TROVAČI

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Der Balkanizer

TROVAČI aus Düsseldorf stehen für Ska-Punk und Reggae, serbische und deutsche Texte, zwei Sprachen und zwei Kulturen. Anlässlich eines Auftritts und einer Lesung beim Krass Festival auf Kampnagel in Hamburg traf ich die Band und unterhielt mich mit dem Sänger Danko Rabrenović über seine Berufung als Geschichtenerzähler und seine drei „Vertriebswege“: Band, Radiomoderator und Buchautor.

Danko, wann hat die Band, wann hast du mit Musik angefangen, und wie entwickelte sich euer Musikstil?


Ich habe als Teenager angefangen und spiele seit meinem 14. Lebensjahr in Bands. TROVAČI gibt es seit 2003. Kennen gelernt haben wir uns alle in Düsseldorf. Die Band besteht aus mir, meinem Bruder und zwei anderen, nur die Bläser, das sind immer Gäste. Wir haben inzwischen vier Alben gemacht und circa 300 Konzerte gespielt, in der gleichen Besetzung! Die erste Platte „Balkanplatte“ war eine Hommage an die jugoslawische Neue Welle. Eine Musik, die Anfang der Achtziger in Jugoslawien en vogue war, parallel zur NDW oder New Wave in England. Das war mehr oder weniger der Soundtrack unserer Kindheit. Hier in Deutschland haben wir schnell festgestellt, wenn man von Balkanmusik spricht, dann meint man irgendwelche Roma-Blaskapellen, und wir wollten dem deutschen Publikum eben etwas anderes präsentieren. Also zeigen, dass das ehemalige Jugoslawien auch eine facettenreiche und bunte Rock’n’Roll-Szene hatte. Deswegen haben wir auf „Balkanplatte“ Stücke aus der jugoslawischen Neuen Welle gecovert, die tanzbar sind, und da sind wir auf viele Ska-Punk- und Reggae-Tracks gekommen. Eigentlich sollte die Band nur diese eine Platte machen, ein paar Gigs spielen, für Freunde und so. Aber es hat sich sehr schnell mehr daraus entwickelt. Wir haben auf ein paar Festivals gespielt und festgestellt, dass das deutsche Publikum sehr gut darauf reagiert, und da war die Überlegung, dass wir das weitermachen, aber mit eigenen Stücken. Das hat sich weiterentwickelt, aber wir haben dann nicht auf der zweiten Platte Funk oder Jazz gespielt, sondern wir blieben bei Offbeat. Die Balkankomponente liegt bei uns eher in den Texten und in der Sprache. Wir singen zwar auch auf Deutsch und auf der neuen Platte auch ein Stück auf Englisch, aber hauptsächlich singen wir in unserer Muttersprache. Musikalisch ist da jetzt wenig von Folklore oder traditionellem Balkansound drin. Ab und zu in irgendeiner Phrasierung auf der Gitarre oder den Bläsern, aber damit übertreiben wir es nicht. Wir wollten auch nie auf diesen Balkan-Beat-Zug springen und etwas machen, was die Leute nett finden. Wir sind bei diesem Stil geblieben, den wir als Teenager gehört haben.

Bands wie IDOLI, PRLJAVO KAZALIŠTE, PEKINŠKA PATKA oder ELEKTRIČNI ORGAZAM klingen musikalisch nicht anders als Gruppen, die hier Anfang der Achtziger aktiv waren. Ich muss sagen, ohne die „Balkanplatte“ würde ich keine jugoslawischen Bands aus dieser Zeit kennen.

Deshalb sollte man ja auch die „Balkanplatte“ hören. Die haben wir jetzt neu aufgelegt. Darauf gibt es 13 Stücke von zehn Bands aus dieser Zeit. Du kannst das hören und dann die ganzen Bands googlen oder auf YouTube gucken, wie die im Original klangen. Da gibt es schon gewisse Parallelen zu den Bands in England und Deutschland, aber das waren keine bloßen Kopien von THE CLASH oder den SEX PISTOLS, das musste man textlich und musikalisch schon im Kontext von Jugoslawien sehen. Das war echt eine coole Zeit. Die jugoslawischen Bands haben uns mehr geprägt, weil die uns durch die Texte und die Thematik viel näher waren. In Jugoslawien war es nicht so wie in der DDR oder in anderen sozialistischen Ländern, bei uns konnte man im Laden auch westliche Produkte kaufen: BEATLES, ROLLING STONES, Jeans und Coca-Cola, das war nicht das Problem.

Du bist auch als Radiomoderator aktiv. Wie bist du auf den Namen „Balkanizer“ für deine Radioshow gekommen?

Radio mache ich seit 15 Jahren. Die letzten zehn Jahre habe ich eine Sendung beim Funkhaus Europa namens „Balkanizer“ gemacht, die jeden Samstag läuft. Ich sollte ein Konzept für eine neue Sendung für das Funkhaus Europa entwickeln. Die Idee war, dass sich da jeder Hörer melden kann und von seinem Kegelverein, seinem ungewöhnlichen Beruf oder keine Ahnung was erzählen kann. Es sollte ein Talkformat mit viel Musik sein, bei dem die Hörer etwas erzählen können. Dann habe ich überlegt: wenn sich jetzt wirklich jeder melden kann, ist mir das zu beliebig, das muss schon fokussierter sein. Was qualifiziert diese Leute, in meine Sendung zu kommen? Da habe ich an den Kulturraum Balkan gedacht, neben Ex-Jugoslawien auch Bulgarien, Albanien, Rumänien, Griechenland. Aber nicht nur Menschen, die von dort stammen, sondern auch Deutsche oder andere, die dort Urlaub machen oder mit irgendwelchen „Balkanesen“ verheiratet sind. Da wusste ich, Balkanmenschen, Balkangeschichten, Balkanmusik, das ist der Fokus. Dann saß ich mit Freunden beim Brainstorming zusammen, irgendwann kamen wir auf Balkanizer. Das ist ein super Wort. Du hast im Englischen viele dieser Wörter wie Energizer, Womanizer, da ist eine gewisse Action drin. Und das in Verbindung mit Balkan ist dann eben Balkanizer – einer, der die Menschen balkanisiert. Aber nicht auf die negative Art und Weise, die Balkanesen hier leider als Image haben, sondern ich balkanisiere Menschen mit Musik und Geschichten aus dieser Region.

Du bringst diese Geschichten auch zu Papier. 2010 hast du dein erstes Buch „Der Balkanizer. Ein Jugo in Deutschland“ veröffentlicht. Dein neues Buch trägt den Titel „Herzlich willkommenčić. Heimatgeschichten vom Balkanizer“.

Deine Fragen nach den Einflüssen und der jugoslawischen Neuen Welle, das steht dort alles drin. Auch wie und warum ich nach Deutschland gekommen bin. Wenn man das erste Buch liest, dann hat man das Gefühl, man kennt mich, zumindest sagen das viele Leute. Man weiß, wie ich ticke und wie ich drauf bin. Im neuen Buch sind es kurze Heimatgeschichten zwischen zwei Welten. Das ist dieser Perspektivwechsel zwischen zwei Welten, der mich interessiert. Was sehe ich durch meine deutsche Brille, wenn ich auf dem Balkan bin, und umgekehrt. Und wie sieht eine Symbiose aus diesen zwei Welten aus? Ich bin nicht alleine, es sind Millionen Menschen in Deutschland und in der Welt, die in mehreren Kulturen zu Hause sind und zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen hin und her pendeln.

Was hat dich einst nach Deutschland verschlagen?

Der Krieg! Wir wollten nicht an diesem Krieg teilnehmen. Das mit Deutschland ist ein Zufall, meine Tante hat damals hier gelebt. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet und die haben gesagt: Komm zu uns, bis wir sehen, was da passiert. Ich kam also nach Deutschland und mein Bruder folgte mir später. Hätte meine Tante damals in Italien oder Schweden gelebt, wäre ich heute dort. Damals, Anfang der Neunziger, sind sehr viele geflohen. Meine Freunde aus Belgrad waren weltweit verstreut, Sydney, London, Amerika. Klar, einige sind auch geblieben, die hatten keine Tante irgendwo oder eine Möglichkeit wegzugehen.

Das Thema Gastarbeiter und Integration, hat dich das hier gepackt?

Das ist einfach mein Alltag. Integration ist für mich kein Thema, das man auf einem Podium bespricht oder in irgendeiner Zeitung steht, das ist mein Alltag, seit zwanzig Jahren. Insofern mache ich daraus auch kein Riesending. Klar, als ich hergekommen bin, dachte ich, ich bleibe nur kurz. Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht oder Sorgen: Sprache lernen, Arbeit finden. Erst mal war ich als Flüchtling geduldet. Mit der Zeit, als klar wurde, ich würde etwas länger bleiben, da war mir klar, du musst die Sprache lernen und einen Modus finden, wie du hier bleibst, denn als Flüchtling wollten die mich irgendwann 1994 rausschmeißen. Da habe ich mich als Student für Anglistik und Medienwissenschaft eingeschrieben. Als Student durfte ich dann hierbleiben. Einmal im Jahr musste ich mich natürlich bei der Ausländerbehörde melden, Visum verlängern etc., und es hat 16 Jahre gedauert, bis ich die Niederlassungserlaubnis bekam. Ich könnte jetzt auch eine deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, aber soll ich jetzt nach zwanzig Jahren einen Integrationskurs belegen oder meine Sprachkenntnisse beweisen? Das ist Quatsch. Ich habe einen kroatischen Pass und darin ist eine Niederlassungserlaubnis, ich kann hier unbefristet bleiben und machen, was ich will.