CANDIRIA

Dass der New Yorker Stadtteil Brooklyn ein Mekka vieler Hardcore- und Crossoverbands ist, dürfte spätestens seit Anfang der Neunziger kein großes Geheimnis mehr sein. CANDIRIA, eine hierzulande bislang noch nicht sonderlich bekannte Band aus dieser Ecke des Big Apple, kann grob auch in die Kategorie der wutschnaubenden Feinripp-Unterhemdenträger eingeordnet werden, allerdings haben diese Burschen nicht nur ein merkliches Faible für Hardcore und Hip Hop; nein, auch amtlicher Jazz der alten Schule steht seit mittlerweile sechs Jahren auf dem Bandprogramm! Mit ihrem neuem Album „300 Percent Density“ planen CANDIRIA nun, ihren Bekanntheitsgrad auch hierzulande ein gewaltiges Stück höher zu schrauben.

Eine „alltägliche“ Kapelle im herkömmlichen Sinn ist CANDIRIA nun wirklich nicht. In den Songs des Quintetts regiert vor allem ein großes Maß an Experimentierfreudigkeit, das die ansonsten hohen Grenzen zwischen den unterschiedlichsten Stilrichtungen Metal, Jazz, Hip Hop, Hardcore und Ambient ohne Kompromisse verblassen lässt. „300 Percent Density“, der Viertling und gleichzeitiger Höhepunkt ihrer bisherigen Musikerlaufbahn, erschien vor einigen Wochen bei Century Media und lässt die Frage aufkommen, warum diese versierte Mannschaft in unseren Gefilden bislang nahezu ungeachtet blieb. Im Heimatland Amerika sind CANDIRIA schon ein ganzes Stück bekannter, wie Gitarrist John Lamcchia mir an einem der heißesten Tage dieses Jahres bestätigt: „In den USA haben wir schon mit vielen Bands getourt, darunter z.B. NEUROSIS, HATEBREED, EARTH CRISIS, BAD BRAINS, PUYA, CAVE IN, ISIS, CLUTCH und CRO-MAGS. Wir arbeiten daran, uns auch in anderen Ländern einen Namen zu erspielen und hoffen, dieses Vorhaben mit unserem neuen Album zu realisieren. Optimal für uns ist es da natürlich, dass in diesem Jahr auch zum ersten mal Japan und Europa auf unserem Tourplan stehen.“

Bislang sind Jazzliebhaber in der Hartwurstfraktion eher rar gesäht, Kapellen wie DILLINGER ESCAPE PLAN oder CYNIC (R.I.P) stellen da eher die rühmliche Ausnahme dar. Schwer vorzustellen, dass sich die Herren zuerst bei einer Runde Death Metal aufheizen, um anschließend im saloppen Schwarzen den nächsten Jazzclub aufzusuchen, der gerade zur allabendlichen Jamsession lädt. „So abwegig ist das gar nicht“, widerlegt John diese für mich außergewöhnliche Vorstellung. „Weißt du, Miles Davis hat jeden einzelnen von uns bis zu einem gewissen Grad enorm beeinflußt. Er hat einige der brillantesten Stücke komponiert, die ich je gehört habe, und außerdem gab er mit seinem Album „Bitches Brew“ dem Jazz ein völlig neues Gesicht.“

Als Mensch, der sich selbst mal „Musiker“ schimpfte, treten mir vor allem bei den Jazzparts regelmäßig Tränen in die Augen. Die exzellente Weise, mit den Instrumenten umzugehen, resultiert bestimmt nicht nur aus jahrelangem Üben. Könnte es sein, dass die New Yorker meinen einstigen Traum realisiert und gar Jazz studiert haben? „Keiner der CANDIRIA-Mitglieder hat jemals Musik studiert“, lautet auf diese Vermutung die ernüchternde und frustrierende Antwort. „Einige von uns hatten Unterrichtsstunden, als sie anfingen, ihr jeweiliges Instrument zu spielen, aber der Großteil unseres heutigen Könnens resultiert aus dem Zusammenspiel mit anderen Musikern und dem Zuhören. Durch das Hören von Lieblingsplatten wird man in Anlehnung daran eben inspiriert, etwas ähnliches mit einem ähnlich angelehnten Spirit zu machen. Natürlich ist Miles Davis nicht die einzige gemeinsame Quelle, aus der wir schöpfen, denn auch außerhalb des Jazz gibt es großartige Musiker.“ Nachdem eine endlos lange Liste auf mich eingeprasselt ist, die bei KING CRIMSON, TOOL, RADIOHEAD, GOD SPEED YOU BLACK EMPEROR, RACHEL’S, MATMOS, IDAHO und SEVEN PERCENT SOLUTION anfängt und bei MOGWAI, ISIS, NEUROSIS, NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, JOHN COLTRANE, WAYNE SHORTER, WEATHER REPORT, Frank Zappa, PINK FLOYD und YES noch lange nicht aufhört, kommen wir auf den CANDIRIA-Dokumentarfilm zu sprechen, der nach seiner Fertigstellung in diesem Jahr auf dem legendären Sundance Festival, welches auf das Konto keines Geringeren als Schwiegermutters Liebling Robert Redford geht, vorgestellt wird. „Unser Freund Ed „The documentary guy“ hat uns mitsamt seiner Kamera seit ungefähr sechs Monaten nicht mehr aus den Augen gelassen“, erzählt John. „Ed hat unsere Auftritte, Interviews und einfach alles gefilmt, was auch nur im Entferntesten mit CANDIRIA zu tun hat. Momentan sichtet er das insgesamt über 30-stündige Material. Nachdem er diese Masse auf geeignete Filmlänge geschnitten hat, wird er die Dokumentation beim Sundance einreichen, wobei wir ihm natürlich viel Glück wünschen.“

Auch wenn CANDIRIA mal gerade nicht mit ihrer Musik beschäftigt sind, liegen sie nicht auf der faulen Haut und haben indes eine eigene Firma namens Coma Productions ins Leben gerufen. Für was genau steht diese Company? „Coma Productions ist eine Produktionsfirma, die sich momentan dem Design und dem Aufbau einiger Künstler widmet. Die Company befindet sich noch im Aufbau, aber in naher Zukunft soll sie wachsen und das Spektrum erheblich ausgeweitet werden.“ Sehr schön, die Herrschaften, aber vorher kommen CANDIRIA Ende des Jahres noch auf eine Visite nach Deutschland. Darauf freuen sie sich schon und sind schon ganz gespannt darauf, auch hierzulande neue Freundschaften zu schließen, Fans zu gewinnen und nebenbei die Städte und Landschaft Europas kennen zu lernen.