RISE AGAINST

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Finsterer Markt der Emotionen

RISE AGAINST sind ein Phänomen: Seit Jahren bringt die Band aus Chicago ihre Platten auf einem Majorlabel heraus und spielt in großen Hallen. Und doch gelten Frontmann Tim McIlrath, Joe Principe (Bass), Zach Blair (Gitarre) und Brandon Barnes (Schlagzeug) als absolut authentische Punkband. Warum? Weil sie auch trotz ihres großen, den Mainstream streifenden Erfolgs ihren Idealen treu geblieben sind. Diese Ideale sind in ihrem Fall Songs, in denen sie alles andere als zimperlich gegen die Schlechtigkeit dieser Welt ansingen. Das war auf dem ersten Album „The Unraveling“ (2001) so. Das ging bei „Revolutions Per Minute“ (2003), „Siren Song Of The Counter Culture“ (2004), „The Sufferer & The Witness“ (2006), „Appeal To Reason“ (2008) und „The Endgame“ (2011) so weiter und katapultierte das Quartett hinein ins Radio-Airplay und die Charts. Und das setzt sich auch auf dem neuen Album „The Black Market“ fort. Was sich zudem fortsetzt, ist die musikalische Qualität der Songs: RISE AGAINST verstehen es wie kaum eine andere Band der Marke „Punk und politisch“, ihre Botschaften mit einem mitunter überbordenden Melodienreichtum zu versehen. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass die Anzahl jener Menschen, die Tim McIlrath einfach nur deshalb zuhören, weil die Songs seiner Band eben so harmonisch, ohrwurmmäßig und schön klingen, sehr, sehr hoch sein dürfte. Und dabei hat dieser Mann doch so viel Gehaltvolles und Wichtiges zu sagen, was er nicht zuletzt im folgenden Gespräch unter Beweis stellt.

Tim, wo erreiche ich dich gerade?


In Chicago. Ich mache ein bisschen Urlaub zu Hause, ehe es ans Mastering des neuen Albums geht und der Stress so richtig beginnt.

Das neue Album, das diesen Stress verursacht, heißt „The Black Market“. Was soll uns dieser Titel konkret vermitteln?

Er steht stellvertretend für die neuen Songs. Sie handeln von Angst, Traurigkeit, Wut, Schmerz. Sie sind düster und spielen alle an einem – wenn du so willst – dunklen Ort. An einem Ort, an den ich mich als Songschreiber beim Texten auch selber immer aufs Neue zurückziehen muss. Am Ende entfliehe ich dieser Stimmung dann wieder. Und das ist mal leichter, mal schwerer: Bei „Black Market“ habe ich mich zeitweise extrem in den Songs verloren.

Das hört sich jetzt ziemlich dramatisch an. Muss man sich Sorgen um dich machen?

Nein, so schlimm ist es nun auch nicht. Aber es ist nun mal so, dass wir unsere Songs schon extrem reflektieren. Wir haben immer im Hinterkopf: Wie wirken sie auf diejenigen, die uns hören, wie wirken sie auf unsere Fans? Wie authentisch kommen wir rüber? Wir sind eine sehr emotionale Band. Die Gefühle sind unsere wichtigste Verbindung zu den Fans. Sie sind der Grund, warum Menschen sich für RISE AGAINST interessieren. Und diese Gefühle, die in unseren Songs stecken, können manchmal schon recht giftig sein. Das alles zusammengenommen ist wie ein Markt der Gefühle – ein finsterer Markt eben.

Ein solch düsterer Ort ist ja in mancherlei Hinsicht auch die Welt, in der wir leben und die RISE AGAINST traditionell skeptisch und kritisch betrachten.

Das stimmt. Unsere Songs entstehen durch die Beobachtung dessen, was um uns herum geschieht. Wenn ich genau hinschaue, kommen sie automatisch aus mir heraus. Und meist sehe ich: Um die Menschheit ist es oft wirklich düster bestellt. Sie handelt zumindest so. Und meiner Meinung nach ist es unsere Pflicht, davor nicht die Augen zu verschließen, sondern hinzuschauen und einer Konfrontation eben nicht aus dem Wege zu gehen. Nur dann kann man das Positive aus allem ziehen. Ignoranz ist der falsche Weg.

Wenn du davon sprichst, dass ihr die Songs hinsichtlich ihrer Wirkung auf euer Publikum konsequent hinterfragt, dann hört sich das für mich auch ein wenig so an, als ob ihr RISE AGAINST selbst hinterfragt: Wie können wir als ehemalige Szeneband, die im Mainstream gelandet ist, unseren Idealen treu bleiben?

Das trifft es genau auf den Punkt. Nach dem vorigen Album „Endgame“ waren wir an einem Punkt angelangt, an dem wir unsicher und auch ein bisschen müde waren. Wir hatten vor über 15 Jahren angefangen als ein Haufen von Jungspunden, die im Keller auf ihre Instrumente eindroschen. Und auf einmal waren wir eine Band, die die Bühne mit ihren persönlichen Helden teilte. Eine Band, deren Songs im Radio laufen und die in großen Hallen spielt. Aus diesem Grund haben wir ganz bewusst ein ganzes Jahr Auszeit genommen. Wir mussten unsere inneren Batterien wieder aufladen und – was noch wichtiger war – uns hinterfragen: Wo stehen wir heute? Sind wir noch relevant? Werden wir unseren eigenen Ansprüchen noch gerecht? Sind wir noch in der Lage, etwas Neues zu schaffen? Und davon handelt auch die neue Platte. Es gibt auf ihr diesen Song, „Sudden life“. Er dreht sich um genau den Moment, in dem du eine neue Platte rausbringst und sich zeigt, wo du stehst und wie die Menschen zu dir stehen.

Da dieses neue Album nun existiert, seid ihr offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass die Welt euch auch weiterhin braucht und ihr noch etwas Relevantes zu sagen habt.

So ist es. Nach dem Jahr Pause sind wir alle hungrig und motiviert ins Studio zurückgekehrt. Es fühlte sich nicht als Job an, es war mehr als das. Und jetzt können wir es kaum mehr erwarten, auch wieder auf Tour zu gehen.

„Endgame“ hat euch hohe Chartplatzierungen und volle Hallen beschert und euch mit einem Schlag eine gänzlich neue Hörerschaft erschlossen. Wir hoch war der Druck, mit dem Nachfolgeralbum dieses Niveau zu halten?

Wenn wir einmal im Proberaum stehen, dann spielt so etwas keine Rolle mehr. Dann legen wir los und die Songs entwickeln sich. Wir schauen dann, in welche Richtung das geht. Wir sind dabei ein bisschen so wie Sklaven der Musik und versuchen, die Stimmung um uns herum und zwischen uns aufzufangen und in die Musik einfließen zu lassen. „The Black Market“ ist demnach auch kein „Endgame, Teil 2“. Genauso wenig, wie „Endgame“ die Fortsetzung von „Appeal To Reason“ war. Unser neues Album ist meiner Meinung nach wesentlich introspektiver und intimer als die Platten davor. Das hat sich einfach so ergeben. Es fügt der Geschichte von RISE AGAINST ein ganz neues Kapitel hinzu.

In einem Interview zu „Endgame“ sagtest du mal, diese Platte zeige den Moment der Apokalypse. Entsprechend könnte man ja nun sagen, „The Black Market“ zeigt, was danach übrig geblieben ist. Und das scheint nicht viel zu sein: Du bist zum „Eco-terrorist“ geworden, der „The great die-off“ gesehen hat und sich denkt: „I don’t want to be here anymore“.

Haha, so könnte man das in der Tat sehen. Es ist das Ende der Welt, die wir doch eigentlich schützen wollten. Aber im Ernst, Fakt ist doch, dass jene Leute, die heutzutage davon reden, dass die Erde geschützt werden muss, in erster Linie vom Schutz der Industrie reden. Einer Industrie, die selbst für die Zerstörung verantwortlich ist. Das sind alte, traditionelle Werte, die da eine Rolle spielen. „The great die-off“ beispielsweise handelt davon, dass sich die Generation unserer Eltern und Großeltern weiterhin an Positionen und an Macht klammert, ohne dabei auf die Interessen der nachfolgenden Generationen einzugehen. Ihr Handeln hat absolut nichts mit dem zu tun, was wir oder die, die nach uns kommen, denken und fühlen. Und das führt dazu, dass immer noch uralte Vorurteile existieren. Für uns ist etwa die Liebe und die Ehe zwischen Partnern gleichen Geschlechts etwas völlig Normales. Für unsere Eltern nicht. Deren Generation hat damit ein Problem, weil sie anders erzogen wurde. Der „great die-off“ ist nun der Punkt, an dem diese alte Generation abtritt und eine Wende eintritt. Hoffentlich ...

Kann man, wenn man ernst genommen werden und Künstler sein will, Politik und Musik überhaupt trennen?

Ja, ich denke, das ist möglich. Nimm zum Beispiel die RAMONES: Die gelten zu Recht als eine der wichtigsten Bands überhaupt – weil sie viele Kids dazu brachten, eine Band zu gründen, und anstatt all dem dekadentem Rock nachzueifern, einfach mal drauflos zu spielen, Punkrock zu spielen. Und natürlich war auch das eine Art Statement gegen all den dekadenten Rock, den es damals gab. Trotzdem waren ihre Songs bis auf wenige Ausnahmen unpolitisch. Aber für mich selbst ist es unvorstellbar, unpolitisch zu sein. Für mich ist der Umstand, dass Musik ein Mittel dafür sein kann, Sachen anzusprechen und zu ändern, der Grund schlechthin, warum ich überhaupt erst eine Gitarre in die Hand genommen habe. Das war der Auslöser. Ich bin nicht Musiker geworden, weil ich davon träumte, ein Gitarrenheld zu werden und als Rock’n’Roll-Star auf der Bühne zu stehen. Ich bin Musiker geworden, um Dinge anzusprechen. Als ich jung war und in den Neunziger Jahren in Chicago all diese Hardcore-Bands gesehen und die Szene an sich entdeckt habe, habe ich viel gelernt über Do-it-youself, über Umweltschutz, über die Schwulenszene und all diese Dinge. Das war eine unglaubliche Menge an Eindrücken. Und das hallt bis heute nach. Das ist heute wichtiger als die Menge an verkauften Tickets oder Platten. Als Band aus der Punk-Szene hat man natürlich auch eine gewisse Verantwortung und Verpflichtung, solche Dinge anzusprechen. Und ich gebe zu: Ich wünschte, es gäbe mehr Bands dort draußen, die Rebellion und Aufbegehren leben, so wie wir das tun. Ich sage aber auch: Wer dazu keine Lust hat oder nicht tief in sich das Bedürfnis verspürt, politische Musik zu machen, der sollte das auch nicht auf Teufel komm raus vom Zaun brechen. Das wäre unecht. Ein Fake. Wir jedenfalls werden niemals den Mund halten, haha.

Wie schafft ihr es, trotz des Erfolges, der ja immer auch kommerzielle Zwänge mit sich bringt und Zugeständnisse erfordert, euren Idealismus beizubehalten?

Ich weiß es gar nicht so genau. Zehn Jahre und fünf Platten auf einem Majorlabel – wir haben es eben irgendwie überlebt, haha. Ich denke, wir stehen einfach jeden Tag auf, freuen uns darüber, dass wir diese Band haben, und versuchen, das Beste daraus zu machen. Gemeinsam. Und wir wissen natürlich, was wir wollen. Wir sind keine Action-Figuren in irgendeinem Spiel, denen man sagen kann, was sie tun und lassen sollen. Über all die Jahre haben uns nicht die Dinge weitergebracht, zu denen wir ja gesagt haben, sondern die, zu denen wir nein sagten.

Wo bewahrst du alle die goldenen Schallplatten auf, die du mit RISE AGAINST über die Jahre so gesammelt hast?

Oh, so viele habe ich gar nicht. Ich habe sie irgendwo in meinem Haus. Aber ich weiß nicht wo. Ehrlich, haha. Ich bin nicht der Typ, der sich so etwas in einem Raum an die Wand hängt und allen zeigen muss: Schaut mal, wer ich bin und wie gut ich bin. Ich liebe meine Band und ich liebe es, Musik machen zu können.

Es muss eine Liebe sein, die sehr weit geht: Kürzlich hast du mit den DONOTS den Song „Das Neue bleibt beim Alten“ aufgenommen – und dabei auf Deutsch gesungen.

Oh, ja. Das war eine verdammt verrückte Erfahrung, haha. DONOTS-Frontmann Ingo hat mich seinerzeit angerufen und wir unterhielten uns über das erneute Aufkommen rechten Gedankenguts in Deutschland. Wobei das ja nicht nur bei euch ein trauriges Phänomen ist, sondern auch anderswo, etwa hier bei uns in den Staaten. Jedenfalls sagte Ingo, er habe einen Song zu diesem Thema geschrieben, wolle den aufnehmen und suche noch jemanden, der Lust habe, sich daran zu beteiligen. Und da habe er eben an mich gedacht. Ob ich nicht Lust dazu hätte. Und die hatte ich absolut. Es war mir eine Ehre, Teil dieses Projektes zu sein, schließlich haben wir mit den DONOTS schon bei vielen Festivals gemeinsam gespielt und verstehen uns super mit ihnen. Und es ist ein Song mit einer wichtigen Botschaft. Ich war nur anfangs ein wenig überrascht, als Ingo zu mir sagte: „Du musst natürlich auf Deutsch singen.“ Das kann ich nun nicht wirklich gut. Aber er hat mir netterweise geholfen. Er hat mich richtig gepusht. Außerdem passte es irgendwie: Schließlich singen die DONOTS ja auch auf Englisch.

Ihr habt RISE AGAINST 1999 gegründet. Kurz danach wurde George W. Bush US-Präsident. Dann kam 2009 Obama, den ihr sogar unterstützt habt und mit dem alles besser werden sollte. Heute ist Obama immer noch da – und es hat sich nichts geändert. Weder in den USA noch anderswo auf der Welt. Es sieht also so aus, als müsstet ihr auch in Zukunft Songs schreiben, in denen ihr Dinge kritisiert und anprangert. Was meinst du, wann kommt die Zeit für das erste RISE AGAINST-Album, auf dem nur Liebeslieder sind?

Uns fragen tatsächlich sehr viele Menschen, was wäre, wenn wir nichts mehr finden würden, über das wir singen könnten. Oder mit anderen Worten, wenn alles um uns herum nur noch Glückseligkeit und Harmonie wäre. Ich sage dann immer: Wir sind die einzige Band, die versucht, sich selber arbeitslos zu singen. Es würde mich glücklich machen, wenn ich nichts mehr hätte, das ich kritisieren müsste. Ich wäre glücklich, wenn wir einmal ein Album aufnehmen könnten, auf dem nur Liebeslieder sind, haha. Denn ich finde es manchmal wirklich hart, auf all das Negative, auf die Probleme in der Welt einzugehen und mich damit auseinanderzusetzen.

Man liegt sicherlich nicht falsch, wenn man dich als politischen Aktivisten bezeichnet. Aber was denkst du über den berühmtesten aller Politaktivisten der Musikszene: Bono von U2, über den ich erst gestern wieder einen Zeitungsartikel las, in dem seine Rolle als „Gutmensch“ beleuchtet wurde?

Wenn man sich genauer anschaut, was in der Welt schief läuft, dann muss man sich auch unweigerlich Gedanken darüber machen, welche Menschen wirklich im großen Rahmen etwas tun können, welche Menschen einen gewissen Status innehaben und etwas bewirken können. Aus der Ferne betrachtet und ohne ihn persönlich zu kennen, ist Bono für mich eine Person, die diesen Status hat. Er benutzt seine Prominenz und seine Verbindungen dazu, sich mit Leuten zu treffen und ihnen die Dringlichkeit der Lage klarzumachen, die die Möglichkeit hätten, etwas zu bewirken. Selbst ich bemerke ja als Sänger einer Rockband – einer Rockband wohlgemerkt, die nun viel, viel, viel unbekannter als U2 ist –, dass sich Leute, die auf den Machtpositionen sitzen, gerne mit prominenten Menschen umgeben. Und wenn man das ausnutzen kann, über einen Konzertbesuch oder ein Autogramm hinaus, dann ist das sehr gut. Wir können einerseits über Leute wie Bono sprechen, die ihre Berühmtheit für ihre Ideale einsetzen – und können das kritisieren oder gut finden. Wir können andererseits aber auch über zahlreiche Leute sprechen, die ihre Berühmtheit eben nicht dazu einsetzen und die in ihrem Haus am See sitzen und daran denken, wie sie am besten noch mehr Geld machen können. Ich stelle die Art von Aktivismus, wie Bono ihn betreibt, jedenfalls nicht in Frage.