FEHLFARBEN

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Sprachschnörkler

Ein neues FEHLFARBEN-Album elektrisiert heute nicht mehr so wie zu Beginn des letzten Jahrzehnts, als die Düsseldorfer Szene um den Ratinger Hof der späten Siebziger durch Jürgen Teipels Buch „Verschwende deine Jugend“ (2001) erfolgreich ins Bewusstsein zurückgeholt worden war. Die FEHLFARBEN – ein Post-Punk-Relikt mit dem Überwerk „Monarchie und Alltag“ aus dem Jahr 1980 im Rücken – feierten damals mit „Knietief im Dispo“ ihr Comeback, veröffentlichten seitdem eine Handvoll weitere Platten und sind somit wieder Teil der Popkultur – erfreulicherweise ohne nervige Nostalgie. Anlässlich des neuen Albums „Über ... Menschen“ war Peter Hein, der seit einigen Jahren in Wien lebt, mal wieder auf Heimatbesuch in Düsseldorf und wir tauschten uns in einer Kneipe auf der Ratinger Straße bei so einigen Altbieren über dieses und jenes aus.

Hier in der Altstadt hat sich viel verändert in den letzten Jahren. Du bist auch nicht mehr oft hier, wie empfindest du das?


Ja, das ist brutal – die halbe Stadt ist weg! Als wir vorhin in die Stadt reinfuhren, kamen wir da vorbei, wo immer Auto Becker war – weg! Was machen MALE denn jetzt? Auto Becker ist einfach weg! Heute ist da eine Brache. Und die neue U-Bahn. Und der halbe Bahnhof ist weg, wo früher die Paketabfertigung war. Und Horten ist auch weg! Ja, die sind schon lange pleite, aber jetzt ist auch noch das Haus weg! Das war damals, glaube ich, der erste Horten mit dieser seltsamen 3D-Fassade. Und das Landgericht hier um die Ecke, das ist jetzt auch weg, davon steht nur noch die Fassade, diese Kaiser-Wilhelm-Scheiße.

So was fällt einem aber nur auf, wenn man länger weg ist aus „seiner“ Stadt. Ist Düsseldorf überhaupt noch deine Stadt?

Irgendwie ist die Stadt, aus der du kommst, wohl immer „deine“ Stadt. Aber ich mische mich nicht mehr ein in Diskussionen hier, ich bin ja so selten da. Ich wohne da nicht mehr, und nur so zum Vergnügen fahre ich auch nicht durch die Gegend.

Viele, die nach Wien ziehen, eignen sich nach kurzer Zeit so einen seltsamen Dialekt-Einschlag an. Du nicht.

Nee, ich geb denen den Piefke. Aber es gibt ein paar „urleiwande“ Worte im Wienerischen, die ich gerne benutze. Worte wie Jänner statt Januar verwendet man mal absichtlich oder auch nicht, damit sie wissen, wo sie hingehören. Es ist ja ein Missverständnis, wenn sie denken, sie sprechen deutsch, haha. Sonst würden sie sich und uns ja verstehen. Es ist eben die gemeinsame Sprache, die uns trennt – ein Satz, der übrigens nicht von mir ist. Ich bin in Sachen Österreich aber ja auch schon seit meiner Jugend frühgeschädigt, durch den FAMILY *5-Quoten-Österreicher Xao Seffcheque.

Düsseldorf war aber doch immer die Stadt, mit der du und FEHLFARBEN untrennbar verbunden schienen.

Ja, aber irgendwann waren dann alle weg und so ging auch ich letztlich schmerzfrei weg. Ich muss mich jetzt nicht mehr über Düsseldorf aufregen, sondern kann alles auf Berlin herabregnen lassen. Rheinländer bleibt man aber immer, egal, wo man ist. Bei der Band haben wir, glaube ich, vor zehn Jahren zuletzt mal eine Anspielung auf Düsseldorf gemacht ... es gibt eben keine Beziehung mehr zu der Stadt. Sogar mein Bruder wohnt schon ewig in Köln, und den habe ich nie Verräter genannt. Auch meine Eltern wohnten zum Schluss da in der Nähe. Und so „Klassentreffen-Momente“ habe ich noch nie gebraucht. Ich fand es zum Schluss so anstrengend hier, es war nicht mehr so wie früher, als man in den immer gleichen Läden die immer gleichen Leute traf. Es war irgendwann keiner mehr da außer mir. Irgendwann war man der letzte Depp, der noch so denkt. Alle anderen lebten irgendwann nach Kalender und Gehaltsauszahlung. Das habe ich früher mal gemacht, das ist vorbei.

Was machst du denn in Wien?

Bürotätigkeiten auf Taschengeldbasis. Was man als freischaffender Künstler und Autor eben so macht. Wenn ich mich irgendwo bewerben müsste mit dem, was ich gelernt habe, und wenn die sehen, dass das Geburtsjahrzehnt mit einer Fünf beginnt ... Da bekommt man ja nicht mal mehr eine Antwort.

Und ist die Stadt subkulturell interessant, also nach deinem Geschmack?

Aber sicher! Jede Band spielt da, das ist ja nicht der Arsch der Welt. Die FLAMIN’ GROOVIES haben neulich zum Beispiel gespielt, das war für mich das beste Konzert der letzten 35 Jahre. Und das hat nichts mit Nostalgie zu tun! In den Achtzigern haben wir mit FAMILY *5 mal in Bochum in der Zeche mit denen zusammen gespielt.

Reden wir über euer neues Album. Wie entstand das? Im Booklet steht zur Urheberschaft an Texten und Musik wieder nur „Fehlfarben“. Wie sah dein Beitrag aus?

Von mir stammen so 80, 90% der Texte, aber definitiv nicht alles. Andererseits habe ich 100% der Texte ausgewählt, denn ich muss es ja singen.

„So hatten wir uns das nicht vorgestellt“, singst du. Das Schimpfen alter Männer? Ein Zeichen, dass man endgültig raus ist aus der Jugendbewegung?

In der Jugendbewegung war ich ja nie drin! Ich war ja schon zu Ratinger Hof-Zeiten der „Ausweisälteste“ unter den Punkrockern. Die anderen waren alle jünger, ich war schon 20, die anderen erst 15. Ich hatte sogar den Führerschein – gleich mit 18 gemacht, aber nie genutzt. Nee, mit den Jugendbewegungen habe ich immer gefremdelt.

Dennoch kann ich mir kaum vorstellen, dass der Text jemanden anspricht, der heute Anfang 20 ist. Habt ihr also akzeptiert, dass ihr inzwischen eine Band für die Generation Ü40 oder Ü50 seid?

Wir waren immer schon nur eine Band unserer und für meine Generation, ich rede immer nur zu Menschen, die mich verstehen. Ich rede ja nicht zu jungen Leuten und in die Pop-Welt hinein. Ich wende mich immer nur an die Menschen, die ich kenne oder kennen könnte. Die „Kinder“, wie ich sie beschimpfe, das ist kein Zielpublikum, denen will ich gar nichts sagen, die verstehe ich ja nicht, die lasse ich in Ruhe. Die beschimpfe ich höchstens gutwillig. Wie eine kleine Ohrfeige – da lernt man was draus, oder auch nicht. Ich lerne jedenfalls nix mehr, ich will auch nichts mehr lernen, das ist vorbei. Aber andererseits ... lernt man dann doch bis zum bitteren Ende, um mal die Hosen zu zitieren. Und abgesehen davon: bei Konzerten kommen immer wieder auch junge Menschen auf mich zu, die verstehen, was ich meine. Wenn ich beispielsweise als Beobachtung schreibe, dass früher alle geraucht haben – außer mir – und man überall rauchen konnte, dann soll das eigentlich nur sagen, dass und wie sich die Welt verändert hat. Und dass ich heute am liebsten anfangen würde zu rauchen, nur aus Prinzip. Wegen dagegen. Rauchen ist Punkrock.

Und es spart der Gesellschaft Geld. Wer raucht, ist früher tot.

Genau! Es ist kein Geld mehr da, aber gleichzeitig werden riesige Anstrengungen unternommen, damit wir alle noch mehr werden und noch länger leben. Entschuldigung, aber irgendwie rechnet sich das alles nicht! Und die chemische oder biologische oder A-Entsorgung – also mit Atom – sind ethisch schwer vermittelbar und nicht korrekt. Fakt ist aber, dass es alles viel zu viel wird. Das sieht man ja schon daran, dass es zu viele Bands gibt, die alle auf den gleichen Bühnen spielen wollen.

Wo stehen die FEHLFARBEN 2015 musikalisch? Nicht in der Nähe der FLAMIN’ GROOVIES jedenfalls.

Nein, die sind mein persönlicher Musikgeschmack. Und was meine Bandkollegen sich bei der Musik denken, das weiß ich nicht. In den meisten Fällen habe ich mir die Songs beim Aufnehmen angehört und gesagt: Ja, kann man machen, ist okay, das kann eine gute Nummer werden. Wir sind ja mehr oder weniger auf FEHLFARBEN-Sound fixiert, wir könnten ja nichts anderes machen. Obwohl, „den“ FEHLFARBEN-Sound gibt es ja nicht, aber den muss man trotzdem machen. Wir stehen ja nur in der Tradition unserer Bandbiografie, die zudem große Lücken hat. Und so tragen alle das bei, was sie haben. Das Ergebnis ist ein Mischmasch, ein Konglomerat, das ist nicht der Geschmack einer einzelnen Person, und das ist wahrscheinlich auch das Gute daran. Denn wenn ich als Einziger was zu sagen hätte musikalisch, käme nur eine ewiggestrige Nostalgiescheiße dabei heraus – alle sind besoffen, liegen sich in den Armen und finden es geil. Das braucht die Welt aber nicht. Wenn andererseits aber Kurt alles noch elektronischer machen will, dann sag ich dem auch, er solle eine PYROLATOR- oder DER PLAN-Platte machen. Und so geht das mit den anderen auch. Wahrscheinlich ist es das, was uns über die Jahre gerettet hat, so dass wir weiterhin Spaß zusammen haben und sich auch weiterhin Leute finden, die das mögen. Wenn wir irgendwas machen würden, was in irgendeiner Tradition steht, wären wir wahrscheinlich hoffnungslos hinterher und es würde kein Schwein mehr kümmern. So, wie wir es machen, ist es zwar kommerziell nicht toll, aber zumindest auch du stehst jetzt hier. Und ich vermute, unseren Reiz macht aus, dass man zwar nicht genau weiß, was das ist, aber genau das das Alleinstellungsmerkmal ist. Ein eingebauter Produktvorteil, sozusagen, und anders kann ich mir das auch nicht erklären. Denn natürlich haben wir keinen Sound, der irgendwo reinpasst. Es ist kein Ska, es ist kein NDW, es ist kein Punk, so war das früher schon. Und mit jeder Platte kommen jetzt eben noch ein paar Jahre drauf, und noch ein paar Jahre, und noch was anderes.

Es klingt zumindest nicht angestrengt nach irgendwas.

Genau! Wir wollen nach nichts klingen. Zumindest bemühe ich mich, den anderen genau das zu vermitteln, also dass wir genau das nicht wollen. Und damit zahle ich ihnen auch heim, dass sie nicht klingen wollen wie etwas, das mir gefällt.

Ein Alleinstellungsmerkmal ist jedenfalls deine larmoyante Art des Textvortrags. Das geschieht immer mit einem sehr amüsierten Grinsen.

Für diesen Satz müsste ich dich jetzt eigentlich küssen. Die wollen immer wissen, wie ich die Texte mache, wie das kommt, blablabla. Und kein Schwein redet darüber, dass ich eigentlich gar kein so beschissener Sänger bin. Das geht mir manchmal auf den Keks. Denn das, was ich bei der Band machen kann, ist ja nur das Rüberbringen der Texte. Klar, man kann die Texte lesen, das machen ja auch alle, aber erst dadurch, dass ich da stehe und singe, kommt raus, wie es sein soll. Die Texte müssen ja entsprechend vorgetragen werden.

Ich muss fast kotzen, wenn die Sänger dieser neuen deutschsprachigen Bands, gerne aus Hamburg, ihre bedeutungsschwangeren Texte vortragen. Das ist meist gewollt, aber nicht gekonnt. Und dann höre ich dich und ich weiß, wie es mir gefällt.

Der Unterschied ist eben „gewollt und gekonnt“. Ich kann nicht genau sagen, warum und wieso das funktioniert, aber wollen tu ich das schon. Das ist alles Absicht – ich will, dass es gut ist. Ich will, dass es unterhaltsam ist – oder eben nicht. Nur dass es eben Leute gibt wie mich, die eben genau das nicht Unterhaltsame unterhaltsam finden. Wie früher bei PERE UBU oder WIRE, die ja auch nicht immer nur unterhaltsam waren, sondern schwer anstrengend. Ich ärgere mich bis heute, dass ich mir Lou Reeds „Metal Machine Music“ nicht gekauft habe, als sie für 9,99 Mark in der Ramschkiste stand.

Wie aufwendig „rundgelutscht“ sind deine Texte? Die wirken sehr elaboriert.

Nein, das geht teilweise sehr schnell. Aber das hört man in Kreisen von Menschen, die sich als große Künstler sehen, nicht so gern. Die sind darauf bedacht, dass sie den Eindruck erwecken, ihre Texte seien unter großen Schmerzen geboren worden. Nein, bei mir rutscht das so raus und dann ist das gut – und wenn es lange braucht, ist es meist nicht gut.

Und wo schreibst du? In einem alten Schuppen im Hinterhof auf einer mechanischen Schreibmaschine?

Nein, mit Kugelschreiber und Bleistift auf irgendwelche Zettel und Bierdeckel. Wenn ich unterwegs war, komme ich immer mit ein paar Bierdeckeln zurück, aber viele davon werfe ich wieder weg. Ich sammle die eigentlich nur, wenn wieder eine Platte ansteht. Ich schreibe Songtexte wirklich nur im Zusammenhang mit der Band, wenn da konkret was anliegt. Mal geht es leicht, mal dauert es auch ein, zwei Tage. Und ich muss ja darauf achten, dass das zur Musik passt – deshalb mache ich das auch nicht zu Hause. Und ich bin auch eine faule Socke. Wenn die anderen dann im Studio an irgendwelchen Details feilen, verpisse ich mich in eine Kneipe und plötzlich flutscht es dann.

Dein Buch mit den „Tourgeschichten“, das 2007 erschien, war sehr unterhaltsam, danach kam das Buch mit den Songtexten. Wie sieht es mit Nachschub aus dieser Richtung aus?

Ich schreibe ja ständig was, aber letztlich scheitert es daran, dass der große Gegenwartsroman gefordert ist, ich aber nur zu „Kleinformaten“ fähig bin.

Du schreibst und singst, deine Freundin, die Künstlerin Anna Meyer, malt – zum Beispiel eure Cover.

Nein, Cover malt sie nicht, sondern Bilder, und wir machen Cover daraus.

Von den Motiven her sieht das sehr aktuell aus, nach Flüchtlingsthematik.

Ja, so was macht sie gerade, aber die verwendeten Bilder – es sind Ausschnitte aus Gemälden – haben als Hintergrund die Proteste am Gezi-Park in Istanbul. Im Grunde malt sie, wie wir Musik machen, und deshalb passt das. Ein Cover von ihr finde ich besonders gut, auch weil es für eine Band ist, die ich sehr genial finde: DER BÖSE BUB EUGEN. Die Bilder, die wir fürs Cover verwendet haben, kann man übrigens kaufen. Und auf manchen bin ich drauf, nicht als Porträt, aber wenn man es weiß, kann man mich erkennen. Musikalisch ist sie übrigens auch sehr bewandert, wobei unser Geschmack nicht deckungsgleich ist. Wir kennen uns schon ewig. Sie kommt ja aus der Gegend an der Grenze zur Schweiz, Schaffhausen, deshalb auch die Verbindung zu DER BÖSE BUB EUGEN und auch DIE AERONAUTEN – das ist Annas Welt.

Und an dieser Stelle endet das Interview und geht in ein privates Fachgespräch über historischen Motorsport über. Denn wenn es es etwas gibt, über das Peter Hein mit noch größerer Begeisterung spricht als Musik, dann sind es alte Autos.