VINYL-SPECIAL

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4 Promille - Nostalgie und Fortschritt

Das passt ja alles hervorragend: Im vergangenen Jahr führte das Ox ein Interview mit den Düsseldorfer Punkrockern über deren Reunion. Am 16. Mai 2014 nun veröffentlichen sie auf dem Essener Label Sunny Bastards ihr erstes Album seit 2006 – und wir bekamen Sängerin Melly sowie ihre Kollegen Thomas (Gesang, Gitarre), Martin (Gitarre), Ralf (Bass) und Ziad (Schlagzeug) erneut im Proberaum zu fassen. Und dann heißt die neue Platte auch noch „Vinyl“ – so wie das Special in dieser Ausgabe, für das wir mit 4 PROMILLE ein Presswerk in Niedersachsen besuchen durften. Den Report dazu lest ihr weiter vorn im Heft. Die Fragen und Antworten zur Platte gibt es hier.

Da ist sie also, eure Reunion-Platte. Dass sie „Vinyl“ heißt und ihr die Fotos fürs Coverartwork in einem Presswerk habt machen lassen, passt hervorragend zum Vinyl-Special in dieser Ausgabe.


Melly: Super, oder? Dabei waren wir am Anfang von dem Namen, auf den Thomas gekommen ist, gar nicht so begeistert.

Wie kam der Name zustande?

Thomas: Wir hatten alle Songs, die wir für das Album hatten, auf eine Tafel geschrieben und überlegt: Wie nennen wir die Platte nun? Nehmen wir einen Songtitel als Namen? Oder etwas völlig anderes? Und irgendwie bin ich immer wieder an diesem Stück, an „Vinyl“ hängengeblieben. Ich hatte sofort Sachen im Kopf, was man daraus alles machen könnte: Schriftzüge, Cover, Backdrops für die Bühne.

Melly: Anfangs saßen wir anderen hier mit großen Fragezeichen auf der Stirn herum. Aber als wir dann auf Thomas Geheiß hin überlegten, was man zu diesem Titel alles machen kann, da wussten wir: Das ist es!

Thomas: Außerdem ist es ja auch eine schöne Anspielung auf unser Alter, haha. Die nächste Platte heißt wahrscheinlich „Schellack“ oder „Grammophon“.

Ihr trefft auf jeden Fall den Zeitgeist, denn Vinyl ist wieder gefragt.

Martin: Zeitgeist. Und Nostalgie. Denn wir sind damals, in den Achtzigern, ja immer in die Düsseldorfer Altstadt gefahren, ins Studio 33. Da gab es die Scheiben, die wir haben mussten. Es gibt zu dem Song „Vinyl“ übrigens auch ein Video, das wir irgendwann vielleicht ins Netz stellen. Das haben wir im Berliner SO36 und einem Berliner Plattenladen aufgenommen und da spielt ein Kumpel von mir mit, der jetzt dort lebt und damals immer dabei war, so wie es im Lied eben auch heißt: Mit der Straßenbahn bis zum Jan-Wellem-Platz. Und von dort aus ging’s dann los.

Melly: Eine Schallplatte anzuhören, das hat ja auch etwas mit Ruhe zu tun. Du setzt dich hin, nimmst das Booklet, hörst zu – und es gibt keine Fernbedienung, mit der du weiterdrücken kannst. Ich glaube, das wissen wieder mehr Menschen zu schätzen. Und deshalb, das ist richtig, treffen wir mit dem Namen der Platte auch den Zeitgeist.

Wie habt ihr den Ausflug in die Nostalgie – ins Presswerk – empfunden?

Melly: Dieser ganze Vorgang des Plattenpressens, diese alte Fabrikhalle und diese alten Maschinen – das war so ganz anders, als ich mir das vorher vorgestellt hatte. Das hat mich wirklich schwer beeindruckt. Das kann man sich mit computergesteuerten Geräten ja so gar nicht vorstellen.

Ziad: Allein die Tatsache, dass aus so einem kleinen Klumpen Plastik tatsächlich eine Platte wird, auf der sich Musik befindet, ist doch unglaublich!

Ich gehe davon aus: „Vinyl“ wird es auch auf Vinyl geben.

Melly: Auf jeden Fall! Wir lassen drei verschiedene Editionen pressen: in grünem, weißem und schwarzem Vinyl. Und hundert Stück werden zusätzlich Slipmats für den Plattenspieler beigelegt, die mit unserm Windrosen-Logo bedruckt sind.

Kommen wir mal zu den 13 für „Vinyl“ auf Vinyl gepressten Songs: Wer eure alten Alben kennt, der muss zugeben, dass sich musikalisch einiges getan hat. Vor allem vom Gitarrensound her hebt sich „Vinyl“ erheblich von seinen Vorgängern ab. Es gibt abwechslungsreichere Arrangements. Was ist passiert?

Thomas: Erstens hat Martin als neuer Gitarrist einen ganz neuen Stil in die Songs gebracht, nachdem Volker gegangen war. Und zweitens war ich mir nach Volkers Ausstieg bewusst, dass auch ich jetzt als Gitarrist mehr gefordert bin. Das hört man der Platte sicherlich an.

Melly: Diese Frage ist ein interessanter Hinweis. Ich habe nämlich eben im Auto noch unser Album „Und ab ...“ von 2001 gehört. Und da dachte ich mir: Volker hat ja doch immer sehr, sehr viel Wert darauf gelegt, zig Gitarren übereinander zu legen. Das fand ich plötzlich im Vergleich zur neuen Platte viel dünner.

Jetzt laufen die Gitarren auch mal gegeneinander.

Ziad: Ja. Und das zeigt, wir haben uns mit dieser Platte extrem auseinandergesetzt und viel Zeit in sie investiert. Wir haben jedes Lied mehrfach auf Links gedreht. Und als wir dachten, jetzt ist der Song fertig, kam immer noch mal einer von uns um die Ecke und hatte noch eine neue Idee.

Thomas: Wir haben sogar zum ersten Mal hier im Proberaum eine Vorproduktion gemacht und später unseren Studiotechniker intensiv in die Arbeit miteinbezogen und ihn um Rat und Meinung gebeten. Das ist schon komplett anders gelaufen.

Da stellt sich die Frage: Warum habt ihr früher nicht schon so gearbeitet?

Melly: Früher war Volker in gewisser Hinsicht federführend bei den Aufnahmen.

Thomas: Er hat zum Beispiel oft mehrere Gitarrenspuren selber eingespielt. Hätte ich nicht hier und da auch einen Teil der Arbeit an mich gerissen – er hätte alles alleine geleistet, haha.

Jetzt haben die Bandmitglieder also zu gleichen Teilen mitgewirkt?

Melly: So ist es. Jetzt steht auf der Platte „Text und Musik: 4 Promille“.

Thomas: Wir haben im Laufe der Zeit eben viel dazugelernt. Wenn wir uns heute unsere alten Platten anhören, dann denken wir natürlich schon mal: Also, hier und da hätte man das auch anders machen können. Diese Gedanken resultieren aus Erfahrung. Und diese Erfahrung ist wiederum auch in die Aufnahme des neuen Albums eingeflossen. Schließlich wollen wir diese Songs auch in fünf Jahren noch hören können.

Was sagt ihr, wenn ich euch wiederum sage, dass „Vinyl“ wesentlich mehr nach Punkrock klingt, als zum Beispiel euer bislang letztes Album „Alte Schule“?

Ziad: Echt? Also ich fand „Alte Schule“ schon sehr punkrockig. Es waren aber einige Songs dabei, die eher in die Richtung Rock und Blues gingen.

Ziad: Das ist interessant, denn das haben wir selber gar nicht so empfunden. Aber schön, dass du das sagst. Unser Ziel war es, mit „Vinyl“ eine gute Punk-Platte zu machen.

Das ist euch gelungen. Und was euch ebenfalls gelungen ist, das sind die Texte. Die sind wesentlich ernster als früher.

Thomas: Das stimmt. Uns ist mit der Zeit aufgefallen, dass das in eine ernste Richtung geht. Es ist nicht so, als hätten wir kein – ich sage mal: lustiges – Lied in der Hinterhand gehabt. Aber uns war nach den ersten fünf, sechs Stücken klar: Klamauk passt nicht. Vielleicht kommt so was wieder auf die nächste Platte, haha.

Songs wie „Schicksalsschlag“ oder „Hoffnung“ klingen geradezu tragisch. Da geht es um Kinder, die einem Elternteil nach der Trennung weggenommen werden, und um seelische Krisen, die in Drogen und Hass auf alles enden. Inwiefern sprecht ihr da aus eigener Erfahrung?

Martin: Das ist alles gar nicht weit von unserem Zuhause passiert. Das kann ich dir gerne mal bei abgeschaltetem Tonband erzählen.

Interessant ist zudem der erste Song der Platte, „Frischer Wind“. Da singt ihr von der Band als einem Schiff, dessen Kapitän von Bord gegangen ist, das mit schweren Wogen zu kämpfen hatte – und das trotzdem weiterfährt. Mit dem Kapitän dürfte wohl euer ehemaliger Frontmann Volker gemeint sein. Aber was waren die „harten Wogen“, die euch vor den Bug knallten?

Ziad: Das waren Journalisten, die uns immer wieder nach STÖRKRAFT gefragt haben, haha.

Thomas: Alles, was uns das Leben so schwer gemacht hat.

Klar. Aber manch einer wird sich fragen: Haben diese Wogen mit den Gründen zu tun, warum sich 4 PROMILLE damals auflösten?

Thomas: Bedingt. Damit ist eher die Auflösung selbst gemeint, nicht die Gründe. Der Split war ja nichts Schlimmes. Es waren persönliche Situationen, die sich verändert hatten und dazu führten. Ich sage immer: Eigentlich hätten wir uns nie auflösen müssen, weil wir uns nie gestritten haben. Aber vielleicht hat uns die Pause auch ganz gut getan.

Ralf: Also, man kann schon sagen, dass damals die Luft unterschwellig vielleicht ein bisschen raus war. Aber das ist jetzt eben nicht mehr so.

Wie fühlt sich die Band nun an – nach der Reunion, nach den personellen Umbesetzungen, nach der Aufnahme eines neuen Albums?

Ziad: Da hat sich gar nichts verändert. Als wir das erste Mal wieder im Proberaum waren ...

Melly: ... klappte nix, haha.

Ziad: Doch, doch. Es war ein tolles Gefühl. Wir haben uns alle unheimlich gefreut, dass wir wieder zusammen waren.

Melly: Wie ich 2011 während des ersten großen Auftritts beim Spirit of the Streets Festival ja auch ins Mikro sagte: „Ich weiß jetzt, was ich vier Jahre lang vermisst habe.“ Ich denke, so ging es uns allen. Also hat Ziad recht, eigentlich hat sich gegenüber früher vom Bandgefühl her nichts verändert.

Neues Album, Festivalauftritte gebucht, Support bei den BROILERS – ihr seid nach der Reunion so ein bisschen auf der Überholspur unterwegs.

Thomas: Ich habe eher den Eindruck, dass alle anderen auf der Überholspur sind – nur wir nicht. In diesen Jahren, in denen wir nichts gemacht haben, hat sich unheimlich viel getan. Da sind wir anfangs beinahe erschlagen worden davon, wie groß und stressig das Musikgeschäft geworden ist. Das war früher lange nicht so kompliziert.

Melly: Da musstest du nicht darauf achten, nach einem Auftritt zwei Monate lang keinen Gig mehr im Umkreis von fünfzig Kilometern zu spielen. Da gab es keine GEMA-Liste. Und die Gästeliste für Konzerte hast du zwei Stunden vorm Konzert im Auto auf einen Zettel gekritzelt.

Thomas: Wir haben recht schnell gemerkt, dass wir vieles nicht mehr selber leisten können, dass wir Hilfe brauchen. Also haben wir jetzt einen Tourmanager. Einen, der sich ums Merchandising kümmert. Einen Techniker. Eine Booking-Agentur. All das kannten wir vorher gar nicht. Die Band ist also heutzutage eine echte Herausforderung, haha.