SENSITIVES

Foto

Shane McGowans Todesschuss

THE SENSITIVES aus Schweden begeistern seit einigen Jahren mit hochmelodiösen Punkrock, der RAMONES, Ska und US-Streetpunk vereint. Kürzlich ist auf Sunny Bastards ihr neues Album „Dogs On The Run“ erschienen, das ich zum Anlass nahm für ein Interview mit Sängerin Paulina und Gitarrist und Songschreiber Martin.

Gegen Ende eures neuen Albums werdet ihr von POGUES-Sänger Shane McGowan erschossen. Das stelle ich mir schwierig vor, immerhin dürfte der Alkohol seine Zielsicherheit enorm beeinträchtigen.


Martin: Da hast du recht. Sicherlich gibt es eine Menge andere Dinge, die uns umbringen werden, ehe Shane das tut, haha. Aber es geht ja auch um etwas anderes. „Shane McGowan shot me down“ ist eine fiktive Biografie. Inspiriert wurde ich dazu durch die Biografie von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. Sie liest sich nett – und lässt alles Negative aus. All das, was während des Zweiten Weltkriegs passiert ist, als Kamprad Förderer der Nazis war. Oder den Umstand, dass er später politische Gefangene in der DDR oder in den Gefängnissen anderer Ostblockstaaten für seine Firma schuften ließ. Das machte mich unheimlich wütend. Also schrieb ich einen Song über mich, der bis zum Todesschuss durch Shane McGowan voller Lügen steckt – und der damit genau so ein Lügengebilde ist wie das, was Kamprad veröffentlicht hat.

Ihr kommt aus Falun in Schweden. Das heißt MANDO DIAO, und damit mit der bekannteste schwedische Rockexport der vergangenen zehn Jahre, sind eure Nachbarn. Leider machen die Dyxgard-Brüder jetzt abgedrehte Disco-Musik. Da könntet ihr ja nachrücken ...

Paulina: Ja, MANDO DIAO kommen aus dem Nachbarort. Und das, was sie jetzt machen, ist auch nicht mein Ding. Aber sie verdienen eine Menge Respekt dafür, dass sie so konsequent ihren eigenen Weg gehen. Sie begehen damit ja quasi kommerziellen Selbstmord – und diese Einstellung hat mehr mit Punk zu tun als das, was viele Punkbands machen. Ob wir in ihre Fußstapfen treten können? Ich sage es mal so: Wir haben bislang mehr Shows in Deutschland gespielt als in Schweden. Also ist es an der Zeit, auch bei uns zu Hause eine Führungsrolle zu übernehmen. Die Musikszene hier ist nämlich nicht so toll. Wir wären jedenfalls bereit, haha.

Martin: Hier läuft zu viel Mainstream. Die Subkultur ist nicht so gut dran.

Woran liegt das?

Martin: Um das zu verstehen, muss man ein wenig über die hiesige Kneipen- und Clubkultur wissen: In Schweden ist es „in“, am Freitag und Samstag auszugehen, um sich volllaufen zu lassen. Aber keiner verlässt das Haus, um unter der Woche mal ein Bier zu trinken und sich eine Band anzuschauen. Das hat natürlich auch mit den hohen Preisen für Alkohol zu tun. Aber das macht es für kleine Bands so gut wie unmöglich, in Schweden zu touren. Ohne Auftritte unter der Woche lässt sich eben keine Tournee auf die Beine stellen. Wir haben hier unzählige, kleine Bands, die richtig gut sind und spielen wollen. Und sie alle wollen lieber Konzerte im Ausland spielen – weil ihnen die Leute dort zuhören.

Ihr selber singt im Titelstück von „Dogs On The Run“ von euren verrückten Tourfahrten durch Deutschland. Wo war es bislang am verrücktesten?

Paulina: Haha, das möchten wir aus Respekt vor den Leuten, die dabei waren, lieber nicht erzählen. Würde das eine oder andere bekannt, könnte manch einer seinen Job verlieren ...

Nicht nur der Song „What the hell“ auf eurer neuen Platte beschreibt die politische und gesellschaftliche Situation in eurer Heimat als recht katastrophal. Wie schlimm ist es?

Martin: Derzeit ist es wirklich erschreckend! Es fehlt Geld für Kindergärten und Schulen, das Gesundheitssystem ist schlecht. Aber anstatt die wahren Verursacher dieser Probleme zur Rede zu stellen – die Politiker und Privatinvestoren, die hier mitunter sogar in den Schulen mit drinstecken –, gehen die Schweden auf die Ausländer und Armen los. Also auf die so genannten „Sozialschmarotzer“. Der Rassismus hierzulande hat in den vergangenen Jahren zugenommen.

Paulina: Daher bin ich auch – und zwar ohne Arroganz! – überzeugt, dass „Dogs On The Run“ genau zum bestmöglichen Zeitpunkt rauskommt: Die Menschen brauchen solche Songs von Bands wie uns, weil die Energie in dieser Musik ihnen helfen kann, dem Rassismus und Sexismus und jeder anderen, menschenverachtenden Strömung etwas entgegenzusetzen und diesen Gedanken weiterzugeben.

Eure Gesellschaftskritik verpackt ihr in Musik, die extrem homogen klingt, obwohl sie viele Stile umfasst: Punk, Ska, Rockabilly und Rock wechseln sich wild ab. Wie bekommt ihr das hin?

Paulina: Wir sind als Band unheimlich ruhelos und impulsiv, wenn es um Musik geht. Wenn wir im Studio stehen oder auf die Bühne gehen, dann müssen wir dem natürlichen Drang nachgeben und spielen. Entsprechend schnell sind unsere Platten auch immer im Kasten. Auf diese Unmittelbarkeit legen wir großen Wert. Ich denke, dadurch entsteht auch die Homogenität.

Martin: Außerdem versuchen wir, maximal kreativ und fantasievoll zu sein. Wer uns im Studio beobachtet, der muss manchmal glauben, wir seien verrückt geworden. Sätze wie „Versuch mal, das Schlagzeug so klingen zu lassen, als ob du gerade kiffst. Dann legen wir einen Kleinstadt-Bass drunter und ein Gitarrenriff, das nach THE HIVES klingt“ sind keine Seltenheit, haha.