war halb Zufall, halb Absicht. Wir hatten uns vorgenommen, nichts öffentlich zu machen, bis das Album steht. Wir wollten, dass so wenig Zeit wie möglich liegt zwischen der Ankündigung unserer Reunion und der Albumveröffentlichung, einfach nur um die Spekulationen um die Reunion und das Album zu minimieren. Wir wollten, dass das Album kommt und unser Statement dazu ist: „Hört es euch an, und entweder es gefällt euch, oder eben nicht.“ Andererseits bekamen immer mehr Leute Wind von der Reunion, also Freunde, Bekannte, die Leute im Studio, wir brauchten ein Label, und so weiter, und wir hätten das einfach nicht mehr geheimhalten können. Wir wollten aber selbst verkünden, dass wir wieder da sind, ohne vorhergehende Gerüchte, und dann fiel jemand auf, dass am kommenden Montag der 1. April ist, wir mussten lachen, und dann war klar, dass wir das an dem Tag bekanntgeben, zwischen all den Aprilscherzen. Wir nehmen zwar unsere Band ernst, aber nicht uns selbst, von daher fanden wir das völlig okay und lustig. Ein paar Leute haben uns das aber übel genommen, die meinten, das sei nicht lustig, aber was soll’s.

Jacob Bannon von CONVERGE und in Personalunion auch Boss eures Labels Deathwish hat das Coverartwork gemacht. Was stellt das dar? Für mich sieht das etwas nach einer Ku-Klux-Klan-Kapuze hinter einem Busch aus ...

Haha, okay, das habe ich bisher noch nicht gehört. Bislang war das Feedback gut, mir gefällt es auch sehr gut. Ich finde es immer schwer, ein Album aufzunehmen und dann von jemand außerhalb zu erwarten, dieses Album zu erfassen und visuell umzusetzen. Es ist immer eine Herausforderung. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, das Cover hat nichts mit dem KKK zu tun, und wir auch nicht, haha.

Lass uns über ein paar deiner Texte sprechen. In „Cracked sidewalk surfer“ geht es ums Skateboarden, allerdings taucht da die Formulierung auf, dass du dich mittlerweile arthritisch fühlst dabei.

Haha, also ich skate schon, seit ich denken kann, und ich fühle meine Knochen heute zwar nicht ständig, aber doch mehr, als noch vor ein paar Jahren. Die Gelenke schmerzen schon mal, und wenn ich mich mal so richtig auf die Schnauze lege, spüre ich das, anders als früher, noch tagelang. In dem Text geht es darum, dass ich fühle, dass ich sterblich bin, dass ich merke, dass ich in einem Schneckenhaus stecke, von dem ich mittlerweile weiß, dass es nicht ewig halten wird. Ich bin 32, ich bin gut in Form, ich habe viel Energie, aber es sind Kleinigkeiten, die sich bemerkbar machen.

„Media cunt“ ist ein anderer Song betitelt. Wer oder was ist das?

Das ist eine Person, die immer ganz rebellisch getan hat und nach ihrem eigenen Weg gesucht hat, und die dann ihre Ideale aufgegeben hat, um sich der Gesellschaft anzupassen, aus Bequemlichkeit. Da besteht auch eine Beziehung zu unserem Bandnamen, denn eine meiner Grundüberzeugungen ist, dass man sich in einem ständigen Kampf befindet. Manche Leute geben diesen Kampf auf, einfach um sich ihr Leben einfacher und bequemer zu machen, und ich finde, das ist billig. Und mich stört es, wenn Menschen ihre Zeit und ihr Geld an seelenlose Konzerne verschwenden, anstatt Künstler und Musiker zu unterstützen. Warum lassen Menschen ihr Leben von seelenlosem Mainstream-Fernsehen bestimmen, anstatt von Kunst und Musik?

Die grandiose deutsche Band SPERMBIRDS hat das Thema einst in ihrem Song „Only a phase“ thematisiert, die Zeile „Are you growing up or giving up?“ bringt das Problem auf den Punkt.

Die SPERMBIRDS sind super, „My god rides a skateboard“ ist genial. Ich erlebe in meinem Umfeld bei immer mehr Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, wie sich deren Leben durch Kinder und Karriere massiv verändert. Ich mache denen keine Vorwürfe, aber ich erkenne auch, dass die einst durchaus erkannt hatten und wussten, was im Leben wirklich wichtig und gut ist. An irgendeinem Punkt wurde es für die aber dann zu anstrengend und kompliziert, der Druck, dem man sich aussetzt, wenn man sich als echtes Individuum behaupten will, wurde zu groß. Und sie fingen an aufzugeben. „Media cunt“ ist also schon ein sehr direkter Song, der sich an solche Menschen wendet und in dem ich meine Gefühle zum Ausdruck bringe.

Was machst du denn im „echten Leben“, jenseits von DJ-Sets und bald wieder mehr Auftritten mit MODERN LIFE IS WAR?

Ich habe tatsächlich im vergangenen Jahr meinen Lebensunterhalt mit dem DJaying verdient, war und bin jedes Wochenende unterwegs, oft sogar mit zwei DJ-Sets. Viel Geld verdient man damit nicht, aber es reicht, um zu überleben. In letzter Zeit hatte ich dann immer wieder mal einen Job als Produktionsassistent bei Filmproduktionen – Werbung, Musikvideos und so weiter. In den Jahren davor hatte ich die verschiedensten Jobs – was immer mir eben erlaubte, meine Kreativität auszuleben. Einen „Karriereplan“ habe ich also nicht, ich verbringe irgendwie schon immer viel Zeit mit Dingen, die ich liebe, die mich inspirieren – die Band! –, dass ich mich mit einem „normalen“ Berufsweg nie beschäftigt habe. Aber wenn ich etwas gefunden habe, das mich interessiert, dann nehme ich das sehr ernst und beschäftige mich viel damit, und in letzter Zeit ist das eben das DJaying. Manchmal erschreckt mich meine „Besessenheit“ sogar, vielleicht sollte ich ja schon irgendwie „weiter“ sein in meinem Leben, und deshalb habe ich meine Gedanken dazu in mehreren Texten auf der neuen Platte zum Ausdruck gebracht.

Ich nehme an, du bist dir bewusst, welchen Einfluss MODERN LIFE IS WAR auf die „moderne“ Hardcore-Szene der letzten Jahre hatten, gerade in der Zeit nach eurer Auflösung. Sag jetzt nicht nein ...

Doch, ich bin mir dessen bewusst. Und es fühlt sich gut an. Es ist deshalb auch etwas seltsam, dass wir jetzt zurück sind, nachdem wir diesen Einfluss hatten und sich auch andere Menschen dieses Einflusses bewusst sind. Der Aspekt ist irgendwie seltsam. Ich habe mich in letzter Zeit viel um unsere Twitter- und Instagram-Accounts gekümmert, und wenn man sich die Kommentare da durchliest, ist das schon seltsam. Leute schreiben da, wen wir alles beeinflusst hätten, wie seltsam es ist, dass wir jetzt wieder spielen, dass unsere Band ja viel besser sei, oder die anderen, wessen neue Platte besser ist, und so weiter. Ich habe dann irgendwann kommentiert, das sei doch kein Wettbewerb. Außerdem hatten auch wir Bands, die uns beeinflusst haben, wir haben unseren Sound nicht aus dem Nichts geschaffen, mein Gesangsstil war auch nicht total neu. Jede Band ist von anderen Bands beeinflusst, aber es stimmt, bei uns ist es so, dass wir zu einer Band wurden, die immer wieder als Einfluss aufgezählt wird – das ist etwas Besonderes, das ich zu schätzen weiß. Manche Leute erwarten von mir Feindseligkeit gegenüber neueren Bands, die von uns beeinflusst sind, aber ich verspüre nicht den Hauch eines solchen Gefühls.

Seit eurem letzten Album sind nur sechs Jahre vergangen, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit – die Hardcore-Szene hat sich massiv verändert und ich könnte mir kaum vorstellen, dass ein Album wie „Midnight In America“ heute auf eurem damaligen Label Equal Vision erscheint. Was dort heute erscheint, hat mit dem Hardcore von damals nicht mehr viel zu tun.

Es stimmt, es hätte für uns nicht viel Sinn gemacht, unser neues Album auf Equal Vision zu veröffentlichen. Die haben uns damals gut behandelt, das sind nette Menschen, aber wir sind jetzt wieder bei Deathwish, und das ist das Label, über das wir die Menschen erreichen, die wir erreichen wollen. Es macht einfach Sinn für uns, auf Deathwish zu sein – da gehören wir hin. Ich bin froh, dass wir zu dieser Erkenntnis gelangt sind.

Bleibt zum Schluss nur die Frage, wann ihr wieder in Europa spielen werdet.

Der Plan ist, nächstes Jahr eine kurze Tour mit zehn Shows oder so zu spielen. Bislang steht aber noch nichts fest.

Jeff, besten Dank für deine Zeit.