AGAINST ME!

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Gegen Stereotype und Geschlechtsnormen

Keine Frage, ihre Alben waren schon immer verdammt gut. Völlig zu Recht haben sich AGAINST ME! aus Gainesville in Florida seit ihrem Debüt im Jahre 2002 zu einer fest im Punk verwurzelten Band entwickelt, die weit über die Szene hinaus Beachtung findet. Und doch haben sie in den vergangenen zwei Jahren weniger wegen ihrer Musik von sich reden gemacht, als vielmehr ob der Geschlechtsumwandlung ihres Frontmannes zur Frontfrau – Tom Gabel ist jetzt Laura Jane Grace. Mehr noch, das gesamte neue Album mit dem Namen „Transgender Dysphoria Blues“ dreht sich um dieses Thema und wirft neben Fragen nach Produktion und zuletzt stetig wechselnder Bandbesetzung vor allem diese Fragen auf: Ist Laura Jane Grace tatsächlich so wütend, wie sie sich in den Songs gibt? Nerven sie die zwangsläufig oft gestellten Fragen nach ihrer Geschlechtsumwandlung? Und wie sieht er ihrer Ansicht nach aus, der Status quo des angeblich so toleranten Punk in Sachen Männlichkeit und Weiblichkeit? Übers Telefon sprach die Sängerin mit uns – und klang dabei zeitweise tatsächlich so, als sei sie ein wenig „durch“.

Laura, in deiner Band gab es in den vergangenen Monaten zahlreiche Umbesetzungen. Seid ihr jetzt endlich komplett?


Auf jeden Fall! Wir hatten zuletzt ja schon einige Konzerte in den USA mit der neuen Besetzung. Da hat alles gepasst. Es läuft wunderbar für uns.

Das neue Album, „Transgender Dysphoria Blues“, hört sich meines Erachtens noch etwas punkiger und rauher an als die Alben davor. Was ist der Grund?

Also für mich haben sich schon die beiden letzten Alben, „New Wave“ von 2007 und „White Crosses“ 2010, so angehört. Etwas war bei „Transgender Dysphoria Blues“ allerdings anders, wir haben es nicht bei einem Majorlabel rausgebracht. Wir haben da viel Arbeit reingesteckt und es in Eigenregie auf die Beine gestellt. Ich bin die Produzentin, somit war es für mich eine wunderbare Gelegenheit, die Dinge, die ich über die Jahre hinweg über die Aufnahme und Produktion von Platten gelernt habe, einmal auszuprobieren und umzusetzen. Die Songs und all die Emotionen, die dahinter stecken, sollten von Anfang an deutlich und klar herausgestellt werden. Die einzige Vorgabe, die es soundtechnisch gab, war die an unseren Mixer. Ihm habe ich gesagt, dass das Album wie „Never Mind The Bollocks“ von den SEX PISTOLS sowie nach den NEW YORK DOLLS klingen soll. Aber das war es dann auch. Letztlich hat ja jedes Album etwas Spezielles an sich und eine eigene Entstehungsgeschichte. Und in diesem Fall ist es eben der Umstand, dass es eine komplett selbstproduzierte Platte ist.

Warum hat sich nicht mehr so wie beim Vorgänger „White Crosses“ Starproduzent Butch Vig an die Regler gesetzt?

Das war einfach dem Umstand geschuldet, dass wir nicht mehr mit einem Majorlabel zusammenarbeiten. Entsprechend kleiner war das Budget.

War der Druck vor den Aufnahmen dieses Mal besonders hoch, weil ihr quasi zum D.I.Y.-Stil zurückgekehrt seid?

Nein. Druck ist ja immer da, wenn du ein Album machst. Es ist doch so, ich will Platten aufnehmen und produzieren. Das ist alles, was ich als Musikerin will. Seit jeher. Und da geht es mir nicht in erster Linie um D.I.Y. oder um das „Wie“. Da geht es mir darum, dass ich überhaupt ein Album aufnehmen kann. Aber immerhin, „Against Me! Is Reinventing Axl Rose“, unsere erste Platte, war damals, 2002, auf jeden Fall und zu 100% D.I.Y.!

„Transgender Dysphoria Blues“ dreht sich nicht nur dem Namen nach, sondern auch in fast allen Songs um deine Geschlechtsumwandlung. Normalerweise, so könnte man meinen, müsstest du doch jetzt glücklich sein, diese Umwandlung abgeschlossen zu haben und endlich die zu sein, die du gefühlsmäßig schon immer warst. Die Songs aber klingen durchweg wütend. So wie ein Mittelfinger an alle, die diesen Schritt vielleicht nicht verstehen.

Nein. Das war gar nicht die Art und Weise, wie ich über die Songs nachgedacht habe. Beim Schreiben geht es für mich natürlich immer darum, was ich gerade durchmache und was ich fühle. Aber ich habe im Fall von „Transgender Dysphoria Blues“ nicht im Sinn gehabt, etwas Wütendes zu schreiben.

Anders gefragt, ist dieses Album eine Art Katharsis für dich gewesen – eine Gelegenheit, dir alles in der Vergangenheit Erlebte von der Seele zu schreiben?

Ja. Auf jeden Fall.

Du bist fest verwurzelt im Punk und kannst dieses Genre entsprechend gut beurteilen. Inwiefern ist die überbetonte Männlichkeit ein Problem innerhalb der Szene?

Sie ist manchmal schon ein Problem. Ich habe mich von Anfang an dieser Szene zugewendet und fühlte mich von ihr angezogen – eben weil sie als besonders tolerant und allen Menschen gegenüber offen gilt. Und das ist sie ja auch. Dennoch, manchmal ist sie schon sehr männlich dominiert. Da fühle ich mich ab und zu eher in Highschool-Zeiten zurückversetzt, haha. Aber ich versuche dagegen anzukämpfen. Gegen Stereotype und Geschlechtsnormen. Gegen all diesen Mist.

Als Frontfrau einer erfolgreichen Band stehst du natürlich im Fokus der Öffentlichkeit. Wie groß ist die Angst davor, nach deiner Geschlechtsumwandlung zu einer viel, vielleicht zuviel beachteten Ikone der Transgender-Bewegung zu werden?

Daran verschwende ich keinen Gedanken. Ich denke nicht darüber nach, wie die Öffentlichkeit eventuell über mein Privatleben denken könnte. Wenn ich das tun würde, müsste ich mich ja umbringen, haha.

Was hat sich für dich in Sachen Songwriting geändert?

Überhaupt nichts. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich über Dinge, die mich berühren und anrühren. Das war schon immer so.

Gab es innerhalb der Band Diskussionen darüber, dass sich „Transgender Dysphoria Blues“ explizit mit deiner Geschlechtsumwandlung befasst?

Nein, nicht wirklich. Über dieses Thema haben wir eher geredet, nachdem ich mein Coming-out hatte. Die anderen Bandmitglieder haben mir immer alle Freiheiten gelassen, über das zu schreiben, worüber ich schreiben will, und all das in den Songs zu sagen, was ich sagen will. Da war es immer schon vollkommen egal, um was es letztlich ging.

Nervt es dich, immer wieder und wieder auf deine Geschlechtsumwandlung angesprochen zu werden?

Na ja, natürlich komme ich nicht um dieses Thema herum, wenn ich Interviews zum Album gebe. Aber ja, manchmal nervt das schon.

Auf dem vorigen Album „White Crosses“ singst du „I was a teenage anarchist“. In der Vergangenheitsform. Was macht Punk dann heutzutage aus, wenn nicht der Glaube an Revolution und Anarchie?

Oh, das weiß ich nicht. Die Frage, was Punk ist oder ausmacht, spielt für mich keine Rolle. Ich bin einfach glücklich, mein Leben so führen zu können, wie ich es tue. Natürlich, Punk hat mein Leben verändert. Für immer. Von daher ist er für mich sehr, sehr wichtig. Aber für mich wäre es kein Punk, in einem Interview zu erklären, was Punk für mich bedeutet oder wie er heutzutage aussieht.