TRUST, die zweite.

Dolf und ich waren bei unserem Zeitraffer-Flug durch die deutsche Hardcore-History am konkreten Beispiel des TRUST Ende der Achtziger stehengeblieben. Wer den ersten Teil des Interviews im letzten Ox nicht gelesen hat, sollte das jetzt nachholen, denn sonst ist der Einstieg vielleicht etwas schwierig. Zur Erinnerung: Das TRUST aus Augsburg war vor zehn Jahren das erste "professionelle", regelmäßige Hardcore-Fanzine in Deutschland und prägte die Szene maßgeblich.

Wie ging es weiter mit TRUST? Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger war die erste HC-Euphorie verflogen und im TRUST tauchten auch unhardcorige Bands auf.

Im Nachhinein ist das natürlich ´ne schöne Sache, daß ich sagen kann, daß das TRUST als erstes deutsches Heft über FUGAZI und NIRVANA geschrieben hat, obwohl ich nicht behaupten will, daß FUGAZI eine "andere" Band sind. Diese ganze Grunge-Geschichte ging damals von Thomasso aus und ich konnte damals schon nichts damit anfangen, war auch dagegen, daß sowas ins Heft kommt. Hätte man mich damals konkret gefragt, ob wir NIRVANA ins Heft nehmen sollen, hätte ich gesagt "Nö, die spielen doch langweiligen Hardrock". Jetzt ist mir das natürlich egal, da kann man prima damit angeben, wie fortschrittlich wir waren. Der Wandel beim TRUST kam so 1988: Zu der Zeit war die europäische Szene schon etwas strukturierter und besser organisiert, die Norweger, zum Beispiel SO MUCH HATE, traten auf den Plan, und der große Italo-HC-Boom war vorbei. Damals zeichnete sich ab, daß sich die Szene immer mehr in Richtung auf die USA hin entwickelt. Und 1988 waren auch FUGAZI zum ersten Mal hier.

Ich kann mich noch genau erinnern, daß damals Leute lästerten, das sei ja voll das jazzige Gedudel.

Ich habe das nie so empfunden, aber zu dem Thema muß ich sagen, daß uns die Amerikaner in musikalischer Hinsicht immer einen Schritt voraus waren. Deshalb ging diese Trennung von Punk und Hardcore auch schon ´82/´83 los. Ich will bei der Gelegenheit auch mal loswerden, daß wir trotz aller Begeisterung für amerikanischen Hardcore nicht blind den Amis hinterhergerannt sind und nicht einfach nur unreflektiert übernommen haben. Wir haben uns durchaus überlegt, ob es denn o.k., ist, wenn sich eine US-Band IRON CROSS nennt. Oder die Diskussion um die ganzen New Yorker Bands wie WARZONE, die diesen komischen Pro-Amerika-Touch hatten. Ich selbst habe die nie verstanden und mich sowieso schon immer mehr an der US-Westküste orientiert. Ich hatte das Glück, schon früh mal selber in die USA fahren zu können, und merkte, daß mir die Westcoast-Szene mit ihrer mehr inhaltlichen, intellektuelleren, politischeren Ausrichtung mehr zusagt.

Die HC-Hippies...

Ja, die waren immer irgendwie etwas hippiemäßiger als die Bands von der Ostküste. Zum Teil wurde selbst mir das ein bißchen zu hippiemäßig. Andererseits war ich schon sehr früh auf AGNOSTIC FRONT-Konzerten und habe die Stimmung mitbekommen. Damit wollte ich damals schon nichts zu tun haben. Äh, kannst du mir verraten, wie wir jetzt auf diesen Punkt kamen?

Nö.

Na super. Die beiden Profis verirren sich im Interview und verlieren den Faden.

Ich glaube, wir waren dabei, die Entwicklung des TRUST aufzudröseln und 1988 stehengeblieben. Wir bewegen uns in die Neunziger hinein. We Bite sind ziemlich groß geworden, Frontline sind allenthalben als "Kommerz" verschrien, X-Mist sind groß im Geschäft und die SPERMBIRDS die größte deutsche HC-Band. Wo steht TRUST 1990?

Damals waren URGE meine deutsche Lieblingsband, aber auch VICTIM´S FAMILY. Dann waren die Norweger immer noch ziemlich angesagt, und auch die Österreicher STAND TO FALL und TARGET OF DEMAND. Und zu der Zeit hatten auch diese Glam-Bands wie CELEBRITY SKIN oder JANE´S ADDICTION ihre Hochphase. Das kam übrigens auch von Thomasso und war wie Grunge nicht so mein Ding. Sowieso war ´90 das Jahr, wo wir viele solche Sachen im Heft hatten, etwa auch MUDHONEY. Gleichzeitig gab´s aber auch WRECKING CREW und ALL, und in Deutschland kamen zu der Zeit Bands wie ARM und schon erwähnte URGE hoch. Unsere Themen waren so ein richtiger Mischmasch aus aufkeimendem Grunge, L.A.-Glamrock, Knüppelcore aus Norwegen und Santa Cruz-beeinflußten URGE. Eine schöne Mischung eigentlich.

Anfang der Neunziger gibt es in Deutschland plötzlich eine richtige Fanzine-Explosion: ZAP und TRUST sind nicht mehr die einzigen gutgemachten A4-Hefte, denn zum Beispiel FLEX´S DIGEST, GAGS & GORE, HEFT, AMOK, PRAWDA und natürlich auch das Ox treten auf die Bildfläche. Damit hatte das TRUST seine Einzigartigkeit eingebüßt.

Richtig, ganz klar. Es gab immer mehr thematisch ähnlich gelagerte Hefte, die meist auch gut gemacht und interessant waren und halbwegs regelmäßig erschienen. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung: Wenn es nur ein Heft gibt, muß es jeder lesen, der informiert sein will. Aber wenn es zehn gibt, kann sich jeder das seinem Geschmack entsprechende aussuchen.

Ich habe so das Gefühl, daß Fanzines, Labels und auch Bands immer so eine Hochphase haben, in der sie richtig 100% gut sind, und dann flaut das mehr oder weniger stark ab. Im Falle von Plattenlabels muß man doch zugeben, daß die Bedeutung von Dischord, SST und Alternative Tentacles stark abgenommen hat, was nicht zuletzt an den Releases liegt.

Die haben ihren Zenit überschritten, ja, aber im Falle von A.T. und Dischord wäre ich da trotzdem vorsichtig, denn diese Labels haben nach wie vor Potential. Die ziehen eben ihr Ding durch und wissen, was sie wollen. Da kann durchaus noch ein zweiter Zenit kommen, und außerdem sind die Labels auch abhängig von den Bands, die da draußen existieren, denn die bauen sie sich ja nicht nach ihrem Geschmack zusammen. Im Falle von Dischord ist das noch etwas extremer, da die sich einzig auf Bands aus Washington D.C. und Umgebung beschränken. So sind sie natürlch sehr abhängig davon, was die Leute vor Ort musikalisch so machen. Außerdem spielt es auch noch eine Rolle, daß eine zeitlang jede Band sofort zu den Majors rannte und nicht den Weg vom kleinen zum größeren Indie und dann erst zum Major wählte. Wobei ich nicht behaupten will, daß das auf besonders tolle, mich interessierende Bands zutrifft.

Wo steht das TRUST heute?

Die beteiligten Leute sind ganz unterschiedlich und nicht mehr wie früher von den Ideen und Themen her an einem Strang ziehend. Die Zeiten, wo alle im TRUST-Team Vegetarier waren und politisch eine bestimmte Meinung vertraten, sind vorbei. Jetzt schreiben Sechzehnjährige für uns, fanatische Plattensammler, Arbeiter, Drogenabhängige und Studenten. Zudem wechseln die Leute häufig, und man kann die TRUST-Idee auf den Punkt bringen, daß wir nach wie vor nur das machen, worauf wir Bock haben und uns nicht diktieren lassen, was "unbedingt" ins Heft rein muß. Ich muß deshalb auch zugeben, daß ich mich aus Gründen dieser Vielfalt nicht mit allem identifizieren kann, was im Heft drin ist. Ich denke da an diverse Krachbands oder Bands, die vermeintlich künstlerische Musik machen, aber eigentlich ziemlich inhaltslos sind. Es ist aber o.k., wenn die im Heft sind, wenn das der Schreiber für wichtig hält. Natürlich gibt es auch Grenzen, und wenn jemand mit einer richtigen Scheißband ankommt, sage ich auch nein. Das muß sich in einem gewissen Rahmen bewegen und ´nen Underground-Bezug haben - und das kann auch bei einer Metalband der Fall sein. Ich selbst habe mich übrigens mittlerweile in schreiberischer Hinsicht ziemlich zurückgezogen, da ich nach zehn Jahren Interviews machen keine so rechte Lust mehr darauf habe. Ich finde es auch besser, wenn da mal jüngere Leute rangehen, die etwas mehr Elkan mitbringen. Ich konzentriere mich mehr auf die Shitwork, auf die Organisation, halte den Laden am Laufen. So sorge ich dafür, daß andere die Möglichkeit haben, sich auszudrücken - Leute, die keine Lust auf die ganze Shitwork haben. Um auf die Frage zurückzukommen, wo wir heute im Fanzine- und Mediendschungel stehen? Heute berichtet jede Musikzeitschrift, sogar die BRAVO, über Musik, die eigentlich bei dir und bei uns im Heft sein sollte, weil die gerade trendy ist. Mit denen können wir nicht mithalten, schon wegen der Konsumhaltung der Kids nicht. Denn ROCKHARD, VISIONS und SPEX sind eben leichter erhältlich und aktueller als das TRUST. Bei denen kommt, und das will ich den Machern gar nicht abstreiten, zum Spaß an der Musik noch der Faktor Geld, der manches vereinfacht. Bei uns dagegen bekommt niemand Geld und die Leute haben trotzdem Spaß. Aber weil bei uns kaum Geld dahintersteckt, gibt´s das TRUST eben nicht am Bahnhofskiosk, und den meisten Leuten ist es zuviel Arbeit, fünf Mark in Briefmarken in einen Umschlag zu stecken und das Heft bei uns direkt zu bestellen. Warum auch? An allen Ecken gibt´s Umsonsthefte mit ähnlichen Themen, am Kiosk sowieso, und gegen Nazis und Sexismus ist heute doch auch jeder, was natürlich schön ist. Die Leser von diesen Heften bewegen sich aber trotz eines TRUST-ähnlichen Musikgeschmacks auf ´nem völlig anderen Level und nehmen uns überhaupt nicht mehr war. Mir ist am TRUST aber wichtig, daß ich den Spaß daran nicht verliere, und deshalb erscheint das Heft nur zweimonatlich und nicht alle vier Wochen. Wenn man nämlich nicht aufpaßt, wird aus dem Spaß nämlich ganz schnell Stress.

Welche der Ideale, die du bzw. das TRUST 1986 hatten, sind heute noch gültig, und in welchen Bereichen ist man abgeklärter und vielleicht auch zynisch oder verbittert geworden?

Ich muß an der Stelle vielleicht kurz darauf hinweisen, daß oft der Fehler gemacht wird, einen einzelnen Schreiber und seine Meinungsofort mit dem gesamten Heft gleichzusetzen. Das ist aber Blödsinn, denn Artikel oder Kolumnen werden immer von Einzelpersonen verfaßt. Aus diesem Grund kann ich auch nicht für das TRUST sprechen, sondern nur für mich. Für mich sind die Ideale, die sich damals entwickelt haben - gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, Tierversuche, für Vegetarismus, für die Do-it-yourself-Idee zu sein - nach wie vor gültig und wichtig und versuche, auch danach zu leben. Ein paar Sachen haben sich natürlich beim TRUST geändert. Vor zehn Jahren hätten wir zum Beispiel keine Anzeigen von der Industrie, von den Majors genommen. Ich habe aber auch keine Lust, wie andere krampfhaft nach neuen Zielen oder Idealen zu suchen, nur um was Neues zu haben. Das richtet sich im Prinzip doch gegen das wichtige Ideal, gegen Trends und Moden zu sein, die künstlich geschaffen werden. Für mich ist es das gleiche, künstlich einen Boom für Punkrock oder Crossover und künstlich einen Boom für Chaostage zu schaffen. Inhaltlich ist das ein Unterschied, vom Prinzip her nicht.

Und wie stehst du zur Allgegenwärtigkeit des Begriffs "Hardcore"?

Das kotzt mich an. Vieles, was heute als Hardcore verkauft wird, hat nichts mehr mit Hardcore zu tun. Da sind jede Menge Metal-Bands dabei, die versuchen, einem Trend hinterherzurennen.

Zum Beispiel?

Ich sage an der Stelle ungern Namen, weil ich etwa BIOHAZARD nicht persönlich kenne, aber jede Menge Stories über sie gehört habe. Für viele dieser Bands bedeutet Hardcore nur schnelle, harte Musik sowie kurze Haare, muskulöse Oberarme und Tattoos und natürlich wildes Machogehabe auf der Bühne. Dabei war es auch so ein altes HC-Ideal, gegen Machotum zu sein. Und was sind denn Tattoos für die meisten? Nicht Kunstwerke, sondern Angeberei.

Ich denke da sofort an Henry Rollins.

Der hat ja wahrscheinlich ein Problem, vielleicht Kleinwüchsigkeit. Ich kenne ihn aber nicht gut genug, um dazu was zu sagen. Um auf unser Thema zurückzukommen: Diese angeberische Machogehabe finde ich völlig ätzend, und von Anfang an hat sich Hardcore GEGEN so ein Verhalten gewandt. Klar, auch bei Hardcore sprang man früher wild rum und war am Stagediven, aber das war nicht so plump wie es heute oft ist.

Und man zog das T-Shirt erst beim zehnten Song aus, weil man schwitzte, und nicht nach dem ersten, weil die Mädels in der vordersten Reihe stehen...

...oder weil man eben von der Hantelbank kommt und zeigen will, wie man seine Brustmuskulatur aufpumpen kann. Mich kotzt das an, und vor allem die Tatsache, daß heute fast alle Bands in Blättern wie ROCKHARD und METAL HAMMER Hardcore sind. Dabei sind sie alle bei der Industrie, spielen für 25 Mark Eintritt, haben außer ihrem Hartsein und der Tatsache, aus "berühmten" Stadtteilen amerikanischer Großstädte zu kommen, nichts zu bieten und zu sagen. Aber sie sind "Hardcore"... Hardcore heißt doch da nur noch soviel wie bei Hardcore-Pornos, Hardcore-Bodybuilding und Hardcore-Murmelsammler.

Ich bin absolut deiner Meinung, aber muß doch feststellen, daß wir beide einerseits sagen, jeder darf alles - auch ein Hardcore-Ideal - und andererseits Regeln aufstellen.

Neenee, die dürfen machen, was sie wollen, und mir ist auch egal, daß VW ein Sondermodell BON JOVI macht, aber ärgerlich ist, daß diese Leute, diese Bands etwas zerstören, was mir immer noch etwas bedeutet. Diese Leute nehmen sich aus einer Gesamtheit ein paar Details heraus - in diesem Fall schnelle, laute Musik, Hartsein, wild tanzen, rumbrüllen, gestalterische Details und was sie sonst noch cool finden - und lassen den Rest liegen. Die kopieren nur die Äußerlichkeiten und lassen die Inhalte liegen. Für unser war es damals zum Beispiel ein klarer HC-Bestandteil, hart zu tanzen, aber das bedeutete nicht, von der Bühne mit den Beinen voraus ins Publikum zu springen und möglichst vielen wehzutun. Uns war ganz klar, warum man was nicht tut, denn es geht nicht um ein Regelwerk wie die Zehn Gebote. Nein, es gibt für alles einen Grund, etwa dafür, kein Fleisch zu essen. Doch genau diese Gründe, diese Urteile, lassen all diese Pseudo-Hardcores unbeachtet links liegen, und das ärgert mich. So eine Grundregel ist nämlich, daß jeder machen soll, was er will, solange er niemand anderem damit schadet.

Was ich nie kapiert habe ist, wie man es tolerieren kann, daß sich Hardcore und Religion verbinden. Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst, und deshalb sind für mich auch die ganzen Krishna-Bands völlig indiskutabel.

Ja, ja, das ist absolut irre! Das ist für mich auch in keinster Weise nachvollziehbar. Die Diskussion gab es vor Jahren schon, als Ray und Procell von YOUTH OF TODAY damit anfingen. Und ich kann mich auch erinnern, daß es in US-Fanzines Diskussionen über christliche Punkbands gab, also die Punkversion von White Metal. In Hamburg soll es übrigens auch solche Typen geben. Aber über dieses Thema brauchen wir eigentlich gar nicht zu reden, denn Religion ist grundsätzlich abzulehnen. Und nur weil Christen oder Krishnas ein paar vernünftige Ideen haben - ich bin doch auch gegen das Töten -, muß man doch nicht gleich den ganzen Blödsinn übernehmen. Nochmal: Hardcore und Religion haben nichts miteinander zu tun. Das Problem mit so Leuten wie SHELTER ist, daß die natürlich verneinen, daß sie frauen- oder schwulenfeindlich sind. Aber warum sind sie dann Krishnas? Das ist doch der Punkt! Die ziehen sich auch wieder ein paar Sachen aus der Geamtheit raus, die ihnen passen, und der Rest wird vernachlässigt. Ich möchte doch mal wissen, wo in dem Krishnabuch steht, daß man in fetten Nightlinern durch die Welt fahren und abartig laute Musik spielen soll.

Das Problem ist aber doch, diese Grundideen - daß und warum HC und Religion nichts miteinander zu tun haben und die Punkte, die wir oben angesprochen haben - in einem Fanzine auch weiterzugeben. Ich meine, dir brauche ich das nicht zu erzählen, aber wer heute 18 ist und SHELTER oder 108 für guten Hardcore hält, der will nicht nur lesen, daß das Scheiße ist, sondern warum.

Da hast du recht. Wie sollen wir unseren Lesern klarmachen, was wir meinen, ohne ständig in Vorwörtern und Kolumnen die immer gleichen Statements zu widerholen? Das wäre eine riesige Aufgabe, aus der man ein weiteres Interview oder ´ne Diskussion machen könnte.