SONDASCHULE

Foto

Die Ästhetik des Unvollkommenen

Immer mehr Menschen mögen SONDASCHULE. Das Indiz dafür: Die Festivals, bei denen die sieben Herren aus Mülheim an der Ruhr auf der Bühne stehen, werden zahlreicher. In diesem Jahr war sogar der Open-Air-Moloch Rock am Ring dabei. Und so ganz ohne den Rückhalt einer Hörerschaft veröffentlicht auch keine Band der Welt sechs Studioalben. Das neue von SONDASCHULE heißt „Schön kaputt“ und begeistert nicht zuletzt Frontmann Costa Cannabis selbst in hohem Maße. Wir trafen ihn in seiner Stammkneipe.

Costa, lass uns über Chaos reden. Du singst im ersten Song der neuen Platte „Alles, was ich brauche, ist einen, der mich liebt – und ein kleines bisschen Chaos“. Also: Wie chaotisch ist dein Leben?


Ich empfinde es gar nicht als allzu chaotisch. Aber ich bekomme immer von anderen zu hören, dass ich derjenige bin, der Chaos verursacht.

Woran liegt das?

Ich war nie derjenige, der den geraden Weg ging. Das war mir immer zu einfach. Ich komme manchmal in Sekundenschnelle auf neue Ideen. Und wenn so etwas passiert, sprechen die Menschen um mich herum immer von mir als Chaot. Außerdem ist dieses klassische, geregelte Leben – morgens aufstehen, arbeiten, Feierabend, Fernsehen – nicht mein Lebensmodell. Ich brauche das Hineinleben in den Tag. Etwas Unbeständigkeit. Etwas Adrenalin. Das ist mein Ausgleich für die normalen Dinge. Und das wirkt auf viele chaotisch.

Was ist denn normal in deinem Leben?

Na ja, die alltäglichen Sachen: Zähneputzen, Toilettengänge, Essen – so etwas. Alles, was jeder jeden Tag machen muss.

Wie kann man inmitten von Chaos zielorientiert arbeiten und ein Album aufnehmen?

Tja, ehrlich gesagt funktionieren auch die Alben bei uns zunächst im Rahmen der Chaostheorie. Wir nehmen Demos auf. Spielen sie uns gegenseitig vor. Alle doktern daran herum. Alle reden durcheinander. Und meistens gewinnt dann derjenige, der am lautesten ist. Aber sobald wir ins Studio gehen, haben wir ja eine Idee, wie die Songs klingen müssen – und dann folgt konzentrierte Arbeit, um die Musik zu perfektionieren. Wir sind sieben Leute, die sich untereinander schon ewig kennen. Entsprechend eingespielt ist das Ganze.

Würdest du „Schön kaputt“ als Konzeptalbum bezeichnen?

Nein. Wobei ich weiß, worauf du hinauswillst. Es ist uns im Nachhinein, also nach der Aufnahme, auch aufgefallen, dass die Platte fast als Konzeptalbum durchgehen könnte. Aber wir haben die Songs nicht nach einem Konzept zusammengestellt. Und „Schön kaputt“ lautet die letzte Textzeile auf dem Album – also nahmen wir das als Titel.

Dieses Motiv der Ästhetik des Unvollkommenen klingt ja schon in vielen Stücken durch. Es geht um deine Heimatstadt Mülheim, um den Ruhrpott, die Industrie, dein eigenes Leben ...

Schon. Aber das hat nichts mit Konzept zu tun. Es ist einfach meine Lebenseinstellung: Mein Leben muss zwingend unperfekt sein. Das ist ganz wichtig. Denn wenn alles perfekt wäre, dann wäre es nicht echt. Es gibt nichts Perfektes. Es kann nur etwas als perfekt dargestellt werden. Im Fernsehen zum Beispiel: Mach die Glotze an und du siehst das perfekte Leben. Aber das ist nur vorgegaukelt. Letztlich ist alles, was geil ist, für jemand anderen gleichzeitig auch immer scheiße.

Aber strebt nicht jeder Mensch in seinem Leben nach Perfektion? Du selbst sprichst ja von deinem Lebensentwurf, den du verfolgst. Es ist dein perfekter Lebensentwurf.

Na klar. Ich kämpfe sicherlich auch immer um Perfektion und bin tatsächlich – und trotz allem Chaos – ein Perfektionist. Aber: Im Nachhinein lebe ich damit, wie es ist, und denke in 99% der Fälle: Gut, dass es so gekommen ist.

Apropos Perfektionist: Wenn du jetzt in euer neues Album reinhörst, gibt es da Stellen, die du inzwischen anders machen würdest?

Nein. Ich habe die CD heute Mittag zum ersten Mal in der Hand gehabt und sie im Auto gehört – und hatte direkt ein riesiges Grinsen im Gesicht. Und das ist ja nicht selbstverständlich, ich höre so ein Album vor der Veröffentlichung ja zigmal durch. Jetzt müssen die Songs nur noch live funktionieren. Aber da bin ich zuversichtlich. Denn im Gegensatz zu den Alben davor sind die Songs jetzt wieder richtig brachial. Voll auf die Fresse. Das gefällt mir sehr, sehr gut. Und deshalb würde ich auch nichts ändern.

Du siehst SONDASCHULE also in erster Linie als Live-Band.

Absolut! Unsere Intention, der Grund, warum wir eine Band gegründet haben, war immer, rauszugehen und vor möglichst vielen Leuten zu spielen. Platten sind für uns seit jeher immer nur ein Medium, um Songs bekannt zu machen, die später dann live präsentiert werden. Die Leute sollen bei den Shows tanzen und auf dem Zahnfleisch nach Hause gehen. Und deshalb werden wir alle Songs der neuen Platte bei der kommenden Tour spielen.

Ich denke, ein weiteres Thema auf der neuen Platte ist neben der Schönheit des Kaputten: Wir kommen aus der Jugend raus und merken plötzlich, dass wir älter werden.

Ich denke, dass war eher vor zwei Alben das große Thema – auf „Von A nach B“. Und das war deshalb auch – jedenfalls meiner Meinung nach – unser bisher schlechtestes Album. Der Vater unseres Gitarristen ist damals gestorben. Meine Oma ist gestorben. Bandmitglieder haben sich scheiden lassen. Wir haben uns seinerzeit nach drei Jahren von unserem Label getrennt. Das war eine nicht so schöne Zeit. Und entsprechend klang alles viel melancholischer als vorher. Seinerzeit haben wir das erste Mal richtig gemerkt, dass alles endlich ist. Dass solche Dinge wie der Tod eben nicht nur immer die anderen betreffen. Das war eine Art von „Erwachsenwerden“. Die Folge war: Ich agierte sehr verkopft und hatte mir im Vorfeld zu „Von A nach B“ extrem viele Gedanken gemacht, was ich überhaupt sagen will, ehe ich damit anfing, Texte zu schreiben. Alles davor war immer Freestyle nach dem Motto: Hauptsache durchgeknallt und Spaß haben.

Und wie ist es heute?

Es ist ein Mittelding. Heute lasse ich es zwar auch einfach kommen. Ich lasse den Loop einer Melodie in meiner Bude laufen, flippe dazu aus – und schreibe das auf, was mir gerade einfällt. Aber ich habe nicht mehr die Intention, alle auf Teufel komm raus zum Lachen zu bringen wie früher. Man kann auch sagen: Es geht mir heutzutage darum, Musik zu machen. Ich habe mittlerweile das Glück, etwas tun zu können, was mir unendlich viel Spaß macht und in das ich all meine Zeit investieren kann. Warum also sollte ich zwanghaft versuchen, anderen Spaß zu bereiten, damit sie lachen können? Ich mache das, weil ich Musik machen will. Weil jede Band in erster Linie für sich selber Musik macht. Und wenn sie Glück hat, so wie wir, wollen viele Menschen diese Musik dann hören. Daher haben wir „Schön kaputt“ ja auch auf unserem eigenen Label rausgebracht. Es sind unsere Ideen, es ist unser Geld – wir machen es für uns. Keiner kümmert sich so gut um deine Sachen wie du selbst.

Das hört sich jetzt sehr rational und seriös an.

Na ja, ich bin keine 18 mehr. Ich brauche diese Art von Durchgeknalltheit nicht mehr. Chaos ja. Aber keine Durchgeknalltheit, haha.

Was deinen Texten ja völlig abgeht, das sind Pathos und Parolen zum Auf-die-Wand-Sprühen. Dinge, mit denen DIE TOTEN HOSEN und BROILERS erfolgreich und MUFF POTTER Kult wurden. Kannst du Pathos und Parolen nicht – oder willst du nicht?

Ich will nicht. Ich sage einfach, was ich sagen will, und singe wie ich spreche. Da laufe ich gar nicht die Gefahr, pathetisch zu werden. Ich sehe mich auch nicht als Künstler.

Wie bitte?! Du bist Musiker!

Ja, aber ich bin dabei kein Künstler. Ich bin einfach der Costa, Alter! Ich habe damals als Skateboard fahrender Halbwüchsiger angefangen, Musik zu machen. Und ich mache heute nichts anderes. Ich bin ein erwachsenes Kind, haha. Das hat mir nicht zuletzt auch meine Schwester schon zu verstehen gegeben. Sie kann mit unserer Musik nicht allzu viel anfangen, hat aber einmal unseren Auftritt beim Olgas Rock-Festival gesehen. Da standen ja schon ein paar tausend Leute vor der Bühne. Und sie sagte hinterher nur: „Mensch, wieso singen die alle dat mit, wat du singst?“ Das erdet einen, haha.

Du hast mit dem neuen Song „Mülheim Ruhr“, einer Ode an deine Heimatstadt, schön bei euren Nachbarn LOKALMATADORE geklaut ...

Ich habe sie natürlich nicht gefragt, ob ich das darf. Denn natürlich darf ich das – ich komme immerhin aus Mülheim!