CRYSSIS

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Vom Ritchie ist vor allem als Schlagzeuger der TOTEN HOSEN bekannt. Als solcher hat er gerade die beiden erfolgreichsten und anstrengendsten Jahre der Band sowie seiner eigenen Musikergeschichte hinter sich. Pause also? Nix da! Vom Ritchie wäre nicht Vom Ritchie, wenn er seine Trommelfinger in der aktuellen Hosen-Auszeit nicht auch noch anderswo im Einsatz hätte – zum Beispiel bei CRYSSIS. Das ist die Band, in der sein alter Kumpel Dick York singt. 28 Jahre hatte die Freundschaft der beiden auf Eis gelegen. Dann griff Vom zum Telefon, um aus dem Stand heraus eine Reunion mit Tournee klarzumachen. Allein das ist schon interessant. Weil sich bei CRYSSIS aber eben auch noch zwei Generationen von Punk-Musikern begegnen, wurde ein Interview in Voms Kellerbar schließlich unumgänglich.

Vom, Dick, ihr habt einen Monat Tournee durch Deutschland und die Schweiz hinter euch. Fast jeden Abend ein Konzert. Viel Stress. Und doch keine Luxushotels wie mit den TOTEN HOSEN ...


Dick: Oh, wir hatten schon ein paar nette Unterkünfte.

Vom: In Bayern sind wir sogar mal in einem Best Western Hotel abgestiegen und hatten alle Einzelzimmer. Außerdem hatten wir eine sensationelle Verpflegung. In Lenggries hat die Frau des Veranstalters für uns gekocht. Das war so lecker!

Das hört sich nach einer erfolgreichen Tournee an.

Vom: Auf jeden Fall. Wir hatten eine Menge guter Presse. Und wir hatten mit „Fighting in Brighton“ einen neuen Song am Start, der eingeschlagen ist wie verrückt. Die Leute haben beim Refrain sofort mitgegrölt. Wenn wir den rausbringen, könnte das unser Durchbruch werden, haha. Bei unseren Akustikgigs haben einige sogar mit Crowdsurfing angefangen.

Für dich als Mitglied der derzeit erfolgreichsten deutschen Rockband muss so eine Tour doch eine Art „back to the roots“ sein, oder?

Vom: Die Roots früher waren schlimmer, haha. Dagegen lief es dieses Mal super und entspannt. Wir hatten keinen Unfall. Niemand ist ums Leben gekommen. Nur einmal hatten wir Probleme: Wir hatten für die Schweiz keine gültige Vignette, beziehungsweise uns fehlte irgendein Stempel. Bei der Einreise hatten uns die Zollbeamten dafür so lange von einem Büro ins nächste geschickt, bis wir einfach aufgegeben haben und ohne Stempel abgezogen sind. Das war zunächst auch kein Problem. Aber als wir dann wieder aus dem Land wollten, haben sie uns angehalten. Das war kritisch. Sie hätten unseren ganzen Merchandise, unser ganzes Equipment kassieren können. Aber die Herren Beamten waren gut drauf und haben sich von unserer blonden Tourmanagerin letztlich besänftigen lassen, haha.

Vom, geradeheraus gefragt: Sind die TOTEN HOSEN für dich ein Job und CRYSSIS eine Herzensangelegenheit?

Vom: Nein. Aber das mit CRYSSIS ist schon ein großer Unterschied zu den TOTEN HOSEN, bei denen ich ja in den Songwriting-Prozess gar nicht eingebunden bin. Nicht falsch verstehen: Ich liebe die Hosen. Aber bei CRYSSIS ist es so: Dick und ich haben diese Songs vor dreißig Jahren gemeinsam geschrieben. Und jetzt zu sehen, wie die Leute dazu abdrehen, zu unseren Songs – das ist so großartig! Das ist einfach etwas anderes.

Stört es euch, wenn Zuschauer zu euren Konzerten kommen, weil sie Fans der Hosen sind und Vom mal aus der Nähe sehen wollen?

Vom: Nein. Wir versuchen alles, um Leute auf die Konzerte zu bekommen. Und wenn es dadurch geht, ist das super, haha. Aber ernsthaft: Wir wollen natürlich, dass sie kommen, weil sie uns als CRYSSIS mögen.

Dick: Das mit den Hosen ist eine gute Basis. Aber ich glaube, dass wir mittlerweile eine ganze Menge eigener Fans haben. Bei der Tour reisten viele über Stunden zu Konzerten an. Das war wunderbar!

Vom: Man darf die Sache mit den Hosen-Fans, die zu CRYSSIS gehen, auch nicht allzu hoch hängen. Es ist oftmals nämlich so, dass diese Fans sich nur für Dinge interessieren, auf denen auch „DIE TOTEN HOSEN“ draufsteht. Zwei Beispiele: Das Album von TV SMITH, auf dem wir mitspielten, verkaufte sich nicht sehr gut. Und als wir seinerzeit einmal unter dem Pseudonym DIE RHEINPIRATEN Konzerte gaben, mit dem unübersehbaren Hosen-Totenkopf auf den Plakaten, da checkten viele das gar nicht. Kurzum: Es gibt keine Garantie, dass bei unseren Shows viele Hosen-Fans aufkreuzen.

Ich würde noch mal gerne auf euren eben erwähnten, neuen Song, „Fighting In Brighton“ zurückkommen. Der klingt schon vom Titel her interessant. Oldschool. Irgendwie nach THE WHO und „Quadrophenia“. Wovon handelt das Stück?

Dick: Es geht um zwei Jungs, die nach einer gemeinsamen Punk-Jugend getrennte Wege gehen. Der eine, der immer eher der Mitläufer war, bleibt auch als Erwachsener seinen alten Idealen treu. Der andere, der zuvor immer derjenige war, der voranging, verändert sich komplett. Also stellt sich die Frage: „Wo ist die Zeit geblieben, als wir gemeinsam in Brighton gekämpft haben?“ Das ist schon ein bisschen so wie bei Sting in „Quadrophenia“, der ja zuerst der Ober-Mod ist – und dann als Hotelboy endet.

Weshalb ich auf den Song zu sprechen komme: Diese Auseinandersetzung mit der „guten, alten“ Zeit ist ja in CRYSSIS quasi personifiziert: Ihr beide habt die Punk-Bewegung in England selber mitbekommen. Und mit eurem Gitarristen Trip Tom spielt nun die junge, nächste Generation des Punk mit. Eine hochinteressante Kombination.

Vom: Auf jeden Fall. Wir sind um die fünfzig. Unser Bassist Thomas Schneider ist in den Vierzigern. Trip ist Anfang zwanzig. Als er zu uns kam, war er noch ein kleiner Junge. Und als Dick und ich all diese heutigen CRYSSIS-Songs – von denen viele eben schon sehr alt sind – damals raushauten, war er noch gar nicht auf der Welt, sondern höchstens eine diffuse Idee in den Gedanken seiner Mutter, haha.

Dick: Aber er wirkt schon sehr reif und ist ein unfassbar guter Musiker. Technisch perfekt. Und mit tollen Ideen. Ideen, auf die wir niemals kommen würden. Er fügt den Songs unglaublich viel hinzu. Das rundet die Sache ab. Es funktioniert hervorragend. Und dadurch merkt man den Altersunterschied gar nicht. Eigentlich hat der nie eine Rolle gespielt.

Also schenkt euch Trip Tom Melodien und Hooklines, während ihr ihm im Gegenzug Unterricht in Sachen Punk gebt?

Vom: Nein. Er kommt mit Arrangements an. Die Melodie ist schon da. Er macht sie nur größer. Er schenkt uns vielmehr das Wissen in Sachen Equipment. Da kennt er sich unglaublich gut aus. Da macht er uns allen etwas vor.

Wenn ich Trip Tom wäre, würde ich euch wahrscheinlich mit Fragen nach früher löchern.

Vom: Oh, er liebt es, die alten Geschichten von Dick und mir zu hören. Er saugt die richtig auf. Vor allem vor den Gigs – wenn wir uns entspannen wollen – möchte er die hören. Da haben wir jedes Mal ordentlich Spaß, haha.

Wie habt ihr zwei es geschafft, über so viele Jahre Kontakt zu halten?

Vom: Gar nicht, haha. Zwischen dem letzten und dem ersten Anruf lagen 28 Jahre. Aber ich habe diese Songs von uns die ganze Zeit über im Kopf gehabt. Ich musste irgendwann einfach etwas tun. Also habe ich einen Freund von mir angerufen, der die Nummer von Dicks Eltern hatte. Sie gaben mir seine Nummer. Ich rief an. Und es war, als hätten wir erst am Tag zuvor miteinander gesprochen. Das ging in etwa so: „Hi, wie geht’s?“ – „Super!“ – „Hör’ mal. Da sind noch ein paar Songs, mit denen wir was machen sollten.“ – „Eine tolle Idee!“ – „Ein paar Shows?“ – „Klar!“

Dick, hättest du dich irgendwann auch mal bei Vom gemeldet?

Dick: Ich glaube nicht. Ich habe seinen Weg zwar immer irgendwie verfolgt und immer weiter Songs geschrieben. Aber da wäre ich zu träge gewesen, haha. Umso glücklicher bin ich, dass er es getan hat. Ich erlebe gerade die beste Zeit meines Lebens!