EXPLOITED

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Auf dem Weg der Besserung

Beim letzten Interview 2007 in Hannover wirkte Sänger Wattie sehr aufgekratzt und schimpfte lautstark über Leute, die ihn über den Tisch gezogen hätten oder ihm sonst nicht in den Kram passten. Das neue Album sollte damals bereits längst im Kasten sein, ist jedoch bis heute noch nicht aufgenommen. Vor einem Jahr erlitt der 59-Jährige in Lissabon auf der Bühne einen Herzinfarkt und musste für eine Woche im Krankenhaus behandelt werden. Nun ist die Band wieder unterwegs in Südeuropa. Vor der Show im südspanischen Murcia empfängt uns ein zutiefst entspannter Wattie zum Interview im Tourbus, um danach zusammen mit den ADICTS einen atemberaubenden Auftritt vor sichtlich dankbarem Publikum abzuliefern.

Wattie, schön, dich wieder auf der Bühne zu sehen. Wie verlief deine Genesung nach dem Herzinfarkt?


Langsamer, als ich dachte. Von fünf Herzarterien waren drei verstopft, die vierte fing bereits an, sich zu verengen. Die Ärzte im Krankenhaus waren erstaunt, dass ich überlebt habe, normalerweise sterben wohl etwa 70% der Patienten mit einer solchen Diagnose. Aber ich habe mir das ja selbst zuzuschreiben: Mein ungesunder Lebenswandel in den letzten dreißig Jahren, der Speedkonsum eben ... Ich habe einen großen Schreck bekommen und mir gesagt, dass ich jetzt etwas vernünftiger werden muss. Seit sechs Monaten nehme ich nichts mehr, und es geht mir viel besser. Aber ich trinke natürlich noch, haha! Im Kopf ging es mir natürlich nicht so gut. Ich habe starke Depressionen bekommen, vor allem, wenn ich nicht auf Tour war. Auf die folgenden Auftritte in Polen hatte ich auch keine Lust mehr und dachte schon, das wär’s gewesen mit EXPLOITED. Ich bin nun auch mit meiner neuen Frau und Stiefsohn an den Stadtrand von Edinburgh gezogen. Wir hatten zuvor in einem Ein-Zimmer-Apartment im Zentrum gewohnt.

Ein neues Album sollte ja diesen August bei Nuclear Blast erscheinen. Hat sich mittlerweile etwas getan?

Wir haben in den letzten Jahren sicherlich über hundert neue Stücke geschrieben, aber bisher leider nur fünf Texte. Mir mangelt es irgendwie an Ideen und Inspirationen.

Nuclear Blast hat ja erst einmal einige eurer alten Alben wiederveröffentlicht beziehungsweise als Bonustracks auf anderen Alben verwurstet.

Ja, die Sache mit den Bonustracks ist aber okay für uns. In den letzten Jahren sind ja viele Compilations erschienen, von denen wir nichts wussten. Ich habe daraufhin unser altes Label Music For Nations verklagt, auf 30.000 Pfund. Für mich ist das eine Menge Geld.

Wie waren eure letzten Gigs in Südamerika? Gab es Ausschreitungen?

Gegen die Band selbst eigentlich weniger. Viel schlimmer war es in New York. Da standen wir einer Horde von etwa 500 Skinheads gegenüber, die uns töten wollten, weil wir unseren Song „Fuck the USA“ gespielt haben. Die haben immer „USA, USA“ gegrölt. Einen Tag später war ich dann bei einem MOTÖRHEAD-Konzert, und dort waren wieder ein paar hundert von denen, und die Attacken gingen von vorne los. In Mexiko City gab es 2003 ein offizielles Auftrittsverbot wegen der vorangegangenen Ausschreitungen in Montreal. In Peru gab es ebenfalls Ärger.

Dieses Jahr spielt ihr ja auf dem Amnesia Rockfest in Kanada, zusammen mit SYSTEM OF A DOWN, OFFSPRING, SLAYER und so weiter. Meinst du, dass ihr erneut Probleme bei der Einreise bekommen werdet wie 2003, als in Montreal die Krawalle losbrachen?

Nein, das letzte Mal ging es auch gut. Ich brauche dort keine Arbeitserlaubnis mehr, ein Bandmitglied ist Halbkanadier. 2003 entstand ja der Ärger, als ich bei den Einreiseformalitäten den Status „Tourist/Freizeit“ angab. An der Grenze hatten sie ein Foto von mir, wie ich auf einer Bühne zu sehen war. Aber gerade dieses Foto stammte von einer Karaoke-Veranstaltung, haha! Nichtsdestotrotz ließen sie uns nicht rein, und ich bekam ein Einreiseverbot für zwei Jahre, weil ich bei den Formalitäten gelogen hatte. Aber die Krawalle fand ich super! Die wurden ja sogar im Fernsehen gezeigt.

Bei einem Konzert in der Hamburger Fabrik hat es in den Neunzigern ebenfalls Ärger gegeben.

Ja, daran kann ich mich noch genau erinnern. Der Laden wurde von Demonstranten angegriffen, die mal wieder dachten, dass ich mit der „National Front“ sympathisieren würde. So ein Unsinn. Und vor allem: Was sollte ich als Schotte mit der „National Front“ am Hut haben? Vielleicht haben die Leute das mit der nicht rechtsgerichteten „Scottish National Party“ verwechselt. Jedenfalls gelang es der Hälfte der Band, sich mit einem Auto in Sicherheit zu bringen. Der Rest der Band blieb im Laden, dann wurde dieser gestürmt und alles kurz und klein geschlagen. Das Schlimmste für mich dabei war, dass das Konzert abgesagt werden musste und es keine Gage gab, haha.

Nun seid ihr wieder in Spanien auf Tour. Vor etwas längerer Zeit seid ihr dort ja verhaftet worden, weil ein Hotelzimmer demoliert wurde.

Jemand von der Band hat einen Gegenstand aus dem Fenster geworfen. Dann rückten die Bullen an und wir versuchten abzuhauen. Wir flüchteten in einem Taxi und die Cops rannten zu Fuß hinterher, das war ein Bild für die Götter! Schließlich wurden wir von einer Armada mit Maschinenpistolen gestoppt.

Warum spielt ihr bei euren Konzerten eure alten Songs in einer metallischeren Version?

Das liegt an unserem Gitarristen. Mir ist das gar nicht so stark aufgefallen, aber meine Frau hat mich vor einiger Zeit ebenfalls darauf hingewiesen. Ich hab’s ihm daraufhin auch schon gesagt, aber werde es ihm wohl noch mal sagen.

Ein kurzes Statement zum Ausgang des Schottland-Referendums?

Ich habe beim Referendum das erste Mal in meinem Leben an einer Wahl teilgenommen, da ich es wichtig fand, dass Schottland unabhängig wird. Ansonsten hasse ich Politik. Die Politiker denken, dass die Leute, die in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, davon tatsächlich leben können. Das ist einfach gesagt, wenn man selbst viel Geld verdient. Diese verdammten Tories sind der letzte Dreck, aber die anderen sind auch nicht besser.

Schon mal daran gedacht, ein Buch zu schreiben?

Das haben mich schon viele Leute gefragt. Und viele Leute wären wahrscheinlich sehr angepisst davon, was ich über sie schreiben würde ...

Deine persönlichen Sightseeing-Tips für Edinburgh?

Auf jeden Fall Edinburgh Castle. Dann gibt es noch einige neu eröffnete Thai-Restaurants, die definitiv einen Besuch wert sind.