Emilie Davis & Eddie Booze

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Cover me, come on baby, cover me

Manchmal trifft man im Internet auf Dinge, die einen dann doch nachhaltiger beschäftigen. Akustische Amateur-Coverversionen auf YouTube sind so ein Fall. In der unüberschaubaren Masse der mehr oder minder ambitionierten Interpreten scheint bei einigen anscheinend ein Konzept dahinterzustecken, gerne auch mit teilweisem oder explizitem Punk-Bezug. Für mich besteht der Reiz solcher Clips vor allem im Überraschungseffekt, der sich einstellt, wenn jemand von nebenan einem Song mehr Tiefe und Seele geben kann als der Originalinterpret. Zwei sehr umtriebige Vertreter dieser YouTubies sind Emily Davis, eine 24-jährige amerikanische Singer/Songwriterin, und Eddie Booze, 33-jähriger professioneller Musiker aus Los Angeles.

Wie viele YouTube-Videos habt ihr schon gemacht? Wie kamt ihr auf die Idee?

Emily: Seit 2008 habe ich mehrere Dutzend Videos hochgeladen. Ich wollte meine Musik und meine Coverversionen mit der Welt teilen und dachte, YouTube sei der perfekte Weg dazu.

Eddie: Circa hundert habe ich bisher gemacht, eigene Sachen und akustische Punk-Cover. Wie die meisten Leute, die Videos posten, wollte ich auf mich aufmerksam machen und habe Sachen ausgesucht, die mir hoffentlich mehr Traffic auf meinem YouTube-Kanal bringen. Bislang klappt das ganz gut.

Nach welchen Kriterien sucht ihr eure Titel aus?

Emily: BAD RELIGION sind meine ewige Lieblingsband und mein größter musikalischer Einfluss. Ich habe als Teenager angefangen, Musik zu machen, aber meinen Songs fehlte es an der nötigen Ausgereiftheit. Die Stücke von Graffin und Gurewitz haben Tiefe und inhaltliche Relevanz, und eben diese Tiefe suchte ich für meine eigenen Texte. Was die Auswahl meiner Cover betrifft, spiele ich nur Stücke, die sich in meine Art zu performen eignen. Und außerdem sind es natürlich die Stücke, die mir selbst am meisten bedeuten.

Eddie: Ich wähle Stücke, die ich liebe und mit denen ich aufgewachsen bin, von Bands wie NOFX, BAD RELIGION, NO USE FOR A NAME oder MISFITS. Ich mag aber auch Classic Rock. John Fogerty ist eine große Inspiration für mich, ebenso CCR. Alle von mir gecoverten Künstler bekommen auch ihre Credits in den YouTube-Videos.

Gibt es für euch spezielle Anlässe, ein Stück zu covern beziehungsweise zu schreiben? Etwa für spezielle Menschen oder spezielle Anlässe?

Emily: Ja, ein paar Mal hatte ich jemanden im Hinterkopf. Mein Stück „Empty city off of dark matter“ habe ich für einen Freund und Kollegen geschrieben, der vor ein paar Jahren nach Portland gezogen ist. Es war eine Art Abschiedsgeschenk für ihn.

Eddie: Ich liebe es einfach zu spielen und möchte das mit der Welt teilen. Manchmal fragen Leute bestimmte Titel an, aber in der Regel spiele ich einfach das, was mich am meisten berührt – und Robert, meinen Geiger! Wir haben da einen sehr ähnlichen Geschmack.

Was kam zuerst? Band respektive Singer/Songwriter-Aktivität, oder die YouTube-Sache?

Emily: Die Singer/Songwriter-Sache habe ich lange vor YouTube gemacht. Seit zehn Jahren spiele ich jetzt Gitarre, Texte schreibe ich genauso lange.

Eddie: Auf jeden Fall die Singer/Songwriter-Sache! Ich mache Musik, seit ich 16 bin. Da startete das Internet gerade und von YouTube war noch nicht die Rede. Ein prägendes Erlebnis war dabei mein erstes Konzert von SILVERCHAIR und UNWRITTEN LAW im mittlerweile geschlossenen The Palace in Hollywood. Bis dahin hatte ich nur Baseball gespielt und mich mit Martial Arts beschäftigt. Zu sehen, wie Daniel von SILVERCHAIR mit dem Publikum umging, und es dazu brachte, die Stücke mitzusingen, elektrisierte mich total. Von da an wusste ich, dass ich unbedingt Musik machen, auf der Bühne stehen und jedes mögliche Projekt auf die Beine stellen wollte.

Eure Videos sind zum Teil zu Hause aufgenommen. Für mich als Betrachter erzeugt das eine familiäre Stimmung, obwohl die Situation ja eigentlich komplett anonym ist. Gibt es Kriterien für euch, nach denen ihr die Settings aussucht?

Emily: Im Grunde nicht. Zu Hause aufzunehmen ist für mich einfach praktisch und unkompliziert. Darüber denke ich nicht viel nach.

Eddie: Ich habe mir, anders als viele andere, tatsächlich Gedanken über die Raumgestaltung gemacht. Entweder nutze ich ein schwarzes Backdrop oder Filmplakate, um ein bisschen Stimmung zu erzeugen.

Was macht eurer Meinung nach den Reiz aus, sich Coverversionen von Amateurmusikern auf YouTube anzuschauen und sie sogar zu ermutigen, weitere Stücke aufzunehmen und hochzuladen?

Emily: Cover sind eine schöne Möglichkeit, deine Lieblingssongs in neuem Gewand zu hören. Jedenfalls ist das der entscheidende Grund für mich, mir Coversongs im Netz anzuhören.

Eddie: Wenn man sich die YouTube-Sachen eine Zeit lang angesehen hat, erkennt man zweifelsfrei, wie viele unglaubliche Talente da draußen herumlaufen, und dass man nur einen winzigen Ausschnitt davon mitbekommt, wie viele wunderbare talentierte Leute rund um den Erdball zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. YouTube gibt dieser Masse an unentdeckten Talenten ein Forum. Und wenn du als Musiker, egal ob Sänger, Gitarrist, Pianist, siehst, wie ein Amateur eine großartige Coverversion raushaut, dann gibt dir das Mut, dasselbe zu tun und dich im Rahmen deiner eigenen Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Es bleibt also greifbarer, wenn ein „Average Joe“ das macht. Und die Popularität von selfmade Coverversionen bringt die Leute dazu, sich mehr mit dem eigenen Material derjenigen zu beschäftigen, deren Interpretationen von bekannten Stücken sie mögen.

Was lässt sich zu den Reaktionen eurer Zuschauer sagen?

Emily: Man hat die obligatorischen Dauerschreiber, die einen mit Mails zumüllen. Das passiert aber zum Glück nicht häufig. Dann gibt es die Du-bist-gar-nicht-Punk-wenn-du BAD RELIGION-coverst-Fraktion, die man getrost abhaken kann. Die meisten Reaktionen sind überwältigend positiv und ermutigend. Ich kann mich da glücklich schätzen.

Eddie: Eine witzige Sache sticht heraus: Ich spiele wie gesagt häufiger mit einem Geiger namens Robert, und in einer Kommentarzeile eines unserer Videos schrieb mal einer: „Hey, good job, I also loved you guys in the Sonic commercials.“ Ich musste selber erst einmal rausbekommen, was er meinte, und fand schließlich ein Bild von zwei Typen in einem Auto vor einem Sonic-Burgerladen, die wirklich haargenau wie wir aussahen, unglaublich! Meistens bekommen wir aber ein wirklich positives Feedback von den Leuten. Manchmal rettet mir ein netter Kommentar einen verkorksten Tag. Unsere Zuschauer sind fantastisch.

Würdet ihr diese Form von Videos als D.I.Y.-Kunst bezeichnen? Passen subkulturelle Inhalte zu Mainstream-Medien?

Emily: D.I.Y. ist die beste Art, Kunst zu produzieren! Diese Form entbindet dich von komplizierter Technologie, Verträgen und allem, was der Sache den eigentlichen Spaß nimmt. Das gilt auch für die YouTube-Videos. Ich sehe in der Nutzung eines Mainstream-Mediums dabei kein Problem.

Eddie: Auf jeden Fall! Für hunderttausende von Menschen ist das mittlerweile die sekundäre oder sogar primäre Quelle der Unterhaltung und des Gedankenaustausches geworden. Das ist Fakt!

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft? Kommt ihr vielleicht mal nach Europa?

Emily: Ich würde sehr gerne! Aber dazu bräuchte ich Unterstützung von außerhalb. Hoffentlich irgendwann – wer weiß!

Eddie: Mit meinen ganzen Beschäftigungen in Los Angeles ist das schwierig hinzubekommen. Ich habe als professioneller Musiker an die zwanzig Auftritte im Monat, schreibe Filmmusik und leite Musikkurse für Kinder – viel zu tun! Diesen Sommer toure ich überhaupt zum ersten Mal. Gerne würde ich das Land mal verlassen und nach Europa kommen. Ich liebe es, Leute zu unterhalten, und hoffentlich kämen dann auch einige, die meine Sachen mögen.

Daniel Schubert