GOOD RIDDANCE

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Punk und Hardcore als Kompass des Lebens

Mit „Peace In Our Time“ legen die Veteranen des melodischen California-Hardcore aus dem Hause Fat Wreck nun nach neun Jahren seit „My Republic“ endlich wieder ein richtiges Album vor, das die besten Momente der Kalifornier eindrucksvoll zusammenfasst und dennoch jung und erfrischend klingt. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt mal wieder der Punkrock/Hardcore-Produzenten-Guru Bill Stevenson. Wie es ist, ein Bandmitglied von ONLY CRIME als Produzenten zu haben, wie einfach es ist, Songs zu schreiben, und warum Punk und Hardcore per se politisch sind, versuchte mir Sänger Russ Rankin zu beantworten.

Nach neun Jahren gibt es endlich wieder ein neues Album von GOOD RIDDANCE, wie fühlt es sich an, das Baby nun in Händen zu halten? Ist es die ganze Promo-Maschine wert?


Wir sind begeistert, endlich wieder neue Musik mit unseren Fans teilen zu können. Das kam eigentlich alles sehr schnell zusammen. Wir haben Ideen verwendet, die unser Gitarrist Luke und ich über die Jahre hatten, in denen wir nicht als Band aktiv waren. Wir hoffen sehr, dass unsere Fans das neue Album mögen werden.

Würdest du „Peace In Our Time“ auch als das kompletteste Album von GOOD RIDDANCE ansehen?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich sagen würde, dass das neue Album in irgendeiner Form kompletter ist als unsere anderen Alben, aber wir haben den Eindruck, dass es gut darstellt, wo wir mittlerweile musikalisch stehen. Es besteht aus all jenen Elementen, von denen wir denken, dass wir sie als Band gut beherrschen.

Wie war es, wieder mit der Ursprungsbesetzung zusammenzuarbeiten?

Es war ein nahtloser Übergang. Wegen unserer Jobs und unserer familiären Verpflichtungen haben wir nicht wirklich viel Zeit zusammen im Studio verbracht. Als die Drums einmal eingespielt waren, haben sich unsere Wege wieder getrennt und wir sind dann jeder für seine individuellen Parts wieder im Studio aufgetaucht.

Welchen Einfluss hatte Produzent Bill Stevenson, mit dem du ja auch bei ONLY CRIME zusammen spielst, auf das Album?

Eigentlich war es wie immer mit Bill und einem GOOD RIDDANCE-Album: Wir verlassen uns dahingehend auf ihn, dass er das Beste aus uns herausholt und uns hilft, auf die musikalische Vision fokussiert zu sein, die wir von dem Album hatten. Er ist dafür besonders geeignet, weil er schon so viele Sachen von uns produziert hat und weil er vor allem seit Jahren ein enger Freund von uns allen ist. Er weiß manchmal besser als wir, wohin wir mit unserer Musik wollen.

Ist er auch dafür verantwortlich, dass Bassist Chuck im Background jetzt auch richtig schreit, wie etwa bei „Dry season“ oder „Year zero“?

Chuck hat es immer schon geliebt, solche Sachen zu machen. Chuck hat solche Leadvocals ja auch bereits bei seiner anderen Band FAST ASLEEP eingebracht.

Russ, du scheinst nach der längeren Pause nur so vor Energie zu strotzen. Letztes Jahr ein neues Album mit ONLY CRIME, jetzt das neue GOOD RIDDANCE-Album. Woher kommt dieser massive kreative Schub?

Ich würde behaupten, dass ich in einer gewissen Weise unfähig bin, für einen längeren Zeitpunkt ohne meine Gitarre und ohne das Schreiben von Songs auszukommen. Ich hatte schon einige der Songs vom neuen Album geschrieben, habe sie den anderen Jungs gezeigt und sie mochten sie. Auch Luke hatte bereits einige Riffs und Ideen, mit denen er herumexperimentiert hatte. So haben wir dann relativ schnell Songs drumherum geschrieben.

Mir scheint, dass die ganzen Fat Wreck-Veteranen im Moment alle neue, großartige Platten machen, zum Beispiel LAGWAGON, SWINGIN’ UTTERS, MAD CADDIES, STRUNG OUT und nun auch ihr. Liegt da was besonders Kreatives in der Fat Wreck-Luft?

Ich bin mir nicht sicher, was es ist. Ich finde es wunderbar, dass so viele etablierte Bands immer noch aktiv sind und so viel großartige Musik schaffen. Ich denke, wenn eine Band immer noch zusammen spielt und sich dann im Proberaum trifft, herrscht immer eine kreative Spannung und Atmosphäre, in der vieles möglich ist.

Ihr wart immer eine sehr politische Band. Wodurch konkret siehst du den Frieden in unserer Zeit bedroht – Kapitalismus, Religion, durch den Menschen an sich oder alles zusammen?

All das zusammen. Leider haben Gier, Korruption und kurzsichtige Politik verheerende Schäden in der Welt angerichtet. Ich habe echt Angst vor der Zukunft! Wir fahren einfach damit fort, den Klimawandel zu ignorieren, und finden neue Wege, den Einzelnen zu verdammen und herabzuwürdigen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die sich politisch geben, aber nichts tun, spendet ihr schon immer einen Teil eurer Einnahmen für wohltätige Zwecke und engagiert euch in verschiedenen politischen und sozialen Initiativen. Wie stehst du zu solchen Alibi-Politbands?

Jede Band sollte ihrem Herzen folgen. Ich bin nicht in der Position, über andere zu urteilen. Wir machen das aus dem einfachen Grund, dass wir immer schon das Gefühl und die Überzeugung hatten, dass diese Szene, diese Musik mehr als nur Entertainment sein muss. Mich hat von Anfang an mehr der politische Aspekt des Punk angezogen und ich denke, das ist es, was mich schon immer angetrieben hat.

In welchen Initiativen seid ihr aktuell aktiv?

Wir machen auf dem neuen Album wieder Werbung für PeTA und empfehlen den Leuten den Besuch von deren Website. Außerdem spenden wir einen Teil von jedem verkauften Album an Democracy Now!, das ist eine unabhängige globale Nachrichtenseite, die wichtige Arbeit leistet.

Ist Musik für dich auch stets politisches Engagement?

Seit mich ganz früh die eher politischen Bands begeistert haben, sehe ich es so. Ich glaube, dass meine Weltsicht und meine Persönlichkeit eindeutig von der Musik des Punk und des Hardcore geprägt wurden.

Russ, du bist seit Jahrzehnten schon Veganer. In Deutschland ist Veganismus seit einiger Zeit sehr „hip“. Wie schätzt hoch du die Gefahr eines Veganismus-Sellouts ein und somit den Verrat einer Idee?

Alles, was die Leute dabei herausfinden und versuchen, ist großartig. Es ist mir egal, ob es ein Trend ist oder nicht. Wenn Tiere zu retten und unseren klimatischen Fußabdruck verkleinern trendy ist, dann ist das in Ordnung für mich.

Wie nimmst du allgemein die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche des täglichen Lebens, jeglicher Ideen und vieler Subkulturen wahr?

In kapitalistischen Gesellschaften besteht das Ziel des Einzelnen in der Anhäufung von Reichtum. Was wir tun können, ist das zu ignorieren und mehr Teilhabe einzufordern und ein bewussteres Leben zu führen. Ich glaube, wir müssen weiter für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit kämpfen, auch wenn uns erzählt wird, dass das nichts bringt. Wenn wir so denken, werden wir nie einen Wandel erreichen. Wir müssen an unserer Fähigkeit arbeiten, diese Rhetorik zu durchschauen, und darauf vertrauen, dass wir tatsächlich eine Veränderung bewirken können.

Hast du Lösungsvorschläge oder konkrete Anregungen?

Ich tue, was ich kann. Ich bin ein registriertes Mitglied der US-amerikanischen Partei der Grünen, aber im Gegensatz zu Deutschland haben wir keine freien Wahlen und keine freie Presse. Die meisten Amerikaner wurden dermaßen indoktriniert, dass sie tatsächlich glauben, es gebe nur zwei Parteien, für die sie abstimmen könnten. Den Grünen wird nicht erlaubt, an den Wahlen teilzunehmen, noch nicht mal an den im Fernsehen übertragenen Debatten im Vorfeld – das ist eine einzige Travestie, in einer Gesellschaft, die sich als frei bezeichnet!