TERRORGRUPPE

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Aggressive Kunst

Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis die TERRORGRUPPE sich nach ihrer Abschiedstour 2005 wieder zurückmelden. Mit Tour, neuer EP und allem, was dazugehört. Kurz vor dem Gespräch haben sie ihre ersten beiden Shows im völlig ausverkauften Berliner SO36 gespielt. Abschied? Auflösung? „Nöö, wir haben uns nie offiziell aufgelöst. Wir haben schlicht vergessen, uns aufzulösen; waren einfach mal weg.“ Der Aggropop aus Berlin war also nie tot. Das wollten wir von Johnny Bottrop, Archie MC Motherfucker, dem Wieder-dabei-Bassisten Zip Schlitzer und Neuzugang Kid Katze genauer wissen. Auch, wie es sich anfühlt, „zurück“ zu sein, was aus den alten provozierenden Punkern geworden ist und was aus dem Berufswunsch, mit kastrierten Tigern zu arbeiten. Gibt es dazu einen passenderen Ort, als das Fest aller Comebacks, das Ruhrpott Rodeo?

Zip, wir fangen mit dir an: Ständig sind Johnny und Archie in den Interviews und Talkshows zu sehen. Was ist mit dir los? Schämst du dich für die Band, warum bist du wieder dabei? Oder kam die ganze Comeback-Idee sowieso von dir?


Zip: Nein, die Idee kam nicht von mir. Hauptsächlich war es wohl Johnny, der sich Archie dazugeholt hat. Als sie mich fragten, ob ich nicht Bock hätte, wieder Krach zu machen, haben die beiden mich in einem schwachen Moment erwischt, in dem ich dann wohl ja gesagt habe. Nach zwei Wochen, in denen ich zu Hause im Keller gezweifelt habe, hat sich nun doch herausgestellt, dass es eine gute Idee war. Jetzt fühle ich mich wieder gut dabei.

Archie: Man muss dazusagen, dass Zip Schlitzer aber eigentlich immer zu Hause sitzt und zweifelt. Aber: mitgehangen, mitgefangen.

Kid, bereust du es schon, auch ja gesagt zu haben?

Kid Katze: Nein, ich bin echt froh, jetzt bei TERRORGRUPPE dazuzugehören. Die Jungs sind ganz okay und die Leute um uns herum, die Crew, sind dagegen sogar absolut nett, haha.

Wie war’s, nach fast zehn Jahren wieder auf der Bühne eures Heimatclubs SO36 in Berlin zu stehen?

Johnny Bottrop: Geil. Es war wie Sauna! Wir haben fast zwei Stunden lang gespielt und das Wasser hat von der Decke getropft; alle waren anschließend absolut durchgerockt.

Zip: Es war erstaunlich zu sehen, dass in der ersten Reihe Kids standen, die, als wir abgetreten sind, noch im Embryostadium gewesen sein müssen. Wir hatten zugegebenermaßen etwas Schiss, dass da alte Säcke nur zum Sterben hinkommen, aber dem war absolut nicht so.

Johnny: Die Hälfte der Leute, die bei den Konzerten waren, können uns damals noch nicht gesehen haben. Das war uns eine große Ehre. Schon geil: Es hat sich fortgepflanzt in der Zeit unserer Abwesenheit – das Virus, die Krankheit.

Zip: Wo wir beim Thema Jugend sind, eine Anekdote: Ein Freund von mir ist um das Jahr 2000 herum mit unserem Klassiker-T-Shirt – das mit dem Galgen und der Aufschrift „Dem Deutschen Volke“ – zur Schule gegangen, er muss damals so 16 Jahre alt gewesen sein. Er wurde für diesen Tag beurlaubt und von seinem Lehrer mit der Bitte nach Hause geschickt, sich ein anderes T-Shirt anzuziehen. Da sind wir doch etwas stolz darauf, dass diese Shirts offensichtlich noch immer ein wirksamer Stressmagnet sind. Andererseits sind wir erschrocken, dass Leute wegen des Tragens solcher Shirts nach Hause geschickt werden.

Der Faktor Provokation steht bei euch also noch immer im Fokus?

Archie: Wir sind ja eine Punkband – das ist unser Job. Ich habe in letzter Zeit viele Interviews mit Bands gesehen, die es zwar einerseits gut schaffen, aktiv zu polarisieren und zu provozieren. Wenn sie sich andererseits aber eben dafür entschuldigen und Beschimpfungen von Arschlöchern zurückziehen, kann ich das nicht verstehen. Es gehört doch einfach dazu – Punk hat schon immer provoziert und polarisiert, das ist eben eine ziemlich aggressive Art und Weise der Kunst. Auch wenn man auf der Bühne steht und das Publikum beschimpft – das macht nach wie vor Spaß! Und wer nicht komplett ironiebefreit ist, dem macht das auch Spaß. Und ich bin froh, dass unseren Zuhörern das auch noch so sehr Spaß macht wie früher.

Johnny, die nächste Frage ist für dich: Wie sehr ist es dir an diesem Wochenende auf dem Rode eine Ehre, gleich neben der nach dir benannten Metropole Bottrop auf einem Festival vor tausenden Leuten zu spielen?

Johnny: Tatsächlich bin ich so was wie ein Ehrenbürger, aber nicht von der Stadt Bottrop, sondern von Velbert. Da bin ich laut Wikipedia eine „Berühmte Persönlichkeit der Stadt“. Darauf bilde ich mir schon etwas ein, weil ich ja wirklich ein gebürtiger Velberter bin. Den Namen „Bottrop“ habe ich mir nur so gegeben, wie Jack London sich den Namen „London“ gegeben hat, obwohl er gar kein Londoner war. Und John Denver hat, soweit ich weiß, nie in Denver gewohnt. Oder Denzel Washington, der kommt aus L.A. und wurde im Staat New York geboren.

Laut.de schreibt zu eurer Live-DVD: „Die Zielgruppe haben die Deutschpunks genau im Visier. Wie der Untertitel verrät: Musik für Arschlöcher.“ Im Ox #46 sagt ihr selbst zu eurem Publikum aber: „Die sind brav, aber auch rebellisch.“ Wie zufrieden seid ihr mit den Punks von heute?

Johnny: Na ja, das ist ja sogar von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Allein in Berlin gibt es sieben verschiedene Punk-Szenen, die untereinander aber nichts miteinander zu tun haben. Da sind einige fitte Leute dabei. Meine Lieblingsszene ist im Moment die 77er-Punk-Powerpop-Szene aus dem NERVOUS BREAKOUT-Umfeld, die sehr umtriebig ist. Die Leute veranstalten in kleinen Läden wie KVU, Trickster oder SchokoLaden regelmäßig Partys und Konzerte, die Riesenspaß machen. Eine andere Szene, die mir großen Spaß macht, ist diese Ska-Punk-Geschichte. Da gibt’s die passenden Abende im Clash oder bei größeren Bands wie PANTEÓN ROCOCÓ im SO36 – das sind dann auch wieder ganz andere Leute. Die Leute der separaten Szenen würden auch niemals gegenseitig ein Konzert besuchen, aber das ist auch okay so.

Wäre eine Vereinigung der Szenen nicht wünschenswerter?

Johnny: Wieso? Das ganze United-Ding ist doch Quatsch! Man muss sich ja nicht mit jedem verbünden und verbrüdern – Punk heißt ja auch, individuell zu sein. Man muss ja auch nicht alles toll finden, was die anderen machen.

Zip: Ich habe übrigens nie behauptet, Punk zu sein. So individuell bin ich.

Johnny: Na ja, zu einem Viertel bist du aber Punk! Wir haben gerade Kinderfotos von 1941 herausgekramt – da bist du aber der Megapunk!

Nach dem 11. September wolltet ihr Bin Laden auf Schadensersatz verklagen, weil er euren Namen in den Dreck gezogen hat. Hattet ihr Erfolg?

Archie: Der Brief kam zwar wegen Unzustellbarkeit zurück, das Verfahren ist aber auch nicht eingestellt worden. Man kann wohl aber sagen, dass Obama für uns ein Urteil gefällt hat. Scheiße nur, dass Bin Laden jetzt tot ist und wir nichts von dem Schadensersatz bekommen.

Archie, als Plan B wolltest du mit kastrierten Tigern arbeiten.

Archie: Das habe ich in den vergangenen zehn Jahren auch getan. Ich habe zwei Stück davon. Es ist ja nicht so, dass wir neben TERRORGRUPPE nichts anderes mehr zu tun hätten. Zip beispielsweise hat ja auch noch eine andere Band.

Zip: Genau, das sind THE CHARCOAL SUNSET. Das heißt soviel wie „der holzkohlene Sonnenuntergang“ und wir spielen so amerikanischen Folk. Wir haben uns nach einem Song von Steve Wynn benannt. Die Band gibt’s natürlich nach wie vor. Der Sänger von CHARCOAL SUNSET heißt bei TERRORGRUPPE übrigens Holger von Nazareth und bedient die Orgel immer dann, wenn Eros Razorblade keine Zeit hat.

Johnny: Ich züchte übrigens keine Großkatzen, sondern eher Heuschrecken und Insekten. Aber Archie produziert ja auch noch Platten und ich veröffentliche welche auf Destiny.

Wie kam es zur Ergänzung des Punk-Instrumentariums Schlagzeug, Gitarre, Bass, Gesang durch die Orgel?

Archie: Den Plan hatten wir eigentlich schon immer. Wir haben aber nie jemanden gefunden, der der Aufgabe gewachsen war. Jetzt haben wir sogar herausgefunden, dass es besser passt, als wir immer gedacht hatten – sowohl zu den langsamen als auch zu den schnellen Liedern.

TERRORGRUPPE gibt’s doch nur wegen der Kohle wieder, hab ich recht?

Alle: Ja!

Johnny: Quatsch, wir haben das ganz einfach nicht nötig. Wie eben gesagt, haben wir ja auch noch unsere anderen Jobs. Trotzdem: Geld stinkt nicht, solange es in unseren Händen ist, ha! Wir machen Kommerz mit Herz. Aber wir bieten dafür auch was Geiles: Beschimpfungen, verstimmte Gitarren, Arschraketen und Punk, wie er sein muss.

Archie: Wir haben uns ja auch nie offiziell aufgelöst. Bei anderen Bands kann man von einer Reunion sprechen. Bei uns handelt es sich ja um ein Comeback. Wir haben schlicht vergessen, uns aufzulösen; waren einfach mal weg.

Zip: Wir machen ja jetzt auch nichts völlig Neues; keinen Schlager oder ukrainischen Rap. TERRORGRUPPE haben sich nicht komplett neu erfunden, sondern sich dem Zeitgeist etwas angepasst.

Johnny: Dem Zeitgeist haben wir einen dicken Scheißhaufen ins Gesicht gesetzt!

Wenn ihr auf den Zeitplan hier beim Ruhrpott Rodeo schaut, was sind eure Favoriten, was wollt ihr sehen, was hättet ihr gerne gesehen?

Johnny: Ganz klar TRAGEDY, weil ich die noch nie live gesehen habe und gerade die zweite und dritte Platte echt gut finde, obwohl ich Crust und Metalcore sonst eher wenig höre. Daneben freue ich mich ganz besonders auf die LOKALMATADORE, weil ich seit den frühen Achtzigern mit so einigen Bandmembers befreundet bin.

Zip: Ich werde mir auf jeden Fall Chuck Ragan anschauen, weil ich ziemlich auf diese Art von Musik stehe.

Archie: Ich arbeite nebenher noch als Tourmanager, kann aber wegen unserer eigenen Konzerte nicht auf der momentanen PENNYWISE-Tour dabei sein. Das ist aber eine der größten Live-Bands, die ich kenne, hier also Pflichtprogramm.

Kid: Ich will den Act sehen, von dem ich noch nie gehört habe, der mich aber brutal vom Hocker reißt. Mal schauen, wer das schafft. Ich muss mich also überraschen lassen. BAD RELIGION oder MILLENCOLLIN kennt ja jeder, aber neue, interessante, ehrliche Artists zu finden, das ist die größte Kunst und Ehre.