SELF DEFENSE FAMILY

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Alles ist Musik

Vielen werden END OF A YEAR noch ein Begriff sein. Nicht nur, weil der namensgebende EMBRACE-Song ein ziemlich guter Ausgangspunkt für eine Beschreibung des Sounds der Band ist, sondern auch, weil aus END OF A YEAR nach dem 2010 auf Deathwish erschienenen „You Are Beneath Me“ erst END OF A YEAR SELF DEFENSE FAMILY, dann SELF DEFENSE MUSIC, SELF DEFENSE und schließlich SELF DEFENSE FAMILY wurden. Begleitet wurde das Ganze durch die Veröffentlichung zahlreicher kleinformatiger Releases und einer Mitgliederliste im zweistelligen Bereich. Nachdem SELF DEFENSE FAMILY 2013 durch die Tour mit TOUCHÉ AMORÉ und DAD PUNCHERS in Europa nicht nur Plattensammlern und FUGAZI-Vermissern ins Gedächtnis gespült wurden, erschien im Januar 2014 „Try Me“, der erste Langspieler des Kollektivs um den meinungsfreudigen Sänger Patrick Kindlon, ebenfalls via Deathwish.

Patrick, welches Konzept steckt hinter SELF DEFENSE FAMILY? Und welchen Einfluss hatte dabei Alternative-Country-Musiker Will Oldham?


Eigentlich sind wir nur Menschen, die Musik machen. Aber wir möchten diese Musik als Teil eines kreativen und erfüllenden Lebens sehen. Musik ist das, wofür wir bekannt sind, aber es gibt eine Menge anderer Arten von Kunst, die wir auch unter den SELF DEFENSE FAMILY-Schirm geholt haben. Im Grunde genommen kann jeder kreative Output eines unserer Bandmitglieder den Namen „Self Defense“ tragen. Will Oldham wiederum war eine gewisse Inspiration, unseren Namen zu ändern. Wenn du in einer Band spielst und du deinen Namen ändern willst, werden dir Leute in manchen Genres sagen, das sei der Anfang vom Ende. Dass du alles, was du vorher gemacht hast, wegwirfst und wieder bei Null anfangen musst. Das ist etwas, das Oldham widerlegt, so oft wie er die Namen seiner Projekte geändert hat. Ein Name ist nur ein Name. Wir werden unseren vielleicht auch noch einige Male wechseln.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass EARTH CRISIS für dich eine der fünf prägendsten Bands des US-Hardcore sind. Welche sind denn die fünf prägendsten Bands für SELF DEFENSE FAMILY?

Das ist schwer zu sagen, denn wir haben so viele Songwriter in der Band. Ich würde SWIZ auf meine Liste schreiben, aber unser Drummer sitzt gerade neben mir und er würde Sun Ra nennen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir irgendwelche Einflüsse haben, die wir alle teilen.

Teil eurer Live-Performance sind ausgiebige Monologe deinerseits zwischen den Songs. Ich für meinen Teil mag Bands, die ihre Gedanken auch auf diese Art teilen, besonders wenn es auf eine solch unterhaltsame und fordernde Art und Weise geschieht. Siehst du in so etwas eher eine Ablenkung oder eine Erweiterung eurer Musik?

Alles, was wir auf der Bühne und im Studio tun, ist unsere Musik. Wenn wir unsere Instrumente auf den Boden legen und dreißig Minuten lang tanzen, dann machen wir immer noch Musik. Wenn wir für eine Stunde reden, dann machen wir immer noch Musik. Ich habe nichts mit dem Individuum gemein, das auf unsere Show kommt und sich etwas Spezifisches davon verspricht. Das wäre, als würde man ein Buch lesen, bei dem man davon enttäuscht ist, dass die Charaktere nicht das tun, was man von ihnen erwartet. Eine dumme Art, durch das Leben zu gehen.

Wie fühlst du dich, wenn man dich nach deiner Meinung zu „szene-relevanten“ Themen befragt? Du hast ja auch mal für Punknews.org einen Essay über Sexismus im Hardcore geschrieben.

Die meisten Publikationen fragen mich in der Hoffnung, dass ich etwas Provokatives sage, das ihnen mehr Klicks bringt. Manchmal passiert das, manchmal auch nicht. Ich bin ein Individuum, das an der es umgebenden Welt interessiert ist, also habe ich dezidierte Meinungen zu einer Vielzahl von Themen. Mich stört es nicht, danach gefragt zu werden.

Wie schreibt deine Band, die ja über den ganzen Globus verteilt lebt, einen Song?

Das kommt ganz darauf an. Oftmals treffen sich einige oder die meisten von uns für ein paar Tage irgendwo, um so viele Songs zu schreiben und aufzunehmen, wie wir können. Andererseits kommt es auch vor, dass ein paar von uns etwas aufnehmen und dann entscheiden, dass es viel besser wäre, wenn ein bestimmtest Mitglied daran teilhaben würde, also schicken wir die Tracks dann dieser Person, damit er oder sie etwas dazu beitragen kann.

Die neue Platte beinhaltet zwei lange Spoken-Word-Segmente am Ende jeder Plattenseite. Sie stammen von Jeanna Fine, einer ehemaligen Pornodarstellerin, die über ihr Leben erzählt. In welcher Beziehung steht das zu den Songs auf „Try Me“?

Diese Tracks sind Teil eines Interviews, wir haben uns nur dafür entschieden, unsere Fragen rauszuschneiden. Jeanna Fine war meine Lieblingsschauspielerin, als ich ein Teenager war. Je älter ich werde, desto mehr suche ich nach roten Fäden zwischen meinen Erfahrungen als junger Mann und meinem Leben als Erwachsener. Fine prägte zu einem großen Teil meine sexuelle Entwicklung, deshalb entwickelte ich ein Interesse für ihre Vita. In diesem Prozess wurden wir zu Freunden. Die Geschichten aus ihrem Leben gaben den Ton an für unsere Arbeit, als die LP entstand, und es schien uns nur natürlich, dass wir ihre Stimme direkt einbinden sollten, in Form eines Interviews.

Zuvor habt ihr als SELF DEFENSE FAMILY eine Handvoll 7“s und Split-Releases veröffentlicht, aber kein ganzes Album. Wie fühlte es sich an, eine LP füllen zu müssen?

Es fühlte sich gut an. Ich denke, dass viele Musikfans den Eindruck teilen, dass LPs „wichtig“ sind, EPs hingegen entbehrlich. Das ist dämlich. Ich liebe Singles. Ich denke 90% aller Bands täten besser daran, niemals eine LP zu veröffentlichen. Aber es war Zeit für uns, uns diesem Format wieder anzunähern. Es war ein guter Schritt. Wir werden in Zukunft wohl öfter LPs machen.

Bei der Show, auf der ich war, waren viele im Publikum von deinem Benehmen auf der Bühne irritiert und meinten, du müsstest auf Drogen sein. Ich habe später herausgefunden, dass du straight edge lebst. Warst du dir bewusst, welchen Eindruck du vermittelst? Was ist es, das dein Verhalten auf der Bühne bestimmt?

Ich habe das schon einige Male gehört und ich werde ein wenig traurig, wenn ich daran denke. Ich kann mir das Leben einer solchen Person, die beim Anblick eines anderen Individuums, das sich selbst ausdrückt und dabei Spaß hat, denkt, der muss auf Drogen sein, gar nicht vorstellen. Ich frage mich, ob solche Leute Musik überhaupt mögen. Auf der Bühne habe ich einfach nur Vergnügen an unserer Musik. Das motiviert meinen Körper genau so, wie es den eines Tänzers motiviert.