RYKER’S

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Zurück nach 1994

Mit „Never Meat To Last“ veröffentlicht die Hardcore-Legende aus Kassel Mitte Oktober ihr neues Album. Das nahmen wir zum Anlass, unsere Computerfestplatte nach dem Stichwort „Ryker’s“ zu durchsuchen, und siehe da, es fand sich ein Interview, das ich 1994 mit Bassist Chris Luft geführt hatte – nach dem Ausstieg von Sänger Kid-D. vor ein paar Monaten das einzig verbliebene Originalmitglied. Ich konfrontierte Chris mit einigen Aussagen von damals und bat ihn um seinen Kommentar dazu.

Was unsere Einflüsse betrifft, so sind das sicher die frühen AGNOSTIC FRONT sowie die erste Platte der CRO-MAGS. Mit den Bands habe ich angefangen, Hardcore zu hören, und einen anderen gemeinsamen musikalischen Nenner haben wir nicht.“


„The Age Of Quarrel“ und „Victim In Pain“ sind nach wie vor Blaupausen für aggressiven NYHC und haben nichts von ihrer Bedeutung verloren. Natürlich ist unser Musikgeschmack auch gewachsen und nicht mehr so limitiert wie vor zwanzig Jahren. Ich persönlich unterteile nur noch in gute und schlechte Musik – und das ist dann absolut genreübergreifend. Bandintern können wir uns da auch weitestgehend einigen. Na ja, vielleicht nicht immer ... Flo liebt zum Beispiel PANTERA – und die finde ich in etwa so gut wie Borussia Dortmund.

„Als wir loslegten, waren CHARLEY’S WAR die einzige deutsche Band, die in dieser musikalischen Richtung was bewegt haben – ob die nun beliebt waren oder nicht, das ist eine andere Frage. Ich denke, wir haben einfach Glück gehabt.“

Wir hatten bestimmt auch etwas Glück, dazu kam dann noch eine ganze Menge Arbeit und harte Touren. Ich glaube, wir haben dadurch auch den Weg für viele, gute Bands geebnet, die dann nach uns kamen – und dann letztlich auch noch größere Erfolge einfahren konnten. Ich denke da zum Beispiel an HEAVEN SHALL BURN, coole Leute, es sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt.

„Es waren einige Labels interessiert, auch größere wie Century Media und Roadrunner. Aber wir sind ja eine korrekte Band, haha, und deshalb sind wir zu einem ,kleinen‘ Label wie Lost & Found gegangen. Aber mittlerweile regen sich die Leute auch schon wieder über Lost & Found auf.“

Hahaha ... und dann sind wir vom „Hardcore-Feind“ Lost & Found zum Major gewechselt, um anschließend bei Century Media zu landen! Wir bereuen nichts und haben viel dabei gelernt. Ich kann auch über kein einziges Label etwas Schlechtes sagen, auch wenn das wohl eher dem Klischee entsprechen würde. Alle Labels – und deren Mitarbeiter, die wir kennen lernen durften – waren cool zu uns. Jetzt fühlt es sich aber auch sehr gut an, bei einem Label zu sein, dessen Besitzer ich mittlerweile als Freund bezeichnen würde.

„Das Problem ist, dass du als deutsche Band nicht groß werden darfst. Das ist die Meinung von den Hyperkorrekten wie den Leuten aus der Hannoveraner HYPOCRITICAL SOCIETY-Ecke. Die regen sich tierisch über uns auf – weil unser Drummer auch bei HOLY MOSES spielt, weil wir mit Ami-Bands auftreten und lauter so Scheiß. [...] Die gönnen uns das einfach nicht.“

Das klingt irgendwie lustig und naiv, da haben wir noch gar nicht mal ansatzweise über den Tellerrand geschaut. Zum Glück hat sich das alles weiterentwickelt. Vielleicht gibt es noch Neider, aber das ist alles so egal geworden. Wir machen das, was wir wollen, und woran wir Spaß haben. Ganz einfach!

„Ich war 17 oder 18 – mittlerweile bin ich 25 –, als ich anfing Hardcore zu hören, und kam durch meine Kumpels dazu, als die eines Tages mit CIRCLE JERKS und der ,This Is Boston, Not L.A.‘-Compilation ankamen.“

Mittlerweile sind da noch mal zwanzig Jahre dazugekommen und ich liebe den ollen Kram immer noch. Musik begeistert mich auch nach wie vor und ich freue mich immer, wenn mir meine Kumpels ein paar neue, tolle Sachen mitbringen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte. Ich habe gute Freunde in L.A., die mir Sachen wie THE SOUNDS, THE RAVEONETTES oder Hank III vorgestellt haben, Sachen die mich sofort begeistert haben. Apropos CIRCLE JERKS: OFF! sind auch großartig! Und da ist es wieder, das Kind im Mann.

„Die [neue Platte heißt] ,Brother Against Brother‘ [...] Hier in Deutschland rennt der braune Mob durch die Gegend, schlägt Leute auf die Fresse und zündet Asylantenheime an. Aber unsere süße, kleine Hardcore-Szene, die ja ach so toll und korrekt ist, hat nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig zu bekämpfen.“

Ich glaube, da ist „die Szene“ mehr zusammengerückt und hat sich recht eindeutig gegen rechts positioniert. Allerdings ist es erschreckend, dass dieses Thema immer noch (oder schon wieder) so aktuell ist. Irgendwie schaffen es die Menschen wohl nicht, aus der Vergangenheit zu lernen, und einige Medien gießen in schöner Regelmäßigkeit noch Öl ins Feuer.

„Mit diesem ,Tough Guy‘-Image wollen wir aber nichts zu tun haben. Wir kommen aus Kassel und nicht aus Brooklyn.“

Na ja, irgendwie haben wir es ja dann doch geschafft, uns ein leichtes Rüpel-Image zuzulegen. Ich will mal sagen, wir sind bestimmt keine Kinder von Traurigkeit und unsere Art von Humor ist sicherlich auch nicht jedermanns Sache, aber das ist auch ganz okay so. „Tough Guys“ sind wir trotzdem nicht – aber wir kennen so’n paar. Zu dem Städtevergleich muss ich allerdings sagen, ich fühle mich in der New Yorker Subway mittlerweile sicherer als in manchen deutschen U- oder S-Bahnen.

„Drei von uns studieren, einer ist Zivildienstleistender.“

Ach, das war schön! Inzwischen müssen wir alle so richtig arbeiten, Verantwortung übernehmen und uns um eine Menge Erwachsenenscheiß kümmern. Time flies!

„Wir haben ein oder zwei Texte, die man als Anti-Nazi-Texte auslegen kann, aber ich denke, dass jeder weiß, dass Nazis und Umweltverschmutzung scheiße sind. Ich kann über Bands von 16-Jährigen nur lachen, die dir einen erzählen wollen von wegen Vegetarismus und Dritte Welt und was weiß ich was. Ich kann das einfach nicht mehr ernstnehmen, auch wenn das jetzt blöd klingt.“

Wieder so eine kleine, aber feine „Nicht über den Tellerrand schauen“-Bemerkung. Da waren wir sehr auf uns fixiert und konnten nicht mal ansatzweise mit Kritik umgehen. Inzwischen habe ich es mir abgewöhnt, über andere Bands zu lachen, und begegne ihnen mit Respekt. Ich finde es toll, wenn sich Kids engagieren und etwas auf die Beine stellen. Allerdings erwarte ich auch, dass man uns mit Respekt gegenübertritt ... ist das jetzt eigentlich ein doofes Wort? Mir fällt da jetzt aber kein passenderes ein. Ich möchte nur nicht bekehrt werden. Was für mich richtig oder falsch ist, entscheide ich immer noch selber.