HALBGÖTTER AN REGLERN

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Die wundersame Welt der Produzenten

Im November 1994 veränderte sich die Musikwelt gehörig: Johnny Cash veröffentlichte seine erste „American Recordings“-Platte. Am Ende sollten insgesamt sechs Teile stehen, vier davon noch zu Cashs Lebzeiten veröffentlicht. Aber es war dieses erste Album, mit dem eine neue Zeitrechnung begann. Nicht nur, weil sich Cash – jahrelang nur noch als religiös-versponnenes, seichte Countrysongs singendes Drogenwrack belächelt und als „Man in Black“ so gut wie vergessen – zum zweiten Mal in seinem Leben rauf auf die Stufe mit der Aufschrift „Ikone“ gespielt hatte. Sondern auch, weil der Berufsstand des Produzenten durch die Beteiligung von Rick Rubin an „American Recordings“ fast von einem Tag auf den anderen einen den Musikern gleichgestellten Status als „Superstar“ bekam.

Natürlich haben Produzenten immer schon eine wichtige Rolle gespielt, seitdem es Popmusik in all ihren Facetten gab. Mancher Produzentenname war in den Jahrzehnten zuvor nicht minder stark mit einer Band oder einem Album verknüpft wie die Musiker selbst: George Martin und die BEATLES. Jimmy Miller und die ROLLING STONES. Steve Albini („In Utero“) und Butch Vig („Nevermind“) und NIRVANA. Chris Thomas und die SEX PISTOLS. Conny Plank und NEU! und KRAFTWERK. Tony Visconti und T. REX und David Bowie ... Produzenten hievten Bands schon immer ein Stück weiter hoch auf der Karriereleiter. Mal umstritten, mal umjubelt. Immer aber mit einem Hauch von Magie und Zauberei umgeben. Ein Mann wie Bob Rock etwa machte die ehemaligen Metalheads METALLICA durch das von ihm entscheidend im Sound beeinflusste „Black Album“ zur größten Rockband des Planeten und ist somit immer noch allgegenwärtig, auch wenn er schon lange nicht mehr mit James Hetfield und Co. zusammengearbeitet hat. Und auch Rick Rubin, der Cashs Comeback-Album produziert hatte, war kein Unbekannter: Unter seiner Regie waren bereits früher Musik-Meilensteine wie „Reign In Blood“ von SLAYER, „Licenced To Ill“ von den BEASTIE BOYS, „Blood Sugar Sex Magik“ von den RED HOT CHILI PEPPERS, „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ von PUBLIC ENEMY oder „Ballbreaker“ von AC/DC entstanden. Allesamt Blaupausen für die entsprechenden Genres. Allesamt Alben, die heutzutage in den Bestenlisten von Fans und Experten auftauchen.

Klang-Gott Rick Rubin I.

Mit Rubin wurde erstmals ein Produzent zum Klang-Gott erhoben. Zu einem beinahe übernatürlichen Wesen, dessen genialer Fingerzeig allein dem Musiker den rechten Weg in den Pop- und Rock-Olymp wies. So pathetisch es klingen mag – die öffentliche Wahrnehmung war diese: Rubin hatte aus der Asche eines verbrannten und auf dem Scheiterhaufen der Musikhistorie noch nicht einmal mehr vor sich hin glühenden Künstlers einen Phoenix gemacht und ein loderndes Feuer der Leidenschaft und Kreativität entzündet. Rubin gab plötzlich mehr Interviews als die von ihm produzierten Stars – inklusive Cash. Menschen, denen der Begriff des Musikproduzenten und entsprechende Namen schnurzpiepegal gewesen waren, horchten plötzlich auf und schauten beim Kaufen und Hören einer Platte nicht mehr nur auf die Songtitel, das Cover und in die Texte, sondern warfen auch einen Blick auf die Credits. Superstars und solche, die es werden wollen, und diejenigen, die es mal gewesen waren und wieder sein wollten, rannten Rubin fortan die Studiotür in Malibu ein. Zuletzt machte der gebürtige New Yorker mit dem Rauschebart Künstler wie Lady Gaga, Lana Del Rey und Adele zu Pop-Göttinnen der jungen Generation. Zudem verhalf er BLACK SABBATH mit dem Album „13“ zur gefeierten Rückkehr ins Rampenlicht.

Produzent und Mastering-Engineer:

Was ist das?


Aber die Nennung großer Namen und Bestseller-Platten alleine reicht ja nicht aus, um den Begriff und die Arbeit eines Musikproduzenten zu verstehen. Es geht um mehr. Vor allem um mehr Fragen und Antworten: Was genau macht so ein Produzent eigentlich den lieben langen Tag? Wie sehr redet er einer Band in deren Angelegenheiten rein? Wie weit nimmt er Einfluss auf Songs und Sounds? Mit was nimmt er Einfluss? Warum gibt es neben Produzenten auch noch so genannte Mastering-Engineers? Wieso sind die mindestens genauso wichtig? Und was ist eigentlich deren Aufgabe?

Aljoscha Sieg ist ein Produzent. Er ist kein Rick Rubin und kommt nicht aus New York. Sein Studio liegt nicht in Malibu. Und er hat noch nie mit SLAYER, RED HOT CHILI PEPPERS oder RAGE AGAINST THE MACHINE gearbeitet. Sieg kommt aus Leverkusen, quasi der Popmusik-Diaspora des Rheinlands, hat im dortigen Stadtteil Alkenrath vor zwei Jahren seine Pitchback Studios eröffnet – und kennt sich in Sachen Hardcore, Metal und Punk aus. Bei ihm nahmen Bands wie ESKIMO CALLBOY, MARATHONMANN, WE BUTTER THE BREAD WITH BUTTER, HEAVEN SHALL BURN oder AUGUST BURNS RED Platten auf.

Michael Schwabe wiederum ist Mastering-Engineer. Sein Mastering-Studio Monoposto befindet sich in Düsseldorf und 15 Jahre lang arbeitete er mit den TOTEN HOSEN zusammen. Und kümmerte sich bereits um TOCOTRONIC, die BEATSTEAKS, TURBOSTAAT, MANDO DIAO, FEHLFARBEN, KETTCAR, TOMTE, MAD SIN, WIR SIND HELDEN oder die SKEPTIKER. Und wer einen Blick in die Welt von Aljoscha Sieg und Michael Schwabe wirft, der lernt bereits ganz schön viel über den Job im Hintergrund an den Reglern.

Wohnzimmeratmosphäre

und Räucherstäbchen


Ganz wichtig und an erster Stelle der Lernliste: Gemütlichkeit. Wohlfühlen. Wohnzimmer. „Nichts geht über eine gute Gesamtatmosphäre“, sagt Aljoscha Sieg, während er neben Türmen von elektronischen Geräten sitzt, auf einen Computermonitor blickt und sich bunte Icons und Zeichen anschaut. Soll heißen: Musikern mag zwar beim Anblick von Technik und Instrumenten einer abgehen, aber zur kreativen Ruhe und zum Entspannen kommen sie erst, wenn ihnen ein Latte macchiato, Espresso oder Cappuccino gereicht wird. Wenn sie sich so fühlen, als würde ihnen gerade die Welt zu Füßen gelegt oder als sei der Alltag ganz einfach ausgesperrt. Rein ins Studio. Tür zu.

Im Foyer der Pitchback Studios stehen eine dicke Couchgarnitur, eine helle, kleine Küchenzeile und eine teure Kaffeemaschine. Hier wird geklönt, hier werden Pläne geschmiedet und Taktiken abgemacht. Und drinnen, im Aufnahmeraum, kommt Aljoscha Siegs Geheimwaffe zum Einsatz: Räucherstäbchen aus den USA. Marke „Nag Champa“. „Die habe ich bei meinen Praktika und Tutorien in amerikanischen Studios kennen gelernt. Ich kenne keinen Musiker, der nicht entspannt, wenn ich die während der Aufnahme anzünde“, sagt er.

Und er muss es wissen: Aljoscha Sieg hat so einige große US-Studios von innen gesehen, ehe er sich selbstständig machte. Kein Geringerer als Bob Clearmountain – der Mann, der mit Bruce Springsteen, THE CURE, NINE INCH NAILS, David Bowie und Peter Gabriel gemeinsame Sache machte – ist sein Mentor. Der Grund, warum er sich an amerikanischen Produzenten orientiert, ist ein simpler: „In den USA sind die Studios größer und besser ausgerüstet, weil die Produzenten, Mixer und Masterer ungefähr das Zehnfache von dem verdienen, was ihre Kollegen in Europa einnehmen. Und das verdienen sie unter anderem, weil die Budgets der Labels dort drüben größer sind.“

Kurzum: Es fließt mehr Geld von Plattenfirmenseite in die Plattenproduktion. Hinzu komme aber noch etwas: „Die Ellbogenmentalität ist in Amerika stärker ausgeprägt“, weiß Aljoscha Sieg. „Ein Produzent, der sich beispielsweise an der Westküste niederlässt, hat das Ziel und den Willen, eben dort der Beste in seinem Metier zu werden. Darunter geht es nicht!“ In Europa sei das anders. Da werde koexistiert, ohne öffentlich auf dicke Hose und Wettkampf zu machen.

„Ich will, dass jede Band besser wird!“

Trotzdem will Aljoscha Sieg in Deutschland natürlich gerne zu den Besten gehören – auch wenn hierzulande die Konkurrenz extrem groß ist mit Produzenten-Schwergewichten wie dem aktuell angesagten Moses Schneider (BEATSTEAKS, TURBOSTAAT) oder Vincent Sorg, dem Erschaffer des BROILERS- und DIE TOTEN HOSEN-Sounds und die Pitchback Studios mit einer Legende wie dem Hansa Studio in Berlin (wo U2, David Bowie oder REM mehrfach arbeiteten) nicht mithalten kann. Aber wer noch keinen Namen hat, der muss sich eben einen machen. Und Aljoscha Sieg ist überzeugt zu wissen, wie das geht: „Man darf auf gar keinen Fall einen eigenen Sound haben“, sagt er. Das würde zwar seltsam klingen, sei aber wichtig, denn: „Sonst läuft man Gefahr, nach einer gewissen Zeit out zu sein.“ Stattdessen müsse der Produzent aufgeschlossen und vielseitig sein. „Ich mache nebenher zum Beispiel auch noch Popsongs.“ Musik für die Charts, weit weg vom Punk und Hardcore und Metal. Aber ein weites Spektrum führt eben zu viel Erfahrung und zu vielen Optionen. Und am Ende steht dann im günstigsten Fall das, was ein Produzent maximal zu leisten imstande ist: eine bessere Band. „Ich will, dass jede Band besser aus meinem Studio rausgeht, als sie hineinkam.“

Wichtiger als der eigene Sound sind für Aljoscha Sieg letztlich Referenzen, Vorbilder – und persönliche Gespräche. „Ich lasse mir von den Bands häufig die Texte und deren Hintergrundgeschichten erklären, damit ich fühlen kann, um was es in einzelnen Stücken geht“, sagt er. „Und sie kommen mit Platten anderer Künstler zu mir, um mir zu zeigen, wie sie ungefähr klingen wollen.“ Entsprechend viel Musik hört er im Auto und daheim. „Eigentlich ständig.“

Aljoscha Sieg ist ein Noten-Verrückter. Das führte früher sogar dazu, dass er Musik nicht mehr „einfach so“ hören konnte, weil er immer auf Strukturen und Arrangements achtete. „Das musste ich mir regelrecht abgewöhnen.“

Als eigene Referenzen – als Platten oder Produzenten, die er soundtechnisch und musikalisch liebt und von denen ausgehend er immer wieder einmal Aufnahmen entwickelt – nennt er neben seinem Mentor Bob Clearmountain noch DEFTONES-Produzent Terry Date, Jason Livermore (RISE AGAINST) und Ryan Williams (PARAMORE, RAGE AGAINST THE MACHINE). Und natürlich Rick Rubin. „Denn es gibt niemanden, der sich so sehr in die Hörer hineinversetzen kann wie er. Wenn Rick Rubin einen Song produziert, dann nimmt dich schon das Intro mit und lässt dich nicht mehr los.“

Das Problem mit der Lautstärke

Das sieht übrigens auch Michael Schwabe so – und lüftet dabei gleichzeitig eines der großen Geheimnisse des Musikgeschäftes: Das Geheimnis, warum der Sound so wichtig und der Produzent am wichtigsten ist: „Rick Rubin hat es wie kaum ein anderer drauf, den Hörer zu kriegen. Ein von ihm produzierter Song springt dich geradezu an. Denn er basiert auf Lautstärke.“ Das hört man vor allem am Album „Californication“ der RED HOT CHILI PEPPERS: „Deren Sound ist ja nicht gewaltig, sondern eher drahtig und knackig. Hohe Mitten. Wenig Bass. Aber als damals, nach Veröffentlichung der Platte, die Songs ins Radio oder ins Musikfernsehen kamen, da liefen sie ständig – weil sie einem aufgrund dieser Loudness sofort ins Gehör sprangen.“

Einer wie Rubin verwendet viele so genannte Warnfrequenzen. „Das sind die gleichen Frequenzen wie die eines schreienden Babys oder von Tieren, die sich gegenseitig warnen. Frequenzen, die im Punk übrigens häufig anzutreffen sind.“ Das sei natürlich ein gangbares Mittel, aber kein schönes. Denn: „Mittlerweile hat diese Lautstärke dazu geführt, dass sich Produzenten und Bands quasi als Marktschreier begegnen.“

Vom „Loudness War“ ist lange schon die Rede. Wer ist lauter? Wer hat den meisten Wumms? Auf der Strecke bleibt die Dynamik als ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Instrumenten. Mit der Lautstärke hat es Michael Schwabe gar nicht: „Zu viel davon führt dazu, dass der Punch verloren geht. Die Snaredrum, die vorher geknallt hat, macht nur noch ,Plopp‘. Die Gitarren zerfallen. Und der Bass hackt die Stimme des Sängers weg, die Musik zuckt bei jedem Ton zusammen.“

Der letzte Mann am Pult

Und wenn eine Band zu ihm kommt und sagt: „Leg noch was drauf. Das muss lauter werden“, dann ist Michael Schwabe derjenige, der eingreift und widerspricht. Denn Michael Schwabe ist derjenige, der als Letzter am Regler sitzt. Wenn er eine Platte aus seinem Studio rausgibt, dann ist der nächste Ort, an dem sie auftaucht, die Fabrik, in der sie gepresst wird. Er, der Mastering-Engineer, kümmert sich um den Abschluss-Sound. Den endgültigen Sound. „Nach den Aufnahmen bringen mir Band und Produzent die fertigen Songs und lassen sie mich hören, damit ich hier und da noch mal etwas ändern kann – als jemand, der den Blick von außen hat und vielleicht weniger betriebsblind ist.“

Im Gegensatz zum Produzenten, der mitunter am Songwriting beteiligt ist und ganz eng am Künstler arbeitet. Vincent Sorg etwa nahm bei den bislang jeweils letzten Platten von BROILERS und DONOTS die Stücke der Frontmänner Sammy Amara und Ingo Donot extrem genau unter die Lupe und regte hier und da Änderungen im Text an. Der Masterer ist derjenige, der nur auf den Klang hört und Fragen abarbeitet: Wie sind die Frequenzen respektive Tonhöhen? Wummert der Bass zu sehr? Sind die „S“-Laute beim Gesang zu scharf? Wie laut ist die Aufnahme an sich? Gibt es Verzerrungen? Ist der Mix zu dumpf? Wie laut sind die Instrumente im Vergleich miteinander?

Bloß keine Vornesitzer

Wenn es soweit ist und eine Band zu ihm kommt, dann setzen sich alle in das große, runde Studio, das aufgrund der Dämmung ohne Musik und Gespräch stiller als still ist, und hören sich schweigend durch die Songs eines angehenden Albums. Manchmal sitzen die Künstler im Sessel hinter Michael Schwabe und dessen sichelförmigem Pult. Manchmal sitzen sie ihm beinahe auf dem Schoß und sind dann welche von jenen „Vornesitzern“, die der Chef gar nicht mag. „Weil sie einem ständig reinreden und Knöpfe drücken wollen“, wie er sagt. Dabei lächelt er ein Lächeln der Art, das man sich auch in solchen Situationen vorstellen kann. Es besagt: „Ist ja gut, Leute. Aber jetzt mal im Ernst. Ich bestimme – und ihr haltet erst mal die Klappe!“

Seit 21 Jahren geht das schon so bei Monoposto in der Elisabethstraße nahe der Düsseldorfer Königsallee. Seit 21 Jahren hilft Michael Schwabe den „Babys“ der ihn aufsuchenden Künstlern zur Geburt und muss als letztes Bindeglied zwischen Band und Fans genau aufpassen: „Wenn ich einen Fehler mache und etwas übersehe, dann ist gleich die ganze Auflage des Albums kaputt und für die Katz.“ Um das zu verhindern, sei nicht nur Flexibilität sehr wichtig: „Ich muss mich in so gut wie allen Genres auskennen“, sagt Michael Schwabe. Hinzu kommt das Wissen darüber, wie die Band auf ihren bisherigen Alben klang. Welche Referenzen ihrer Musik Pate standen. Und welche Wünsche die mit ihm arbeitenden Künstler haben. Wenn er all das weiß und in- und auswendig kennt, dann setzen sich alle in der großen Runde zusammen und klopfen ab, was gut und was schlecht, was realistisch und was unmöglich ist.

Die technische Ausrüstung

Die Arbeitsgeräte, die Michael Schwabe verwendet, haben dabei eine große Gemeinsamkeit mit denen von Aljoscha Sieg: Sie sind analog, nicht digital. Da sind sich sowohl Produzent als auch Mastering-Engineer einig. „Analoge Geräte klingen einfach kraftvoller“, sagt Michael Schwabe. „Denn sie klingen wärmer, weil sich ihre Einzelteile eben physisch tatsächlich erhitzen und ausdehnen und verformen. Und dadurch wird der Klang fetter und dynamischer.“ Natürlich werde heute viel mit Computer- und somit digitaler Technik gearbeitet. Sonst könnte einer wie Aljoscha Sieg keine Bands aus Japan oder den USA betreuen, mit denen er Soundfiles hin und her schickt. Sonst könnte sich auch einer wie Michael Schwabe nicht über große Distanzen mit Musikern austauschen.

Die wichtigsten Waffen der Produzenten – Computerarbeitsplätze zum Aufnehmen und Arrangieren von Musik mit Pro-Tools, Q-Base oder Sadies – verwenden beide. Schließlich umfassen diese Programme zahlreiche so genannte Plug-Ins (Effekte) und können die aufgenommene Musik am Ende in Dateien wie das DDP (Disc Description Protocol) umwandeln, die eine Vervielfältigung etwa als CD oder auf DVD erst ermöglichen. Aber der Sound aus den Instrumenten selber geht bitte durch die gute, alte Röhre etwa im Röhrenverstärker. Denn: „Alles, was wärmer klingt, erzeugt Wohlbefinden beim Zuhörer“, sagt Michael Schwabe. Und darum gehe es ja.

Auch der Punk braucht Produzenten

Gleichzeitig jedoch werfen Begriffe wie „Wohlbefinden“ und „Wärme“ natürlich eine wichtige Frage auf: Brauchen Bands, die Punkrock oder Hardcore und somit extrem aggressive Musik spielen, überhaupt einen Produzenten und Mastering-Engineer? Könnte man da nicht das RAMONES-Motto zur Maxime erheben? Das „Mache alles selber! Der Herr preise das D.I.Y.! Denn nur dann klingt es authentisch und roh und wüst“? Aljoscha Siegs Einstellung dazu ist eindeutig: Er ist schließlich im Punk und Hardcore zu Hause. Als Produzent. Auch Michael Schwabe, der viele Pop-Acts betreut, sagt klipp und klar: „Natürlich brauchen Punkbands einen Produzenten und einen Masterer.“ Erstens nämlich hätten die hoch gelobten RAMONES-Alben der Anfangstage entsprechend billig produziert geklungen – Michael Schwabe muss lächeln, als er das sagt und mit diesem Satz quasi einer ganzen Szene und Subkultur vor den Kopf stößt. Und zweitens: „Ohne einen Produzenten wäre ein Meisterwerk wie etwa ,London Calling‘ von THE CLASH ganz sicher nicht möglich gewesen.“ Das enthalte so viele Versatzstücke und musikalisch abwechslungsreiche Elemente, sagt Michael Schwabe, und die gingen auch auf das Konto von Produzent Guy Stevens.

Und nicht zu vergessen: „Die Produzenten sind diejenigen, die an einen Künstler glauben.“ Auch dann, wenn das kein anderer tue. Ein gutes Beispiel seien da die STROKES: „Die sind doch im Grunde nichts anderes als eine New Yorker Teenager-Band gewesen, die Garagen-Rock machte, als Gordon Raphael ankam, für sie in die finanzielle Bresche sprang – und ihnen zu Weltruhm verhalf.“ Wie soll es also ohne diesen Berufsstand gehen? Eben: gar nicht. Die Welt, sie ist nicht umsonst voll mit großen und kleinen Rick Rubins. Und das ist schon ganz gut so.

Frank Weiffen

Michael Schwabe ist gebürtiger Bonner, wuchs aber in Erkrath und Haan nahe Düsseldorf auf. Seine Ausbildung zum Mastering-Engineer absolvierte er in den Düsseldorfer Skyline-Studios. Seit 1994 ist er in seinem Beruf tätig, 2002 eröffnete er das Monoposto Mastering Studio. (www.monoposto.de)

Aljoscha Sieg kam in Frankfurt zur Welt und lernte an der School Of Audio-Engineering Middlesex (England). Er absolvierte mehrere Praktika in deutschen und amerikanischen Studios und machte sich 2012 in Leverkusen mit Pitchback Studios selbstständig. (www.pitchbackstudios.com)

 


Große Namen, große Alben

Die Welt ist voll von Produzenten und solchen, die meinen, Produzenten zu sein. „Heutzutage kann sich jeder für wenig Geld eine digitale Grundausrüstung kaufen und billig übers Internet Musik produzieren“, sagt Aljoscha Sieg. Daher sei die Konkurrenz groß. Nur wenige schaffen es ganz nach oben. Haben sie es geschafft, dann ist ihnen indes ein Platz im Rampenlicht fast so sicher wie den betreuten Bands.

Hierzulande genießt Vincent Sorg spätestens seit dem Riesen-Erfolg des DIE TOTEN HOSEN-Albums „Ballast der Republik“ (2012) Kultstatus und verhalf jüngst Bands wie den BROILERS und DONOTS zu Chart-Erfolgen. Sein Studio in der Münsterländer Einöde loben Künstler aller Art über den grünen Klee. Sorg jedoch möchte über seine Arbeit keine Auskunft geben.

Moses Schneider wiederum wurde bekannt durch den Erfolg der BEATSTEAKS, die er von einer typischen Underground-Punkband zu deutschen Superstars mit Headliner-Positionen bei fast allen großen Festivals machte.

International ist Rick Rubin der derzeit wohl berühmteste Produzent. Um ihn ranken sich viele Anekdoten und Gerüchte – eines davon besagt, dass er gerne auf dem Sofa liegend arbeite und die Künstler erst mal machen lasse, ehe er sich einmische. Immerhin scheint die Methode zu wirken: Rubin bewirkte mit Johnny Cashs „American Recordings“ die wohl populärste „Wiederauferstehung“ eines Künstlers überhaupt. Der Erfolg von Bands wie SLAYER, RED HOT CHILI PEPPERS und RAGE AGAINST THE MACHINE wird ihm ebenso zugeschrieben wie der von Neo-Popsternchen wie Adele und Lana Del Rey.

Steve Albini, der das NIRVANA-Album „In Utero“ produzierte und zuletzt die FOO FIGHTERS vor den Reglern stehen hatte, ist eine weitere Produzentengröße, wenngleich vor ihm dem GARBAGE-Schlagzeuger Butch Vig mit „Nevermind“ das eigentliche Cobain-Album für die Ewigkeit gelang. Derf exzentrische Phil Spector schließlich war bekannt für seine „Wall of Sound“, die er im Jahre 1980 auch den RAMONES verpassen wollte. „End Of The Century“ wurde jedoch nicht das erhoffte Superhit-Album, sondern eher ein weichgespültes Pop-Album mit Punk-Einschlag, dessen Entstehungsgeschichte mehr Aufsehen erregte als die Songs: Angeblich nötigte Spector im Studio den RAMONES-Gitarristen Johnny über Stunden zum Wiederholen des immer gleichen Riffs. Johnny weigerte sich irgendwann. Spector legte zur Drohung einen Revolver auf den Tisch, Johnny machte weiter. Spector sitzt heute wegen Mordes im Gefängnis.

 


Blag Dahlia (THE DWARVES)

Der Sänger der legendären DWARVES taucht immer wieder als Produzent befreundeter Bands auf. Wir wollten von ihm wissen, wie er arbeitet.

Wann hast du das erste Mal realisiert, dass es so etwas wie Produzenten gibt?


Als ich meine ersten Platten hörte, dachte ich, die Künstler machen alles selbst, spielen alle Instrumente, schreiben die Songs und nehmen sie auf. Nach einer Weile begann ich dann festzustellen, dass auf den Platten, die ich mochte, immer wieder dieselben Labels, Songwriter oder Produzenten auftauchten. Und auf einmal schien es da auch eine andere Seite des Aufnahmeprozesses jenseits der Musiker zu geben. Dann sah ich, dass Leute wie Frank Zappa oder Jimmy Page ihre eigene Musik selbst produzierten und das schien die perfekte Kombination zu sein: Künstler und Produzent in einem.

Was waren in dieser Hinsicht deine ersten Erfahrungen mit der Band? Was hat dich dazu gebracht, Musik zu produzieren?

Zuerst lief bei uns alles demokratisch ab. Das ist eine gute Sache, um die Ideen von allen einzubeziehen. Aber solche Situationen führen immer dazu, dass die Arbeit an dem hängenbleibt, der den Job auch wirklich machen will. Ich hatte keine Ahnung, wie man etwas aufnimmt, wie man ein Mischpult bedient oder von überhaupt von irgendetwas. Aber außer mir hatte niemand Lust darauf, sich hinzusetzen und sich um die Aufnahmen zu kümmern. Nach einer Zeit wurde ich süchtig danach. Ich spreche von dem Nervenkitzel, den du empfindest, wenn etwas, woran du gearbeitet hast, für jeden auf der Welt verfügbar wird, der es sich anhören möchte.

Wie arbeitest du? Was tust du und was versuchst du zu vermeiden?

Die erste Regel ist: Richte keinen Schaden an. Bewahre das, was an einer Band oder einem Künstler besonders oder interessant ist. Wenn Lücken auftauchen, füllst du sie, aber lass das, was gut an ihnen ist, einfach wie es ist und verlier es nicht im langwierigen Produktionsprozess. Erst mal arbeite ich an den Songs. Wenn die Songs da sind, dann hast du es als Produzent leicht. Was den Leuten in Erinnerung bleibt, ist ein guter Song. Versuch alles aus den Songs herauszuholen. Eine Punk-Platte ist ganz anders als eine Pop-Platte, aber ohne gute Songs sind sie beide scheiße. Und arbeite auch an den Songtexten. Viele Produzenten kümmern sich nur um die Musik, aber in einigen Genres sind die Lyrics der Schlüssel. Dann probst du mit der Band und du versuchst, diese Änderungen an den Songs zum Laufen zu bringen. Wenn die Band sich damit wohl fühlt, dann sollten die Dinge viel besser laufen als am Anfang. Sobald du damit anfängst aufzunehmen, sorg dafür, dass es Spaß macht. Es ist schließlich immer noch Rock’n’Roll – also kein Grund, sich im Studio elend zu fühlen. Wenn du Spaß hast, hörst du es auch am Ergebnis. Dann ist es Zeit, alles abzumischen. Arbeite so besessen an winzigen Details, die niemanden interessieren, bis du es selbst nicht mehr aushältst – und dann bist du fertig!

Was braucht man, um im Studio ein guter Berater zu sein?

Vertrauen. Du musst es dir verdienen, aber wenn du es hast, kannst du einer Band wirklich bei den Aufnahmen helfen. Du kannst Künstler dabei unterstützen herauszufinden, wer sie sind und was ihre Stärken sind. Manche Musiker und Produzenten sind so verrückt, dass sie einfach mit niemand arbeiten können. Aber sogar solche Leute schaffen es manchmal, großartige Platten abzuliefern. Es gibt so viele Möglichkeiten, eine gute Platte zu machen, einige sind einfach, andere schwer, manche billig, manche teuer. Die Chemie muss stimmen und die Songs müssen gut sein.

Hast du irgendwelche allgemeinen Tips dazu?

Das Produzieren ist ein Prozess – such dir einfach Leute, die Lust darauf haben, sich diesem Prozess mit dir zu stellen. Ich habe Glück, dass ich von Anfang an so gute Musiker um mich hatte. Es hat Spaß gemacht, zusammen rumzuhängen oder Musik zu machen. Oder beides zur selben Zeit. Denk daran, die Platte, die du im Kopf hast, existiert noch nicht. Es liegt nur in deiner Hand. Rackere dich so lange daran ab, bis sie ein Klassiker ist. Und wo wir gerade von Klassikern sprechen – besorg dir unsere neue LP „The Dwarves Invented Rock & Roll“ und finde heraus, was passiert, wenn eine großartige Punkband einen verrückt gewordenen Produzenten trifft. Das ist ein Ereignis von internationalem Ausmaß – mit dreißig Jahren Vorbereitung!

Joachim Hiller

(www.thedwarves.com)

 


Mille Petrozza (KREATOR)

13 Studioalben hat die Essener Thrash-Metal-Band KREATOR in den letzten dreißig Jahren aufgenommen, mit den unterschiedlichsten Produzenten, verschiedensten Budgets, vor und nach Beginn des Digitalzeitalters. Da bot es sich an, Sänger, Gitarrist und Songwriter Mille Petrozza zu seinen Erfahrungen mit Produzenten zu befragen.

Wie hast du in eurer Bandfrühzeit gemerkt, dass man nicht einfach nur ins Studio geht und aufnimmt, sondern dass da noch jemand anderes involviert ist?


Wir waren zu Beginn noch eine recht kleine Band, und da hätten wir selbst gar nicht gewusst, wie man ein Aufnahmegerät bedient. Bei unserem ersten Album hat der Produzent nicht viel gemacht, und so wurde uns beim zweiten Album, das Harris Johns produzierte und der uns sehr viel half, schnell klar, wie wichtig ein Produzent sein kann. Ich muss jetzt auch gleich in ein Klischee verfallen, aber es ist nun mal so, dass eine Band oft selbst gar nicht weiß, wie die eigenen Songs klingen. Da fehlt die Selbstkritik, da wird alles abgefeiert, was man spielt, und völlig vergessen, wie das auf die Außenwelt wirken könnte. Seinen Freunden vorzuspielen, was man da im Proberaum fabriziert hat, ist etwas völlig anderes, als das einem neutralen Außenstehenden vorzuspielen. Deine Freunde werden dich immer abfeiern, aber ein Produzent, der schon mit vielen Bands gearbeitet hat, kann dir gerade in der Anfangszeit viele Tips geben.

Dass man jemand im Studio dabei hat, der die Geräte bedient, ist das eine. Dass diese Person aber noch einen kreativen Einfluss ausübt, das andere. Wie hast du das erlebt?

Unter den Produzenten gibt es ganz verschiedene Charaktere. Es gibt den passiven Typ, der einfach nur an seinen Reglern sitzt, fast gar nichts sagt und einfach nur aufnimmt. Das kann man so machen, ich finde das aber nicht wirklich hilfreich. Ich mag lieber Typen, die sich einbringen, denn in der Musik, beim Songwriting, entsteht viel erst durch Diskussion und Hinterfragen, indem man überlegt, wie man etwas noch besser machen kann. Beim dritten Album, „Terrible Certainty“, arbeiteten wir mir einem Engländer namens Roy Rowland und der war relativ passiv, der hat uns kaum geholfen. Das war für den einfach nur ein Job, und da kamen wir aus dem Studio und hatten das Gefühl, dass wir das hätten besser machen können. Das ist traurig, denn dann ist es zu spät, das Album ist fertig. Die Idealsituation ist, dass man das Studio verlässt und alle Beteiligten das Gefühl haben, dass jeder so intensiv gearbeitet hat, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wurde. Und um das zu erreichen, soll sich meiner Meinung nach ein Produzent auch ins Songwriting einmischen oder zumindest seine Meinung sagen. Klar, es gibt auch die Situation, dass ein Produzent sich zu sehr einbringt, aber auch hier ist eben der Mittelweg ideal.

Gerade in den Neunzigern entwickelten sich im Alternative-Bereich verschiedene große Produzentenpersönlichkeiten, und so kam es dazu, dass etwa Punkbands, die plötzlich auf Majorlabels waren, von denen mit solchen Starproduzenten ins Studio geschickt wurden – wohl in der Hoffnung, dass diese aus der Band die nächsten Topseller machen.

So was kann funktionieren, muss aber nicht. Ein Beispiel dafür sind für mich THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, die damals ein Album mit Rick Rubin machten. Da dachte ich auch, das wird bestimmt super – und das war dann gar nicht super. Andererseits hat Rubin Johnny Cash zu seinem zweiten Frühling verholfen, da nahm man Cash plötzlich nicht mehr nur als so einen alten Country-Typen aus den Sechzigern wahr, der erschien plötzlich in einem ganz anderen Licht. Da hatte Rubin als Produzent also diesen „magic touch“, aber das ist schwer zu kontrollieren, das ist auch alles eine Frage der Bandchemie zum jeweiligen Zeitpunkt, der Verfassung des Künstlers. Es gibt ein schönes Interview mit Rubin, wo er genau darüber spricht und sagt, dass ein Produzent nur so viel leisten kann, wie die Band bereit ist beizutragen. Und es muss eben zwischen den beiden Seiten passen. Wir haben in unserer Laufbahn mit den seltsamsten Leuten zusammengearbeitet, wo es eben nicht passte. Zu der Zeit, als wir bei Gun Records waren, arbeiteten wir mit einem zusammen, der auch RAMMSTEIN-Alben gemischt hat, und der hat bei uns während des Mixens ferngesehen! Das war dem völlig egal, ob wir da sind oder nicht, das war für den nur so ein Fließbandjob.

Das Produzieren ist eben ein Geschäft wie jedes andere.

Ja, das darf man nie vergessen. Produzenten sind natürlich auch Geschäftsleute, und wenn da jemand gerade ein Hitalbum hatte, dann wird es direkt teurer, bei dem aufzunehmen. Zudem haben viele von denen einen Manager, und auch der will Geld verdienen. Da werden dann Bands ins Studio geholt, die vielleicht gar nicht zu diesem Produzenten passen, aber der macht das trotzdem, weil er auch seine Rechnungen bezahlen muss. Da gab es schon so viele seltsame Konstellationen, so viele enttäuschte Hoffnungen ... Dabei ist eigentlich klar, dass die Erwartungen, die manche an einen Produzenten haben, gar nicht erfüllt werden können. Jeder gute Produzent wird dir als „Erfolgsgeheimnis“ verraten, dass du als Erstes in den Proberaum gehen und einen guten Song schreiben solltest. Ein guter Song ist ein guter Song, auch wenn er nur mit einem Kassettenrekorder aufgenommen wurde. Leider verlässt man sich viel zu oft auf Leute von außen, von denen man erwartet, dass die mit einem Zauberstab ins Studio kommen. Aber das wird nicht passieren. Ja, die Arbeit mit einem Produzenten kann funktionieren, aber wenn die Songs nicht stimmen, dann passiert da gar nichts. Meine Lieblingsalben wurden nicht mit großen Produzenten gemacht – und wenn, war es Zufall. Wer weiß auf Anhieb, wer die DEAD KENNEDYS-Platten produziert hat? Oder SLIME? Ja, da weiß ich, dass es Harris Johns war, okay ... Oder SLAYER, da ist bei den frühen Platten Brian Slagel vom Label als Produzent aufgeführt, Rick Rubin kam erst später. Und das METALLICA-Album mit Rubin finde ich zum Kotzen. Also es gibt keine Formel, nach der man das beurteilen kann, in dem ganzen Bereich wird sehr viel mit Namedropping gearbeitet. Und das Thema Produzenten hat immer weniger Relevanz, das muss ich klar sagen.

Woran machst du das fest?

Der „Zauberproduzent“ stirbt langsam aus. Die Bands müssen sich immer mehr auf ihre Songs, ihre Musik verlassen. Daraus entsteht ein anderes Selbstbewusstsein. Und die ganzen Alben, die dieser Tage so abgefeiert werden, wären nicht halb so gut, wenn die Band sich nicht intensiv Gedanken über ihre Songs gemacht hätte – ganz gleich,welcher Produzent da beteiligt war. Ein guter Produzent gab vielleicht den Tip, fünf Songs noch mal neu zu machen oder manche nicht aufs Album zu nehmen – das ist sein Job. Wenn aber die Songs nicht gut sind, der Wille nicht vorhanden, alles zu geben, dann kann auch ein Produzent nichts machen.

Haben Labels, Promoagenturen und Journalisten etwas damit zu tun, dass Produzenten vermeintlich so wichtig wurden? „Produziert von XY, der auch schon mit XY gearbeitet hat“ steht ja bei einem bekannten Namen weit oben im Presseinfo und dann in den Rezensionen, in Interviews.

Genauso läuft das! Und in den Anzeigen zum Album steht das dann auch noch. Das läuft nach dem Motto ab, dass man seinen Segen von so einem Guru bekommen hat, hahaha. „Wenn der mit der Band gearbeitet hat, muss die Band ja cool sein“, so soll das funktionieren. Das ist absoluter Quatsch, aber dazu hat das Musikbusiness beigetragen. Jetzt, in Zeiten, da all das nicht mehr so relevant ist, sieht man aber auch, dass solche großen Produzenten kleinere Brötchen backen müssen. Wir als Band haben über die Jahre bei verschiedenen Produzenten, die wir gut fanden, angefragt, und da wurden teilweise unglaubliche Preise aufgerufen – das konnte man nicht bezahlen. Diese Leute kommen jetzt auf den Boden der Tatsachen zurück, denn immer mehr Bands produzieren zu Hause – und das wird trotzdem gut! Mit der Digitaltechnologie kann sich jeder für 3.000 bis 5.000 Euro zu Hause ein gutes Studio einrichten, da braucht keiner mehr diese Produzenten und schon gar nicht diese riesigen Studios. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass Produzenten unwichtig geworden sind, denn wenn jemand einerseits technisches Know-how hat und andererseits ins Songwriting eingreift, einem Tips gibt, dann ist das schon Gold wert. Aber kein Produzent kann eine schlechte Platte gut machen.

Und ein Produzent kann auch Türen öffnen. Eure Zusammenarbeit mit Moses Schneider bei „Hordes Of Chaos“ 2009 bescherte euch wegen dessen Verwurzelung in ganz anderen Genres erstmals Aufmerksamkeit weit jenseits der klassischen Metal-Presse bis hin zum Feuilleton.

Klar, aus so einer Zusammenarbeit kann Neues entstehen, da fühlten sich beide Seiten motiviert. Ich finde das Album mit Moses immer noch gut, auch wenn das natürlich eine Momentaufnahme ist – das ist wie mit der Fotografie. Ich habe lange mit einem Fotografen gearbeitet, doch als der dann von Film auf digital umstieg, gefielen mir die Farben nicht mehr, ich suchte mir einen anderen. Und so ist das mit Produzenten auch, wie im richtigen Leben begleitet einen so jemand eine Zeit lang, ist aber nicht notwendigerweise einer, der bis ans Lebensende dabei bleibt. Im Falle von Moses haben wir uns gegenseitig stark inspiriert, das Ergebnis war sehr eigenständig, „Hordes Of Chaos“ sticht aus unserer Diskografie heraus. Das war eine super Zusammenarbeit, und nach solche Leuten suche ich immer. Also Leute, die noch nicht mit Metal-Bands zusammengearbeitet haben, um neue Effekte zu erzielen. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit einem müden Produzenten zu arbeiten, oder einem gehetzten. Das ist dann wie ein Musiker, der zu lange auf Tour ist, der hat irgendwann keinen Bock mehr.

Wie gehst du bei der Suche nach Produzenten vor? Achtest du darauf, welche Platten dir aktuell gefallen, wer die gemacht hat?

Das ergibt sich oft. Aktuell habe ich ein Demo aufgenommen mit Markus Ganter, der hat mit Casper gearbeitet. Den lernte ich kennen, als ich für die Platte von Dagobert im Studio ein Solo aufgenommen habe. Vielleicht mache ich mit dem mehr. Der ist 28 oder 29, ist frisch, hat einfach Bock, gute Musik aufzunehmen. Solche Leute braucht man, die müssen nachwachsen. Und ja, ich höre mir Platten schon auch dahingehend an, dass ich darauf achte, wie die gemacht sind. Gerade bei Pop-Produktionen ist es aber oft so, dass der Produzent nur im Hintergrund aktiv ist, wo ich nie auf die Idee kommen würde, dass ich den haben muss. Es muss einfach eine gewisse Soundästhetik vorhanden sein, irgendwas muss mich ansprechen. So war das bei unserem letzten Produzenten, bei Jens Bogren, der „Phantom Antichrist“ gemacht hat. Ich fand die Sachen gut, die er gemacht hat, und zudem wurde er mir von einem Freund empfohlen, und so kamen wir zusammen. Aber das ist jedes Mal anders.

Viele Musiker fühlen sich selbst irgendwann dazu berufen, als Produzent tätig zu werden. Wie ist das bei dir?

Ich bin bis zu einem gewissen Punkt des Entstehungsprozesses eines Albums mein eigener Produzent, denn ich mache zusammen mit Marc von CALIBAN ständig Demos. Mark ist da mein Produzent, der nimmt mich bis zu einem Punkt mit. Bis dahin ist das auch alles sehr gut, aber für die letzten 10, 20%, die jedoch entscheidend sind, damit es richtig kickt, die man nur gefühlsmäßig erfassen kann, ist jemand von außen wichtig. Da geht es dann um die Bandchemie, darum, wie der einzelne Musiker klingen soll. Wenn ich Demos mache, arbeite ich rein digital, da berücksichtige ich so was nicht, da heißt es „ein Mann und sein Computer“, also Gitarre und Drumcomputer. Der Produzent ist dann wichtig, wenn die Band ins Spiel kommt, denn es muss organisch bleiben, auf einem KREATOR-Album muss immer eine Band zu hören sein. Da wird niemals ein Drumcomputer zum Einsatz kommen, oder vorkommen, dass der Bass programmiert wird. Ich behaupte, ich könnte das sogar so produzieren, dass man das nicht heraushören könnte – aber ich mache es nicht, denn es ist eine Band! Ich würde mich selbst niemals als Produzent bezeichnen, denn in dem Moment, da ich Teil der Band bin, bin ich der Sänger, nicht der Produzent. Das muss man trennen. Für andere habe ich zweimal was produziert: einmal für meinen Schwippschwager, der ist Flamenco-Gitarrist, und dann ein Album von THE SPOOK, weil das die Band von einem Freund ist. Aber das hat mir beide Male gereicht, denn das war, als ob du selbst ein Album machst. Das nimmt mir zu viel meiner Energie, es fordert genauso viel Zeit, Nerven und Kreativität wie eine eigene Platte. Für so was bin ich nicht geduldig genug, es ist mir zu anstrengend.

Joachim Hiller

(www.kreator-terrorzone.de)