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Kollektivgedanke ohne Regeln

Imposanter als der fast schon nervig lange Name der Band aus dem US-Bundestaat Connecticut ist nur noch ihre Musik. TWIABP&IANLATD sprengen auch mit ihrer Besetzung, über die sie teilweise selbst den Überblick verlieren, den Rahmen einer jeden mit Punk assoziierten Band. Topshelf Records veröffentlichte ihre letzte Platte „Whenever, If Ever“, an der gleich zehn Leute mitwirkten: Mehrstimmiger Gesang, drei Gitarren, Schlagzeug, Bass, Synthesizer, Piano, Cello und Trompete fügen sich darauf organisch zu träumerischen, atmosphärischen Songs, die weit über das Grundkonzept von Emo und Punk hinausgehen. Ein einzigartiger Schmelztiegel aus SUNNY DAY REAL ESTATE und EXPLOSIONS IN THE SKY, nicht weit entfernt von ARCADE FIRE. In den Staaten schossen sie mit ihrer Platte sogar in die Billboard Charts. Zwar kann einer Platzierung dort ähnlich viel Relevanz beigemessen werden wie hierzulande, für eine Band, die bis dato jedoch ausschließlich in D.I.Y.-Zusammenhängen unterwegs war und vornehmlich in Kellern irgendwelcher Hardcore-Kids spielte, ist das dennoch erstaunlich. Im April 2014 spielten TWIABP ihre erste europäische Tour. Ein Interview mit Sänger und Gitarrist Greg Horbal sowie Schlagzeuger Joshua Daniel Cyr.

Wie sehr geht euch euer überlanger Bandname eigentlich selbst auf die Nerven?


Greg: Ich selbst bin kein Gründungsmitglied der Band. Als ich den Bandnamen das erste Mal sah, dachte ich nur: What the fuck?! Ich denke, dass der Bandname gerade in der Anfangszeit der Popularität der Band Vorschub geleistet hat und Neugier weckte. Das hat sicherlich nicht geschadet – glaube ich zumindest, haha.

Ihr habt nicht nur einen langen Bandnamen, sondern spielt auch in einer bis zu achtköpfigen Band.

Greg: Anfangs waren wir zu fünft. Irgendwie stießen dann immer mehr Menschen hinzu. Chris zum Beispiel. Der hing einfach immer mit uns ab, war bei jeder Probe dabei und manchmal unser Fahrer. Das hat ihn anscheinend qualifiziert, irgendwann einen festen Posten in der Band zu übernehmen, haha. Unsere Cellistin war auch auf einmal einfach da. Das war zur Zeit der Aufnahmen zur Platte. Derrick, auch Gitarrist, rief mich an und sagte mir, dass ich auf dem Weg zum Studio noch Julia abholen müsse, sie werde Cello spielen. Meine Reaktion war nur: „Was, auf der Platte wird jemand Cello spielen?!“ Ich holte sie also vom Bahnhof ab und wir standen erst mal drei Stunden im Stau. Wir waren nur zu zweit im Auto und es war so verdammt seltsam, weil wir uns überhaupt nicht kannten. Katie fing an, Keyboard zu spielen, als unser ehemaliger Sänger Tom aus gesundheitlichen Gründen gezwungen war, die Segel zu streichen. Am Mikro wurde er dann von Dave ersetzt. Und weil das alles noch nicht genug ist und wir bekloppt sind, haben wir jetzt auch noch einen vierten Gitarristen, Tyler. Eine vierte Gitarre ist absolut unnötig, aber das ist uns total egal. Tyler hatte die Band eigentlich vor etwas mehr als drei Jahren verlassen, seinem Posten habe ich eingenommen. Jetzt ist er wieder dabei. Ach, und ein Freund von uns, Chris Zizzamia, ist jetzt hin und wieder auch mit dabei. Er ist Dichter und macht Spoken-Word-Kram, taucht aber eigentlich nur auf, wenn es ihm passt. Auf unserer letzten Tour hätten wir deswegen fast vergessen, ihn mitzunehmen.

Seht ihr euch überhaupt noch als Band? Das hört sich für mich eher nach einem Kollektiv an.

Greg: Wir entwickeln uns mehr und mehr zu einem Kollektiv, kein Zweifel. Zu Beginn waren wir eine klassische Band. Das Konzept erodierte jedoch bereits mit den Aufnahmen zum ersten Album „Whenever, If Ever“. An den Aufnahmen sind eine Menge Menschen beteiligt gewesen, die praktisch nicht in der Band sind. Der Wendepunkt war, als unser ehemaliger Sänger Tom unmittelbar vor den Aufnahmen zur Platte die Reißleine zog. Seitdem ist uns total egal, wer mitmacht. Es gibt keine Regeln.

Zeit für Studiotermine und Proben zu finden, ist für euch bestimmt nicht einfach.

Greg: Termine für Aufnahmen und Proben zu finden, ist angesichts der Größe der Band eine echte Herausforderung. Als wäre das nicht schon schlimm genug, sind wir auch noch über das ganze Land verstreut, weil alle von zu Hause wegziehen. Nach dieser Europatour werden wir eine ganze Zeit lang nicht mehr unterwegs sein, sondern nur Songs schreiben und Aufnehmen, was klasse ist. Die Platte, an der wir gerade arbeiten, ist fokussierter, gleichzeitig aber auch jetzt schon ziemlich schräg. Ich fürchte schon, dass niemand etwas mit dem nächsten Album anfangen kann. Chris Zizzamias Gedichte spielen eine große Rolle, gleichzeitig gibt es viele Instrumentalparts. Bisher ist es ziemlich experimentell.

Eure Musik überschreitet klar die Grenzen von Emo und Punk. Die Stücke sind sehr weitläufig und atmosphärisch. War das klares Ziel oder Ergebnis einer Entwicklung, ähnlich der des Bandgefüges?

Greg: Ich denke, dass wir eine relativ eindeutige Vorstellung vom Sound der Platte hatten. Dass die Songs nahtlos ineinander übergehen und die Platte diesen organischen Flow hat, das hat sich erst im Studio ergeben. Gerade darüber sind wir sehr glücklich. Diese Kohärenz ist abseits jeglicher Genrevorstellungen das wichtigste Element. Abgesehen davon mögen wir das Album eigentlich gar nicht so sehr, haha. Die Aufnahmen liegen knapp zwei Jahre zurück und für uns alle war das eine richtig miese Zeit. „Whenever, If Ever“ erinnert uns jedes Mal an diese für uns persönlich ziemlich beschissene Phase unseres Lebens.

Im Gegensatz dazu habe ich das Cover der Platte als sehr erhebend wahrgenommen. Glückseligkeit, Abgeschiedenheit im positiven Sinne und die romantische Vorstellung des perfekten Sommers, das waren Schlagworte, die mir bei der Betrachtung in den Sinn kamen, passend zum verträumten Sound der Songs. Geht’s bei TWIABP um Realitätsflucht?

Joshua: Das ist auf jeden Fall ein sehr interessanter Gedanke. Ich fürchte jedoch, dass wir uns selbst noch nie so tiefgründig damit auseinandergesetzt haben. Das Cover ist klasse, ich denke, dass es wunderbar die Stimmung des Albums widerspiegelt. Tatsächlich entstand das Cover, lange bevor auch nur ein einziger Song für das Album geschrieben wurde. Denn das Foto des Covers ist sehr schlicht und dennoch verdammt aussagekräftig. Es gefiel uns vom ersten Moment an. Wir waren uns alle sofort einig. Mir hat schon immer der Gedanke gefallen, zielgerichtet Musik zu schreiben. Spezifisch für eine bestimmte Veröffentlichung zu komponieren. Das Foto des Covers hat uns definitiv beeinflusst.

Wie viel Bedeutung habt ihr selbst eurem Einstieg in die Billboard Charts beigemessen? Gut, es war nur Platz 196 von 200, aber immerhin.

Greg: Nicht viel, haha. Es ist verrückt, wie wenig Tonträger man verkaufen muss, um in die Charts zu kommen. Ich habe letztens einen Artikel über Vorbestellungen einer FUGAZI-Platte von 1992 gelesen. Für die Vorbestellung musste man sich den aktuellen Dischord-Mailorder-Katalog besorgen, der das neue FUGAZI-Album annoncierte, ohne Titel, ohne weitere Infos. Das Bestellformular des Katalogs musste man dann per Post einsenden, Internet gab es ja nicht. Es wurden über 100.000 Platten vorbestellt! Das einzig tolle an unserer Chartplatzierung war, dass meine Mutter sich gefreut hat. Abgesehen davon ist die Platzierung ziemlich irrelevant für uns. Auf unserer letzten Tour spielten wir ein Konzert in Mississippi mit fünf zahlenden Gästen.