SEE THROUGH DRESSES

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Aufrichtig unglücklich

SEE THROUGH DRESSES aus Omaha, Nebraska bewegen sich musikalisch gerne an der hallumnebelten Grenze zum Kitsch, das hat ihr selbstbetiteltes Debütalbum eindrucksvoll bewiesen. Wer aber hinter all dem Shoegaze-Dreampop abgehobene Ego-Nerds erwartet, wird überrascht sein, denn im Gespräch erweisen sich Sara Bertuldo (Vocals, Gitarre, Bass, Synths), Mathew Carroll (Vocals, Gitarre, Synths), Alex Kirts (Bass) und Nate Van Fleet (Drums) als bodenständiges, harmonisches Team, das – Schlagwort sei Dank – bei aller Ernsthaftigkeit auch mal über sich selbst lachen kann.

I think I’m having fun now / I think I’ve found a job“.


Alex: Ich habe gerade Spaß und es wäre schon schön, wenn Musik dauerhaft mein Job wäre, haha.

Mathew: Klar kann man das wörtlich nehmen, ich fände es auch toll, wenn die Musik meinen Job als Eisverkäufer bald komplett ablösen würde. Tatsächlich wurde dieser Song in einer Atmosphäre der Unsicherheit geschrieben, es ist immer ein fragendes Element enthalten, weil dieser Job eben nicht genau das ist, was ich aus meinem Leben machen wollte.

Songwriting.

Sara: Ich fange erst mal an, irgendetwas auf der Gitarre zu schrammeln. Wenn ich es mag, mache ich daraus eine Melodie. Dann nuschele ich etwas darüber und überlege, was ich da überhaupt gesagt haben könnte. Ich forme einfach frei Sätze, was auch immer dabei herauskommt. Je nach Stimmung. Wenn ich der Meinung bin, dass es sich blöde anhört, überarbeite ich es sofort noch mal.

Mathew: Unglaublich, oder? Bei mir hat das schon mal mehrere Jahre gedauert, bis ein Song fertig war. Deine Überarbeitung funktioniert da sehr viel direkter. Das habe ich schon immer bewundert. Ich fange normalerweise genauso an wie Sara und wenn ich das Gefühl habe, dass das so funktionieren könnte, zumindest auf einem emotionalen Level, schreibe ich es auf und hebe es für später auf. Das ist alles, was ich in dem Moment tun kann. Und wenn ich dann später darauf zurückkommen will, kann ich es oft nicht mehr lesen ... Sara arbeitet da sehr viel schneller, ich brauche ein wenig länger.

Sara: Es ist wichtig für mich, so schnell wie möglich zu arbeiten. Meine Songs schreibe ich in der Regel in etwa einer halben Stunde. Sonst denke ich viel zu viel darüber nach, dann wird das zu verkopft. Das mag ich nicht so.

Sound.

Mathew: Wir machen nichts wirklich Neues, es gibt eine Menge Einflüsse. Vor allen Dingen aus den Bereichen Post-Punk und New Wave der Achtziger. Du kannst an manchen Punkten definitiv heraushören, dass ich ein großer DINOSAUR JR.-Fan bin. Wir bemühen uns um einfache, aber dicht konstruierte Songs und versuchen, mit den Lyrics und der Produktion unsere ganz persönliche Note hinzuzufügen.

Sara: Ich sage einfach immer, ich spiele in einer Rockband. Ganz allgemein. Obwohl wir tatsächlich viel Synth-Kram machen. Eigentlich spielen wir ja beides.

Nate: Auch wenn das manchmal dazu führt, dass es sich wie Alben aus der Vergangenheit anfühlt. Das ist alles sehr ehrlich. Es ist genau die Musik, die wir machen wollen. Erstaunlich viele Bands tun das nicht. Sie können einfach nicht sie selbst sein. Sie glauben, dass sich ihr Sound exakt wie das gerade angesagte Ding anhören muss. Aus Mangel an Selbstbewusstsein, um Geld zu machen, Druck von Labels und Produzenten, warum auch immer. Wir scheren uns nicht um Trends. Wir sind ja auch unsere eigenen Produzenten, niemand kontrolliert unsere Arbeit, haha. Das hat seine guten und schlechten Seiten ...

Aufnahmen.

Sara: Gerade erst haben wir eine neue EP fertiggestellt, die im Laufe dieses Jahres herauskommen wird. Aufgenommen wurde sie zu Hause, was ich persönlich sehr angenehm finde. Sie wird „End Of Days“ heißen, besteht aus sechs Songs und wird hoffentlich im Oktober herauskommen. Aber ehrlich gesagt hasse ich es, Musik aufzunehmen, haha. Ich mag eher Live-Performances, die haben so etwas Vergängliches, sie finden nur einmal statt. Aber wenn du etwas ganz gezielt aufnimmst, muss es absolut perfekt sein. Das finde ich zumindest, weil die Leute es sich ja tausendmal anhören sollen. In meinen vorherigen Bands war ich immer schnell mit den Aufnahmen zufrieden und fand sie dann im Nachhinein doch furchtbar. Aber bei dem SEE THROUGH DRESSES-Album war das anders. Ich kann es mir immer noch anhören, ohne mich zu gruseln.

Touren.

Nate: Das ist unsere erste Europatour. Ein paar von uns waren zwar schon mal in Europa, aber gemeinsam als Band ist es das erste Mal. Für mich ist das eine völlig neue Erfahrung. Es ist zwar super, aber auch viel härter als alle meine Touren durch die USA. Wir sind zwar schon etwa dreißig Tage am Stück durch die Staaten getourt, also genauso lang wie jetzt durch Europa, aber das war einfacher, weil du dich schon ein Stück weit überall orientieren kannst. Das ist weniger stressig. Hier zu sein ist trotzdem toll. Ich habe das Gefühl, dass wir hier wärmer empfangen worden sind als auf unseren US-Tourneen. Vielleicht ist das hier auch alles intensiver, weil es so ungewohnt ist.

Alex: Wir kommen sehr gut miteinander klar und es ist schon sehr entspannt. Wir haben keine Streitereien und es wird nicht gelästert. Es ist normalerweise nicht ganz einfach, dreißig Tage gemeinsam in einem Van zu verbringen und einander danach nicht zu hassen. Bei uns ist das gar kein Problem. Das ist großartig.

Nate: Wir haben das schon zwei- oder dreimal durchgezogen und jedes Mal, während wir auf Tour sind, planen wir schon wieder die nächste. Damit wir nicht zu lange Däumchen drehen müssen, bevor es wieder losgeht. Wir genießen das Touren. Es gibt ja Bands, die sich ständig streiten und nur touren, weil sie es müssen. Auf unserer ersten Tour waren wir so aufgeregt und gut gelaunt. Und dann haben wir unterwegs einen Typen von einer bekannten US-Band getroffen, die etwa 300 Tage im Jahr tourt, und er konnte es auf den Tod nicht ausstehen und wollte alles hinschmeißen. Niemandem von uns geht das so.

Alex: Das sehe ich auch so. Wir passen gut genug auf uns auf, vielleicht tun andere Bands das nicht. Das zehrt schon an der Substanz, aber wir haben ein gutes Gleichgewicht. Ich liebe Touren. Ein gutes Team gehört da natürlich auch dazu und das haben wir mit dem Label und Coco Booking. Die haben sich fantastisch um uns gekümmert.

This Charming Man Records.

Sara: Wir arbeiten mit Charming Man zusammen ...

Alex: ... weil wir ein „guiding light“ haben, haha.

Sara: Dieses „guiding light“ heißt Tim Kasher. Er spielt im Moment in einer Band namens CURSIVE und ich habe mal Bass für ihn gespielt. Im Laufe der Jahre habe ich ihn oft um Rat gefragt, weil er schon so viel Erfahrung in allem hat. Er war letztes Jahr hier und hat uns den Kontakt zu Hannes von Coco Booking vermittelt und wohl auch erwähnt, dass wir ein Label hier suchen. Buschtrommeln eben. Und so kam eines zum anderen.

Alex: Wir sind echt glücklich, auf diesem Label mit einer Menge anderer großartiger Bands veröffentlichen zu dürfen. Wir haben auch einige unserer Labelmates auf Tour getroffen. FREIBURG, ORBIT THE EARTH und KARIES. Außerdem hatten wir vorher schon MESSER gehört. Das passt echt gut zusammen.

Nate: Mir war nie bewusst, wie viel Support man bekommen kann, wenn man auf einem Label wie This Charming Man oder Tiny Engines ist, das länderübergreifend vernetzt ist. Fast in jeder Stadt, in der wir sind, übernachten wir bei jemandem aus einer Charming Man-Band oder bei einem Freund von einer der Bands. Das ist echt super.

Alex: Bei unserem US-Label ist das genauso. Wir arbeiten nicht nur mit ihnen, sondern sie sind auch echte Freunde. Es gibt da eine sehr angenehme familiäre Atmosphäre.

„Any chance at happiness is rare“.

Mathew: Das stammt aus „So long, Charlie“, meinem Lieblingssong unseres letzten Albums. Sara hat ihn geschrieben. Ich weiß zwar nicht, was es ihr bedeutet, aber für mich geht es in diesem Song darum, festzustecken und angeödet zu sein. Von der Liebe, der Arbeit und allem anderen auch. Darum ging es ja auch in dem gesamten Album hauptsächlich. Aber wie immer hat da sicher jeder seine eigene Interpretation und das ist auch gut so.

Sara: Wirklich glücklich sein kann man meiner Meinung nach nur für einen flüchtigen Moment, aber nicht über einen längeren Zeitraum hinweg.

Nate: Wir leben in dieser verqueren Kultur, in der Glück zu einem Marketinginstrument verkrüppelt wurde: Wenn du das Richtige kaufst, wirst du glücklich sein, wenn du den richtigen Job hast, wirst du glücklich sein. Aber eigentlich ist Glück immer vergänglich und nie ein Dauerzustand.