Suburban Voice Fanzine

Achtung, ihr Deutschländer, seid euch der Grössenordnung des folgenden Interviews bewusst! Es geht um niemand geringeren als Al Quint, den Herausgeber des Suburban Voice Fanzines, einem der dienstältesten Fanzines der USA, und wohl einer der engagiertesten Typen, die in diesem Bereich tätig sind. Und los geht´s mit unserem kleinen Frage-Antwort-Spiel.

Was war der Ausschlag dafür, dass du beim Punk gelandet bist? Und was hat dich dann letztendlich dazu veranlasst, ein Fanzine zu starten?


"Den eigentlichen Ausschlag gab, dass ich diese Musik hörte und sie sofort liebte! Angefangen hat das ganze Punkding für mich 1977. Es gab in den 70ern nicht besonders viel aufregende Musik, die mich in gleicher Weise angesprochen hat. Aufgewachsen bin ich eher mit Hardrock und Metal. Ich hatte einen Freund, der bei einem lokalen College-Sender ab und an mal DJ gemacht hat und der spielte unter anderem auch Sachen von THE CLASH und den SEX PISTOLS. Das klang für mein Empfinden sehr hart, neu und aufregend. Das war´s im Groben. So kam ich drauf. Ich hab das mit dem Fanzine nicht unmittelbar danach gemacht, sondern erst etwa fünf Jahre später. Von ´78 bis ´82 war ich zunächst mal auf dem College in Boston. Ich bin dann vom College abgegangen und kurz darauf erstmals mit Hardcore in Kontakt gekommen. Der Hardcore hatte auf mich in den 80ern die gleiche Wirkung wie Punk anno ´77. Was Rauhes eben, das mich persönlich angesprochen hat. Ich hab dann eine Zeit lang für ein anderes Fanzine geschrieben, aber es gab irgendwann Differenzen und ich beschloss ein eigenes Mag zu starten. Zunächst hiess es Suburban Punk. Nach zehn Ausgaben habe ich den Namen dann in Suburban Voice geändert. Ich denke, alles in allem war es für mich lediglich eine gute Möglichkeit, meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen und dieser Musik Gehör zu verschaffen."

Mittlerweile bist du ja ein alter Mann, hehe. Sind deine Eltern denn enttäuscht darüber, dass sie ihren Sohn grossgezogen haben, damit er jetzt ein Fanzine rausbringt?

"Oh yeah! Naja, meine Mutter ist schon tot, die also nicht. Mein Dad verabscheut mich... Nee, ich mache nur Spass. Ich glaube nicht, dass er versteht warum ich es tue. Das liegt wohl in erster Linie daran, dass ich nicht wirklich viel Geld damit verdiene. Er glaubt nun einmal fest daran, dass man nur Dinge tun sollte, mit denen sich auch wirklich Geld verdienen lässt. Ich habe das nie so gesehen und habe mir gesagt: da haben wir das Verständigungsproblem. Ein tief sitzendes. Letztendlich sagt er mir jetzt immer, ich hätte keinen Ehrgeiz. Um trotzdem bei der ganzen Sache glücklich zu sein, kümmere ich mich einfach nicht mehr darum, was meine Familie oder irgendwer darüber denkt bzw. darüber sagt. Ich geniesse es einfach nach wie vor, das Zine zu machen und das ist schliesslich das, worauf es letztendlich ankommt."

Hast du irgendwelche besonders schönen Momente im Bezug auf deine Zugehörigkeit zum Punkrock, an die du dich so richtig gerne erinnerst?


"Absolut! Besonders als ich mit der ganzen Sache angefangen habe und alles noch so groß und neu für mich war. Zum Beispiel Bands wie MINOT THREAT oder NEGATIVE APPROACH zum ersten Mal live zu sehen! Wow... Oder drei Abende hintereinander auf verschiedenen Konzerten von HÜSKER DÜ und dann am Morgen darauf völlig im Arsch auf der Arbeit rumgehangen. Die Leute aus all den Bands treffen und dabei herausfinden, dass man die total nett findet. Rauszufinden, dass die alle eigentlich genau so sind wie du. Merken, dass sie dich sogar mögen. Eben keine verdammten Rockstars, meistens zumindest nicht. Auch, dass sie über Sachen singen, die du selbst auch für wichtig hälst. Sie spielen eine Musik, die Körper und Seele miteinander verbindet."

Gab es denn mal Bands, die dich beim Interview so richtig angekotzt haben?

"Oh ja... Ich erinnere mich da an ein Interview mit DIE KREUZEN, das heisst ich habe versucht, sie zu interviewen. Ich weiss nicht, ob die Jungs damals vom Tourstress gerädert waren oder ob sie an besagtem Tag einfach Arschlöcher waren. Aber sie gaben mir immer nur ein Wort als Antwort, was ja dann doch ´n bisschen Scheisse war. Vielleicht hatte ich ja auch beschissene Fragen dabei, aber angekotzt hat es mich trotzdem. Die waren echt gross, sicherlich, und Danny, ihr Sänger, war auch schon freundlicher wenn wir uns bei anderen Gelegenheiten trafen. Tad Doyle von der Band TAD war auch so richtig Scheisse als ich ihn per Telefon interviewte. Er schien mir sehr genervt und uninteressiert. Ich hab dann schliesslich ein Interview mit deren Bassisten gemacht, was dann auch schon besser lief. Allerdings war der gute völlig besessen von diesen Alien-Entführungs-Geschichten und hat mich die halbe Interviewzeit lang an seinem Wissen darüber teilhaben lassen. Da gibt es zum Glück aber nicht allzu viele Gelegenheiten, bei denen ich mich echt angepisst gefühlt habe. Da gab es dann irgendwann mal noch Differenzen zwischen mir und Ray Cappo von YOUTH OF TODAY wegen einem Interview, dass ich mit ihm und Dan O´Mahony von NO FOR AN ANSWER führte. Dabei habe aber eher ich ihn angepisst statt umgekehrt. Egal. Das Interview, das ich mit ihm gemacht habe, als er noch bei YOUTH OF TODAY war, war ein klein wenig unentspannt, das geb ich ja zu. Ein paar Jahre vorher hatte ich mal ein Interview mit LIFETIME. Deren Sänger Ari war ein wenig angepisst wegen den Fragen, die ich ihnen bezüglich eines Interviews mit einem anderen Fanzines stellte. Tja, ich wünschte mir nur, er hätte mir das auch gesagt... Aber in den meisten Fällen gibt es keine grösseren Probleme damit, Bands zu interviewen."

Was sind deiner Meinung nach die gravierendsten Unterschiede zwischen der Zeit Ende der 70er/Anfang der 80er und heute, im Bezug auf die sogenannte Szene und der Art und Weise, wie Geschäfte im Musikbusiness gemacht wurden/werden?

"Ich weiss, dass es das Geschäft als solches damals auch schon gab. Man hatte ein paar Punkbands, die bei einem Majorlabel waren, aber der Underground damals... Zuerst einmal wäre da festzustellen, dass heutzutage alles viel zerstreuter bzw. segmentierter ist. All diese verschiedenen Stile, diese vielen speziellen kleinen Szenen und jeder, aber wirklich jeder einzelne, behauptet sein ganz eigenes Ding zu machen. Ich denke, die Leute sind heute auch nicht mehr so "open minded" wie in den 80ern, wo sich die Leute alle möglichen Bands und Stile angekuckt haben und nicht nur Hardcore, Pop, Punk oder Emo oder was auch immer. Heutzutage sieht man das leider nicht mehr so oft. Es sind einige Stile und Spielarten, die über die letzten Jahre hinweg mehr ins Mainstream-Gehabe und in eine Geschäftemacherei abgerutscht sind. Ich finde, das ist nicht unbedingt eine besonders gute Entwicklung. Das ist auch schon der grösste Unterschied, den ich dabei sehe. Man spürt einfach, dass "das Ganze" keine einzige grosse Gemeinschaft mehr darstellt, so wie es durchaus einmal war. Du findest schon noch hier und da diesen Geist, diesen "Unity"-Gedanken, aber früher war es auch einfacher, weil es bei weitem nicht so viele Bands und Veröffentlichungen gab. Das Universum schien einfach kleiner, überschaubarer gewesen zu sein."

Glaubst du, diese Veränderungen haben sich auch auf die Fanzines übertragen?

"Klar. Es gibt ja auch heute eine Menge mehr Fanzines als früher. Viele von denen sind aber eben auch Scheisse. Die meisten interviewen die gleichen Bands und die Reviews lesen sich fast so lahm wie ein Presseinfo. Da gibt es leider nicht viele Fanzines, die ich wirklich gerne lesen möchte. Ich will damit aber auf keinen Fall die Behauptung aufstellen, dass mein Heft das tollste oder originellste ist..."

Was macht dein Heft eigentlich besser gegenüber anderen?

"Wie bereits gesagt. Ich behaupte ja gar nicht, dass mein Mag um sooo viel besser ist. Ich glaube lediglich, zu wissen von was ich letztendlich erzähle. Es liegt wohl an meinem Alter, bzw. daran, dass ich seit 30 Jahren Platten kaufe und Musik höre. Ich hab wohl auch als Teenager viel zu viel Zeit in meinem Zimmer verbracht um Musik zu hören und Bücher über Musik zu lesen.

Als Teenager? Keine Pornografie?

Oh, äh, na klar. Damit habe ich auch ein wenig Zeit verbracht, hehe. Vielleicht hätte ich viel mehr Pornohefte lesen sollen, dann hätte ich wahrscheinlich eine glücklichere Jugend verbracht. Na ja. Ich denke, viele Schreiber sind einfach nicht zur Genüge informiert und ihr Wissensspektrum in Sachen Musik ist recht beschränkt. Ich bin eigentlich davon überzeugt, dass ich schon ein recht tiefgehendes Wissen diesbezüglich besitze, das ich dann eben auch in meine Art zu schreiben einbringen kann. Ich versuche auch immer tiefergehende Fragen zu stellen als bloss "Was sind eure musikalischen Einflüsse?" oder "Wie seid ihr zu eurem Namen gekommen?". Ich möchte da lieber über die Musik als solche reden und was im Endeffekt für eine Motivation dahintersteht. Ich stecke ´ne Menge Arbeit in das Zine. Ich arbeite auch immer mehrere Monate an jeder Ausgabe, um sie so perfekt wie möglich hinzukriegen."

Die Leute aus Boston bilden sich ja in letzter Zeit so viel auf ihre Stadt ein. Was gibts denn dort so tolles, was sogar dich mit solcher Begeisterung erfüllt?

"Wir sind alle gar nicht sooo begeistert im Moment. Manchmal ist es auch sehr tot in Boston und zwar hauptsächlich aus dem Grund, dass es schwer ist Locations zu finden, in denen man All-Ages-Shows veranstalten kann. Die Veranstaltungsorte kommen und... gehen, und zwar sehr schnell wieder den Bach runter. Aber es findet zur Zeit ein regelrechtes Wiederaufleben von schnellem, aggressivem Punk und Hardcore statt, wie ich es hier seit Jahren nicht mehr erlebt habe. Vor Jahren hatten diese Metalcore-Bands das Ruder übernommen. Aber einige dieser Bands besinnen sich wieder auf die Basis, spielen härtere und aggressivere Sachen, die vom Sound her wieder mehr dem des eigentlichen Hardcore nahekommen. Vielleicht geht hier auch einfach die Nostalgie ein wenig um, aber ich mag im Augenblick die lokalen Punk- und Hardcorekapellen irgendwie mehr als vorher. Neuere Bands eben, wie zum Beispiel A POOR EXCUSE , COPS & ROBBERS, DISASTER STRIKES oder auch LAST IN LINE. TOXIC NARCOTIC oder auch OUTCOLD hab ich nie so richtig registriert, aber die habe ich in den letzten Jahren echt zu schätzen gelernt. Es frischt sich also irgendwie alles von selbst wieder auf. Sicherlich ist der Streetpunk- Sound ist auch recht populär geworden mit den DROPKICK MURPHYS, TROUBLE oder den DUCKY BOYS und einige der neueren Bands wie THE VIGILANTES, LOST CAUSE und EXPLOSION sind auch gut. UNSEEN ist natürlich auch immer noch ´ne klasse Band."

Du erwähnst verschiedene Streetpunk Bands. Hat sich keine dieser Bands irgendwann mal über deine verweichlichte liberale Empfindungsweise aufgeregt? (allgemeines Gelächter)

"Ich bin kein liberales Weichei! Ich bin ein "taffer Typ"-Liberaler. Im Augenblick bin ich mehr Radikaler als Liberaler. Die Streetpunk-Bands mögen ja nicht alle so besonders liberal sein, aber ich glaube nicht, dass die alle unbedingt irgendwie zum rechten Flügel gehören. Warum ich ein Liberaler bin? Ich hab mir einfach irgendwann mal ausgerechnet, wie die Dinge so sein sollten. Dass die Regierung eine Rolle dabei spielen sollte, die Armen zu unterstützen. Die Regierung sollte dafür Sorge tragen, dass sie adäquat mit Nahrung, Unterkunft und Medizinischer Versorgung bedacht werden. Fazit: Jeder sollte diese Grundbedürfnisse stillen können, oder dabei unterstüzt werden, sie zu befriedigen. Die Politiker in diesem unserem Lande ekeln mich echt an. Ob Demokrat oder Republikaner ist was das betrifft völlig egal. Der einzige Unterschied zwischen Bush und Gore ist doch, dass Gore für die Entscheidungsfreiheit bei Abtreibungen ist... Also da gibt es nicht wirklich grosse oder gravierende Unterschiede. Bostons Punk/Hardcore-Szene wird ja auch immer für ein bisschen konservativ gehalten im Vergleich zu anderen Szenen, wie zum Beispiel in Europa. Ich denke, dass das über weite Strecken auch so ist. Es gibt aber eben auch ein paar Bands und Leute in Boston, die zu der aktiven Gemeinschaft gehören und durchaus progressive und liberale Ideologien verfolgen."

Wie hat sich der Vertrieb des Fanzines für dich über die Jahre hinweg so verändert?

"Klar ist der Vertrieb bedeutend einfacher mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Suburban Voice. Die 7"-Beilage und später dann die CDs haben den Verkauf in Übersee dann natürlich auch nochmal etwas vorangebracht. Die verstehen aber mein Englisch, auch das geschriebene, wohl nicht so toll. Aber um ehrlich zu sein: ich bin der Meinung, dass viele Europäer ein besseres Englisch sprechen als die meisten Amerikaner. Es ist echt unglaublich, wie viele Europäer ziemlich gut Englisch sprechen können, während Amerikaner zumeist gar keine Fremdsprache beherrschen. Aber schliesslich können die, die mit meinem Englisch nix anzufangen wissen, sich ja immer noch die CD zu Gemüte führen. Über einen Vertrieb hat man auch weniger Probleme damit, seine Kohle zu bekommen, aber auch nicht immer. Einige Leute schulden mir zwar Geld, aber das war nie ein grosses Problem für mich. Ich denke auch, ich habe das Zine zur rechten Zeit gestartet, weil es mir mittlerweile so scheint, als ob es verdammt schwer für junge Fanzines ist, einen weitreichenden Vertrieb zu finden. Die meisten Vertriebe nehmen ja auch schon gar keine Zines mehr. Junge, unetablierte haben es somit erst recht nicht leicht."

Siehst du dich in 10 Jahren immer noch im Chefsessel des Suburban Voice sitzen?


"Das weiss ich natürlich noch nicht. Ich denke ich werde dieses Zine auch noch machen, wenn ich 50 Jahre alt bin. Was ich den Leuten immer sage ist: ich werde es auf jeden Fall noch so lange machen wie es mir Spass macht. Solange es mehr als nur ein Job für mich ist, liebe ich es. Jetzt, wo ich 40 Jahre alt bin, denke ich auch gelegentlich mal an später. Ich frage mich manchmal schon, ob ich nicht mal noch was anderes machen sollte. Da gibt´s schon Tage, an denen man sich ganz schön ausgebrannt fühlt und wo man glaubt, langsam mal weiterziehen zu müssen. Aber so ganz ausgebrannt bin ich dann glaub ich doch noch nicht."