DESAPARECIDOS

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Revolution mit griffiger Formel

Wenn die Mitglieder einer Band es eigentlich niemandem mehr beweisen müssen, und dann mit „Payola“ ein Album veröffentlichen, das so viele Ecken und Kanten aufweist und dabei mit dem charmant erhobenem Zeigefinger auf Missstände aufmerksam macht, klingt man so wie die DESAPARECIDOS. Dass Conor Oberst von BRIGHT EYES als Sänger und Gitarrist mit an Bord ist, macht die Sache noch spannender. Fast 13 Jahre nach der Veröffentlichung des bisher einzigen Albums der Band aus Omaha steht nun ein Nachfolger bereit, der musikalisch irgendwie zeitlos, aber brennend aktuell im politischen Sinne geworden ist. Wenn dann noch ein Labelwechsel dazukommt, besteht dringender Gesprächsbedarf. Gitarrist Denver Dalley gab Auskunft.

Wir sind uns ziemlich sicher, dass keiner wirklich mehr auf ein zweites Album von uns gewartet oder gar damit gerechnet hat“, beginnt Denver Dalley das Interview über eine Band, die man getrost als Supergroup bezeichnen kann. Unter anderem wegen Conor Oberst, der mit BRIGHT EYES zu einer Indie/Folk-Ikone aufgestiegen ist. Zum anderen ist da aber auch mal wieder ein Label wie Saddle Creek, das mit Bands wie CURSIVE und THE GOOD LIFE maßgeblich an der Verbreitung von kantigem, oldschooligem Emo und vor allem Folk beteiligt ist. Es mutet gar wie eine Zeitreise an, wenn die ersten Töne des Openers „The left is right“ auf „Payola“ erklingen. „Eigentlich hatten wir die Ideen für diese Songs schon kurz nach der Veröffentlichung unseres Debüts ,Read Music/Speak Spanish‘ fertig, haben sie dann aber einfach liegen lassen.“ Warum nun ausgerechnet, fast 13 Jahre nach der Veröffentlichung des Debüts und quasi aus dem Nichts ein Nachfolgealbum der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird, erläutert Dalley wie selbstverständlich: „Wir wollten einfach wieder zusammen Musik machen und haben in den letzten Jahren endlich wieder Zeit dazu gefunden.“

Dass dabei ein hochpolitisches Album herausgekommen ist, das vor allem das Leben in den USA und jegliche Scheinheiligkeit sowie Doppeldeutigkeit im Visier hat, wirkt aber eher so, als hätten der Band ein paar ganz bestimmte Themen wie die ungerechte Behandlung von Minderheiten in den USA unter den Nägeln gebrannt. „Die Texte auf ,Payola‘ haben natürlich alle einen aktuellen Bezug und lagen auf keinen Fall lange in unseren Schubladen. Wir schreiben grundsätzlich alle Songs und Texte zusammen. Wichtig für uns ist es, dass wir alle hinter dem stehen, was wir mit den Songs aussagen wollen. Natürlich wird hier und da dann auch mal heftig diskutiert. Am Ende wissen wir aber, dass wir alle auf gleicher Wellenlänge liegen.“

Auf die Frage, ob es in einer solch hochpolitischen Band nicht dennoch schwer sei, sich auf bestimmte Themen zu einigen, entgegnet der Gitarrist sehr abgeklärt: „In unserem Land laufen ganz bestimmte Dinge so offensichtlich falsch. Da fällt es nicht schwer, genug Themen zu finden, die wir ansprechen können. Nimm doch allein die aktuellen Rassenunruhen, die aus der ungerechten Arbeitsweise der Regierung unseres Staates gegenüber Afroamerikanern resultieren. Da handeln Polizisten, die eigentlich den Schutz aller garantieren sollen, so ungeniert falsch und müssen dann noch nicht einmal die Konsequenzen tragen. Das funktioniert deshalb, weil sich über die Jahre ein System etabliert hat, das irgendwie nach eigenen Regeln spielt. Wir als Musiker haben die Möglichkeit, eine breite Masse darauf aufmerksam zu machen. Musik spielt in unser aller Leben eine riesengroße Rolle und ein Song kann eine ganze Revolution hervorrufen. Denk an ,Imagine‘ von John Lennon oder die Songs von Bob Dylan. Vieles davon wird heute noch auf Kundgebungen gesungen, um Mut zu machen und Geschlossenheit zu demonstrieren.“

Die Mitglieder der Band halten mit ihrer Meinung auf keinen Fall hinterm Berg und veröffentlichen daher Titel wie „The left is right“, „City on the hill“ und vor allem „MariKKKopa“, die bereits im Songnamen darauf verweisen, um was es hier geht. Und der spanische Bandname („Die Verschwundenen“) bezeichnet eine Gruppe, die von staatlichen Sicherheitskräften in Chile verhaftet, entführt und dann ermordet wurde, weil sie sich systemkritisch geäußert hatten. Der Zusammenhalt der DESAPARECIDOS wurzelt in den langjährigen Beziehungen der Bandmitglieder untereinander. Alle kommen aus Omaha, haben die gleichen Konzerte besucht und alle in eigenen Bands auf dem von Conor Oberst geleiteten Label Saddle Creek Records gespielt. „Conor und ich kennen uns schon seit der Schule. Wir sind durch Tim Kasher, der Saddle Creek mitgegründet hat, auf deren Musik aufmerksam geworden.“

Auf beiden Alben der DESAPARECIDOS kann man neben der einzigartigen Stimme von Oberst, der sich stellenweise bewusst in der Tonlage vergreift, kantigen Post-Hardcore oder gar alten Emorock hören, der sicherlich auch gut auf den Tanzflächen der einen oder anderen Indie-Disco funktionieren könnte. „Revolution with a catchy phrase“ also? „Wir haben als Musiker die Möglichkeit und auch die Aufgabe, unser Leben und alles, was um uns herum passiert, zu reflektieren. Nimm allein nur den Titel diesen Albums, ,Payola‘: Der Begriff beschreibt eine Geschäftspraxis aus den Fünfzigern zwischen Plattenfirmen und Radiosendern: die einen bezahlten die anderen dafür, dass die Songs einer bestimmten Band und Platte gespielt werden. Es ist daher eher so wie der WU-TANG CLAN es einmal besungen hat: ,Cash rules everything around me.‘ Große Labels haben weit mehr finanzielle Möglichkeiten, um ihre Künstler einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So beschränken sie aber auch die Möglichkeiten vieler kleiner Labels und Musiker, ihre Idee von Kunst an eine große Masse heranzutragen. Das führt dazu, dass viele Musiker, obwohl sie möglicherweise talentierter oder gar wichtiger sind, ein Leben als Regaleinräumer fristen müssen, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen.“

Auf die Frage, warum man ausgerechnet „Payola“ nicht mehr auf dem hauseigenen Label Saddle Creek veröffentlicht, sondern bei einem der größeren Labels, nämlich bei Epitaph, entgegnet Denver, dass man sich ja nicht im Streit getrennt habe, und Epitaph nun schlichtweg ein gutes Konzept für die Band vorgelegt habe. „Wir sind eine politische Band und Epitaph ist ein Label, das es uns ermöglicht, unsere Ideen und Vorstellungen unkommentiert zu verbreiten. Sicher haben wir da mit Conor ein Ass im Ärmel, der ja nun unweigerlich mehr Aufmerksamkeit auf die Band zieht. Das Gesamtkonzept hinter dieser Vereinbarung stimmt einfach, ohne dass weder wir noch das Label überrumpelt wurden. Und vor allem: Saddle Creek ist ja auch kein kleines Label mehr.“ Um der ganzen Diskussion direkt den Wind aus den Segeln zu nehmen, druckte die Band einfach einen vermeintlichen Vertrag zwischen der Epitaph Security Group und einem Radiosender auf ihr Cover. „Wir sind eine Band von Freunden, die sich schon eine Ewigkeit kennen und es jetzt endlich wieder genießen können, zusammen Musik zu machen und das Land zu bereisen. Wir verdienen zumindest mit diesem Projekt sicherlich nicht genug, um behaupten zu können, dass wir die ganze Sache nur des Geldes wegen gemacht hätten.“

Viel mehr ist es allen Mitgliedern wichtig, zu reisen und den eigenen Horizont zu erweitern. Dass sie dabei auf ihren Konzerten absolut natürlich rüberkommen und begeistern können, wollen sie so schnell es geht auch auf dem alten Kontinent unter Beweis stellen. „Im Moment gibt es noch keine Pläne, eine weltweite Tour zu spielen, was vor allem daran liegt, dass jeder von uns noch seine eigenen Projekte am Laufen hat. Es steht aber nach der Veröffentlichung der Platte sehr weit oben auf unserer Prioritätenliste, auch in Europa zu spielen.“ Dabei wird es dann auch sicher für die DESAPARECIDOS interessant sein zu sehen, wie die restliche Welt mit „Payola“ umgeht.