RADIO QUERFUNK

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If it’s too loud, you’re too old

Hardcore und Psychobilly sind in den frühen Achtziger Jahren entstanden, Punk, Post-Punk, New Wave und Metal wurden in dieser Zeit zumindest wesentlich geprägt. Diese spannenden Entwicklungen bekamen allerdings zumeist nur diejenigen mit, die von sich aus nach Konzerten, Fanzines oder Mailorder suchten. Im Radio gab es selten etwas zu hören, das härter war als die SCORPIONS oder experimenteller als DEPECHE MODE, selbst Bands wie IRON MAIDEN hatten auf dem Höhepunkt ihres kommerziellen Erfolges hierzulande kein nennenswertes Airplay. Eine umso rühmlichere Ausnahme stellte das Jugendprogramm „Querfunk“ des Saarländischen Rundfunks dar, das von 1984 bis 1990 täglich lief, bezeichnenderweise auf dem „Kultursender“ SR 2. Hier gab es nicht nur METALLICA, TOY DOLLS oder RAMONES zu hören, sondern sogar Bands wie CIRCEL JERKS, BL’AST!, CELTIC FROST oder BUTTHOLE SURFERS – vor der Grunge-Welle eine regelrechte Revolution. Und auch die Wortbeiträge waren ungewöhnlich: Reportagen zu sozialen Problemen – das Saarland war damals ziemlich krisengebeutelt – oder auch informativ-kritische Auseinandersetzungen mit der Musik. Adam Hahne, der den „Querfunk“ damals entscheidend mitgeprägt hat, erinnert sich.

Adam, möchtest du dich unseren Lesern kurz vorstellen?


Versuchen wir es mal auf das für dieses Interview Relevante zu beschränken. Ich hatte als gerade mal Volljähriger das große Glück, beim Saarländischen Rundfunk als freier Mitarbeiter einsteigen zu können. So konnte ich fast zehn Jahre lang ziemlich viel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausprobieren, bevor ich dann ins private Lager wechselte und sieben Radiosender auf- oder umgebaut habe ...

Wessen Idee war der „Querfunk“ und wie würdest du das Konzept beschreiben? Hattet ihr konkrete Vorbilder? Und warum gerade die Fokussierung auf Musik abseits des Mainstreams?

„Querfunk“ sollte – der Name macht es ja schon ziemlich deutlich – inhaltlich völlig anders sein, als andere verfügbare Radioangebote. Die Grundidee geht auf den damaligen Jugendfunkredakteur Willibrord Ney zurück – sein Ansatz war es, jugendliche Hörer mit Informationen zu versorgen, die sie so in keinem der anderen Programme des Saarländischen Rundfunks bekamen. Damit war auch geklärt, dass alles andere drumherum nicht glattgebügelt sein sollte, weder die Musik noch die Moderation. Statt konkreter Vorbilder genügte uns die Ausschlussdefinition: „bloß keinen Mainstream“. Ich hatte damals schon einige Zeit für die Pop-Welle des SR, die Europawelle Saar, gearbeitet – und musste Tag für Tag mit ansehen, wie viel tolles Material keinen Sendeplatz finden konnte. Das war eine ideale Grundlage für die Gestaltung des „Querfunks“. Ziemlich schnell entstand ein Team von Programmgestaltern, bei dem jeder einen anderen musikalischen Schwerpunkt hatte.

Der „Querfunk“ unterschied sich ganz erheblich vom übrigen Programm des Saarländischen Rundfunks. Gab es damals innerhalb des Senders Widerstände dagegen?

Man kann es sich heute wahrscheinlich gar nicht vorstellen, aber die tatsächlichen Widerstände waren nicht wirklich der Rede wert. Die meisten schüttelten den Kopf über uns und unsere Sendungen – ansonsten wurde um 17 Uhr einfach das Radio leiser gedreht, wenn es auf SR 2 eingestellt war ...

Auch der Sendeplatz war eher ungewöhnlich: nachmittags auf dem Kanal, der sonst Klassik und Jazz vorbehalten war und dessen Hörer manchmal ausdrücklich vor der nun folgenden „sehr phonstarken Rockmusik“ gewarnt wurden. Hatte es da etwa Beschwerden gegeben?

SR 2 war der Kanal, auf dem alles stattfand, das auf den beiden anderen Massenwellen keinen Platz hatte. Sendungen auf SR 2, das war noch totales Einschaltradio, egal, ob Jazz, Hörspiel oder Metal. Insofern schalteten um 17 Uhr einige Hörer aus oder um, während die „Querfunk“-Fans einschalteten. Die Warnungen, die wir selbst ausgesprochen haben, waren eher ein Bestandteil unserer Positionierung.

Kommen wir zu positiven Publikumsreaktionen. Euer Programm wurde offenbar nicht nur im Saarland gehört ...

Stimmt. Wir bekamen sogar Reaktionen aus Gebieten, in denen wir nachweislich nicht zu empfangen waren. Wie das sein konnte, erfuhren wir dann eher zufällig aus einer Hörerzuschrift: Man ließ sich die Sendungen von Freunden im Sendegebiet aufnehmen und dann auf Kassette per Post zuschicken.

Wie lief die Musikauswahl genau ab? Habt ihr euch auf die Bemusterung durch die „größeren“ Indielabels verlassen oder aktiv nach neuen Trends gesucht?

Wir haben alle möglichen Quellen „aufgesaugt“. Du musst dir vorstellen, dass wir plötzlich etwas machen konnten, was vor uns keiner gemacht hat: Es war unsere Aufgabe, guter und zu Unrecht unbekannter Musik Öffentlichkeit zu verschaffen. Das wollten wir so gut wie nur irgendwie möglich tun – also haben wir alles gehört, was auf schwarzen Scheiben zu kriegen war, dazu tonnenweise Demokassetten, Infos aus ausländischen Musikmagazinen, Fanzines, und auch sehr viel über Mund-zu-Mund-Propaganda, also dem echten Vorläufer der Sozialen Netzwerke ...

Hast du via „Querfunk“ irgendwelche Bands entdeckt, die bis heute zu deinen Favoriten zählen?

Von einigen „Querfunk“-Sendungen habe ich noch alte Tapes und höre sie immer wieder mal gerne an. Von Bands wie PHILLIP BOA & THE VOODOO CLUB, SKINNY PUPPY oder INDOCHINE und METALLICA lege ich mir auch heute noch immer wieder gerne eine LP auf. Aber den persönlichen Geschmack sollte jeder Musikjournalist auch erst mal an der Garderobe abgeben. Es geht einzig und allein um die Frage, ob die Musik qualitativ überzeugen kann.

Auch die Wortbeiträge unterschieden sich deutlich von anderen Pop- und Rock-Programmen. Anstelle der sonst üblichen Blödeleien habt ihr euch mit manchen Entwicklungen sehr kritisch auseinandergesetzt. Gehörten solche Dinge zum Konzept oder haben sie sich aus der jeweiligen Situation heraus entwickelt?

Das Konzept war, anders zu klingen und Themen für Jugendliche aufzugreifen, die anderswo keinen Platz fanden. Mit diesem Credo haben wir angefangen – und von dort aus hat sich nahezu täglich unsere Arbeit im Radio weiterentwickelt. Das wirklich Spektakuläre war, dass hier Mitarbeiter aus der Wort- und der Musikredaktion ernsthaft zusammengearbeitet haben. Das war damals absolut nicht selbstverständlich. Und wenn einer mit einem Thema kam, dann haben alle zusammen darüber nachgedacht, wie man es interessant umsetzen könnte. Solchen personellen Luxus gibt es aber heutzutage kaum noch im Radio, da hatten wir schon echt ideale Bedingungen!

Ende 1990 wurde euer Programm dann eingestellt. Es ist eine ganz interessante Frage, ob der „Querfunk“ 2014 noch eine Chance und einen Sinn hätte, das Umfeld hat sich ja total verändert. Wenn du heute ein Radioprogramm deiner Wahl gestalten könntest, wie würde es sich anhören?

Ich habe im Radio immer den Spagat zwischen kommerziell erfolgreich und inhaltlich anspruchsvoll umzusetzen versucht. Das kann funktionieren, wenn man gute Leute dafür findet und Rückendeckung von den Verantwortlichen bekommt. Im Internet gibt es mittlerweile eine ganze Menge interessanter Ansätze, einige nicht-kommerzielle Lokalradios haben attraktive Angebote entwickelt und in vielen europäischen Ländern haben Sender abseits des Mainstreams ihre Lücke gefunden. Ich würde auch heute noch eine Plattform favorisieren, die weitestgehend auf Schubladendenken verzichtet und Leute ans Mikro lässt, die etwas zu sagen haben. Insofern ist der Grundgedanke von „Querfunk“ nach wie vor im Spiel!