WAR ON WOMEN

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Krieg gegen den Krieg gegen Frauen

„You’re the kinda bitch that seeks to divide / Yeah, but I’m the kinda bitch that seeks to unite.“ Frauen aller Länder vereinigt euch? Riot Grrrl? Ob Abtreibung, Verhütung, die Frauenmorde von Ciudad Juárez oder Vergewaltigung, die Themenbereiche des ersten WAR ON WOMEN-Albums sind klar abgesteckt. Aber ganz so strikt female-only sind WAR ON WOMEN bei näherem Hinsehen doch nicht – immerhin dürfen in der Band auch zwei Männchen mitwirken. Und live liefert man auch für politisch weniger Interessierte krachende Punkrock-Feste. Was ideologisch dahintersteckt, erklärt Frontfrau Shawna Potter.

WAR ON WOMEN, in den USA ist das ja ein feststehender politischer Ausdruck.


Diesen „Krieg gegen Frauen“ gibt es wirklich. Ich glaube, das ist eigentlich eine globale Angelegenheit. Im Grunde genommen geht es darum, dass Frauen zu Wesen zweiter Klasse degradiert werden. Weltweit wird viel dafür getan, Frauen daran zu erinnern, dass sie in Gesellschaft und Kultur nicht so viel wert sind wie Männer. Das Gleiche gilt für die Behandlung von allen LGBTQ-Leuten – Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer. Irgendjemand entscheidet über ihren Kopf hinweg, dass sie ihr Geschlecht oder ihre Sexualität nicht korrekt ausfüllen, und so was ist einfach lächerlich, weil es da eben nicht einen einzig wahren Weg gibt. Es gibt in diesem Zusammenhang kein „normal“.

Damit kommen wir dann auch direkt zur Ideologie-Frage. Wozu führt Ideologie?

Sie ist auf jeden Fall ein extrem limitierender Faktor. Ich verbinde diesen Begriff mit etwas Unangenehmen. Ich würde jedes Problem gerne unvoreingenommen angehen und kritisch hinterfragen. Klar ist das schon schwierig, wenn du Ideen hast, die sehr gut in eine bestimmte Schublade passen. Das ist gefährlich und macht dich blind anderen Perspektiven gegenüber. Ich versuche zwar, das zu vermeiden, aber ich bin definitiv eine Feministin und es ist mir auch nicht unangenehm, das zuzugeben. Klar hat Ideologie auch eine positive Seite, aber oft richtet sie eine Menge Schaden an. Sie beschneidet den Zugang zu öffentlichem Raum oder die Sicherheit des Einzelnen, spricht ihm die volle Kontrolle über seinen eigenen Körper ab, verwehrt ihm, selbst und frei zu entscheiden. Ideologie kann es unmöglich machen, ein Leben ohne Schikanen führen zu können. Und Feminismus überschneidet sich mit jedem anderen Bereich aus dem Feld der sozialen Gerechtigkeit. Frauen gibt es überall, die Welt ist unser, haha. Und alles, was Feminismus komplett ausspart, hat für mich einen negativen Beigeschmack.

Klingt, als würdest du gerne auf Konfrontationskurs gehen.

Ich würde das eher als „Rückeroberung“ bezeichnen. Wenn wir zum Beispiel Konzerte spielen, versuche ich die Vorstellung, dass Frauen nicht wütend sein können oder sich lady-like – was auch immer das heißen mag – benehmen müssten, zu widerlegen. Dann lasse ich meine ganze Wut über sämtliche gesellschaftlich verfestigten, erniedrigenden Erwartungen heraus. Gelegentlich führt das auch zu Konfrontationen mit einzelnen Personen aus dem Publikum. Manchmal gehe ich das eher spielerisch und auf einem eher witzigen Weg an. Dann will ich sie für mich erobern und sie dazu bringen, sich irgendwie doch noch mit der Show identifizieren zu können. Manchmal stelle ich denjenigen, der irgendeine sexistische Scheiße während der Performance zu uns sagt, aber auch einfach bloß.

Die-Riot Grrrl-Bewegung hat zu deiner/eurer Einstellung sicherlich auch einen Teil beigetragen.

Riot Grrrl hat offensichtlich sehr großen Einfluss auf uns gehabt. Das siehst du schon daran, wenn du auf unser Alter schaust, wir sind einfach damit aufgewachsen. Das war ein unglaublich roher und kraftvoller Musikstil, vor allen Dingen für Frauen natürlich. Aber nach fast jeder Show sagt mir irgendjemand „Hey, du erinnerst mich total an Kathleen Hanna!“, oder „Du erinnerst mich echt an BIKINI KILL!“ Aber jeder, der ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass wir uns nicht wie BIKINI KILL anhören. Ich höre mich nicht wie Kathleen Hanna an und das ist gut so. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass die Leute einfach zu wenige Musikerinnen kennen. Wenn sie besser Bescheid wüssten, würden sie es auch nicht für nötig halten, uns mit der bekanntesten female-fronted Band zu vergleichen, die sie kennen. Das kann wirklich sehr frustrierend sein. Ein vierzehnjähriges Mädchen darf mir ruhig sagen, dass wir uns anhören wie BIKINI KILL, sie entdeckt eine Menge Sachen gerade erst. Aber wenn ein dreißigjähriger Kerl nicht mehr auf die Reihe bekommt, als mir zu verklickern, dass wir ihn an BIKINI KILL, LUNACHICKS oder irgendeine andere bekannte Band mit Frauenbeteiligung erinnern, dann weiß ich natürlich sofort, dass er einfach keine Ahnung hat. Ich will das nicht unbedingt zu sehr verurteilen, aber es sagt mir, dass du einfach nicht allzu viele andere female-fronted Bands kennst. All jene rufe ich dazu auf, rauszugehen und weitere ausfindig zu machen. Es gibt massig gute Bands mit Frauenbeteiligung, sie sind da draußen, sie bekommen nur einfach nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Welche Bands würdest du da denn konkret empfehlen?

HELM’S ALEE, PUNCH, WHITE LUNG, ROYAL THUNDER oder FORGET CASSETTES zum Beispiel. Die Liste ließe sich natürlich noch fortsetzen, die sind mir jetzt nur auf die Schnelle eingefallen.

Du hast in Interviews schon öfter gesagt, dass auch Pop in deiner Musik eine wichtige Rolle spielt.

Ich habe mir vor kurzem ein Video angeschaut, in dem jemand vier oder fünf der Nummer-eins-Country Songs der letzten paar Jahre parallel laufen gelassen und teilweise zusammengeschnitten hat. Sie hören sich echt alle an wie exakt der identische Song, Tempo, Akkorde, Texte, alles hat irgendwie zusammengepasst. Obwohl es einfach bunt zusammengeschmissen wurde. Das beweist doch, dass Popmusik komplett formelhaft und unoriginell ist, und dass es eigentlich sowieso nur darum geht, Geld zu machen. Ich wusste das zwar schon vorher, aber es war schon echt erstaunlich, diesen Beweis zu hören, diese zusammengeschnittenen Audiodateien, die so gut zusammenpassen. Popmusik, das ist doch alles nur Hokuspokus. Ich mag sie manchmal immer noch ein bisschen, weil einige Leute in einem großen Büro Entscheidungen treffen, die dazu führen, dass ich es mag. Sie wollen, dass ich es mag, und tun alles dafür, das zu erreichen. Manchmal falle ich darauf rein und mir gefällt es wirklich. Aber überwiegend versuche ich, Pop und Mainstream-Medien jeglicher Art aus dem Weg zu gehen, wenn sich das irgendwie einrichten lässt. Damit meine ich Musik, Fernsehen, Nachrichten, komplett alles, weil das alles einfach nur ganz große Scheiße ist.

Heute ist es ja auch relativ einfach, sich dem zu entziehen, aber vor ein paar Jahren sah das noch ganz anders aus. Und wenn du mal zurück in deine Kindheit schaust, hatte Pop vielleicht doch eine andere Bedeutung für dich.

Ja, das stimmt auf jeden Fall. Die Songs waren damals aber auch einfach besser geschrieben. Ich muss zugeben, dass es noch immer eine Art Untergrund gibt, in dem ein paar Leute wirklich Popmusik für sich selbst machen. Aber als Elfjährige hatte ich zu so etwas natürlich keinen Zugang. Die Popmusik, die ich damals gehört habe, Madonna, Janet Jackson, Michael Jackson, Prince usw., das war alles, zu dem ich Zugang hatte. Aber es war auch echt gut. Wenn du Madonnas Karriere zurückverfolgst, kannst du die Qualitätsunterschiede in der Popmusik allein an ihrem Backkatalog deutlich nachvollziehen. Im Laufe der Jahre sind ihre Songs immer beschissener und reduzierter geworden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Leute aufgehört haben, sich dafür zu interessieren, gute neue Songs zu schreiben. Sie haben einfach angefangen Songs zu schreiben, die sich anhören wie bereits erfolgreiche Songs, die die Leute schon mögen. Das ist echt schade. Die einzige Antwort darauf ist, sich davon abzuwenden und für sich selbst eine andere Musik zu finden.

Wie sieht es da mit eurem Songwriting aus?

Bei uns sieht das bei jedem Song anders aus. Wir haben alle schon vor WAR ON WOMEN in Bands gespielt, deswegen gibt es da keinen universellen Weg. Sogar unser Drummer Evan bringt auch das eine oder andere Riff ein, an dem Brooks dann an der Gitarre herumexperimentiert und es perfektioniert. Ich schreibe normalerweise alle Texte und etwa 90% der Melodien. Ich profitiere davon, wenn ich mit allem fast fertig bin und es mit Brooks noch mal durchgehe, damit er seine Ideen einbauen kann. Wenn ein Song fast fertig ist, haben wir alle die Chance, hier und da kleine Verbesserungen einzubauen. Bei uns hat niemand das alleinige Songwriting-Monopol.

Jetzt erscheint ja nach längerer Wartezeit euer erstes gemeinsames Album. Wie fühlt sich das an?

Aufregend, haha! Wirklich aufregend, aber auch beängstigend. Ich bin echt stolz darauf. Ich wünschte, wir hätten noch viel mehr Zeit dafür gehabt. Aber wahrscheinlich hätte ich das unabhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit sowieso gedacht. Jetzt bin ich einfach nur nervös, weil es endlich herauskommt. Es ist seit ein paar Monaten fertig und wir können nun ja nichts mehr dafür tun, außer auf den Release-Tag zu warten. Ich hoffe, dass die Leute es mögen und kommen, um uns live zu sehen. Das Schönste an Popmusik ist doch die Live-Performance. Wenn irgendjemand da draußen unsere Musik klaut, ist das vollkommen in Ordnung, solange er rausgeht, um uns spielen zu sehen, und dann vielleicht ein Shirt oder so kauft.

Was ist im Zusammenhang mit der Veröffentlichung so beängstigend?

Wir haben so lange an diesem Album gearbeitet, und wenn es ein kompletter Flop werden würde, wäre es zwar nicht das Ende der Welt, aber ich wäre schon enttäuscht. Ich bin nicht Punk genug, sagen zu können, dass es mir einfach scheißegal ist. So ticke ich einfach nicht. Dann gibt es da noch den Aspekt, ob beziehungsweise wann wir auf den Schirm der „Men’s Rights“-Aktivisten geraten. Einige Freunde aus der Hollaback!-Bewegung in verschiedenen Teilen der Welt sehen sich tatsächlich mit Vergewaltigungs- und Todesdrohungen konfrontiert, nur weil sie sich für Frauenrechte einsetzen. Es ist ja nicht so, dass wir bei Hollaback! irgendwelche manifestierte Macht hätten, Einfluss auf die Regierung oder viel Geld. Wir sind nicht führend in dieser Sache. Wir versuchen nur, so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf uns zu ziehen. Wir erzählen den Leuten, was eigentlich los ist, und dass sie sich kümmern sollten. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass diese Leute zu den Veranstaltungen kommen könnten, die sie besuchen. Ich habe Angst davor, in dieser Position zu sein. Aber der Punk in mir fordert das natürlich heraus.

Du lachst gerne und viel. Spielt Humor bei aller Ernsthaftigkeit in eurem Banddasein eine Rolle?

Klar, eine große sogar. Jeder in unserer Band hat einen ausgeprägten Sinn für Humor. Eines der großen Mythen über den Feminismus ist ja – und das geht schon seit seinen Anfängen so –, dass Frauen respektive Feministinnen keinen Sinn für Humor haben. Selbst wenn es wahr wäre, warum sollte das Leute davon abhalten, sich einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit anzuschließen und sich selbst Feministen zu nennen? Weil das so ein bescheuerter Mist ist, versuche ich das auf den Kopf zu stellen und Spaß zu haben, wenn wir spielen, unsere Shows zu einer lustigen Sache zu machen, an der jeder Spaß haben kann, egal, ob er auf die Texte achtet oder nicht. Wir sprechen eine Menge ernster Dinge an und ich weiß nicht, ob ich mich ohne einen Gegenpol jeden Abend auf Tour durch diese dunklen Geschichten kämpfen könnte. Darum ist es so wichtig für mich, Spaß zu haben und lustig zu sein, wenn wir spielen. Humor erfüllt da eine Art therapeutischen Zweck.

Wie äußert sich das auf euren Konzerten?

Unsere Musik ist ja ziemlich flott und energiegeladen. Ich lasse mich mehr von der Musik als von den Texten leiten und habe so meinen Spaß. Ich tanze herum wie ein Idiot, komplett selbstvergessen, gebe mein Bestes, um möglichst viel Spaß zu haben, und hoffe, dass das auf das Publikum abfärbt. Aber ich spreche auch einfach mit Leuten aus dem Publikum, scherze mit ihnen rum, lasse sie spüren, dass wir gemeinsam dabei sind. Ich lache nicht nur gerne, sondern bringe Leute auch gerne zum Lachen. Das gibt allen ein gutes Gefühl. Ich plane überhaupt nichts, es wird komplett improvisiert. Das macht die Sache auch authentischer. Manche Bands sagen ja immer wieder exakt das Gleiche zwischen den Songs. Es ist einfach nicht so steif und hält die Dinge interessant für mich und andere. Das kann man hoffentlich demnächst auch in Europa erleben.