MARATHONMANN

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Mehr Schlagwörter, weniger Kettcarisierung

MARATHONMANN aus München sind neben KMPFSPRT aus Köln die zweite Band, die deutschsprachigen Post-Hardcore zuletzt salonfähig machte. Ihr Werdegang ist dabei beachtlich: Gegründet vor gerade einmal drei Jahren, spielten Sänger und Bassist Michael „Michi“ Lettner, die Gitarristen Robin Konhäuser und Christian Wölk sowie Schlagzeuger Marcel Konhäuser bereits im Vorprogramm prominenter Bands wie den DONOTS. Ihre erste Single „Die Stadt gehört den Besten“ wurde zu einem kleinen Szene-Hit, ihre zweite EP „Kein Rückzug, kein Aufgeben“ war nach kurzer Zeit ausverkauft. Während der Aufnahmen zu ihrem nach „Holzschwert“ zweiten Album luden die Bayern das Ox zum Interview ins Rheinland ein, genauer gesagt: in die Leverkusener Pitchback Studios. Dabei sprach Frontmann Michi über verkopften Intelligenzpunk, magische Songschreibermomente und die perfekte Veröffentlichungspolitik für junge Bands.

Warum kommt „... und wir vergessen, was vor uns liegt“, das neue Album, ausgerechnet mitten im Sommer raus, zu einer Zeit, in der kaum eine Band ein Album veröffentlicht?


Das Album konnte nicht früher erscheinen! Vorher ist die Fußballweltmeisterschaft und die Leute sind zu sehr abgelenkt, hahaha.

Gibt es in einer Metropole wie München keine Studios – oder warum arbeitet ihr so fernab eurer Heimat?

Doch, da gibt es auch Studios. Aber wir sind eine Band, die gerne wegfährt, um Songs zu schreiben oder an einer Platte zu arbeiten. Je weiter du weg bist von daheim, von deinen Freunden und der Familie, umso freier ist dein Kopf. Da lässt es sich viel konzentrierter arbeiten.

Euch gibt es gerade einmal seit drei Jahren, in denen ihr bereits mit den DONOTS aufgetreten seid, im Vorprogramm von JENNIFER ROSTOCK gespielt und Konzerte vor wesentlich mehr als zehn Zuschauern gegeben habt. Wie verarbeitet ihr all die Eindrücke, die in so kurzer Zeit auf euch einprasseln?

Es ist manchmal schon schwierig, eben weil es so schnell und Schlag auf Schlag geht. Alleine das Privatleben an diesen Rhythmus anzupassen ist nicht so leicht. Wenn es heißt, ihr könnt eine Tour oder ein Festival in dieser oder jener Zeit spielen, dann müssen wir Urlaub nehmen. Wenn dann noch ein paar Tage für Aufnahmen im Studio dazukommen, dann kann es dabei auch durchaus mal um einen Zeitraum von ein bis zwei Monaten gehen. Und das muss man erst mal hinkriegen. Wir sind ja alle auch noch berufstätig. Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt. Wir reden aber eigentlich jeden Tag darüber, wie krass sich das alles entwickelt hat.

Es muss ja Gründe für euren Erfolg geben. Wie erklärst du ihn dir?

Ich denke, wir haben unsere erste EP „Die Stadt gehört den Besten“ zum perfekten Zeitpunkt veröffentlicht und dabei enorm beworben.

Was bedeutet „perfekter Zeitpunkt“?

Wir haben sie schnell veröffentlicht, um etwas in der Hand zu haben. Und wir haben sie zu einer Zeit rausgebracht, in der viele Menschen wieder verstärkt deutschsprachigen Punk hören. Ich wollte ja immer schon deutsche Texte schreiben. Und ich denke – wenn man das so sagen darf –, dass unsere Texte für jeden zugänglich und verständlich sind. Sie sind nicht billig oder plump. Man kann viel in sie hineininterpretieren. Und man kann das, obwohl ich nicht alles so extrem umschreibe, wie das etwa KETTCAR oder TOCOTRONIC oder MATULA tun, also so, dass ich als Hörer das mitunter nicht mehr verstehe. Genau diese einfachen und doch klugen Texte gab es zuletzt nicht mehr. Die sind mit MUFF POTTER ein wenig untergegangen.

Und kommen jetzt mit euch wieder?

Ja, irgendwie schon.

Nun, neben euch gibt es da ja auch noch eine Band wie etwa KMPFSPRT.

Ja, das ist natürlich richtig. Ich habe auch den Eindruck, dass sich unsere beiden Bands zeitgleich hochgespielt haben. Wir sind das Zwischending zwischen dem extrem intelligenten Punk von MATULA oder KETTCAR und dem aggressiven Punk von etwa SLIME.

Ihr arbeitet also gegen die, nennen wir es mal so, Kettcarisierung in der deutschen Musikszene?

Nein, KETTCAR sind eine tolle Band! Die habe ich früher selber gerne gehört. Aber ich mag es eben nicht, wenn Musik zu anstrengend ist. Ich möchte Melodien hören und große Schlagwörter – und ein Lied nicht noch dreißig Mal durchgehen, bis ich es vielleicht verstanden habe. Und wenn ich es trotzdem nicht verstehe, sage ich dann womöglich auch noch: Ist ja auch egal, der wird schon wissen, wovon er singt. Nicht falsch verstehen: Das ist absolut in Ordnung. Ich besitze viele CDs dieser Bands. Aber es ist eben nicht unsere Art, Songs zu schreiben.

Apropos Songs schreiben: Du erwähnst explizit eure deutschen Texte. Das scheint euch wichtig zu sein. Also warum machen MARATHONMANN deutschsprachigen Punk?

Wir alle haben früher Bands gehabt, deren Texte englisch waren. Wir alle haben aber eigentlich immer schon deutschsprachige Musik gehört. Und als wir uns zusammentaten, habe ich von Anfang an gesagt: „Lasst uns das mal auf Deutsch machen. Ich habe Bock, das mal auszuprobieren.“ Ich wusste ja nicht, ob das klappen würde. Und die anderen waren anfangs auch eher skeptisch. Aber dann haben wir es angepackt – und es hat funktioniert. Mir fällt es auf jeden Fall wesentlich leichter, mich in meiner Muttersprache auszudrücken. Und so gut Englisch kann ich nun auch nicht, dass ich alle Phrasen, Redewendungen und was es sonst noch gibt draufhabe. Ich glaube, ich werde auch nie wieder englische Songs schreiben, haha.

Deine Texte klingen oftmals sehr schwermütig. Schreibst du sie, wenn du den Blues hast?

Nein, eigentlich bin ich immer ganz gut drauf beim Texten, haha. Es hört sich zwar blöd an, aber: das Lied sagt mir, welchen Text es braucht. Ich höre ein Demo – und lege los. Nimm als Beispiel den Song „Wo ein Versprechen noch etwas wert ist“: Da bin ich mit dem Demo in den Proberaum gefahren, war gut drauf, hatte eine Dose Energydrink und Zigaretten dabei – und habe den Text in weniger als zehn Minuten runtergeschrieben. Wohlgemerkt, ich hatte mir vorher keine Stichpunkte gemacht. Das war also schon fast magisch!

Wie häufig hast du diese magischen Momente?

Gar nicht so selten. Natürlich ist das nicht immer so. Ich habe beispielsweise stets ein Notizbuch zur Hand, in dem starke Zitate, etwa aus Filmen, stehen. Das nehme ich auch manchmal, wenn ich einen Song schreibe und nicht weiter weiß. Doch meistens klappt das in einem Rutsch.

Aber woher kommt dann diese Melancholie?

Ich gehe gerne in diese Richtung, da man mit melancholischen Texten sehr viel sagen kann. Wobei ich Wert darauf lege, dass es immer einen Funken Hoffnung gibt. Wenn man genauer hinhört, wird man feststellen, dass ich die Leute letztlich dazu auffordere, Gas zu geben und etwas aus ihrem Leben zu machen.

Ist es gerade die richtige Zeit für Post-Hardcore, so wie ihr ihn spielt?

Ich würde unsere Musik gar nicht in so eine Schublade stecken wollen. Klar, da gibt es schon so eine gewisse „neue deutsche Welle“ im Punk. Aber wir wollen uns alle Türen offenhalten. Wir werden sicher nichts wahnsinnig Neues machen und zur Geige greifen. Aber wir wollen uns mit unserem neuen Album schon weiterentwickeln. Natürlich bleiben wir Punk und Post-Hardcore. Manches wird härter. Aber manches wird eben auch etwas softer und – Achtung, schlimmes Wort! – poppiger.

Na ja, das eigentlich schlimme Wort ist doch „Deutschrock“, das ja auch gerne mal fälschlicherweise für deutschsprachigen Punk verwendet wird, oder?

Ja, das stimmt, hahaha. Damit haben wir mal gar nichts zu tun!

Ein wenig seltsam erscheint mir eure Veröffentlichungspolitik: eine EP als Debüt, dann das erste Album, eine weitere EP mit neuen und alten Akustiksongs – und erst dann Album Nummer zwei. Wozu das EP-Ding?

Nun, man darf nicht vergessen: Wir sind eine relativ junge Band. Und wenn man als junge Band länger nichts von sich hören lässt, dann ist das schlecht. Somit wollten wir mit der zweiten EP die Wartezeit zwischen Album eins und zwei füllen. Viele Leute haben uns auch explizit nach Akustiksongs gefragt. Zudem hatten wir keine Lust, unsere Testsongs fürs neue Album wegzuwerfen – und haben sie auf diese kleine Platte gepackt. Eigentlich sollte ja auch noch eine Coverversion von Heinz Rudolf Kunzes „Dein ist mein ganzes Herz“ drauf. Aber das hat aus rechtlichen Gründen nicht geklappt.

Was für Gründe waren das?

Ich singe im Song „Wir wollen Riesen sein“. Bei Kunze heißt es: „Wir werden wie Riesen sein“. Das gab den Ausschlag. Aber auch wenn das nicht geklappt hat, diese Platte ist etwas Besonderes. Sie ist für unsere Fans und Freunde. Für alle, die uns richtig unterstützen. Denn die EP gibt es ja nur als Vinyl. Die wird, wenn sie ausverkauft ist, auch nie wieder produziert.

Im Song „Die Stadt gehört den Besten“ heißt es: „No retreat and no surrender“ – ihr zitiert also einen Refrain von Bruce Springsteen. Ist der Boss auch für euch mittlerweile ein Idol, wie für so viele Menschen aus der Punk-Szene?

Das ist lustig, dass du das erwähnst. Denn ich höre Springsteen überhaupt nicht. „No retreat“ und „No surrender“ kommt in diesem Fall auch nicht von ihm. Der Spruch stammt aus dem Film „Karate Tiger“ mit Jean-Claude Van Damme. Der heißt in der englischen Originalversion „No Retreat, No Surrender“. Dieser Film gehört zu meiner Jugend, durch ihn wurde ich geprägt. Und dieses Zitat war immer auch mein persönlicher Kampfspruch, den ich mir sogar habe tätowieren lassen. Nichts gegen Springsteen, den finde ich gut, toller Typ – ist aber nichts für mich. Genauso übrigens wie viele dieser Konsensbands wie JOY DIVISION oder THE SMITHS nichts für mich sind. Mit denen kann ich auch nichts anfangen, haha.