KIDS INSANE

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Drogenabhängig und selbstmordgefährdet

Der Vorteil, wenn man bei einer Konzert-Location gleich um die Ecke wohnt, ist nicht allein, dass es eben nur ein kurzer Fußweg dorthin ist, sondern dass es auch keine Umstände macht, ein Interview spontan auf den nächsten Morgen zu verlegen. So der Fall nach der Show von KIDS INSANE in den vertrauten Räumen des Haus Mainusch in Mainz. Mit meinem Laptop gesellte ich mich zu den erstaunlich unverkaterten Herrschaften, um mit ihnen bei Erdbeermarmelade und Bong über ihre Bandgeschichte und die Situation als israelische Hardcore-Punkband zu reden, während die Konzertveranstalter die Überreste des Vorabends aus dem Hinterhof fegten. Meine Gesprächspartner waren Sänger Corey und Bassist Nadav.

Wo kommt euer Name her?

Nadav:
Oh, da haben wir lange für gebraucht.

Corey: Ich glaube, das war im Bus, auf dem Weg zur Probe, da habe ich mich mit Nadav darüber unterhalten, dass man sich in Israel, wenn man nicht zum Militär will, für psychisch krank erklären lassen muss – „that kid’s insane“ also. Das war uns aber zu lang.

Nadav: Du musst wissen, in Israel ist der Militärdienst so was wie ein Statussymbol. Wenn du ihn nicht absolviert hast, dann heißt das eben, dass irgendwas mit dir nicht stimmt, dass du am Ende vielleicht sogar gestört bist. Für dein Berufsleben ist das natürlich auch nicht ratsam.

Corey: Wenn du es genau wissen willst: Wir alle mussten solche Sachen sagen, wie dass wir Drogen nehmen, keine Freunde haben, selbstmordgefährdet sind.

Wie lange spielt ihr schon zusammen?

Nadav:
Wir haben uns im Sommer 2010 zusammengefunden, vorher waren wir in einer Hardcore-Band namens TOGETHER. Den Sänger der deutschen Band TOGETHER haben wir übrigens auch einmal in Israel getroffen, haha.

Corey: Wir wollten einfach eine Hardcore-Band gründen, zu dem Zeitpunkt gab es kaum Bands in Israel, wobei das jetzt doch wieder etwas im Kommen ist. 2010 haben wir auf jeden Fall nach vier Monaten unser erstes Demo aufgenommen, im Sommer darauf unser erstes Album, das dann ein Jahr später auf dem amerikanischen Label Third Time Lucky Records rauskam. Danach sind wir auch das erste Mal auf Tour gegangen. Wir haben uns die ganze Zeit schon drauf gefreut, das neue Material zu veröffentlichen, eigentlich wollten wir es auf dieser Tour machen, aber das Label wollte noch ein bisschen warten. Deswegen ist es dann im September erschienen, als 7“ mit dem Titel „Frustrated“.

Was macht ihr, wenn ihr nicht mit KIDS INSANE unterwegs sein?

Corey:
Ich habe noch ein paar andere Bands und arbeite in einem kleinen Laden, um meine Musik und das Touren zu finanzieren.

Nadav: Ich spiele noch bei SPIT, unter anderem mit Leuten von USELESS ID. Außerdem arbeite ich als Grafikdesigner für eine israelische Nachrichten-Website. Das ist ein ganz cooler Job, aber eigentlich ist der auch nur dafür da, um Geld in meine Bands zu pumpen.

Ich war sehr überrascht, dass ihr gar nicht so sehr nach Achtziger-Jahre-Hardcore klingt, sondern doch einen sehr modernen Sound habt. Wie kommt das?

Corey:
Auf Shows in Israel ist es so, dass da Bands aller möglichen Punk-Spielarten spielen. Wir selbst wurden sehr von Punkrock beeinflusst, noch mehr als von Hardcore. Gestern hat mich auch jemand gefragt: „In was für einer Band spielst du – einer Punk- oder einer Hardcore-Band?“ Und ich sagte, dass ich in einer Punkband spiele, die Hardcore macht. Viele unserer Einflüsse sind wirklich oldschool, aber um ehrlich zu sein, Hardcore ist doch eigentlich auch Punk. Ich liebe es trotzdem, neue Bands zu entdecken, es ist nicht so, als würden wir nur in die Vergangenheit schauen.

Nadav: Irgendwo versuchst du doch auch, dein eigenes Ding zu machen, wir leben nun einmal jetzt und nicht in den Achtzigern. Wir wollen bei jedem Song etwas anderes ausprobieren und setzen uns da nicht solche Grenzen, dass der Akkord jetzt zu heavy wäre oder so etwas. Natürlich kann man die Einflüsse nicht abstreiten, aber das, was das Ganze so interessant macht, ist doch, seinen eigenen Weg zu finden.

Wie sieht die israelische Szene aus? Ist die sehr politisch?

Nadav:
Viele haben einfach mehr so diese „No-Future“-Mentalität verinnerlicht.

Corey: In Israel gibt es auch einfach keine Zukunft. Das fängt beim Geld an: Altersvorsorge? Das kannst du vergessen.

Nadav: Es gibt auch eine sehr selbstzerstörerische Grundstimmung, natürlich, einiges davon ist auch politisch, aber ... in Israel bist du mittendrin in diesem Konflikt und da sind Konzerte einfach der Ort, um das Drumherum mal für eine halbe Stunde zu vergessen. Es bringt auch nichts, dann noch genau darüber zu singen – denn in Tel Aviv weiß sowieso jeder Bescheid über die Situation. Die Leute sind sich der Lage definitiv bewusst, aber für uns fühlt es sich manchmal einfach an, als würde man gegen den Wind pissen. Wir sind damit aufgewachsen, dass Bomben in vollbesetzten Bussen explodieren, du lernst irgendwie damit zu leben.

Corey: In den Neunzigern war die Szene viel politischer, aber das wurde immer weniger in den letzten Jahren. Im Moment ist die Szene sehr, sehr klein und es gibt auch kaum explizit politische Bands. Musikalisch wird das alles dafür aber immer besser.

Dennoch gibt es doch eigentlich genug Gründe, warum man sich in Israel für Punk interessieren könnte. Gerade weil es so viele Kontraste gibt, wie in Tel Aviv als moderne, weltoffene Stadt in einem von uralten, religiösen Konflikten so zerrissenen Land, oder?

Nadav:
Die Kids, die zu unseren Shows kommen, sind dann aber auch meistens die Außenseiter. Der normale Jugendliche in Israel geht nach der Schule direkt zur Armee, weil er glaubt, dass überall Araber lauern, die ihn umbringen möchten. Punk ist immer noch sehr subkulturell. Wenn du in Deutschland mit Tattoos rumläufst, dann juckt das keinen. Aber in Tel Aviv, im Sommer, wenn ich da mit Shorts rausgehe, und ich hab noch nicht mal irgendwelche gruseligen Motive, das kann die Leute schockieren. Alte Leute bleiben stehen und starren dich an. Das ist alles immer noch sehr ungewöhnlich, selbst in Tel Aviv.

Ich habe mal von dem Trend gehört, dass sich junge Israelis die KZ-Häftlingsnummer ihrer Vorfahren tätowieren lassen.

Corey:
Ja, das gibt es. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass sie genau deshalb nicht will, dass ich mich tätowieren lasse, weil es sie an den Holocaust erinnert.

Gibt es eine Möglichkeit die Westbank zu betouren? Gibt es palästinensische oder arabische Bands, mit denen ihr zu tun habt?

Nadav:
Es gibt eine große palästinensische Metal-Band namens CHAOS, nicht aus der Westbank, aber aus Nazareth. Es wäre bestimmt relativ problematisch, dort zu spielen. Nazareth wäre wahrscheinlich die einzige arabische Stadt in Israel, in der wir versuchen könnten zu spielen. Aber die Westbank? Auf keinen Fall. Ich glaube es gäbe auch niemanden, der unsere Musik dort hören wollte.

Corey: Und wie auch auf der israelischen Seite gibt es dort eigentlich so ein großes Potenzial für Rebellion und gegen etwas zu kämpfen, wahrscheinlich sogar noch mehr als bei uns, aber ... Punk ist wahrscheinlich nichts, womit man dort in Kontakt kommt.

Nadav: Es gibt jedoch eine palästinensische Skate- und HipHop-Szene, die auch einigermaßen politisch ist.

Corey, du spielst auch bei MONDO GECKO. Ihr habt eine Split-LP mit DEMOKHRATIA aus Algerien veröffentlicht. Hattet ihr die Möglichkeit, dort zu spielen?

Corey:
Nein, das geht leider nicht. Für DEMOKHRATIA war es sogar richtig riskant, eine Platte mit einer israelischen Band zu machen. Sie haben uns einfach eine E-Mail geschickt und gefragt und so kam das zustande. Bei MONDO GECKO haben wir immer Bock, Split-Platten mit möglichst abgefahrenen Bands zu machen, also war das eigentlich das ultimative Angebot. Wir würden trotzdem gerne in Algerien touren, aber das geht nicht, genauso wenig wie DEMOKHRATIA in Israel touren könnten. Das Krasse ist, dass diese Split-LP schon nach einem Monat einfach ausverkauft war, wahrscheinlich jedoch hauptsächlich wegen ihnen.

Als israelische Band habt ihr auch nicht die Möglichkeit, einfach in den Van zu steigen und zu touren, sondern müsst immer irgendwo hinfliegen, etwa nach Europa – es gibt keine Möglichkeit auf dem Landweg hierher zu kommen, richtig?

Corey:
Nein, es besteht keine Möglichkeit, einfach durch Libanon und Syrien zu fahren. Der nächste Ort, den wir erreichen könnten, wäre Zypern, aber selbst dorthin müssten wir mit dem Schiff fahren.

Nadav: Und da würden sie uns wahrscheinlich sofort die Reifen zerstechen, wenn sie sehen, dass das ein israelisches Auto ist, haha. Griechenland ist wirklich das nächste Land, von dem wir auch wissen, dass es da Hardcore-Shows gibt, aber wie gesagt, dort kommen wir auch nicht einfach mit dem Van hin.

Worin unterscheiden sich Israel und Europa?

Corey:
In Europa sind die Leute sehr gastfreundlich und geduldig. Es ist ziemlich angenehm, einmal in einer Schlange ruhig auf irgendetwas zu warten, ohne dass irgendwer von hinten ruft, dass man sich doch beeilen soll.

In Deutschland ist die Erinnerung an das Dritte Reich immer noch sehr präsent – wie fühlt ihr euch dabei, hier als israelische Band zu touren?

Corey:
Ich habe einmal die Erfahrung gemacht, dass sechzig Nazis auf eine Show in Polen gekommen sind. Aber in Deutschland scheinen die Nazis Angst davor zu haben, auf Hardcore-Shows zu kommen, das liegt wahrscheinlich daran, dass die meisten Locations eine antifaschistische Ausrichtung haben.

Nadav: Weißt du, in Israel gibt es auch viele Leute, wie eben jene, die sich diese Häftlingsnummern tätowieren lassen, die die Vergangenheit nicht hinter sich lassen können. Es ist komisch, das dort zu sehen, und komisch, es hier zu sehen. Hier gibt es jedoch irgendwo bessere Gründe dafür, denn so etwas soll ja auch nie wieder geschehen und deshalb ist es wichtig, dagegen zu kämpfen. Aber wir glauben daran, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und einfach unser Leben zu leben. Und hier zu sein, und zu sehen, wie viele Sachen aus diesen antifaschistischen Ansätzen entstanden sind, wie das Haus Mainusch und viele Locations, das ist doch Beweis genug, dass das die richtige Antwort ist.